Crimetime 317 - Titelfoto © SWR, Stephanie Schweiger
Alter Schwede, aber wieso?
Der wohl letzte Blum-Tatort „Wofür es sich zu leben lohnt“ wird am nächsten Wochenende Premiere feiern. Lohnt es sich, für gute Tatorte und das Schreiben darüber zu leben? Wir versuchen das in der -> Rezension zu klären anhand eines Films aus dem Jahr 2005/2006, als das Team Blum-Perlmann sich eingearbeitet hatte.
Handlung
Ein Mann liegt erschossen in einem Konstanzer Park. In seiner Brieftasche findet sich ein Pass, der ihn als Schweden ausweist. Klara Blum erbittet Amtshilfe aus Stockholm, um mehr über den Toten zu erfahren. Als die Unterstützung in Person des attraktiven Stockholmer Kriminalbeamten Bo Johansson eintrifft, stellt sich heraus, dass es sich bei dem Toten um einen prominenten schwedischen Industriellen handelt.
Bo Johansson und der ermordete Sunderström haben eine gemeinsame Vorgeschichte: Sunderström war vor vielen Jahren verdächtig, den Ex-Freund von Bo Johanssons Tochter getötet zu haben, wurde aber mangels Beweisen freigesprochen. Klara findet den schwedischen Kollegen durchaus sympathisch und beteiligt ihn an den Ermittlungen.
Zum Missfallen von Kai Perlmann, der sich an den Rand gedrängt fühlt, und dem Schweden eher misstrauisch gegenübersteht. Aber auch Klaras Vertrauen zu Bo gerät ins Wanken, als sie herausfindet, dass Bos Tochter in der Nähe von Konstanz lebt und kurz vor der Tat im Park gesehen wurde. Hin und her gerissen zwischen Anziehung und Misstrauen macht Klara Blum sich daran, Bo Johanssons Geheimnis zu ergründen.
Rezension
Ich schätze die Bodensee-Tatorte sehr, zumindest die besseren, wegen ihrer Figurenzeichnung, wegen der ruhigen Spielart von Eva Mattes als Klara Blum, weil eben der Bodensse nicht nur tief ist, sondern auch tiefgründige menschliche Dramen um ihn herum emporsprießen wie Pilze nach einem Frühlingsregen. „Herz aus Eis“ oder „Bitteres Brot“ sind nur zwei dieser hervorragenden Studien, die so gar nicht abgelenkt werden vom Großstadtgetriebe. Effekthascherei ist eben nicht, im bodenständig-wohlständigen Dreiländereck um den See herum.
Aber „Der schwedische Freund“ ist doch eine Enttäuschung. Der Plot hat viele Twists, das Ende hat mich allerdings nicht maximal überrascht. Zu sehr habe ich nach über 500 Tatortrezensionen doch eine Ahnung davon, warum gewisse Figuren so auffällig unauffällig platziert werden. Und wenn schon einer unbedingt der Polizei etwas mitteilen will und idiotischerweise gerade dadurch erst auf sich aufmerksam macht, da es keine weiteren Zeugen gibt, die wiederum diesen Zeugen gesehen haben, dann ist im Grunde klar, wer hier geschossen hat. Die schwedische Familie konnte es sowieso nicht sein, denn auch für sie gilt der PC-Grundsatz, dass MmMhg niemals Straftaten begehen.
Aber das Verschweigen und Vertusche sind ja auch Straftaten. Ich korrigiere mich: keine Kapitalverbrechen. Vieles an dieser Handlung beruht aber auch genau auf diesem Verschweigen. Jedes Mal, wenn Klara Blum ihn wunderlich anguckt, fühlt sich Bo Johannson genötigt, wieder etwas mehr preiszugeben. Hat mir trotzdem nicht so schlecht gefallen, wie hier ein Whodunit recht sauber konstruiert wurde. Da hätte der Drehbuchautor ruhig seinen Echtnamen verwenden können. Einen W. Anders habe ich im Netz nicht gefunden. Vielleicht hat er’s aber nicht getan, weil die Dialoge so schwach sind und die Figuren so unterdurchschnittlich gespielt sind. Vielleicht hat sich der hinter W. Anders verborgene Mann erst nach dem Anschauen des fertigen Films gedacht: Nee, doch lieber nicht.
Was ist denn so schwach an den Figuren usw.? Der Film ist sehr hölzern inszeniert, daran führt nichts vorbei. Die Kamera, brav immer mit Schnitt und Gegenschnitt, hält ewig lang und oft in zu extremer Naheinstellung auf die Charaktere, so lange, bis deren Darstellern irgendwann die Glaubwürdigkeit aus den Mienen gleitet. Einen Tatort mit so wenig Gefühl für stimmungsvolle und authentisch wirkende Charakterzeichnung habe ich gerade unter den Bodensee-Filmen bisher selten gesehen. Und erst dieses Gezicke von Perlmann, das bis zum gequälten Aufschrei reicht. Vermutlich war der echt, weil Darsteller Sebastian Bezzel innerlich permanent am Kochen war, angesichts der blödsinnigen Sätze, die er in die Kamera sprechen musste. Kein Wunder, übergreifend betrachtet, dass er mit der Zeit immer verdrießlicher wirkte, denn seine Rollen waren häufiger so angelegt, dass er gar nicht anders als allenfalls mittelmäßig spielen konnte.
Ich hatte bei dem Film zwischenzeitlich auch ein Fremdschäm-Gefühl, das ich zum Beispiel bei richtig alten Tatorten, bei denen die Figuren häufig sehr auf Kante genäht sind und wir sie entweder annehmen oder komplett peinlich finden dürfen, so gut wie nie habe. Auch Klara Blum bzw. Eva Mattes hat auf mich schon weniger gezwungen gewirkt als in diesem Film, und vermutlich hatten alle irgendwie den Blues, weil sie gemerkt haben, sie werden in Szenen hineingetrieben, die sich später auf dem Bildschirm nicht allzu gut ausmachen werden. Für die Rolle des Schweden hätte man außerdem ruhig einen echten schwedischen Schauspieler verpflichten können, der Deutsch spricht. Dann hätte sein Akzent auch echter gewirkt und nicht so süddeutsch-österreichisch. Die Österreicher sind sehr gute Schauspieler, solange sie sich selbst spielen könne, was man bei uns wiederum für Schauspielerei hält. Aber Schweden sind eben ein wenig anders. Mir wurde ohnehin nicht klar, was diese nationale Verortung soll, da hätte man jedes andere Land als Herkunft einiger Mitspieler nehmen können – passenderweise am Bodensee vielleicht Österreich. Denn auch die dortigen Industriellen muss eine Klara Blum nicht unbedingt so gut kennen, dass sie diese sofort identifiziere kann.
Daneben sind überdies die Szene mit der „Kreditberaterin“. Klar, noch schnell ein soziales Thema untergebracht, das habe ich verstanden. Aber so stümperhaft in den Plot hineingepfriemelt, auch bezüglich der Ausgestaltung der Person. „Sie rauchen hier nicht!“ (im eigenen Büro). Da hat Klara ihr’s aber gegeben, nachdem sie unrechtmäßig eine Durchsuchung bei der Frau hat durchführen lassen. Wenn es so einfach wäre, Gefahr im Verzug zu deklarieren, bräuchte man keine Durchsuchungsbeschlüsse, weil jeder Polizist vor Ort sich jederzeit auf diesen Umstand berufen würde.
Mit dieser überzogenen Person ist leider etwas von der Wahrheit verschenkt, nämlich, dass Schuldner von Banken und anderen Haien so in die Enge getrieben werden, dass sie tatsächlich einen Mord begehen können – oder Selbstmord. Ich fand die Motivation nicht einmal abwegig, obwohl, und das lässt seine Aussage am Ende auch fragwürdig erscheinen, der Hotelier nicht wissen konnte, dass der Schwede die Frau Weißtaschl mit Tötungsabsichten verfolgt hat. Aber es geht ja auch nur um den Fakt, dass er ihr unbewusst das Leben gerettet hat.
Den Namen Weißtaschl finde ich übrigens süß und sinnig, aber leider gibt es nicht mehr solche feinen, kleinen Elemente in diesem Film.
Finale
Wenn alle Klara Blum-Tatorte so geraten wären wie dieser, würde ich ihren Abgang sicher nicht so bedauern, wie ich das durchaus tue – obwohl in den letzten Jahren kein wirklich großer Film mehr vom Bodensee kam und man den Eindruck hatte, der Standort sei auserzählt, wie es neuerdings heißt, wenn sich eine Serie totgelaufen hat. Ich betone: Der Standort. Denn Blum kann eigentlich nicht auserzählt werden, weil sie nicht erzählt wird. Vom Beginn, dem Tod ihres Mannes und Kollegen in „Schlaraffenland“ an, weiß man, warum sie so nachdenklich, still und beobachtend ist, so hintergründig lächeln kann, und mehr kommt im Lauf der Jahre nicht dazu.
Sie ist das ideale Gefäß für alle köstlichen Figuren-Cocktails, für Typen, die sie beobachten kann, mit Interesse und etwas Ironie, aber sie dominiert nie mit einer übertriebenen Selbstdarstellung, sodass es am Bodensee wie heute kaum noch an einem anderen Standort möglich ist, die Verdächtigen und den Täter in den Vordergrund zu rücken und in dörflicher Idylle fein gesponnene Netze als tödliche Fallen darzustellen. Es gibt genug bessere Blum-Tatorte als diesen, in denen man das wunderbar beobachten kann.
Zu Beginn wirkt dieser Tatort sehr nervig, irgendwann kommt etwas Spannung auf und alles scheint etwas runder zu werden – bis dann wieder Szenen kommen, die einfach schlecht sind und mich als Zuschauer rausgerissen haben.
6/10
© 2019, 2016 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Klara Blum – Eva Mattes
Kai Perlmann – Sebastian Bezzel
Bo Johansson – Peter Simonischek
Thomas Weißtaschl – Jens Schäfer
Stefan Neubarth – Frank Röth
Rita Künzle – Bettina Hauenschild
Annika Beck – Justine Hauer
Drehbuch – W. Anders
Regie: Uli Möller
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