Crimetime 321 - Titelfoto © MDR, Andreas Wünschirs
Menschen, die wie Schatten sind und ihre Ökonomisierung
In erster Linie – oder doch in zweiter? – geht es in „Schatten“ um Menschen, die sich ohne gesicherten Status in Deutschland aufhalten. In zweiter Linie – oder doch in erster? – um diejenigen, die mit ihnen in Kontakt kommen und wie sich dann verhalten. Humanistisch oder ausbeuterisch? Wenn man etwas vom Gezeigten Distanz wahrt, kann man sich sofort vorstellen, wie es Millionen von Arbeitskräften überall auf der Welt geht, die nicht „legalisiert“ sind. Und was passiert, wenn sie krank werden? Es gibt sogenannte entwickelte Länder, in denen nicht einmal die Staatsbürger_innen mehrheitlich eine Krankenversicherung haben. Mit diesen ethischen Fragen befasst sich „Schatten“ und wie das auf uns gewirkt hat, beschreiben wir in der -> Rezension.
Handlung (Wikipedia)
In der Gemeinschaftspraxis von Dr. Winter, Dr. Thomas und Doris Kugler wird Dr. Thomas Kugler tot aufgefunden. Da auch Medikamente fehlen, gehen Kommissar Schmücke und Schneider von einer Tat im Affekt aus. Ein Verdächtiger ist schnell gefunden, denn Zeugen haben einen jungen Mann aus dem Gebäude flüchten sehen. Nach ihm wird mittels eines Phantombildes gefahndet.
Nach den ersten Recherchen hatte Kugler sehr viel ausländische Patienten, wahrscheinlich illegale Einwanderer, die er aus humanitären Gründen behandelt hat. Versicherungsabrechnungen dieser Leute sind nämlich nicht zu finden. Schmücke und Schneider vermuten den Täter in diesem Personenkreis. Inzwischen wird der gesuchte junge Mann in einen Verkehrsunfall verwickelt und im Krankenhaus behandelt. Dennoch ist seine Identität ungeklärt, da er im Koma liegt. Erst nach weiteren Befragungen kann er als Leonid Tscherkassow identifiziert werden.
Während die Polizei ihren Ermittlungen nachgeht, ist die Sprechstundenhilfe Marion Menge darum bemüht, dass dabei nicht ihr kleiner Nebenerwerb aufgedeckt wird. Sie hat den sehr mittellosen Patienten ihres Chefs über ihren Mann Arbeit besorgt. Dieser hat sie als Schwarzarbeiter beschäftigt und gegebenenfalls ihnen auch ein Quartier gegeben. So hatte Leonid Tscherkassow mit seiner jungen Frau eine Wohnung in einem der Häuser, die Robert Menge verwaltet. Vor kurzem ist Leonids Frau einer Krankheit erlegen, deren Leiche sie in der Saale entsorgt hatten. Daher halten sich die Menges der Polizei gegenüber sehr bedeckt. Die findet die Spur zu ihnen dennoch und veranlasst eine Razzia in der Recyclingfirma, die Menge betreibt. Robert Menge wird festgenommen und verhört. Er räumt ein, dass Ira Tscherkassow an den Folgen eines Treppensturzes in seiner Firma gestorben ist, da ihre Verletzung unbehandelt geblieben war. Den Mord an Dr. Kugler leugnet er und erwähnt, dass Kuglers Frau mit Dr. Winter ein Verhältnis hat.
Leonid Tscherkassow erlangt inzwischen das Bewusstsein zurück und sagt aus, dass er bei Kugler nur Medikamente holen wollte, da es seiner Frau so schlecht ging. Er hatte einen Streit in der Praxis mitbekommen und sei daraufhin weggelaufen. Schmücke und Schneider hatten schon eine Weile die Vermutung, dass es sich bei dem Mord eher um eine Beziehungstat handelt, als um einen Raubmord oder gar Rache.
Bei der Obduktion stellt der Gerichtsmediziner fest, dass der Schlag, den das Opfer vom Täter erhalten hat, nicht tödlich war. Kugler litt am Marfan-Syndrom, was durch den Schlag den Riss der Aorta zur Folge hatte und er so innerlich verblutete. Schmücke gelingt es, Doris Kugler so zu überlisten, dass sie die Tat zugibt. Sie wollte ihren Mann loswerden, damit sie für Lothar Winter frei ist und sie die Praxis nach ihren Vorstellungen betreiben können. Zudem wollten sie diese Gratis-Versorgung von unversicherten Patienten beenden, was Kugler nie zugelassen hätte. Doch auch Winter wusste von Kuglers Krankheit und hat seinen Tod billigend in Kauf genommen. Beide werden wegen des gemeinschaftlichen Mordes an Dr. Kugler verhaftet.
Rezension
Zunächst einmal hat dies alles ähnlich auf uns gewirkt wie ein Köln-Tatort. Das soziale Drama steht im Vordergrund, der Kriminalfall folgt auf dem Fuß oder auch mit etwas Abstand. Allerdings sind Schmücke und Schneider nicht Ballauf und Schenk, sondern etwas konservativer eingestellt oder wirken wenigstens so, nach dem, was wir in ihren bisherigen Filmen sehen konnten. Schon sozial, also selbstverständlich gegen die Ausbeutung aber irgendwie hatten wir auch den Eindruck, sie stehen nicht auf der No-Borders-Position, wenn es um Arbeitsmigration geht, aber es wird nicht so ausdiskutiert, wie die Kölner es vermutlich getan hätten.
Der Film behandelt also auch ein Thema, das erst fünf Jahre später zu einem dominierenden wurde und bei dem sehr viele verschiedene Aspekte zu beachten gilt, wenn man sich ernsthaft damit auseinandersetzen möchte. Was wir hier genau deshalb nicht tun – weil wir im Rahmen einer Polizeiruf-Rezension zu kurz greifen würden. Jedenfalls finden wir es schön, dass es Ärzte gibt oder wenigstens geben könnte, die Illegale behandeln, kürzlich hatten wir das auch in einem Tatort gesehen, mit der wenig attraktiven Wendung, dass die Ärztin, die sich für die Rechtlosen einsetzte, kein abgeschlossenes Medizinstudium hatte.
In „Schatten“ hingegen gibt es gleich drei Dr. med. und nur einer davon nimmt den hippokratischen Eid in der Weise ernst, dass er auch denen helfen möchte, die sich nicht im System befinden. Den beiden anderen passt dies nicht und privat geht auch alles durcheinander. Der Humanist hat ein Verhältnis mit der Sprechstundenhilfe, deren Mann wiederum die Kontakte seiner Frau nutzt, um an billige Arbeitskräfte zu kommen, was in einer Razzia mündet. Die beiden mental einander ähnlichen Praxis-Mitinhaber, die Frau des menschenfreunlichen Arztes und der gemeinsame Freund ist auch der Hausfreund der Frau Dr. Kugler. Gerade solche Aufstellungen sind in traditionellen Krimis so häufig, dass wir allein durch das Praxis-Setting ein Old-School-Gefühl hatten. Verstärkt wurde es durch die teilweise betuliche Handlungsführung, die allerdings auch Momente der Erhellung beinhaltet. Dass Schmücke bzw. sein Darsteller Jaecki Schwarz gegenüber Filmen aus den früheren 2000ern merklich an Körperfülle zugelegt hat, könnte tatsächlich daran liegen, dass er nicht mehr raucht. Da hilft wohl auch das Treppensteigen nichts, das reicht nicht, um die Gewichtszunahme aufzuhalten. Aufgefallen war uns der merkliche Unterschied beim ersten Schmücke-Schneider-Fall aus den 2010ern, „Ein todsicherer Plan„.
„Was der Story an Struktur fehlt, muss mal wieder das Sounddesign liefern: der dräuende Tonteppich sorgt für die Bindung zwischen den Szenen. Die Inszenierung aber kann sich sehen lassen. Der […] Regisseur [besticht] durch eine klare, konzentrierte Bildsprache. Immer wieder setzt er auf beobachtende Kamerablicke (durch Türrahmen hindurch), sucht Distanz, wiederholt Einstellungen, schafft so einen filmischen Rhythmus und etwas (formale) Orientierung (…)“ Rainer Tittelbach, zitiert aus der Wikipedia.
Was schließen wir daraus? Dass wir formale Aspekte wieder mehr berücksichtigen und im wörtlichen Sinn schärfer hinschauen müssen, damit wir merken, dass dieser Film visuelle Besonderheiten aufweist, die man in einer Kritik erwähnen muss, uns sind sie aber auch nicht so aufgefallen. Der Sound allerdings schon und wir sind ebenfalls der Ansicht, dass manchmal etwas mehr Sparsamkeit angebracht wäre – gerade bei einem sozialen Thema und einem Film, der keine Thrillerstruktur aufweist und in der Tat nicht besonders auf Spannung ausgelegt ist, sondern eher nachdenklich machen soll. Ob er das schafft? Es gab ab dem Jahr 2015 einige sehr gut gemachte Tatorte über Geflüchtete und auch weniger gute und es wurde alles von allen Seiten beleuchtet, Filme, in denen Menschen unter unwürdigen Bedingungen arbeiten müssen, weil sie am falschen Ort geboren wurden, existieren, auch innerhalb der Tatort-Reihe, viel länger.
Finale
So richtig bemerkenswert ist an dem Film nichts, es ist ein Whodunit, auch wenn zu Beginn so getan wird, als gebe es einen besonders verdächtigen Verdächtigen, was am Ende aber widerlegt wird. Denn der Verdächtige ist ein „Illegaler“ aus Osteuropa und es wäre nicht PC gewesen, wenn man ihm die Tätereigenschaft zugeordnet hätte. Es gibt Filme, die sich darum nicht scheren, aber ein so konventioneller wie „Schatten“ tut das und man erwartet es auch – und damit bleiben kaum noch weitere Verdächtige übrig, was für einen Whodunit wirklich spannungstötend ist. Es geht relativ schnell nur noch um das Warum und auch das wird relativ früh offengelegt: Wo ein Arzt, der seinen Job wirklich ernst nimmt, da mindestens zwei weitere, die so kommerziell denken wie irgendein Kaufmann. So ist es im Tatort üblich und warum sollte das in den heutigen Polizeirufen anders sein, die im Wesentlichen aus denselben Werkstätten stammen und dieselbe Ausrichtung haben. Nicht besonders gut gelungen ist auch der große Bluff von Schmücke und Schneider, wie sie mit falschen Behauptungen die beiden, denen sie eigentlich nichts nachweisen können, aufeinander hetzen. Der Drehbuchautor hätte sich bei „Im Netz der Leidenschaften“, einem Film-noir-Klassiker, mal abschauen können, wie man sowas psychologisch gut aufzieht. Wir fragen uns in solchen Momenten nicht nur, warum illegale Verhörmethoden so gerne propagiert werden, nur, weil des Drehbuch etwas klemmt, sondern auch, warum die Verdächtigen nicht einfach sagen: Wenn Sie es uns nachweisen können, brauchen Sie doch kein Geständnis. Und ob ein einigermaßen versierter Lügner sich durch ein angebliches Geständnis der anderen Seite weichklopfen lässt, wenn doch offenbar keine Beweislage existiert – warum hätte die andere Seite also gestehen sollen? – wagen wir auch zu bezweifeln, wenn die Drucksituation so dürftig aufgezogen wird wie in „Schatten“.
Schmücke und Schneider, auch wenn der eine Abitur hat und der andere nicht – heute also nicht mehr Hauptkommissar werden könnte -, geben all dem aber auch einen bodenständigen Anstrich, der manche hybride Darstellung vereitelt, in einem Film wie „Schatten“ allerdings nicht für Impulse sorgen kann, die aus einem 08/15-Krimi tatsächlich etwas Besonderes machen könnten. Immerhin gab es ein Wiedersehen mit Sandra Speichert, die nicht so oft in Tatorten zu sehen ist – aber in ihrer Rolle ebenfalls kein Highlight setzen kann, weil ihre Ärztinnen-Figur nicht kräftig der eindeutig genug skizziert wird, in der wenigen Spielzeit, die sie hat. Dass beide Kommissare mit Vornamen Herbert heißen, wurde aber dieses Mal so deutlich hervorgehoben, dass wir’s für immer oder wenigstens bis zum eventuellen Einsetzen von Demenz auf dem Schirm haben werden.
6/10
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Regie | Jorgo Papavassiliou |
| Drehbuch | Renate Ziemer Hans-Werner Honert |
| Produktion | Peter Gust |
| Musik | Andreas Koslik |
| Kamera | Vladimir Subotic |
| Schnitt | Margrit Schulz |
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