Die Gurkenkönigin – Polizeiruf 110 Fall 327 / Crimetime 331 // Polizeiruf #Polizeiruf110 #Spreewaldgurke #Königin #Rusch #Krause #Rois #Lothar #RBB #Berlin

Crimetime 331 – Titelfoto © RBB, Oliver Feist

Eine Gurkenfabrik allein macht nicht glücklich

„Die Gurkenkönigin“ ist ein mancher Hinsicht eine Ausnahme. Der einzige Polizeiruf, in dem Tamara Rusch (Sophie Rois) als Schwangerschaftsvertretung der etatmäßigen Olga Lenski (Maria Simon) auftritt, einer der letzten Auftritte von Susanne Lothar (als Gurkenkönigin Luise König, Lisa Wagner spielt mit, die den Grimme-Preis für ihre Darstellung im hochgelobten Tatort „Nie wieder frei sein“ erhielt, inszeniert wurde „Die Grukenkönigin“ von „Herz aus Eis“-Regisseur Ed Herzog. Damit hat er alles, was eine hervorragende Mischung aus Krimi und Drama ausmachen könnte. Ist es also ein Ausnahmefilm geworden? Wir klären das in der -> Rezension.

Handlung (Wikipedia)

Luise König ist noch in ihrem Büro in der Gurkenfabrik in Lübbenau, als sie ein Geräusch hört. Als sie in der Halle nachschaut, sieht sie sich plötzlich einer als Vampir maskierten Person gegenüber. Luises Tochter Anne verständigt die Polizei, dass eine Tür aufgebrochen und eine Scheibe eingeschlagen sei und sie nicht wisse, ob das ein Einbruch sei. Aber sie wisse, dass ihre Mutter noch im Gebäude sei. Polizeihauptmeister Krause findet Luise König auf einem Stuhl festgebunden und geknebelt vor. Sie wird von einem als Vampir Verkleideten bedroht, der dabei ist, Benzin auf den Boden um Luises Stuhl zu schütten. Als Krause ihn anspricht, hält er ein Feuerzeug hoch, was einer indirekten Drohung gleichkommt. Als Krause sich daraufhin auf den Boden schmeißt, verliert er seine Dienstwaffe. Der Täter schnappt sie sich und sucht das Weite. Luise König, von Krause losgebunden, meint nur „alles sei bestens“ und entfernt sich in Windeseile.

Als Luise König später von der Kriminalhauptkommissarin Tamara Rusch, Olga Lenskis Schwangerschaftsvertretung, befragt wird, meint sie nur leichthin, sie habe nicht die geringste Ahnung, wer das gewesen sein könne. Tamara Rusch fragt Krause, ob er meine, dass Luise König jemanden schützen wolle. Als die Kommissarin später weitere Ermittlungen im Haus der Königs anstellt und Anne König befragt, trifft sie auch auf Luises Mann Günther und auf Luises weitere Tochter Steffi und deren Freund Maurice. Tamara Rusch ermittelt, dass Luise König unmittelbar vor und kurz nach dem Überfall mit einer Stuttgarter Nummer telefoniert hatte. Es war – wie sich später herausstellt – der Telefonanschluss des größten Konservenherstellers Deutschlands und es ging um ein Fax mit wichtigem Inhalt, welches verschwunden ist, weil Anne es ohne das Wissen ihrer Mutter an sich genommen hat. Außerdem fallen Rusch und Krause riesige aufgeknüpfte Puppen auf, die kopfüber in der Scheune hängen.

Nachts hört Luise König ein Geräusch und verlässt ihr Bett als auch schon ein Schuss fällt, geistesgegenwärtig kriecht sie unters Bett. Ihre aufgeschreckte Familie lässt sie wissen, dass ja nichts passiert sei und sie sich wieder schlafen legen könnten. Tamara Rusch, die mit Krause zu Luise Königs Schutz ebenfalls auf dem Anwesen übernachtet, fragt Luise, ob sie unbedingt sterben wolle. Bei ihren weiteren Ermittlungen bringt die Kommissarin in Erfahrung, dass Steffi Königs jetziger Freund früher mit ihrer Schwester Anne zusammen war, die seinerzeit ein Kind von ihm erwartete, das sie aber abtreiben ließ. Ihre Mutter Luise war strikt gegen diese Verbindung.

Luise Königs 50. Geburtstag steht an. Die “Gurkenkönigin” wirkt an diesem Tag ziemlich überdreht und hektisch. Krause äußert gegenüber der Kommissarin, dass Schnitthelm der Vampir sei, er habe seine Augen gesehen. Schnitthelm ist Luise Königs Liebhaber und auf der Feier erschienen, obwohl er gar nicht eingeladen war. Maurice Schmitt, Steffis Freund, ist Schnitthelms Sohn. Der junge Mann spuckt vor seinem Vater aus und macht deutlich, dass er nichts von ihm hält, er hätte keine Kohle und auch keine Freunde, alles was er hätte, wäre ein altes Atelier. Er wisse aber nicht, wo. Schnitthelm erzählt Luises Mann Günther, dass Luise vorhabe, die Fabrik zu verkaufen und dass er zuletzt vor drei Wochen mit seiner Frau geschlafen habe. Als König seine Frau beim Kofferpacken vorfindet, meint er, es sehe ja so aus, als wolle sie durchbrennen.

Krause hat inzwischen das Waldgrundstück, auf dem sich Schnitthelms Atelier befindet, im Spreewald ausfindig gemacht. An den Bäumen hängen ebenfalls kopfüber große aufgeknüpfte Puppen. Krause stößt dort auch auf die Vampirmaske. Inzwischen überrascht Steffi ihre Schwester Anne, die gerade mit ihrem Freund Maurice schlafen will. Als Steffi sie fragt, ob sie auf einmal wegen ihrer Mutter keine Skrupel mehr habe, meint Anne, dass es ja auch keine Fabrik mehr gäbe, dass die Mutter alles verkauft habe. Tamara Rusch lässt Anne wissen, dass sie glaube, dass Maurice und sie denselben Vater hätten. Luise ist inzwischen gegangen. Sie hat ihrer Cousine Emma eine DVD dagelassen, auf der sie sich von ihrer Familie verabschiedet und erklärt, warum sie die Fabrik verkauft habe. Sie führt auch aus, dass sie den Erlös aus dem Verkauf gerecht unter allen Familienmitgliedern aufgeteilt habe.

Etwas später fällt ein Schuss. Anne hat auf ihre Mutter geschossen. Zu Tamara meint sie aufgelöst, dass sie den Lauf schon im Mund gehabt habe, als ihre Mutter plötzlich zwischen den Bäumen aufgetaucht sei, da habe sie auf sie gezielt. Als Tamara fragt, wo die Leiche sei, schreit Anne angstvoll: „Ich weiß es nicht.“ Die Kommissarin stellt fest, dass Luise König mit einem Schuss aus Krauses Dienstwaffe getötet worden ist. Günther König hat seine Frau erschossen. Als er fragt, ob er schuld sei, antwortet Tamara lakonisch, dass immer der schuld sei, der abdrücke.

Rezension

Der Film wurde zur Eröffnung des Krimifestivals 2012 in Baden-Baden gezeigt, aber trotz des  hochkarätigen Ensembles ist uns nicht bekannt, dass er einen wichtigen Preis gewonnen hätte. Nach unserer Ansicht ist er auch knapp an super vorbei. Das großartige Team verführte die Macher wohl dazu, ein bisschen zu überziehen. Notabene nimmt die Schlüsselrolle dabei die Figur Luise König ein, natürlich auch eine Anspielung auf die Preußenkönigin des frühen 19. Jahrhunderts, die von Susanne Lothar wieder einmal fulminant verkörpert wird, vor allem zu Beginn. Falls der Film chronologisch inszeniert wurde, würde das sogar darauf hindeuten, dass es der Darstellerin am Schluss nicht mehr so gut ging und – ihre Figur stirbt ja auch. Wir haben noch gar nicht so viele Werke mit Susanne Lothar gesehen, aber Darstellung im Sterbehilfe-Tatort „Der glückliche Tod“ vier Jahre vor „Die Gurkenkönigin“ (Ludwigshafen, Lena Odenthal) ist uns unvergesslich geblieben. Die Tochter des sehr früh verstorbenen Schauspielstars Hans Lothar und seiner Kollegin Ingrid Andrée und Ehefrau von Ulrich Mühe, der ebenfalls schon 2007 verstarb, kurz nachdem „Das Leben der Anderen“ den Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhielt, prägt auch „Die Gurkenkönigin“, allerdings hat sie mit Sophie Rois auch eine adäquate Kontrahentin. Die eine will das Geschehen in der Familie König bestmöglich verschleiern, die andere setzt sich nassforsch mittenrein und klärt auf – kann allerdings das tragisch Ende nicht verhindern, das unweigerlich Assoziationen mit dem tatsächlichen Tod der Hauptdarstellerin kurz nach dem Dreh hervorruft.

Natürlich ist es ein Film mit Botschaft: Wie eine Familie damit nicht glücklich wird, dass ein in der DDR enteigneter Unternehmer unbedingt seine Fabrik zurückhaben möchte und dieses Ansinnen über alles stellt, wie seine Tochter und später die Enkelinnen in den Plan vom Gurken-Imperium eingebunden werden und die Tochter dann an ihrem 50. Geburtstag, der hier gefeiert wird, alles an einen Konzern verkauft. Eine Frau, die sich schon lange nach dem Ausbruch aus dem Leben als Chefin sehnt und sich deswegen eine Zweitbeziehung mit einem talentlosen Künstler gönnt, während der Mann brav im Dienst der Sache und der eigenen Absicherung weitermacht. Das Szenario ist Standard, also müssen es das Ensemble und die Inszenierung reißen, daraus etwas Besonderes zu machen und das gelingt ihnen – manchmal. Die Vampirszene fanden wir über- bis unmotiviert, aber die Lässigkeit, mit welcher der Vampir-Darsteller gar nichts abstreitet, wieder recht cool.

Die Konkurrenz der Töchter von Luise, der Enkelgeneration, ist darstellerisch etwas einseitig ausgefallen und Sophie Rois spielt die Ermittlerin etwa in dem Maß zu aufgekratzt, wie der ganze Film over the Top ist. Wir müssen zugeben, dass wir nach dem wundervoll bebilderten, geschnittenen und musikalisch unterlegten Vorspann etwas mehr erwartet hatten als Tennessee Williams im Spreewald, aber ohne die Wucht, die seine Stücke deshalb entfalten, weil die Figuren eben nicht ironisch gebrochen werden oder die Inszenierung in kauzigem Humor gebadet wird, wie man es offenbar in unseren Zeiten tun muss, weil nur die gewollte vor der unfreiwilligen Komik bewahren kann.

Wir meinen, in dem Fall und bei der Qualität der Darsteller_innen hätte man sich  mehr auf das Drama verlassen dürfen, das ein solcher Stoff auch in der zehntausendsten Variation immer noch hergibt – zumal, wenn man Krimi-Spannung addiert, die in „Die Gurkenkönigin“ eher zu kurz kommt. Man ist also ganz auf die Kunst der Darsteller angewiesen und natürlich sind Musik und Bildführung stellenweise besonders hübsch anzusehen, man merkt schon, dass Ed Herzog ein Händchen fürs stimmige Ganze hat. Allerdings konnte er mit Horst Krause nicht sehr viel anfangen oder dieser nicht mit dem Film, der gleichnamige Darsteller wirkt hier irgendwie gehemmt; wir wollen mal nicht hoffen, dass es darin lag, dass er von mehreren Großdarsteller_innen umgeben war und ihn das ein wenig triggerte.

Dass Tamara Rusch nicht so recht sein Kolleginnen-Typ ist, erscheint  uns als offensichtlich. Das wirkt authentisch, denn kaum hatte  er sich an Olga Lenski gewöhnt, wird sie schon wieder vertreten (weil ihre Darstellerin Maria Simon tatsächlich schwanger war) und es kommt keine Ruhe ins Leben des gemütlichen Landpolizisten, der eines der letzten traditionellen „Originale“ darstellt, mit seine Fülle, seinem antiken Motorrad mit Beiwagen und dem süßen Hund, der eher spazieren gefahren wird, als im Polizeidienst zum Einsatz zu kommen. Das Gefühl, dass Krause sich fremd fühlt, nutzen die Macher an einer Stelle geschickt, indem sie ihn sagen lassen, am unauffälligsten fühle er sich (wie hier auf einem Familienfest) immer noch in Uniform, aber ohne Mütze geht. Vieles in dem Film ist ähnlich hintersinnig wie die Idee, ihn damit in seinem Schutzpanzer zu lassen, gleichzeitig aber unbehütet, aber immer kenntlich – und am wohlsten fühlt er sich gewiss, als er allein bzw. nur mit einem Bootsführer durch die von Nebel überwaberten kleinen Flussläufe schippern und das Atelier des schrägen Schnitthelm suchen darf. Aber wie soll sich so ein kreuzbraver Mensch wie Krause auch einfinden bei Menschen, die sich bei sich selbst nie einfinden konnten und mit einer Ermittlungspartnerin, die doch aus einem anderen Universum stammt, eine deutlichere Distanz zum bodenständigen Teil des Berliner Umlandes aufweist als zum Beispiel Olga Lenski oder vor ihr Johanna Herz.

Der Plot setzt sozusagen eine Seitenlinie fort, die sich etwas von den Handlungsverläufen der meisten Tatorte unterscheidet: Es kommt zwar zur Tötungshandlung und auch in der Parallelreihe muss das nicht immer ein Mord sein, aber sie findet erst am Schluss statt. Dass die Ermittler trotzdem von Beginn an involviert sind, liegt daran, dass es zu einem vermeintlichen  Mordversuch kommt, der ein Offizialdelikt ist, wie uns Horst Krause erläutert; deshalb kann sich die Familie König nicht aussuchen, ob sie die Polizei in ihrer Nähe dulden muss.

Finale

Langweilig ist „Die Gurkenkönigin“ nicht, dazu ist er zu gut gespielt und zu gekonnt erstellt. Das Setting ist originell, wird aber nicht handlungstragend, u. a. deshalb auch die Enttäuschung nach dem Vorspann – wir hofften auf eine zünftige Gurkenplantagenstory, die Produktion und die Arbeiter_innen, die man eingangs sieht, wie sie beim Pflücken übers Gurkenfeld gehievt werden, spielen aber keine Rolle. Das Launige wird auch etwas übertrieben und diese Art von Humor in Relation zum Thema ist eben, wie die Spreewaldgurken, Geschmacksache. Wir essen schon gerne Gurken im Glas bzw. aus dem Glas, sind aber bisher nicht tief in die Spezifika und Varianten des regionalen Anbaus vorgedrungen. Wie schon in der „alten Heimat“ setzen wir bisher auf die Produkte von Hengstenberg, die sich gerade wieder um 10 Euro-Cent pro Glas (= 5,9 Prozent) verteuert haben.

7/10

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Ed Herzog
Drehbuch Wolfgang Stauch
Produktion Mario Krebs
Musik Tamás Kahane
Kamera Torsten Breuer
Schnitt Vera Theden

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