Crimetime 334 - Titelfoto © ORF, Hubert Mican
Fleisch essen ist gefährlich, das merkt man sofort
Das fängt ja schlecht an, für alle, bei denen Lebensmittelverwendung mit V beginnt, nicht mit F. Wenn man genau hinschaut, merkt man, dass hier an zwei verschiedenen Kochstellen Fleisch zubereitet wird. Im Haus der Laduners und in dem Restaurant, in dem Bibi, Moritz und Ernstl sitzen und wegen der Laduners angerufen werden. Weil dort beim Fleisch schneiden was schiefgegangen ist? Das und mehr klären wir in der -> Rezension.
Handlung, Besetzung und Stab
Für Moritz Eisner und Bibi Fellner ist es nicht ungewöhnlich, an übergeordneter Stelle anzuecken. Dass sie der Innenminister persönlich von einem Fall fernhalten möchte, spornt die beiden erst recht an: Sie überhören einfach die Anweisung ihres Chefs Ernst Rauter und fahren zum Haus des Politikers Raoul Ladurner, in dem sich ein Blutbad abgespielt hat. Für dessen Frau kommt jede Hilfe zu spät, die zehnjährige Tochter liegt schwerverletzt im künstlichen Koma.
Kommissarin Julia Soraperra, die auf Geheiß des Ministers den Fall aufklären soll, erscheint Eisner und Fellner ebenso überfordert wie befangen. Die Spuren deuten nicht nur auf einen missglückten Einbruch hin, eine Rolle scheint auch Ladurners Untersuchungsausschuss gegen eine ukrainische Geschäftsfrau zu spielen. Eisners Intuition lässt ihn jedoch an der Glaubwürdigkeit des selbsternannten Saubermanns zweifeln.
Als er und „Bibi“ erfahren, dass sich Ladurners erste Tochter vor Jahren das Leben genommen hat, erhalten die Ermittler überraschende Einblicke in die zerrütteten Familienverhältnisse. Das wahre Ausmaß der Tragödie, die sich für Bibi und Moritz im Lauf ihrer Ermittlungen auftut, übersteigt jedoch jede Vorstellung. Um die Wahrheit aufzudecken, müssen sie nicht nur kühlen Kopf bewahren, sondern sich auch gegen wachsenden politischen Druck behaupten.
Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser alias Eisner und Bibi Fellner ziehen im neuen Wien-„Tatort: Glück allein“ einen rätselhaften Fall an sich. Um nach einem tödlichen Zwischenfall im Haus eines Spitzenpolitikers zu ermitteln, muss das Duo sogar eine ministerliche Anweisung übergehen. Was zunächst wie ein missglückter Raubüberfall mit Todesfolge aussieht, führt zu verdächtigen Geschäften einer Unternehmerin und zu Familiengeheimnissen der Opfer. In der Rolle des charismatischen und manipulativen Nationalratsabgeordneten Ladurner legt sich Cornelius Obonya mit dem Ermittlerduo an. Zwischen die Fronten gerät Gerti Drassl als Kommissarin, deren besondere Nähe zu dem Politiker mehr als verdächtig erscheint.
Rezension
Beim Tatort-Fundus zeichnet sich schon eine sehr niedrige Wertung für diesen Film ab, wenn hingegen die ARD auf Twitter fragt, wie der Film gefallen hat, dann melden sich lauter Österreicher_innen, die Wien-Tatorte eh immer super finden, egal, was dort für ein Schmarrn verzapft wird. Es ist ja meistens eher Schmäh als Schmarrn, manchmal aber auch von beidem was. Nur ohne Schmäh geht’s nie. Beim Fundus muss man froh sein, dass der nicht Österreicher_innen dominiert wird, denn die sind wirklich hemmungslos patriotisch, wie man auch am Wahlverhalten sieht. Okay, einiges läuft dort besser als bei uns und man kann überall blöd wählen, wie wir das im Zipfelmützenland seit vielen Jahren tun, damit auch ja sozial und ökologisch nichts vorangeht.
Wir finden es schade, dass der Film die aufsteigenden Wiener in der Ermittlerwertung etwas runterziehen wird. Nicht sehr, denn bei mittlerweile 34 Filmen von Moritz Eisner macht ein einzelner Flop nicht so viel aus. Wir haben aber schon eine Ahnung, warum manche Zuschauer dem Film gegenüber so negativ eingestellt sind, obwohl Bibi und Moritz mittlerweile zu den Lieblingen der gesamten, auch der deutschen Tatortgemeinde, zählen. Die Handlung ist wirklich absurd. Was hat der Cronelius Obonya eine Mühe, den Ladurner halbwegs glaubwürdig zu verkörpern.
Klar, eine schwierige Kindheit ist immer ein guter Anlass, vollkommen abzudrehen, manipulativ und überhaupt psychisch krank zu werden, manchmal langt es auch zum Serienkiller. Auf jeden Fall hat der Politiker eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, die aus der mangelnden Anerkennung in seinem Tiroler Werden resultiert, aber bis zum Schluss wird nicht geklärt, warum er seine Töchter drogenabhängig gemacht hat. Damit sie ihm nicht eines Tages die Show stehlen und sich zu strahlenden Persönlichkeiten entwickeln können? Es geht doch auch anders, wie bei Moritz, von dem wir nun ebenfalls erfahren, dass er einen ungelösten Vater-Sohn-Konflikt mit sich rumschleppt. Weshalb er wohl auch mit unter 50.000 Euro brutto jährlich auskommen muss.
Uns hat das auch etwas gewundert, dass ein Major – oder ist er schon Oberst? – nicht mehr verdient, in dem Job. Okay, wir plaudern nicht aus dem Nähkästchen bzw. unserer Zeit in Österreich, aber dort werden die Menschen in der Privatwirtschaft offenbar immer noch fürs höhere Jobrisiko privilegiert, dafür ist die Arbeit von Moritz und Bibi ja an sich riskant.
In den Sozialen Medien haben welche geschrieben, das hätte vor einem halben Jahr keiner geglaubt, dass hier die österreichische Realität verfilmt wird – also, der Rücktritt von FÖP-Chef Strache wegen eines kompromittierenden Videos. Auf den zweiten Blick erschließt sich eine Parallele, denn im Film geht es um Unterlagen gegen Ladurner und der Innenminister greift ein, um ihn zu opfern und dafür die Ukraine-Connection zu verschleiern. Der ORF macht ja immer wieder solche Fässer auf und je mehr man davon schaut und je mehr man die Politik beobachtet, auch bei uns, zum Beispiel bei der AfD mit ihren seltsamen Spendern aus dem rechten Geldadel, desto mehr muss man befürchten, das ist alles gar nicht übertrieben. Und warum nicht bei der Gelegenheit einen manischen selbsternannten Politikreiniger über die Klinge springen lassen, wenn sich die Möglichkeit ergibt? Es ist alles ganz eitel.
Damit ist der Sumpf allerdings nicht zu beseitigen. Wenn schon die Aufklärer verrückt sind, wie soll dann die Politik wieder für Normalbürger durchschaubar und ethisch ein Vorbild fürs eigene Leben werden? Mittlerweile ist das leider schon so Standard, bei den Wien-Tatorten, dass wir uns zum Ausgleich mal eine zünftige Beziehungstat wünschen. War es ja hier im Prinzip auch, wobei am Ende kaum noch interessant ist, wer in der kaputten Familie Ladurner jetzt wen wie genau abgemurkst hat und dass die Funsn da noch dabei war.
Manchmal sind wir uns gar nicht sicher, ob das ständige Spekulieren des ORF in die politische Richtung eine gute Idee ist, denn es gibt viele Wege, die Demokratie auszuhöhlen und die Menschen auch dadurch abzustumpfen, indem man keine Gelegenheit auslässt, immer ähnlich gelagerte dunkle Machenschaften darzustellen oder anzudeuten. In Deutschland ist das alles ja nicht so tatortdominant, aber hier wird auch politisch korrekter gefilmt und es könnte nicht einfach so stehen bleiben, dass wo eine Person aus der Ukraine auftritt, garantiert kriminelle Machenschaften und eine Infiltration der Macht zu beklagen sind, oder „wo ein „ic“, da eine Steuerhinterziehung“, wie es eine mit uns befreundete Betriebsprüferin mal für Berliner Verhältnisse ausgedrückt hat. Allerdings lockern sich diese Regeln auch hier in letzter Zeit, weil man nicht die Realität immer komplett wegdrücken und trotzdem glaubwürdige Krimis machen kann.
Die Handlung ist so abgedreht, wie auch der Ladurner, dass sie schon wieder belanglos wirkt. Klar ist das in der Politik so, aber es erzeugt kein Drama aus sich selbst heraus, sondern im Grunde gehen hier zwei vollkommen getrennte Aspekte eine recht krampfhafte Verbindung miteinander ein: Die Familientragödie und die Verflechtungen mit der Politik und Letzteres wirkt in desem Kontext zwanghaft und man will den Film damit füllen, weil man dem eigentlichen Thema keine 90 Minuten zutraut. Das ist ein klarer Nachteil der Österreich-Schiene, dass sie es selten schafft, Charaktere so auszuformen, dass sie für sich interessant genug sind, um einen solchen Film zu tragen und voranzutreiben. Das war in den Zeiten, als Moritz Eisner allein ermittelt hat, besser gemacht. So gut Bibi mit ihm harmoniert, so echt das wirkt und so viele tolle Sprüche man auch dieses Mal wieder aus diesem Verhältnis gewinnen kann, die Filme sind zuletzt auch oberflächlicher geworden. Anfangs war es ein Hype, dass alles rasanter und actionreicher wurde, jetzt ist man wieder langsamer geworden, es bleibt aber alles bissl überkonstruiert.
Finale
Warum heißt der 1097. Tatort nun „Glück allein?“. Weil man immer noch besser gar keine Beziehungen hat als solche, wie wir sie bei den Ladurners sehen. Alle Eremiten und Misanthropen werden sich eh bestätigt fühlen. Bezüglich der Politik ist jede schlimmer Vermutung sicherlich gerechtfertigt, aber beim Zwischenmenschlichen soll man die Hoffnung nie aufgeben. Dass Politik von Zwischen- und anderen Menschen gemacht wird, wollen wir dabei nicht überbewerten, man kann ja nach Partner_innen mit anständigen Berufen Ausschau halten. Falls versehentlich Politker_innen diesen Beitrag lesen: Es gibt vor allem auf den unteren Ebenen noch welche, die den Idealismus nicht ganz verloren haben, aber in der Spitzenpolitik wundern wir uns, dass überhaupt noch jemand zur Sacharbeit kommt, bei dem Aufwand, den Machterhaltung und Machterweiterung versuchen. Aber die Sacharbeit machen eh die Sach-Mitarbeiter, im Wesentlichen.
Weil Bibi und Moritz wieder super aufspielen, für viele gute Dialogsätze, für eine visuell beinahe makellose Inszenierung gibt es für diesen etwas – zu – schrägen Film doch eine nicht so schlechte Bewertung.
7/10
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Vorschau: 20 Jahre mit Moritz – Stadt, Land, Politik
„„Glück allein“ ist ein Jubiläums-Tatort: Seit 20 Jahren arbeitet Inspektor Moritz Eisner, gespielt von dem Österreicher Harald Krassnitzer, nun schon für die Krimireihe. Sein erster Fall „Nie wieder Oper“ (Tatort-Folge 404) wurde am Sonntag, den 17. Januar 1999 im Ersten Programm erstausgestrahlt. Majorin Bibiane „Bibi“ Fellner stieß als dauerhafte Ermittlungspartnerin Eisners im Jahr 2011 zum Tatort des ORF hinzu“, heißt es auf der Plattform Tatort Fans dazu.
Gleichzeitig ist es der 75. Wien-Tatort, möchten wir hinzufügen, das ist doch auch ein großartiges Jubiläum. Damit liegt die Donau-Metropole hinter München (107), Hamburg (94), Berlin (85), Köln (83) und Frankfurt (77) zwar nur auf Rang sechs, aber es gab auch eine Zeit ganz ohne Wien-Tatorte. Andererseits spielen die Filme nicht alle in Wien, in manchen sieht man die Stadt gar nicht, weil Eisner auf dem Land anfängt zu ermitteln und dort bis zum Schluss bleibt.
So gesehen, ist der Standort Wien der Österreich-Tatort, der das gesamte Land abbildet – wenn auch nicht sehr gleichmäßig in der Verteilung. Wenn man die üblichen Maßstäbe für Einwohnerzahl pro Team zugrunde legt, müsste Österreich mindestens eine zweite Schiene bekommen, aber wo sollte die angesiedelt sein, angesichts der Tatsache, dass es eine sehr große Stadt gibt und einige andere, die etwa 200.000 Einwohner haben? In Frage kämen vor allem Graz, Linz und Salzburg; einen Westösterreich-Tatort mit Grenzverkehr nach Bayern fänden wir reizvoll. Eine weitere Möglichkeit wäre ein zweites Team in Wien mit anderem Schwerpunkt als die bisherigen Alleskönner Fellner und Eisner, die vom Dorfkrimi über den Politikrimi zum OK-Krimi jedes Milieu rocken, weil es in Österreich keine Alternative zu ihnen gibt. Eine ganz hübsche Verantwortung, das Wohlergehen von Recht und Ordnung eines ganzen EU-Landes auf vier nicht mehr ganz jungen Händen zu tragen. Es ist doch stressig, sich mit der Politik anzulegen, wie das in letzter Zeit bei den beiden geradezu ein Standard geworden ist. Besonders bei der Politik.
TH
| Moritz Eisner | Harald Krassnitzer |
| Bibi Fellner | Adele Neuhauser |
| Manfred Schimpf | Thomas Stipsits |
| Ernst Rauter | Hubert Kramar |
| Julia Soraperra | Gerti Drassl |
| Raoul Ladurner | Cornelius Obonya |
| Natalia Petrenko | Dorka Gryllus |
| Cora | Magdalena Kronschläger |
| Michael Kreindl | Günter Franzmeier |
| Kuptschyk | Dieter Egermann |
| Journalist Kurt | Markus Hamele |
| Schwester Intensivstation | Michaela Mock |
| Gefängnis Portier | Michael Edlinger |
| Schennach | Emil de Cillia |
| Jasmin Ladurner | Namiya Ettl |
| Jasmin Ladurner | Marie Kristin Ettl |
| Bodyguard | Christian Dobler |
| Musik: | Patrik Lerchmüller |
| Kamera: | Klemens Hufnagl |
| Buch: | Uli Brée |
| Regie: | Catalina Molina |
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