Der Mann – Polizeiruf 110 Fall 30 / Crimetime 340 / #Polizeiruf #Polizeiruf110 #DDR #Crimetime #DerMann #Mann

Crimetime 340 - Titelfoto © Fernsehen der DDR / ARD

Über die Wiedereingliederung in die sozialistische Gesellschaft

Diese Rezension haben wir fast zwei Monate unter Verschluss gehalten, wenn man es etwas dramatisch ausdrücken will, aber nach der Kritik zu „Die Schlacht„, die wir heute morgen nach sechs Wochen Ruhepause publiziert haben, folgen wir weiterhin der Maxime: Alles muss raus, auch wenn es schwierig ist, die wir vorgestern bei der üblichen häufigen Reorganisation unserer Schreibplanung ausgegeben haben. Anders als bei „Die Schlacht“, wo wir Bedenken hatten, dass die hohe Wertung für einen Film mit martialischem Titel und Kriegsspielen missverstanden werden könnte, geht es hier darum, erst einmal eine Wertung zu finden, die haben wir bisher nämlich nicht vergeben. Und darum, einem Film doch noch gerecht zu werden, über den wir uns ziemlich geärgert haben, weil er so extrem ideologisch getränkt ist. Das heißt, wir haben heute diesen Artikel noch einmal überarbeitet. Was dabei herauskam, steht in der -> Rezension.

Handlung (Wikipedia

Franz Werker wurde wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Drei Tage nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft hatte er eine Frau wegen eines Brotes umgebracht. Nun wird er nach rund 30 Jahren Haft vorzeitig entlassen. Er kehrt in sein Elternhaus an der Ostsee zurück. Während seine Mutter ihn erwartet und ihn auch regelmäßig im Gefängnis besucht hat, ist sein Vater verbittert. Er wollte ihn nie wieder sehen und geht ihm nun aus dem Weg. Franz jedoch bewährt sich in einer Straßenbau-Brigade des Ortes und findet zögerlich Anschluss, auch wenn einige Arbeiter ihn meiden. Alle jedoch wollen ihm eine zweite Chance geben und die junge Kollegin Frieda Kirsch geht mit ihm spazieren und lädt ihn eines Tages zu sich nach Hause ein. Beide wollen sich ein Fußballspiel im Fernsehen anschauen. Franz kauft Pralinen und fährt mit dem Fahrrad zu ihrem Haus. Auf sein Klingeln reagiert niemand, obwohl der Fernsehapparat laut läuft. Franz betritt die Wohnung und sieht Frieda tot im Wohnzimmer liegen. Panisch ergreift er die Flucht und betrinkt sich in einer Kneipe.

Oberleutnant Jürgen Hübner und Meister Lutz Subras werden mit den Ermittlungen betraut. Subras hält spontan Franz als Vorbestraften für verdächtig, was Hübner strikt ablehnt. Franz jedoch macht sich selbst verdächtig, als er beim Anblick der Polizei von der Baustelle fliehen will. Für ihn ist klar, dass man ihm den Fall anhängen wird, egal ob er der Mörder war oder nicht. Tatsächlich deutet zunächst alles auf ihn als Täter hin. Seine Fuß- und Fingerspuren finden sich an Friedas Wohnungstür und im Flur. Als Tatwaffe diente die schwere Luftpumpe seines Fahrrads, die Franz jedoch nicht vermisst hatte. Sie wurde mit Fit gereinigt, doch kann der Einsatz als Tatwaffe durch Haarreste nachgewiesen werden, die von Frieda stammen. Da die Ermittler nicht beweisen können, dass Franz je weiter als bis zum Flur gekommen ist, gilt er nicht als Täter. Weitere Maßnahmen können wiederum nicht ergriffen werden, da nicht bekannt ist, ob Frieda je viel Geld oder andere Wertsachen besaß, die der Täter erbeutet haben könnte.

Die Ermittlungen stocken und die Bewohner des Dorfes werden unruhig, da sie Franz als Täter ansehen und sich nun bedroht fühlen. Auch Jürgen Hübners Vorgesetzter Major Wagner zweifelt bald an dessen Eignung, den Fall zu lösen. Jürgen Hübner konzentriert sich auf Friedas Umfeld und kontaktiert bald jeden, der auch nur entfernt mit Frieda zu tun hatte. Von ihrem früheren Liebhaber erfährt er, dass Frieda vor 18 Monaten mehrere Wochen lang im Krankenhaus gelegen hat. Erst über ihre Zimmernachbarin, eine blinde Frau, kann Jürgen Hübner ein Mordmotiv rekonstruieren: Frieda hatte ihr erzählt, dass sie 24.000 Mark im Lotto gewonnen hat. Das Geld hat sie nie ausgegeben, sondern im Haus gehabt.

Rezension (enthält Angaben zur Auflösung)

„Der Mann“ ist die 30. Folge der Filmreihe Polizeiruf 110. Oberleutnant Jürgen Hübner und Meister Lutz Subras ermittelten in ihrem 13. Fall. Es war nach „Vorbestraft“* (1973) der zweite Polizeiruf, der sich mit der Resozialisierung Straffälliger auseinandersetzte. Der Mann wurde dabei wiederum stark vom sowjetischen Film Kalina Krassnaja – Roter Holunder beeinflusst, der 1974 erstmals in der DDR zu sehen war. In beiden Filmen versuchen verurteilte Mörder wieder Fuß in der (sozialistischen) Gesellschaft zu fassen. Der Mann zitiert in den ersten Szenen den Beginn des sowjetischen Films und auch die Grundanlage beider Filme gleicht sich, so kehrt der Entlassene in ein eher abgelegenes Gebiet zurück, um sich in die Gesellschaft einzugliedern. Der Mann ist dennoch „ein realistischer Kriminalfilm, dessen Erzählstil hier durch lyrische Sequenzen gebrochen wird. […] Die soziale Botschaft des Films hat jedoch kaum poetische Qualität. Sie lautet schlicht: die sozialistische Gesellschaft darf keine Vorurteile gegen Vorbestrafte dulden, die ihre Missetat gesühnt haben und sich einen Platz in der Gemeinschaft erarbeiten wollen.“[1] Nachdem das, was bisher zu lesen war, komplett zitiert ist, starten wir mit der Rezension.

Die Rezension von „Der Mann“ war unsere erste für einen in der DDR entstandenen Polizeiruf, zwei Monate später sind wir etwas weiter und hoffen, das wirkt sich so aus, dass wir etwas gelassener an den Film herangehen können als im Kulturschock-Modus Anfang April und es hat sich herausgestellt, dass nicht alle der frühen Jahre so überaus didaktisch angelegt sind wie „Der Mann“.  Einige Passagen ändern wir nicht, damit die Spannung und auch die Anspannung spürbar bleibt, die bei der Premiere herrschte, sondern ergänzen lediglich – die bis auf kleinere Umformulierungen erhaltenen Passagen setzen wir kursiv.

Das war sie also. Die erste Begegnung der unheimlichen Art. Mit einem Film, der in der Frühphase der Reihe Polizeiruf 110 enstanden ist. Und die Begegnung war unheimlich, daran besteht kein Zweifel. Was ist das Bemerkenswerte, das wir mitgenommen haben?Der Protest. Wir erklären uns solidarisch. Solidarisch mit dem Mordbuben Heinz Krüger. Das ist der Typ, der es nicht so mit der Arbeit hat und lieber Zinsen einnimmt, als feste zu schuften. Ein Schelm, wer biblisch denkt.

Wir haben das gelernt und es ist noch schlimmer als befürchtet: Wenn in einem DDR-Polizeiruf eine Figur auftaucht, die ein bisschen unangepasst ist und irgendwie Spaß am Leben hat, ist sie garantiert ein Verbrecher.“ Das hat sich für die frühen Polizeirufe als Muster bewahrheitet, aber es gibt Abweichungen von diesem Muster.

Natürlich, die gute Gesellschaft, die aber wirklich alles tut, um einen Straftäter in einer Arbeitsbrigade zu reintegrieren, muss ja auch ein faules Ei in ihren Reihen haben, das für Geld alles tut. Der einzige Charakter in dem Film, der nicht komplett krampfig wirkt, der ist ein Schwein. Besser kann sich ein System, das überwiegend Zwänge und zwanghafte Typen produziert hat, nicht enttarnen. Man kann höchstens hoffen, dass der Film exemplarisch und daher über die Wirklichkeit hinaus gestaltet sein sollte: Wie man es gerne gehabt hätte, nicht, wie es wirklich war. Die westdeutschen Tatorte sind ja auch keine genuinen Realitätsabbildungen, sondern stilisieren und pointieren bis heute die Wirklichkeit. Aber es gibt einen sehr wesentlichen Unterschied: Auf eine zunächst subtile, zeigende, dem Stil des Neuen Deutschen Films mehr oder weniger angenäherte Weise waren sie gesellschaftskritisch und legten den Finger in die Wunden einer materialistischen Nachkriegsordnung, die nur allzu bereit war, den Neoliberalismus als neue Religion anzunehmen, nachdem der Katholizismus und der Protestantismus schon als Abwehrkräfte gegen den Nationalsozialismus versagt hatten.

Mit etwas Abstand würden wir nicht „krampfig“, sondern eher „strikt linientreu“ schreiben, aber dadurch eben auch sehr eingeschränkt in den Ausdrucksmöglichkeiten, weil jede Aussage eine gesellschaftspolitische Bedeutung haben muss und für Individualität kaum eine Nische bleibt. Daher:

In der DDR das genaue Gegenteil. Das Staatstragende ist Eins zu Eins umgesetzt. Aber es ist durchaus möglich, dass den Filmemachern nicht auffiel, dass in „Der Mann“ ein viel zu bemühter Ton herrscht. Insbesondere, wenn die Polizei zur Einsatzbesprechung tagt, hat jeder der Anwesenden quasi eine sozialpolistisch exakt definierte Rolle und immer wird betont: die große Verantwortung eines jeden für einen jeden. Nichts gegen Soldarität, wahrhaftig nicht, aber da wird der Bogen überspannt.

Das hätte man 1975 eigentlich schon wissen können. Wären diese Film in den 1950ern entstanden, als der Aufbau-Enthusiasmus in Teilen der Gesellschaft wirklich noch vorhanden war und vielleicht noch während des NÖS-Experiments in den 1960ern, da hätte das vielleicht so gepasst. Vielleicht hätte man aber auch bis zum „Kulturkahlschlag“ von 1965 ein paar kritische Untertöne anbringen können. So hingegen wirkt die zwanghaft sozialistisch eingestanzte Verhaltensvorgabe für alle schon eher wie eine Art Beschwörung. Werdet endlich neue, sozialistische Menschen, Fernsehzuschauer! War wohl nötig, sie mit Polizeirufen zu erziehen.

Was wir mittlerweile beobachtet haben, ist in der Tat, dass in den frühen Honecker-Jahren noch einmal der Versuch unternommen wurde, alles ruckartig nach vorne zu bringen und auch zu verengen. Später griff dann eine realistischere Note Raum, die man allerdings stellenweise auch als fatalistisch bezeichnen kann. Aber „Der Mann“ ist auch ein Extrembeispiel, siehe oben.

Der Anfang des Films ist eigentlich noch klasse, wirkt in der Tat sehr lyrisch und filmisch und warum soll man nicht zeigen, was auch dem Freigelassenen Wohlgefallen entlockt: Was alles in der DDR neu gebaut oder restauriert wurde, in der Zeit, in welcher er wegen eines Mordes, begangen wegen eines Brotes, einsaß. Aber: Nein, nicht jeder, der eine Tötungshandlung begeht, ist ein Mörder. Wir werden jetzt nicht nachschauen, ob das Strafrecht in der DDR wirklich so vereinfacht wurde, dass alles, was zum gewaltsamen Tod eines anderen führt, quasi wie eine Tat nach § 211 StGB behandelt werden konnte. Zuzutrauen wäre es einem System, das menschliche Verhaltensweisen strikt nach dem Grad der geleisteten Anpassung bewertet und Motive und Begehungsweisen eher vom gewünschten Ergebnis als von der Ausführung der Tat oder der inneren Disposition des Täters her betrachtet.

Wir haben das für die Revision des Beitrags nachgeschaut. In der Tat ist das DDR-StGB in der hier relevanten Fassung von 1968 gegenüber dem früheren RStGB (Reichsstrafgesetzbuch) stark verändert worden:

  • 112. Mord.(1) Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bestraft.

.(2) Auf Todesstrafe kann erkannt werden, wenn die Tat
1. ein Verbrechen gegen die Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik, den Frieden, die Menschlichkeit und die Menschenrechte oder ein Kriegsverbrechen ist oder aus Feindschaft gegen die Deutsche Demokratische Republik begangen wird;
2. mit gemeingefährlichen Mitteln oder Methoden begangen wird oder Furcht und Schrecken unter der Bevölkerung auslösen soll;
3. heimtückisch oder in besonders brutaler Weise begangen wird;
4. mehrfach begangen wird oder der Täter bereits wegen vorsätzlicher Tötung bestraft ist;
5. nach mehrfacher Bestrafung wegen Gewaltverbrechen (§§ 116, 117, 121, 122, 126, 216) begangen wird.

(3) Vorbereitung und Versuch sind strafbar.

  • 113. Totschlag.(1) Die vorsätzliche Tötung eines Menschen wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft, wenn
    1. der Täter ohne eigene Schuld durch eine ihm oder seinen Angehörigen von dem Getöteten zugefügte Mißhandlung, schwere Bedrohung oder schwere Kränkung in einen Zustand hochgradiger Erregung (Affekt) versetzt und dadurch zur Tötung hingerissen oder bestimmt worden ist;
    2. eine Frau ihr Kind in oder gleich nach der Geburt tötet;
    3. besondere Tatumstände vorliegen, die die strafrechtliche Verantwortlichkeit mindern.

Die DDR gehört also, wie heute noch die USA, zu den Ländern, welche die inhumane Todesstrafe kannten und auch vollstrecken ließen. Das ist ein Unterschied zur heutigen Rechtsordnung. Der andere ist die Auflösung der Systematik, nach der Mord entweder ein eigenständiges schwereres Delikt oder eine Qualifikation des Totschlags wegen besonderer Motive oder Begehungsweisen ist. Heimtücke und Grausamkeit finden sich als äußere Tatbestandsmerkmale wieder, aber strafschärfend bis hin zur Todesstrafe wirkt sich vor allem aus, gegen welches Gut ein Mord gerichtet wird und da tritt die DDR plötzlich als eigene Rechtsperson hervor, deren Güter durch ein Tötungsdelikt verletzt werden können, während im RStGB und im StGB-West und heute für ganz Deutschland ein Tötungsdelikt nur eine natürliche Person schädigen kann. Auch eine Häufung von Tötungsdelikten kann zur Verurteilung nach § 112 StGB-DDR führen (§ 211 StGB im Westen und heute). Strafminderungsgründe werden hingegen im Totschlag eingearbeitet, der somit nicht, wie der § 212 StGB-West und heute das Grunddelikt einer Tötungshandlung darstellt und sehr schlicht formuliert ist „(Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein (…)“. Minderungsgründe sind hingegen im § 213 (Minder schwerer Fall des Totschlags) enthalten.

In der DDR wurde in der Tat die sehr verständliche und klare Dogmatik der Tötungsdelikte, um die es freilich, wie um alles Juristische, ein paar theoeretische Diskussionen gibt, zugunsten einer Sammlung von durchaus politisch unterlegten Merkmalen aufgegeben, die ein Verbrechen gegen einen Menschen als weniger dramatisch erscheinen lassen als ein Verbrechen gegen den Staat. Diese Gewichtung vermag jedoch nicht zu überraschen. Schon gar nicht, wenn man jetzt einige Polizeirufe aus der DDR-Zeit gesehen hat. Wir werden anhand der Vermögensdelikte noch überprüfen, ob auch Verbrechen gegen sozialistisches Eigentum härter bestraft wurden als solche gegen privates Eigentum. Das kann man übrigens so oder so sehen, aber nicht bei Tötungsdelikten, denn es gibt kein höheres Rechtsgut als das Leben und über dieses darf kein Staat sich stellen.

„Ist es nicht zum Verzweifeln? Der gute Weg zwischen kapitalistischer Eigensucht und schein- und plansozialistischer Negierung des Rufes nach Freiheit und Selbstbestimmung wurde nicht gefunden. Die Brigade, in welcher Franz Werker unterkommt, ist aber trotzdem ein interessantes Biotop. Die Menschen tragen keine Uniform und jeder ist erkennbar anders gezeichnet und sie reagieren auch unterschiedlich auf „den Mann“, als er dort anfängt zu arbeiten. Der beste Kumpel ist natürlich der Brigadier, denn er ist ja eine im System geschulte Führungskraft, die weiß, wie man einem Menschen vorurteilsfrei begegnet.

Ebenso wie jene tadellose junge Frau, die leider viel zu früh umgebracht wird, just, nachdem wir uns entschlossen hatten, sie als Identifikationsfigur zu erwählen, da uns der Franz zwar teilnehmen lassen konnte an seinem Schicksal, aber wir haben ja nie jemanden wegen eines Brotes umgebracht und wissen nicht, wie das damals war, direkt nach dem Krieg, mitten im Hungerland. Und wir haben auch niemanden aus reiner unangepasster Boshaftigkeit abgemurkst. Stand 3. April 2019. Vielleicht überlegen wir’s uns anders, wenn wir wieder jemanden treffen, der behauptet, die DDR sei ein Paradies gewesen.

Vor allem, wenn der Mensch, der uns das verkaufen will, nie dort gelebt hat. Natürlich gab es viele Alltagsnischen, wir schrieben es oben schon: Diese Filme zeigen Wunschbilder, so, wie die Tatorte Brenngläser waren – und immer noch sind, denn das Gesellschaftskritische tragen sie nun schon fast 50 Jahre lang mit sich herum und einige Schienen sind auch ziemlich pädagogisch ausgerichtet. Köln auf eine noch recht angenehme Art, weil durch zwei Sympathen dialektisch vermittelt, andere Schienen sind da um einiges nerviger. Sollen wir den Bogen spannen, der sich gerade aufgetan hat? Offensichtlich hat es unser heutiges System auch nötiger als früher, uns etwas einzutrichtern und überdeutlich zu werden. Und was gut und richtig ist, das kann sich mit der Zeit ändern wie gerade der Abgleich mit den Alt-Polizeirufen zeigt.

Am Schluss fügt sich alles wieder, weil. Der Mittelweg ist immer noch nicht gefunden, der Kampf um eine moderne, am Gemeinwohl orientierte, aber nicht diktatorische Gesellschaftsform geht weiter. Stalinisten haben es einfach: Wer den rechten Weg nicht gehen mag, wird mindstens deportiert. Wer daran glaubt, dass Freiheit erst die Grundlage für einen vereinbarten, mehrheitlich gewollten und daher von einer Mehrheit unterstützten Sozialismus ist, der hat die wirklich schwierige Position, in einer vom neoliberalen Gift durchtränkten Welt.

Finale

Worüber wir noch gar nicht schlüssig sind: Wirkt das Spiel der Darsteller so kantig, weil alles in diese vom westlichen und auch vom heutigen Sprachgebrauch so stark abweichende Sprachverwendung mit ihrer ultra-unlockeren Art gepresst werden muss und wurde dazu auch das Schauspiel entsprechend gestaltet, wurden die Darsteller damals ausgebildet, so zu agieren? Wir meinen, das war zumindest und eben doch nicht einheitlich, denn DEFA-Kinofilme aus der Zeit zeigen eine deutlich angenehmere Art, Menschen sprechen und handeln zu lassen. Stars wie Rolf Herricht durften sich vielleicht auch etwas freier ausdrücken und aus den 1960ern gibt es ja noch wirklich schöne, geradezu großartige Filme made in GDR. Und man darf nicht vergessen, dass zwei Jahre vor „Der Mann“ etwa „Die Legende von Paul und Paula“ entstand und das DEFA-Kino also auch nach 1965 noch durchaus Untertöne hatte. Aber das Fernsehen war wohl enger geführt und etwas näher an von Schnitzler als an Konrad Wolf.

Nein, so eng an von Schnitzler liegen die meisten Polizeirufe nicht, das können wir mittlerweile sagen, und besonders Peter Borgelt, der hier nicht dabei ist und der junge Kollege Subras sind wesentlich zurückgenommener, als Jürgen Frohriep hier den Hübner spielt, auch Frohriep selbst agiert in anderen Filmen viel dezenter. Die einzige, die immer ein wenig gefährlich wirkt, ist Leutnant Arndt, die in gewisser Weise die engste Klammer zum System darstellt.

Dass dieser Artikel eine Art Sonderform angenommen hat, spiegelt sich sogar in der Geschichte der frühen Polizeirufe: Es gibt einige, die verschollen sind und mindestens einen, der ohne Tonspur erhalten war und viel später nachsynchronisiert  und wieder augestrahlt wurde. Diese Filme hatten Probleme mit der  Zensur und ähneln den Tatort-Giftschrankfolgen, die aus Gründen der politischen Korrektheit nicht mehr gezeigt werden. Diese Tatorte gibt es allerdings noch und vielleicht öffnet sich eines Tages die alte Truhe. Bei „Der Mann“ gab es ganz gewiss keine Freigabeprobleme.

6/10

*“Vorbestraft“ haben wir kurz darauf angeschaut, die Rezension ist bereits veröffentlicht.

[1] Peter Hoff: Polizeiruf 110. Filme, Fakten, Fälle. Das Neue Berlin, Berlin 2001, S. 75, zitiert nach Wikipedia.

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke


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