Crimetime 339 - Titelfoto © ORB / RBB, Christa Köfer
Wie Napoleon bei Großbeeren eins auf den Zweispitz bekam
Es ist doch faszinierend, krimimäßig noch einmal Neuland zu betreten, nachdem wir uns entschlossen haben, unsere Arbeit an der Reihe Tatort um die Parallelreihe Polizeiruf 110 zu erweitern. Übers Große und Ganze haben wir mehrfach reflektiert, „Die Schlacht“ ist der erste Fall von Imogen Kogge als Johanna Herz, den wir uns angeschaut haben und besprechen, war ihr zweiter von insgesamt zwölf Einsätzen. Da wir den Beitrag beinahe sieben Wochen nach seiner Entstehung veröffentlichen, sind wir ein Stück weiter, weil wir seitdem fast jeden Tag einen Polizeiruf 110 gesichtet und kommentiert haben.
Auch regelmäßige Polizeiruf-Gucker könnten jedoch unser Problem geteilt haben: Es dauerte eine Zeit, bis wir durch das Personaltableau durchgestiegen sind, vor allem, weil der Mann, der zwar als ihr Mann bezeichnet wird, mit dem sie aber nicht verheiratet ist, auch Amelie Wiegand kennt und das Verhältnis zu ihr lange Zeit ungeklärt wirkt. Julia Jäger, welche die Amelie spielt, wurde 1991 mit dem Detlev-Buck-Film „Karniggels“ bekannt, ebenso wie Bernd Michael Lade, der um dieselbe Zeit mit Bruno Ehrlicher (Peter Sodann) das erste Ost-Tatort-Team gebildet hat. Mehr über die Charaktere und den Film steht in der -> Rezension.
Handlung (Wikipedia)
In Brandenburg wird die Schlacht bei Großbeeren von 1813 gegen Napoleon nachgestellt. Doch dann wird der fränkische Weinhändler und Sponsor der Veranstaltung, Hajo Porst, tot aufgefunden. Johanna Herz und Horst Krause stehen aufwendige Ermittlungen bevor, sie müssen alle Akteure und Verantwortlichen nach ihrem Alibi fragen. Dabei hat Herz die glorreiche Idee, Krause als Rekrut bei den Teilnehmern der Schlacht einzuschleusen. So kann er sich während der Übungen besser dort umhören. Außerdem wurden aus einem BiwakAusrüstungsgegenstände wie Preußische Infanteriesäbel und auch Gewehre gestohlen, die er dabei wiederfinden will, was ihm am Ende auch gelingt.
Unter den Freunden des Spektakels der Schlacht ist auch die Autorin historischer Schriften, Amelie Wieland, die mit Porst gut befreundet war. Robert Beck, der Lebensgefährte der Kommissarin, kennt Amelie gut und weiß von einer alten Geschichte, die Amelie, ihren Schwager Frank und Porst verbindet. Auch heute sind sie geschäftlich miteinander verknüpft, denn Frank Wieland bezieht seine Ware von Porst. Aufgrund schlecht gehender Geschäfte, hatte Wieland Schulden bei seinem Lieferanten. Dafür sollte er ihm helfen, ein altes Grab zu finden. Als Amelie Wieland herausfand, dass sich Hajo Porst an diesem historischen Fund bereichern wollte, hat sie sich mit ihm gestritten. In der Folge dessen ist er gestürzt und hatte sich das Genick gebrochen.
Im Rahmen der Untersuchungen um den Tod von Hajo Post erfährt Frank Wieland, dass ihn sein eigener Bruder seinerzeit an die Staatssicherheit verraten hatte.
Rezension
Es ist nicht zuletzt Jägers Spiel zu verdanken, dass der Film zum Ende hin etwas Berührendes hat. Man soll den Krieg nicht romantisch finden, auch, wenn er nur nachgestellt wird und die Hobbysoldaten werden immer wieder ironisiert, das von uns gewählte Titelbild lässt das recht gut erkennen. Doch es ist eine Geschichte von Liebe und Krieg und Verrat, die sie beim damaligen ORB, dem im RBB aufgegangenen Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg, gemacht haben. Dadurch gibt es viele Szenen mit bunten Kostümen und diese Szenen sind sehr gut bebildert. Erstaunlich gut, wenn man bedenkt, dass Kostümfilme in Deutschland nicht gerade zum Alltag einer Krimireihe rechnen. Außerdem kennen wir die Gegend recht gut, in der gefilmt wurde, vor allem um Diedersdorf herum, und es ist nun mal so, dass Wiedererkennen die Bindung stärkt. Das muss nicht heißen, dass diese Stärkung in die positive Richtung geht, aber bei uns war das so.
Trotzdem hatten wir noch nie von der Schlacht von Großbeeren im Jahr 1813 gehört, dem „kleinen Waterloo“, wie es im Film bezeichnet wird. Wir gehen jetzt nicht in die Recherche, aber diese Ereignis müsste sich zugetragen haben, nachdem die Grande Armee sich aus Russland hatte zurückziehen müssen, sich dabei immer weiter reduzierte, sodass es nun möglich war, dieses dezimierte Heer auf brandenburgischem Boden zu schlagen.
Eine witzige Idee, Polizeimeister Horst Krause, dessen Darsteller tatsächlich so heißt, bei den Preußen zum Dienst einzuweisen, wobei wir noch erfahren, dass er Sachsen-Fan ist und die Sachsen auf Napoleons Seite standen. Nein, keine Witze à la „Noch heute sind die Sachsen irgendwie anders“. Aber man kann darüber nachdenken, wie die extreme Zersplitterung Deutschlands über Jahrhunderte, die auch dazu geführt hat, dass seine Bevölkerung nicht selten auf verschiedenen Seiten und damit gegeneinander kämpfte, dazu beigetragen hat, dass der Nationalismus im Wege der Einnigungen des 19. Jahrhunderts ein ungewöhnlich starkes Ausmaß erreichte.
Ob es so gewollt war, dass sich die Zustände in der napoleonischen Zeit mit denen vor der Wende kreuzen und es in dem Film einen doppelten Verrat gibt? Einerseits an dem französischen Leutnant, den Napoleon von hinten erschießen ließ und andererseits an Amelie und Jochen, die von dessen Bruder ausgespitzelt und an die Stasi verraten wurden. So viel gekreuzte Geschichte und so sehr mit tragischem charakterlichem Fehlgehen verbunden.
Was der Brandenburg-Krimi an Horst Krause hatte, bemerkt man sofort. Der Typ ist ein Original, eines der letzten, die nicht am Reißbrett entworfen wurden und demgemäß keine Originale, sondern Kunstfiguren sind, die auf originell getrimmt wurden. Im Tatort Münster gibt es mindestens eine Handvoll davon zu bestaunen. Als weiteren Charakterkopf sehen wir den viel zu früh verstorbenen Andreas Schmidt, auf den wir durch den wunderschönen Kinofilm „Sommer vorm Balkon“ aufmerksam wurden, welcher zwei Jahre nach „Die Schlacht“ entstand.
Da in dem Film viel Wert auf die Folklore und auf die Charaktere gelegt wird, ist die Handlung nicht so rasant wie heute beim Polizeiruf üblich, wo man offenbar meint, den Tatort an Tempo und Wendungsreichtum schlagen zu müssen, sondern trotz der vielen menschlichen Verfehlungen und des pulverdampfreichen Szenarios auf gewisse Weise sehr anziehend. Amelie und ihre Kinder in historischen Kostümen, wie sie ernst bzw. involviert dem Geschehen folgen, da spürt man die Lust daran, den Zuschauer mit Bildern zu verführen, die Teile des kollektiven Bewusstseins ansprechen und natürlich unseres Hollywood-Bewusstseins. Wir nehmen an, dass es den gezeigten Traditionsverein wirklich gibt, so etwas kann man mit dem üblichen Budget, das der Polizeiruf 110 hat, nicht erfinden – und dass es ihn offenbar vor der Wende schon gab, mitten im Sozialismus.
Jetzt hat es uns natürlich doch interessiert und wir haben nachgeschaut, wie das war, mit der Schlacht von Großbeeren. Es war eine große Sache, insgesamt 175.000 Soldaten standen gegeneinander, zu Beginn bei strömendem Regen, während in „Die Schlacht“ immer die Sonne scheint, was sicher zu seinem stellenweise lyrischen Flair beiträgt. Gegenüber dem, was 1813 geschehen sein musste, wirken die nachgestellten Szenen geradezu niedlich, aber es schließen sich zum Jahrestag der Schlacht im August tatsächlich viele Traditionsvereine zusammen, um jenes Ereignis nachzustellen.
Man mag das alles greulich oder lächerlich finden, aber die damaligen Kämpfe hießen nicht umsonst „Befreiungskriege“ und sollten die napoleonische Fremdherrschaft in Deutschland endgültig beenden, was bekanntlich gelang, u. a., weil Berlin nicht von den Franzosen (zurück-) erobert werden konnte. Im Grunde ist das nicht so viel anders als heute gegen die Fremdherrschaft des Kapitals über die Stadt zu kämpfen, die für so viel Leid und Tränen sorgt. Ob man dabei sein Leben einsetzen würde? Das kling im Moment noch befremdlich. Es ging aber damals nicht ums nackte Überleben, das auch unter dem Besatzungsregime durchaus möglich war, sondern um die Abwehr von Fremdbestimmung, freilich angeführt von Potentaten, die ihre eigene Machtbasis zurückgewinnen wollten, nicht von einer sich selbst ermächtigenden Bürgergesellschaft. Diese wurde erst nach der napoleonischen Ära in Deutschland wichtig und fand ihren Höhepunkt 1848/49.
Finale
„Die Schlacht“ ist ein vieldeutiger, prächtig ausgestatteter Film, der sich Freiheiten nimmt und dem Zuschauer viel Freiraum zum Nachdenken lässt. Die meisten Rollen sind gut gespielt, die Inszenierung hat einen sehr schönen Rhythmus, der sich durch das Szenario zwar bis zu einem gewissen Grad von selbst ergibt, aber das Sujet wird auch kundig und mit viel Liebe ausgelotet.
Es fehlt nichts, es ist nichts zu viel, allenfalls kann man kritisieren, dass zeitweise ein bisschen viel manipuliert wird, damit wir uns als Zuschauer identifizieren können – aber dass es damit nicht überhand nimmt, dafür sorgt Lena Odenthal bzw. Ulrike Folkerts. Sie ist in dem Film ein Fremdkörper und vermutlich war es so gedacht. Es ist eben so, dass wir sie immer mit ihrer Rolle als Tatortkommissarin identifizieren und alles, was von diesem Rollenprofil einer engagierten Guten abweicht, eher kritisch betrachten. Auf die Bewertung hat dieses Fremdeln mit ihrer coolen Businesspersona, die sie hier zeigen soll, aber kaum Einfluss.
8,5/10
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Regie | Thomas Bohn |
| Drehbuch | Scarlett Kleint Michael Illner |
| Produktion | Frank Schmuck |
| Musik | Hans Franek |
| Kamera | Peter W. Tost |
| Schnitt | Karola Mittelstädt |
- Imogen Kogge: Johanna Herz, Kriminalhauptkommissarin
- Horst Krause: Horst Krause, Polizeihauptmeister
- Julia Jäger: Amelie Wieland
- Peter Prager: Robert Beck
- Michael Roll: Jochen Wieland
- Hans Kremer: Frank Wieland
- Kathrin Angerer: Tamara, Kriminaltechnikerin
- Jürgen Schornagel: Hauptmann
- Ulrike Folkerts: Irene Porst
- Manfred Möck: Frank
- Andreas Schmidt: Franz. Gegenspieler
- Michael Trischan: Mischke
- Frank Röth:
- Ennio Cacciato: Rezeptionist
- Dario Fosca: Paul Wieland
- Julia Reinecke: Friederike Wieland
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