Crimetime 363 - Titelfoto © HR, Jo Bischoff
Hommage und Lebensabendende
„Mein letzter Wille“ ist in zweifacher Hinsicht ein Schlussakkord. Letztmalig spielt das Ermittlerteam Möller, Küppers, Bauer im hessischen Polizeiruf, der danach eingestellt wurde. Und dies ist der letzte Film mit Inge Meysel. Es war durchaus seltsam, Andrea Sawatzki, die wir als Kommissarin nur mit ihrer Rollenfigur Charlotte Sänger aus dem Frankfurt-Tatort kannten, nun parallel als Gabi Bauer tätig zu sehen.
Für uns ist dieser HR-Polizeiruf-Abschiedstatort aber auch eine Premiere, denn bisher haben wir keinen Film mit diesem Ermittlerteam gesehen. Wie es so war, mit viel Abschied und einem Anfang, darüber steht das eine oder andere in der -> Rezension.
Handlung
„Als Gott das Paradies erfand, dacht‘ er an Volpe, Bergisch‘ Land.“ Doch auch des schönsten Landlebens wird man einmal überdrüssig. Wenigstens, wenn man wie Oma Kampnagel die 90 weit hinter sich gelassen hat und die Doors mit ihrem Songklassiker „The End“ im Radio laufen. Oma Kampnagel rüstet sich zum stilvollen Abgang. Im offenen Oldtimer geht es noch einmal auf große Fahrt – in rasantem Tempo geradewegs in Richtung der noch unfertigen Autobahnbrücke. Doch der liebe Gott denkt einfach nicht daran, Oma Kampnagel so einfach gehen zu lassen.
Ein Passant, der ihr vors Auto läuft, ist ihre Rettung. Um sich bei ihrem unfreiwilligen Schutzengel, der durch den Schock sein Gedächtnis verloren hat, zu bedanken, ersinnt sie einen letzten Willen, der es in sich hat. Und wer ihn ausführen soll, das weiß sie auch schon längst.
An die neun Jahre ist es her, dass Oma Kampnagel alias Inge Meysel mit der Polizei zu tun bekam. „1 A Landeier“ hieß der mehrfach ausgezeichnete erste WDR-Beitrag zur Reihe „Polizeiruf 110“: Ein toter Hund war damals für die Gesetzeshüter Anlass für einen denkwürdigen Besuch der alten Dame. Und bei einem toten Hund sollte es nicht bleiben. Dass die Polizisten damals zum Schutz ihrer Informantin Fünfe gerade sein ließen, soll ihnen nun zum Verhängnis werden. Kurzerhand erpresst Frau Kampnagel ihre alten Bekannten, um ihren letzten Willen in die Tat umzusetzen. Und das heißt: Die Identität ihres Retters zu klären.
Dabei sind besagte Bekannte eigentlich mittlerweile in alle Winde verstreut. Kalle Küppers hält als Einziger in Volpe die Stellung – der Frauenheld von einst ist zum Vater von Zwillingen geworden und hat es ansonsten beruflich nicht zu wirklich viel gebracht. Sigi Möller hingegen ist inzwischen Hauptkommissar in der Metropole Wuppertal. Und Gabi steht sogar gerade vor dem Aufstieg ins BKA.
Ausgerechnet jetzt werden sie von Oma Kampnagel unangenehm daran erinnert, dass sie ihr einst mit der Vertuschung einer Straftat aus der Klemme halfen. Keine Frage: An Volpe führt in dieser Situation wohl kein Weg vorbei.
Schnell wird klar, dass Omas italienischer Engel ohne Gedächtnis einiges auf dem Kerbholz hat. Derweil hindert auch ein Gefängnisaufenthalt den italienischen Mafioso Michele Potazzi nicht daran, seinen üblichen Geschäften nachzugehen. Es liegt Mord in der Luft. Bloß: Wer ist der Killer, wer das Opfer? Und liegt Palermo am Ende gar mitten im Bergischen Land? Gabi entgeht nur knapp einem Attentat, das in Wahrheit auf Oma Kampnagels Nachbarin Amelie Neumann zielte. Auch Gabis Freund und künftiger BKA-Chef Dissner taucht wenig später auf der Suche nach dem Mafiakiller in Volpe auf – und hat in Wahrheit selber eine Menge Dreck am Stecken. Kein Wunder, dass die Ermittlerin sein Bild vom Schreibtisch in den Papierkorb befördert und sich auf ihre alte Liebe zu Sigi besinnt.
Besser zu dritt als „allein gegen die Mafia“ sagen sich die alten Freunde – und müssen doch wieder einmal gewaltig an der Wahrheitsschraube drehen. Oder wäre es etwa im Sinne von Oma Kampnagels letztem Willen, dass es sich ihrem geläuterten Retter ohne Gedächtnis um einen ehemaligen Mafioso handeln soll? Ein Schurke ist für das verschlafene Volpe schließlich mehr als genug.
Rezension
Der Hessische Rundfunk stieg also nach diesem Film aus und konzentrierte sich auf den Tatort. Schon interesssant, dass Andrea Sawatzki zwar hier wie dort nicht gegen ihren Typ eingesetzt wird, aber im Polizeiruf als Gabi Bauer eine ganze Ecke bodenständiger rüberkommt. Aber das sehen wir immer wieder: Die Cops und die Inszenierung der Polizeirufe sollen wohl nicht so avantgardistisch sein, wie das beim Tatort offenbar eine Selbstverpflichtung darstellt. So ein bisschen Münster weht durchs Bergische Land und doch sind wir während dieses Films erstmalig seit Langem wieder vor dem Fernseher eingeschlafen. Und das bei einem Team, das wir zuvor nie gesehen haben. Etwas ganz Neues sollte doch für erhöhte Aufmerksamkeit sorgen. Für mehr Aufmerksamkeit als den 50. Tatort von Ballauf und Schenk oder Batic und Leitmayr zu schauen, jedenfalls. Da kommt es dann doch sehr auf den einzelnen Film an, ob wir’s nochmal thrillig finden. Vor allem, wenn es sich um Wiederholungen handelt und man die Muster der verschiedenen Tatortschienen schon ganz gut kennt.
Das Problem an „Mein letzter Wille“ für uns: Dass er so bemüht witzig ist. Die Dialoge sind aber für coolen Landspaß, wie er in Norddeutschland immer mal wieder gedreht wird, nicht kantig genug und das Szenario so verzwickt, dass wir, weil wir so genau auf Inge Meysel und die anderen geschaut haben, erstmal ausgestiegen sind und dann nicht mehr richtig reinfanden.
Vielleicht ist der Film gar nicht kompliziert, aber durch die vielen mäßigen Witzeinsprengsel wirkt er dramaturgisch flach und, sagen wir mal, mitteldynamisch. Wir waren außerdem nie regelrechte Fans von Inge Meysel, auch wenn sie eine der prägenden Persönlichkeiten des Fernsehens der 1960er und der folgenden Jahrzehnte war. Sie allen hätte uns vielleicht trotzdem wachgehalten, wenn – wenn sie mehr Spielzeit gehabt hätte. Da musste man sie gewiss bereits schonen.
Ob sie früh beim Film eine große Karriere gemacht hätte, die Aura fürs komödiantische Fach lässt sich auf Jugendbildern erkennen, ist leider nicht zu bestimmen, denn nach einem Leinwand-Kurzauftritt im Jahr 1932 wurde sie als Halbjüdin mit Auftrittsverbot belegt und hatte ihr 35. Lebensjahr erreicht, als der Krieg zu Ende ging. Als jüngere Version der quirligen Grethe Weiser hätte sie sich vielleicht etablieren können, aber das ist Spekulation.
Die Mafiastory, die den Film mit Inge Meysel zusammen tragen soll, haben wir als überkonstruiert empfunden und neben den Dialogen ist auch das Timing des Films nicht so gut, dass daraus ein eigener Humor entstehen würde. Sicher, dies Werk ist ein Vermächtnis, aber schon die Fahrt im alten Opel quer durch den Gemüsemarkt fanden wir irgendwie nicht so komisch, wie sie gemeint war, das lag auch an der wenig fantasievollen Kameraführung. Momenten wie der Brückenszene fehlt es an dem Schliff und der Abstimmung, die so etwas cool wirken lässt. Klar, dass ein Mann da auf der Scheibe klebt, obwohl Oma Kampnagel dafür viel zu langsam gefahren ist, dass er das überlebt, dass sie trotzdem gemäß Schnittabfolge niemals hätte rechtzeitig bremsen können, soll wohl alles Bestandteil eines Gags in Motion sein, aber uns hat’s nicht vom Sofa gerissen. Leider veränderte sich Gefühl, dass man mit dem Ensemble viel mehr hätte machen können, während der folgenden 85 Minuten nicht. Wir schreiben diese Rezension erst nach der Kritik zum am Folgeabend angeschauten DDR-Polizeiruf „Verführung“, aber wir hätten auch bei direkt Texten im Anschluss ans Gucken die Handlung nicht vernünftig zusammenfassen können. Zum Glück hat die ARD das oben getan und in der Wikipedia gibt es eine gute Inhaltsangabe vom Anfang bis zum Ende, in der man die Zusammenhänge und das Ergebnis nachlesen kann.
Finale
Wir vollziehen das hier nun nicht nach, ackern also nicht die Wiki-Beschreibung durch und notieren nicht, was wir im Verlauf der Handlung alles doof fanden oder auch nicht, sondern belassen es bei einem ersten Eindruck vom Hessen-Polizeiruf, der uns zu folgender Aussage verleitet: Es wäre ein größerer Verlust gewesen, wenn der HR statt des Polizeirufs den Frankfurt-Tatort aufgegeben hätte, denn die dortigen Cops Dellwo und Sänger gehörten damals, zwei Jahre nach ihrem Start, zu den größten Aktivposten der Reihe – Inge Meysel hingegen verstarb wenige Monate nach der Erstausstrahlung von „Mein letzter Wille“, für sie und mit ihr konnte man kein weiteres Special drehen.
Auch über die Handlung und die Inszenierung hinaus gibt es nichts Besonders zu berichten. Das Mafia-Thema wird aufgekratzt heiter behandelt, aber es ist zu wenig scharfe Peperoni drin und einen kritischen Kommentar in irgendeiner Richtung sollte man diesem Film nicht unterstellen wollen, denn er beginnt mit Nostalgie und endet so: Mit Oma Kampnagels = Inge Meysels im Standbild eingefrorenem Gesicht. Dies, so will das Bild sagen, sollten Fans in Erinnerung behalten. Eine „Mutter der Naiton“ mit immer noch sehr lebendig wirkenden Augen in einem kleinen, faltenreichen Gesicht.
Mit Nostalgie- und Hommage-Bonus 6,5/10
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Elisabeth Kampnagel | Inge Meysel |
| Sigi Möller | Martin Lindow |
| Kalle Küppers | Oliver Stritzel |
| Gabi Bauer | Andrea Sawatzki |
| Amelie Neumann | Charlotte Schwab |
| Mr. Nobody | Francesco Salvi |
| Regie: | Ulrich Stark |
| Buch: | Thomas Wesskamp und Dirk Salomon |
| Kamera: | Stefan Spreer |
| Musik: | Birger Heymann |
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