Angst um Tessa Bülow – Polizeiruf 110 Fall 244 / Crimetime 376 // #Polizeiruf #Polizeiruf110 #MDR #Schmücke #Schneider #Naumburg #Halle #SN

Crimetime 376 - Titelfoto © MDR

Kopfüber in die Tiefe

In ihrem 20. Fall kommt es für die Hallenser Kommissare Schmücke und Schneider zu einer Fahrt nach Naumburg, wo jeder jeden kennt und alle viel tratschen. Da werden sich die Naumburger gefreut haben, wie sie in „Angst um Tessa Bülow“ gezeigt werden; wie sie sich gierig aus dem Fenster lehnen und gehässig nachredeten, als der Film erstmals ausgestrahlt wurde. Was es sonst noch über „Angst um Tessa Bülow“ zu erzählen gibt, steht in der -> Rezension.

Handlung

Die 15-jährige Tessa wird vermisst. Erste Indizien sprechen für ein Gewaltverbrechen. Schmücke und Schneider werden bei ihren Ermittlungen von Polizisten der örtlichen Dienststelle unterstützt. Der Täter scheint mit den Kommissaren „Katz und Maus“ zu spielen.

Mehrfach gibt er anonyme Zeichen, die zunächst die Hoffnung nähren, das Tessa noch lebt, doch dann führt er die Kommissare mit seinen Hinweisen Schritt für Schritt zum Versteck der Leiche. Nach einer letzten Nachricht, dass das Mädchen nicht gelitten hat, schweigt der Täter.

Die Erkenntnis ist schockierend: Eine Analyse der anonymen Hinweise ergibt zweifelsfrei, dass der Täter über Insiderwissen aus dem Ermittlungsteam verfügt und über jeden Schritt der Kommissare informiert gewesen ist. Wem können Schmücke und Schneider jetzt noch vertrauen? 

Rezension

Nach eher gemütlichen Whodunits wollte man Schmücke und Schneider in ihrem 20. Fall wohl einen Thriller verpassen, der gleichzeitig einen Whodunit darstellt. Diese Kombination geht eigentlich nur mit einer Entführung, wenn sich – sic! – Angst um das Opfer und Suche nach Täterpersonen miteinander verbinden, die der Zuschauer entweder schon kennt oder noch nicht. Dieses Mal wird Schmücke aber nicht, wie in „Ein todsicherer Plan“, angeschossen. Dafür ist er häufig aus dem Häuschen und schreit andere an. Die Nerven!

Kein Wunder, bei dem Plot. Da kann man schon mal rot sehen. Einen so abstrusen Doch-nicht-Entführer, der die Kriminaler mit einer Zettel-Schnitzeljagd unterhält, haben wir selten erleben dürfen und einen so offensichtlichen Täter auch nicht.

Der Drucker steht mitten in der Polizeistation! Dass auf dessen Untersuchung niemand früher gekommen ist, wo doch dem Polizist Schweizer (Sven Martinek) das schlechte Gewissen geradezu aus dem Kragen des Uniformhemds schaut. Das Motiv für diese Zettelwirtschaft ist komplett unschlüssig und unklar. Da hilft nur ein tränenreicher Ausbruch in einem tränenreichen Film, um zu verbergen, dass ziemlicher Quatsch verzapft wird.

Ein zweites Problem ist der Ton des Films. Auf der einen Seite ist Schmücke, wie erwähnt, sehr involviert und hinreichend dynamisch, aber dann kommt es doch immer wieder zu ganz eigenartigen Humor-Einsprengseln, die angesichts des dramatischen Szenarios, das man aufbauen will, unangemessen wirken und dessen Wirkung mindern. Die Sache mit dem Hotelzimmer und der Rezeptionist mit dem starken sächsischen Dialekt – vor allem aber die Kaminzimmer-Schlussszene, als die beiden Kommissare und Schmückes Partnerin gemütlich zusammensitzen und das Wichtigste ist, wer die Rechnung zahlen wird – und die Brosche natürlich. Da ist Tessa Bülows grausamer Tod gerade festgestellt worden.

Vielleicht ist dieser Unglücks-Totschlag oder diese fahrlässige Tötung aber auch so unglaubwürdig (das schlechte Wetter, Scheiben beschlagen, Scheiß-Japaner!), dass dagegen nur ein gutes Abschlussessen im exklusiv angemieteten Salon hilft.

Sven Martinek ist ein bekanntes Gesicht im deutschen Fernsehen und muss eine enorme Wirkung auf Frauen haben, jedenfalls haben wir den letzten Absatz seiner Wiki-Biografie mit Amüsement gelesen, weil sich aus seiner Rolle eines schuldig-unschuldigen Dorfpolizisten in „Angst um Tessa Bülow“ dieses abwechslungsreiche Beziehungsleben so gar nicht erschließen lässt. Vielleicht ist es aber auch diese leicht zerquetschte Ausstrahlung, die besonders attraktiv macht, die er in „Angst um Tessa Bülow“ zeigt. Es wird zwar in diesem Film etwas anderes behauptet, aber es sieht doch so aus, als habe sich der Polizist sich nicht für Tessas Mutter entscheiden können – und sie ist auch nicht seine Tochter, denn der Ex der Mutter lebt in Kanada und ist als Verdächtiger schnell aus dem Spiel, weil er seit Jahren das Land nicht verlassen hat. Schade, daraus hätte man mehr machen können – ja, müssen. Mit solchen Elementen wird doch sonst so gerne gespielt.

Uns hat dieser Film ziemlich ratlos zurückgelassen. Es gibt zwar berührende Momente, aber immer wieder wird der Ernst der Lage unterlaufen und reiht sich ein mehr als fragwürdiges Handlungselement ans vorhergehende. Die grüne Zahnspange am Denkmal am Flussufer! Der offenbar absolut zufällige Fund von Gegenständen von Alex, dem Freund von Tessa, in der Fabrik. Wie soll der Polizist, der die Zettel geschrieben hat, davon gewusst haben? Also tatsächlich ein außergewöhnlicher Zufall. Und die Mutter des Freundes, die nochmal einen Extra-Zettel schreibt, um den Zahnarzt zu belasten. Spätestens, als dessen Wartezimmer nach dem Aufkommen des Verdachts komplett leer ist, nachdem zuvor offenbar halb Naumburg gleichzeitig  zum Dentisten musste, war klar, dieses Mal war es nicht der Mediziner, insofern immerhin eine Abweichung vom gebräuchlichen Muster.

Die Naumburger sind wirklich radikal, sie meiden nicht von heute auf morgen nur diesen Weißkittel, sondern auch die Mutter der verschwundenen Tessa, damit entweder deren Pech sich nicht auf andere überträgt (mieses Karma!) oder weil sie nicht wissen, wie sie mit der Frau sprechen sollen. Neugierig bis sensationsgeil, aber unempathisch, so vermittelt es „Angst um Tessa Bülow“. Haben wir schon erwähnt, dass die Naumburger sich bestimmt gefreut haben, als sie den Film sehen durften? Ja, eingangs. Bei dem Plot hätte man die Kleinstadt fiktionalisieren müssen – ein weiterer grundsätzlicher Fehler des Films. Es hätte zwar einige Menschen gegeben, welche Naumburg wiedererkannt hätten, aber dann hätte das massenhafter Aus-dem-Fenster-Glotzen nicht so dokumentarisch gewirkt sondern eben wie eine Inszenierung: Ist ja nur Film!

Einen weiteren Kritikpunkt können wir unseren Leser_innen nicht ersparen, aber es sind ja nicht sie, die kritisiert werden.

Der Polizist soll nicht gemerkt haben, dass Tessa Bülow noch lebte, nachdem er sie angefahren hatte? Das wirft auch wieder ein schlechtes Licht auf Naumburg, hier mangelt es offenbar an Elementen der Grundausbildung von Polizistenn. Selbstverständlich müssen sie auch dort, wie überall, den  Notarzt rufen, wenn sie auf einen verletzten Menschen treffen, aber eine Ersthelfer-Ausbildung haben sie ganz sicher und die beinhaltet auch, festzustellen, ob ein Menschen noch leben könnte.

Finale

Neben allen Mängeln weist die Handlung eine Besonderheit aus, die sie im Grunde ziemlich tragisch und grausam macht. Wenn ein Kind oder ein_e Jugenliche_r verschwindet, kommt es zu allen möglichen Verwicklungen, auch Todesfällen, bis der Vorgang aufgeklärt ist, aber wenn es eine Kinderleiche gibt, dann meist schon zu Beginn des Films. Dass man tatsächlich den Zuschauer 80 Minunten lang mitzittern lässt und dann „Fund!“ ruft, ist sehr selten – weil gerade bei verschwundenen jungen Menschen das Publikum, besonders die vielen Eltern im Publikum, erwarten, dass die Sache gut ausgeht. Diese Erwartung wird hier enttäuscht und deswegen sind auch die Witzchen so schräg, über die man immer wieder schmunzeln soll – was natürlich, losgelöst vom Geschehen und für Sekunden, auch gelingt, denn Winkler & Schwarz machen wie immer einen guten Job.

Jedenfalls über weite Strecken. Wir hatten den Eindruck, dass auch die beiden sich anstrengen mussten, um den Dreh zu bewältigen. Vor allem fällt bei Jaecki Schwarz auf, dass er hin und wieder nach der richtigen Tonlage sucht – und das passiert ihm nicht, wenn er etwas zurückhaltender spielen kann – was offenbar eher seinem tatsächlichen Charakter entspricht. Aber dieses Aus-sich-Herausgehen wirkt bei vielen deutschen Schauspielern auch künstlich, obwohl man in der Ausbildung doch speziell darauf trainiert wird, es authentisch zu machen – das gilt vor allem für diejenigen, die auch Bühnenarbeit machen.

in der IMDb erhält der Film mit 7,2/10 eine im Rahmen dessen, was für die Reihen Tatort und Polizeiruf üblich ist, sehr gute Bewertung. Vermutlich haben dort überwiegend jene wenig subtilen Naumburger abgestimmt. Wir stammen aber nicht aus Naumburg, wohnen nicht einmal dort und müssen  uns daher nicht an dieser Meinung orientieren.

5,5/10

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Herbert Schmücke Jaecki Schwarz
Herbert Schneider Wolfgang Winkler
Thomas Schweizer Sven Martinek
Philipp Weinschenk Tom Jahn
Nina Bülow Gundula Köster
Dr. Kaiser Heinrich Schafmeister
Edith Reger Marita Böhme
Rosamunde Weigand Marie Gruber
Regie: Hans Werner
Buch: Axel Götz
Kamera: Falko Ahsendorf
Musik: Markus Lonardoni


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