Crimetimde 387 - Titelfoto © WDR
Am Aschermittwoch ist alles vorbei, oder schon am Rosenmontag
Dabei fing alles gerade erst an. „Der Mörder und der Prinz“ ist der erste von 15 Tatorten, die den Kommissar Bernd Flemming (Martin Lüttge) als Chefermittler in Düsseldorf sehen. Wir hingegen gegen rückwärts in der Chronologie der Karnevalskrimis, verlassen die alemannische Fastnacht des Jahres 2013 („Schmutziger Donnerstag“), überspringen Köln 1998 („Restrisiko“) und landen in Düsseldorf anno 1992. Köln ist aber auch schon dabei, in Person eines sehr jungen Max Ballauf (Klaus J. Behrendt), der fünf Jahre später von seinem jetzigen Vorgesetzten Flemming die WDR-Rheintatortschiene übernehmen wird –eben nicht in Düsseldorf, sondern in der Domstadt.
Alle Zeitangaben und Bezüge sind aus der Originalrezension übernommen, die im Jahr 2013 erstmals veröffentlicht wurde – was wir damals zum Film geschrieben haben, steht in der -> Rezension.
Handlung
Kriminalhauptkommissar Bernd Flemming, Kommissarin Mariam Koch und Hauptmeister Max Ballauf bekommen – während in Düsseldorf der Karneval tobt – alle Hände voll zu tun.
In einem Wäldchen wird die Leiche des Mannequins Jacqueline Bordenave gefunden. Während die Ermittlungen anlaufen, geschieht ein weiterer Mord: Der Taxifahrer Poensken liegt tot im Kofferraum seines Wagens – offenbar ist er vom Täter beraubt worden. René Wolff, sein letzter Fahrgast und ein Stammkunde Poenskens, bringt die Polizei nicht weiter. Und schon wieder sind Flemming und sein Mitarbeiter gefordert: Auf den Karnevalsprinzen Gero I. Schuba ist während einer Sitzung geschossen worden. Flemming rät dem nur leicht Verletzten, auf weitere Auftritte, besonders auf den Rosenmontagszug, zu verzichten, bis der Täter gefaßt ist. Schuba winkt ab – den Traum seines Lebens will er sich nicht durch einen Verrückten zerstören lassen.
Aber dann überschlagen sich die Ereignisse: Bei einem erneuten Anschlag auf den Prinzen wird der Attentäter gefaßt. Es ist der Vater der ermordeten Jacqueline. Ist Gero Schuba demnach verantwortlich für den Tod des Mädchens?
Als die Ermittlungen ergeben, daß Jacqueline am Tag ihres gewaltsamen Todes mit Poensken Taxi gefahren ist, geht Kommissar Flemming zunächst einmal in die Sauna – denn da hat er schon so manche gute Eingebung ausgeschwitzt.
Rezension
Inhaltliche Ähnlichkeiten zwischen „Der Mörder und der Prinz“ gibt es zu beiden anderen oben erwähnten Tatorten, vor allem zu „Restrisiko“, aber den Vergleich sparen wir zugunsten einer Konzentration auf den Film und diese schöne Zeit direkt nach der Wende und die Einführung eines komplett neuen Teams. Zunächst sind wir verblüfft, wie viele Handlungselemente trotz der vielen neuen Figuren in diesen Krimi gepackt wurden. Etwas anders als bei manch späterer Team-Installation hat man sich hier nicht lang mit der Vorstellung der neuen Ermittler und ihres Umfeldes aufgehalten, sondern sich mitten in den Karnevalstrubel gestürzt. Dass Ballauf nebenbei kellnert, worum anfangs ein großes Geheimnis gemacht wird, dass Miriam Koch (Roswitha Schreiner) ein Protegée ist und deshalb direkt nach der Ausbildung schon so eine schöne Stelle bei der Kripo bekommt, dass Flemming allein wohnt, und zwar auf einem Bauernhof außerhalb und dort gerne gute Ideen zur Lösung von Fällen in der Sauna ausschwitzt, das erfahren wir in etwa zehn Minuten Spielzeit.
Als Sondermilieus gibt es die jahreszeitlich eingeschränkten, in dieser Jahreszeit aber professionellen Jecken aus den rheinischen Karnevals-Hochburgen, die manchmal sogar zum Papst dürfen (anschließende WDR-Dokumentation) und die Taxifahrer, die als Opfer von Gewalt ins Licht gerückt werden. Einer der Taxifahrer kommt im Film auch ums Leben und ein weiterer wird von karnevalsmäßig besoffenen Fahrgästen bedroht. Außerdem sehen wir mit Uwe Ochsenknecht einen der angesagtesten Schauspieler der Zeit in einer wirklich famosen Rolle und bewundern sein erst beiläufiges, dann immer dämonischer werdendes Spiel. Ein Vampir im Gewand eines Nebenrollencharakters.
Offensichtlich hat es der Drehplan so gewollt, dass ein neues Team in einem Karnevalskrimi kurz vor Pfingsten und damit mitten in der Fastenzeit präsentiert wird. Aber inzwischen hat man einiges korrigiert – der Tatort 258 kommt in etwa alle zwei Jahre tatsächlich zur Hochzeit des Karnevals ins Fernsehen, dieses Mal sogar am Rosenmontag. Damit gehört er zu den am häufigsten wiederholten Filmen der Flemming-Ära.
Wie hinter die Kulissen des bunten Treibens geblickt wird, wie ein trauriger Prinz auf Abruf sich bemüht, auf einer Prunksitzung Haltung zu bewahren, während die Mariechen zu „There’s no business like showbusiness“ die Beine schwingen, wie ein Werbefuzzi im Zeichen des Bankrotts in seiner Villa eine dekadente Faschingsparty gibt und dabei als Vampir auftritt, das ist schon eine sehr gute Show, vor allem für die frühen 1990er Jahre. Der Film punktet nicht mit stilistischen Extravaganzen, aber mit einigen sehr schönen Szenen, einer trotz der vielen Elemente verständlichen und im Ganzen einigermaßen logischen Handlung.
Einigermaßen deshalb, weil die Motivation des Mörders von Jacqueline Bordenave doch etwas überdehnt scheint. Doch wer einen Promi-Schauspieler als Nebendarsteller einsetzt und dann dem Film noch einen solchen Titel gibt, dem attestieren wir: Es ging nicht viel anders. Nämlich so, dass anfangs nichts darauf hindeutet, dass das zerrüttete Verhältnis zwischen dem Prinzen und dem Mörder tatsächlich mordgeneigt sein könnte. Sonst wäre dieser Tatort noch vorhersehbarer gewesen. Im Ernst, wer anders als der exzentrische Werbemanager soll das egozentrische Format haben, zwei Menschen umzubringen, um seinem Ex-Auftraggeber eins auzuwischen.
Dieser wiederum, ein erfolgreicher Geschäftsmann, wollte immer und immer schon Karnevalsprinz werden. Als er’s endlich ist und in Verdacht gerät, das Model auf dem Gewissen zu haben, bringt er sich um. Weil der Elferrat, in dem auch sein Exfreund sitzt, ihn zum Rücktritt just vor dem höhepunktigen Rosenmontagszug zwingt. Wie traurig. Eigentlich ist diese Figur schon vorher traurig. Ein Ziel jenseits des Geschäftserfolges, der offenbar nicht glücklich macht, jenseits einer Ehe, die offenbar ihre besten Zeiten hinter sich hat, jenseits von Abenteuern, bei denen sogar ein Kind herausgesprungen wäre, wenn die Mutter nicht vorher getötet worden wäre. Der Karneval bekommt einen deprimierenden Unterton, wie in allen Karnevals-Tatorten, die wir bisher gesehen haben. Hier wird zwar auf andere Weise mit Masken gespielt als neulich in „Schmutziger Donnerstag“, aber man bemerkt, wie Freude und Ausgelassenheit auf eine unheimliche Weise an- und abgestellt werden können, als hätten die Jecken nichts mit den Menschen zu tun, die sie jenseits der wenigen tollen Tage darstellen.
Dabei gibt es durchaus einen Zusammenhang zwischen allgemeiner Mentalität und Karnevalität. Der katholische Rheinländer ist die Frohnatur unter den Deutschen, etwas laut und dröhnend auch außerhalb der närrischen Tage, aber es ist nicht alles so aufgesetzt, wie es in den Karnevalstatorten dargestellt wird, sondern durchaus authentisch. Dass sich das an Typen wie dem Westfalen Ballauf und dem etwas griesgrämigen Flemming bricht, die beide erkennbar keine Karnevalisten sind, mag okay sein, aber dem Zuschauer wird dadurch natürlich auch eine Haltung vorgegeben. Kritisch und pointiert und streng ist man beim WDR, der immerhin in Köln sitzt, mit dem rheinischen Frohsinn im Februar. Wir finden den Karneval der Kulturen, der sich in Berlin etabliert hat, als zeitgemäße Variante der hergebrachten Traditionen in den Karnevalshochburgen – er basiert ausführungstechnisch genau darauf bzw. ist aus dieser Richtung abgewandelt worden (das System des großen Straßenumzuges mit Wagen, sinnigerweise in den Sommer verlegt), aber das Publikum ist nicht so stark eingebunden, nicht in dem Maß Teil des Ganzen.
Dass gerade ein ritualisierter Frohsinn sich gut mit finsteren Absichten kontrastieren lässt, haben Filmemacher früh begriffen und Zirkusse, Volksfeste etc. für grausame Taten, als Symbole des inneren und äußeren Chaos verwendet, als Orte, an denen Masken getragen werden und Masken fallen. So ist es auch in „Der Mörder und sein Prinz“. Wer hätte gedacht, dass jemand, der sich als Vampir verkleidet, tatsächlich das Herzblut seines einst guten Freundes sehen will? Nur die Besetzung gab anfangs einen Hinweis darauf – und natürlich die Tatsache, dass es sonst keinen Verdächtigen von Format gab. Die wirtschaftliche Herleitung des Szenarios ist over the top, keine Frage, aber das ist ja in vielen Tatorten so, in denen kommerzielle Vorgänge am Ende doch die Grundlage für die Entstehung ebenjener Leichenfundplätze hergeben. Deswegen ist es uns manchmal lieber, dass der Mörder doch ein simpler Eifersüchtiger o. dgl. ist.
Finale
Max Ballauf, der uns inklusive seiner just in „Der Mörder und sein Prinz“ einsetzenden Düsseldorfer Zeit nun schon 21 Jahre lang begleitet, den sehen wir als einen jungen, absolut nicht so verantwortlich wie später als Dienststellenleiter handelnden und ein wenig tollpatschigen Polizisten, der nicht einmal Kommissar, sondern nur Hauptmeister ist. Offenbar hat er später also auch den Dienststrang gewechselt, nicht nur die Stadt. Dass seine Zeitprobleme damit zu tun haben, dass er nebenbei kellnert – naja. Da müsste doch noch was dahinter stecken, zum Beispiel Geldsorgen. Es ist Beamten in der Tat nicht verboten, bis zu einem gewissen Grad Nebeneinkommen zu erwirtschaften, aber bei einem Polizisten, der Schichtdienst schieben muss etc., wirkt das doch etwas seltsam, wenn es nicht durch ein in der Folge 258 noch nicht gelüftetes Geheimnis begründet ist.
Viel leichter in jeder Hinsicht kommt die Figur Miriam Koch daher. Eine Tatort-Elfe, die ihre Rolle so nett, kulleräugig und doch pfiffig spielt, dass manche Fans diese Darstellung gerne als Ausweis mangelnder Schauspielfähigkeit hernehmen. Wir meinen aber, die Figur ist sehr klar in diese Richtung entwickelt worden und wenn man die beiden Jungen und den älteren Chef zusammen betrachtet, sind sie wohl das netteste und interessanteste Team, das zu Beginn der 90er Jahre kam – und auch den modernen Stil mit dem sichtbaren Privatleben von Polizisten und den asymmetrischen Ermittlern wesentlich geprägt hat. Uns hat dieser Flemming-Ballauf-Starter viel Spaß gemacht, auch wenn er plottechnisch kein herausragender Tatort ist – das reicht 21 Jahre nach seiner Entstehung noch für 7,5/10.
© 2019, 2013 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Kriminalhauptkommissar Flemming – Martin Lüttge
Max Ballauf – Klaus J. Behrendt
Adelheid Pönsken – Brigitte Janner
Dagmar Schuba – Nicole Heesters
Jacqueline Bordenave – Claudine Wilde
Kriminalrat Tejung – Dirk Galuba
Miriam Koch – Roswitha Schreiner
Gero Schuba – Jürgen Schmidt
René Wolff – Uwe Ochsenknecht
u.a.
Drehbuch – Nikolaus Stein, Jacki Engelken, Wolfgang Hesse
Regie – Kaspar Heidelbach
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