Der Fluch des Bernsteinzimmers – Tatort 426 / Crimetime 397 // #Tatort #MDR #Ehrlicher #Kain #Dresden #Sachsen #Bernsteinzimmer

Crimetime 397 - Titelfoto © MDR

Das Bernsteinzimmer gibt’s nimmer …

Jedenfalls ist es bisher nicht aufgetaucht, und wo in Europa kann man etwas so verstecken, dass es nicht auffindbar ist? Wir wissen es nicht, und würde es tatsächlich wiederentdeckt werden, vermutlich in schlechtem Zustand, dann wäre die schöne Arbeit, die man sich über mehr als 20 Jahre lang mit einer Nachbildung gemacht hat, umsonst gewesen. Aber als Scheinkulisse in einem Adels-Krimimelodram ist es ein Aufhänger, der suggeriert, dieser Film sei dicht an der Historie oder enthielte gar sensationelle Neuigkeiten zum Verbleib des Kunstwerks. Ob das so wichtig ist und vieles mehr klären wir in der -> Rezension

Handlung

Hauptkommissare Ehrlicher und Kain staunen nicht schlecht: Adliger Besuch in der Amtsstube! Herzog Georg von Sachsen-Gronau, in Begleitung seines jungen Anwalts Jan Müller, bittet um Personenschutz – er habe anonyme Morddrohungen erhalten.

Als Beweis legt er einen Fehdehandschuh vor, der ihn per Post erreichte. Den Polizisten vergeht das Schmunzeln über den seltsamen Besucher schnell: Wenige Tage später werden Herzog Georg und seine Frau Anna tot in ihrem Jeep an den Elbauen gefunden. Selbstmord – so die erste Diagnose. Mord – sagt Klaus Ross, ein Bekannter der Familie, der die Leichen entdeckte. Bei der Autopsie wird eine Überdosis Beruhigungsmittel festgestellt. Mit Hilfe des freundlichen Dieners Bob werden Ehrlicher und Kain in Sachen Beruhigungsmittel auf dem herzöglichen Gut schnell fündig. Doch gleichzeitig tun sich dort neue Rätsel auf. Einen Tag vor seinem Tod hatte der Herzog sein Testament geschrieben und den ganzen Besitz seiner Tochter Mary vermacht.

Aber angeblich hatte der Adlige Millionen Schulden. Aus dem Raucherzimmer des Guts verschwinden alte Fotos. Der Hund der Familie wird erschossen. Und warum taucht ausgerechnet zur selben Zeit Heinz Maas, Herzogs Verwalter, aus Irland auf?

Rezension

Bob, der Butler und Mary, das blaublütige Töchterchen, ein böser Vermögensverwalter, ein ebensolcher Anwalt, Schatzsucher und die deutsche Kriegsvergangenheit werden auf Ehrlicher und Kain geschmissen wie ein Klumpen, unter dem man ein ganzes Sonderkommando begraben könnte. Kein Wunder, dass Bruno Ehrlicher durchblicken lässt, dass er das Aussterben des Adels (wenn auch nicht durch Mord, dafür ist er doch zu sehr Polizist) für eine Tatsache hält. Woran man wieder merkt, dass die Menschen, die in der DDR geprägt wurden, eine verstellte Sicht auf die Wirklichkeit haben und Wunsch oft für Wirklichkeit nehmen. Offensichtlich gilt das auch für Drehbuchautoren, die Schauspieler solche Sätze sagen lassen. Wir haben vorsichtshalber nachgesehen: Der Drehbuchautor und Regisseur H.-W. Honert kommt wirklich aus Leipzig, was ihn immerhin zum Experten fürs Lokale bzw. Regionale macht. Bruno Ehrlicher wurde von Peter Sodann aber unabhängig  vom Regisseur nicht immer sympathisch, aber immer glaubwürdig dargestellt.

Der Adel stirbt nicht aus. Zwar haben Akademiker weniger Kinder als der Bevölkerungsdurchschnitt, aber was heißt heute schon Akademisierung? Doch gerade auf den Adel mit seinem nicht ausgestorbenen Traditionsbewusstsein, das auch die Fortführung der Linie beinhaltet, trifft das nicht zu. Vielleicht geht erwirtschaftlich nieder, weil alle seine Töchter so naiv sind wie Mary?

Nein, tut er nicht. Nach unseren Beobachtungen in der Schule und an der Uni wurden die Bestleistungen zwar selten von Angehörigen dieser Schicht erbracht, aber die Beziehungeflechte des Adels sind so gut, dass niemand darben muss, und sich immer Symbiosen ergeben: Positionen, in denen sich ein Adelstitel gut macht, Titelträger, die eine Position brauchen. Und nicht nur im dekadent-kapitalistischen Westen gibt es Menschen, die innerlich vor dieser Kombination auf die Knie gehen.

Die DDR hingegen ist verstorben, so viel steht felsenfest, und Bruno Ehrlicher ist mittlerweile in Pension. Was uns bleibt, ist sein filmisches Vermächtnis, und das ist durchaus wichtig und sehenswert.

Selbst Filme wie „Fluch des Bernsteinzimmers“, die Paradebeispiele dafür sind, wie man sich in einem an sich guten Thema verfängt und verzettelt, interessieren uns schon deshalb, weil auch die in ihnen zum Ausdruck kommende Verwirrung über die Verhältnisse des deutschen Kastensystems genau jene Art von gelebter Zeitgeschichte ist, welche die Tatort-Reihe unvergleichlich macht.  Auch eine schräge Wahrnehmung hat ihre Berechtigung und man darf sie nicht unterschätzen und gerne in allen Details analysieren.

Wir sehen nur die allgemeinen Strömungen und Tendenzen, die sich in Filmen wie diesem spiegeln. Was uns hilft, auf Ehrlichers und Kains Seite zu bleiben und nicht die toten Adeligen und ihre Helfer und Getreuen zu sehr zu bedauern ist, dass es in diesem Film keine positiven Figuren gibt. Bruno ist immer knurrig, dafür aber im Wasser und angeschossen überragend überlebensfähig, wer ihn mag, wird’s okay finden.. Kain ist eine gute zweite Kraft, viel intelligenter, als er manchmal vom Ausdruck wirkt.

Danach kommt als Sympathieträger schon Bob, der Butler. Wer sich so etwas ausdenkt, selbst wenn es ironisch gemeint ist und an alte US-Filme erinnern soll, in denen Afroamerikaner immer nur die Dienerschaft spielen durften und wie das eine Art Konnex zwischen dem alten europäischen Adel und dem Geldadel in den USA hergestellt werden soll, ist das die falsche Form von hintergründig sein wollender politischer Korrektheit. Wir bescheiden uns damit, dass Bob dekorativ ist und am Ende sogar halbwegs durchblickt, was sich in seinem Reich tut.

Schade, dass wir das opulente Frühstück nicht sehen durften, welches Ehrlicher und Kain von ihm zubereitet bekommen, aber ausgerechnet da sind wohl dem MDR die Mittel ausgegangen, nachdem Ehrlicher vorher schon auf einen betagten Mercedes 190 der ersten Serie umsteigen musste, und nicht seinen neuen 3er BMW mit ins polnische Flüsschen nehmen durfte. Dorthin wird der von diesem Anwalt im quietschgelben Beetle getrieben, der ja auch schon wieder eine Art Yuppie-Ironisierung darstellt. Bruno kommt aber wieder raus und sitzt auf einem Bauernwagen, wo er sich mit der polnischen Landfrau nicht verständigen kann. Wir dachten immer, im Sinn der Verständigung der friedliebenden sozialistischen Länder untereinander hätten alle allüberall Russisch gelernt. Die Menschen aus Ostdeutschland, die wir kennen und die noch in der DDR aufgewachsen sind, können jedenfalls noch ein paar Brocken. Gleiches sollte man von den Polen dieser Generation annehmen. Es sei denn, Bäuerinnen hätten keine Schulpflicht gehabt.

Bleiben wir noch mit Bruno und den anderen, die sich dort einfinden, ein wenig in Polen. Es wird richtig referiert, dass die Rückübereignung deutschen Junkerlandes aus dem ehemaligen Ostpreußen nicht so möglich war wie nach dem Ende der DDR auf weiterhin deutschem Boden. Dass Polen EU-Mitglied werden würde, war auch 1999 schon klar, als „Fluch des Bernsteinzimmers“ entstand, und nach Übergangsfristen ist es nun auch wieder für Deutsche nahezu uneingeschränkt möglich, Immobilien in Polen zu erwerben. Mehr Sorgen macht uns die Aussage, dass 80 % der Erträge des Gutes, das wir im Film sehen, Mary über Konten in Irland zufließen sollen. Dabei ist die Ärmste doch sowieso mit einem Erbe belastet, das jeder vernünftige Mensch ausschlagen würde, und es wird nicht ganz klar, ob der Verbleib des polnischen, offenbar profitablen Besitztums, an den Übernahme der Schulden gekoppelt werden soll, die auf deutschem Boden entstanden sind und in Irland gemanagt werden. Ganz sicher wirft dieses polnische Gut nichts ab, denn es wirkt verlassen und allein die Instandhaltung des Haupthauses dürfte eventuelle landwirtschaftliche Einkünfte aufzehren.

Der Krimi wird künstlich verkompliziert durch die Tatsache, dass die ökonomischen Motive offenbar von solchen überlagert sind, die aus der Zeit resultieren, als rechtschaffene Wehrmachtsangehörige und Kriegsverbrecher sich gemeinsam an Kriegsverbrechen wie der Erschießung von 83 Personen im Waldgebiet zwischen Leipzig und Dresden beteiligt haben. Manchmal ist ein Foto mehr wert als ein Bernsteinzimmer, die belastenden Dokumente der Abt. Canaris haben wir leider, ebenso wie oben erwähntes Frühstück, nicht sehen dürfen. Wir ahnen aber, dass darin dokumentiert ist, dass der Verwalter Maas noch im Jahr 1999 für das, was er um 1944 getan hat, verurteilt werden könnte. Schade, dass das nicht so herausgearbeitet wird, dass das Bernsteinzimmer ein Symbol für die verlorene Vision einer Völkerverbindung im Osten werden könnte, sondern alles in diesem Film bruchstückhaft bleibt und dieses Zimmer selbst kaum noch eine Rolle spielt, wenngleich ein gewisser Herr Sur es mit großer Hartnäckigkeit sucht und dabei unters Geröll kommt.

Fazit

Mit der Tendenz, im Verlauf immer nebulöser und zerfahrener zu werden, steht „Fluch des Bernsteinzimmers“ nicht allein, viele Tatorte und natürlich nicht nur Filme dieser Reihe weisen jenes Muster auf, das darauf hindeutet, dass der Anfang, mit dem man den Zuschauer hineinziehen kann ins Geschehen, für viele Autoren, Regisseure und Senderverantwortliche offenbar schon die halbe Miete ist – oder die ganze, wenn man damit erreicht, dass niemand zwischenzeitlich abschaltet.

„Fluch des Bernsteinzimmers“ hat ein Thema, das man hätte einheitlicher behandeln müssen, denn es bietet viel Potenzial. Neben dem, was man von diesem Potenzial verschenkt hat, fällt auf, dass, sieht man von den beiden Kommissaren ab, die Figuren recht statisch sind und auch so dargestellt werden. Insbesondere ist Katja Weitzenböck, deren Name schon die österreichische Herkunft verrät, nicht nur auf Fotos hübscher als Film, in dem sie irgendwie durchgestresst wirkt, sie kann auch gewiss überzeugender spielen, wenn man ihrer Figur nicht so eine lächerlich wankelmütig-naive Struktur gibt und sie Ehrlicher hauen muss. Natürlich nicht so, dass der alte Recke vielleicht hintenüberkippt. Arnd Klawitter als Junganwalt hingegen hat diese seltsam fiese Ausstrahlung, die man kaum erlernen kann und die von der ARD in vielen Tatorten genutzt wird, um ihm interessantem zwielichtige, negative Rollen zu geben.

Es gab in diesem Film sogar einige anrührende Momente, er hat uns nicht so kühl zurückgelassen wie einige wohl höher veranlagte Tatorte es fertigbrachten, aber wenn uns Dutzende von konkreten Verbesserungen in den Dialogen oder die Handlungselemente betreffend einfallen, dann ist der Film wohl nicht ganz rund.

Nachtrag 2019: Dieser Film zählt noch zur Dredsdner Ära von Ehrlicher und Kain und schloss diese Zeit ab, bevor die beiden nach Leipzig wechseln, wo ihre Filme einen leichteren Duktus annahmen. Hans-Werner Honert hat hier das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Seit wir in die Reihe „Polizeiruf 110“ eingestiegen sind, ist er für uns kein Unbekannter mehr, denn er zählte zu den prägenden Regisseuren und hat außerdem nach der Wende die Saxonia Media aufgebaut, welche bis heute die Tatorte und Polizeirufe des MDR produziert.

6/10

© 2019, 2015 Der Wahlberliner, Thomas Hocke


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