Dunkle Wege – Tatort 568 / Crimetime 410 // #Tatort #LKA #Hannover #NDR #Lindholm #Wege #DunkleWege #Tatort568

Crimetime 410 - Titelfoto © NDR, Marion von der Mehden

Wenn Menschenwege von Beginn an oder im Verlauf dunkel werden

Während einer Ausbildungs-Übung in einer alten Fabrik kommt ein Polizeischüler zu Tode und es stellt sich heraus, dies war wohl kein Selbstmord, also wird Charlotte Lindholm in die Polizeischule geschickt, wo sie sich undercover als Dozentin ausgibt und sich in die Welt der Nachwuchskriminaler hineinwühlt. Wie wir mit der Wühlarbeit klarkamen, steht in der -> Rezension.

Handlung

Eine Übung wie sie an der Polizeischule in Hannoversch Münden häufig ist: Die Studenten der P1, ambitionierte Anfänger, stellen auf ihrem Übungsgelände realitätsnah die Verfolgung eines Geiselnehmers dar. Doch am Ende des Manövers ist der Polizeischüler Gerd Lähner tot. Erschossen mit einer der FX-Übungswaffen.Den Behörden ist schnell klar, dass eine dienstliche Ermittlung in diesem Umfeld für viel Aufsehen sorgen und schwerlich zum Ziel führen wird. Man spricht offiziell von einem tragischen Unfall. Als Lehrerin getarnt, soll Hauptkommissarin Charlotte Lindholm indes in einem Undercover-Einsatz die Binnenverhältnisse der Schülerschaft durchdringen und dadurch mögliche Hintergründe der Tat aufspüren.

Charlotte trifft auf eine verunsicherte Klasse. Als sie mit den Schülern die Situation vor dem Tod von Gerd nachstellt, stellt sich schnell heraus, dass einige etwas verbergen. Wie standen die Kommilitonen zu Gerd Lähner? Lähner war besonders ehrgeizig. Einer, der den Mitstudenten nichts durchgehen ließ. Würde das für einen Mord reichen? Und woher kamen die Hämatome, die Lähners Körper bedeckten? Mit wem hatte er Streit? Ihrer Möglichkeiten als offizielle Ermittlerin beraubt, muss Charlotte Lindholm in diesem Fall um Vertrauen kämpfen und Augen und Ohren offen halten, um dem wahren Schuldigen auf die Spur zu kommen.

Rezension

Plus:

  • Die Atmosphäre ist schön düster. Das können sie gut in Hannover, weil sie wissen, dass schon die Farbgebung und ein wenig Verwischtes im Bild für so ein Gefühl zwischen Unbehaglichkeit und Unsicherheit beim Zuschauer sorgen können und auch für eine Distanz den Figuren gegenüber. Bei den Lindholm-Liebeszenen ist die Farbgebung konsequenterweise viel wärmer.
  • Psychologisch, besonders auf den Täter bezogen, ist der Fall mindestens interessant. Ob man die Lösung für vorhersehbar hält, oder, wie wir, eher darauf abstellt, dass sie keine Irritationen hervorruft und somit nicht das Gefühl, als Zuschauer nicht ernst genommen zu werden, werten wir positiv.
  • Lindholm kommt für ihre Verhältnisse einigermaßen normal rüber. Das liegt sicher auch daran, dass sie sich als zunächst Undercover-Ermittlerin weniger diese Überdrüber-Mätzchen leisten kann als in Filmen, in denen sie wie eine Walküre in die armselige Welt von unbeleckten Hinterwäldlern einfällt (zur grundsätzlichen Anlage der Lindholm-Figur haben wir uns in der Rezension zu „Schwarzes Herz“ ausführlich geäußert).
  • Lindholm geht baden, nach einer tätlichen Auseinandersetzung auf einem Schiff. Wir müssen hier   mal einen Nutzer des Tatort-Fundus zitieren, weil sein Kommentar zum Tatbestand einen Anstrich von Genialität hat („Heimacker“ auf dieser Seite des T-F): „Ich hatte schon befürchtet, als die Frau Lindholm ins Wasser geprügelt wurde, dass eine Schraube in die andere kommen könnte.“ Das ist derb und despektierlich, nicht moralisch-ethisch blitzsauber, dafür nicht unwitzig.
  • Die Ermittlungsarbeit ist recht überzeugend, Charlotte Lindholm wird nicht durch Zufälle zur Lösung getrieben, sondern macht sich das schlechte Gewissen einer Polizeischülerin zunutze, um die entscheidenden Hinweise zu erhalten. Das passt zu ihrem Auftritt und ihrer zweifellos suggestiven Wirkung auf Tatverdächtige.
  • Das Thema „interne Ermittlung“ wird nicht schlecht inszeniert, auch wenn der Film diesbezüglich in Konkurrenz zu anderen, teilweise sehr guten Tatorten steht, mit denen er sich vor allem bezüglich der Figuren und der Plotlogik nicht ganz messen kann.

 Minus:

  • Die Handlung ist unglaubwürdig. Auch wenn dies mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme darstellt, schöner wird’s dadurch nicht. Immerhin muss man konstatieren, dass das Drehbuch sich bemüht, originell zu sein und dies zeitweilig schafft.
  • Wie schon in unserer Rezension zum direkten Vorgänger „Märchenwald“ geschrieben – die Liebesgeschichte von Lindholm mit dem Staatssekretär Endress wirkt aufgesetzt und dissonant in Bezug auf die Anlage der Figur, aber wir verstehen, dass man sie etwas emotionaler bzw. weicher zeichnen wollen. Hannes Jaenicke wirkt in der Politiker-Rolle unter Wert aufgestellt. Anders Martin, Charlottes Mitbewohner, der natürlich eifersüchtig auf Endress ist und ein paar etwas gestellt daherkommende Szenen hat, die ihn als Figur aber sympathisch wirken lassen.
  • Die vielen jungen Schauspieler haben zwar die Gelegenheit, sich in diesem Film zu beweisen, aber sie sind eben auch noch zu unerfahren, um scharf gezeichnete Figuren abzugeben. Das wirkt zwar einerseits authentisch, andererseits blass. Die Realität ist oft so. Aber auch junge Menschen sind zuweilen ausgeprägtere Persönlichkeiten.

Von den 21 Tatorten, die Charlotte Lindholm bisher betreten hat, ist „dunkle Wege“ sicher nicht der schlechteste. Atmosphäre und Setting sind stimmig und Letzteres zudem originell. Diesbezüglich kein Tatort von der Stange.

Leider wirkt die Handlung recht reißbrettartig, wenn auch mit plausibler Auflösung. Das vor allem, weil sich anhand einer recht gut dargestellten und in ihrer psychologisch einigermaßen verzwickten Handlungsweise die Täterfigur nachvollziehen lässt und keine Ratlosigkeit beim Zuschauer übrig bleibt. Dagegen steht die Schiene Diebstahl, Erpressung, unerlaubtes Glücksspiel, die überdehnt ist.

Trotz vieler Pluspunkte ist das Hauptproblem des Films eines, das wir mittlerweile den Lindholm-Filmen als typisch zuordnen können. Die Figur mit ihrer unerreichten Effizienz wirkt in Momenten wie dem Spaß im Casino und mit ihrer Liebesbeziehung befremdlich. Selbstverständlich sind auch wirkliche Menschen ambivalent, aber die Kälte, die von dieser Kriminalkommissarin ausgeht, kann man nicht durch einige emotionale Szenen aufheben, vielmehr wirken diese Szenen wie Fremdkörper, welche die Geschlossenheit der Inszenierung aufheben und lassen die Diskrepanz zwischen Polizistenfigur und Privatperson schärfer hervortreten.

Wenn schon Lindholm, dann konsequent arrogant-arisch, so dass man sich schön an der Figur reiben kann. Sie auf eine so spekulative Weise aufzuweichen wie etwa in „Märchenwald“ oder „Dunkle Wege“ ist letztlich inkonsequent und bringt uns den Charakter nicht näher.

Dass die Lindholm-Tatorte nichts für Gemütsmenschen sind, das kann man akzeptieren, schließlich ist in dieser mittlerweile recht großen Welt der ARD-Ermittler Platz für die verschiedensten Charaktere, und eine Charlotte wirkt allemal realistischer als einige Neuzugänge wie Tschiller, Stellbrink oder die beliebten Münsteraner – sofern man Realismus heutzutage noch als zulässiges Kriterium ansieht, darf man das erfreut registrieren.

Vieles an „Dunkle Wege“ ist aber durchschnittlich, zum Beispiel die Bildsprache und die Schauspielleistungen. Es gibt keine herausragenden Darstellungen, den schwierigsten Part hat aber zweifellos der Dozent Döring, der von Arnd Klawitter gut dargestellt wird. Dass er schon zu Beginn sehr im Mittelpunkt steht, macht auch das Ende schlüssig und der Überraschungseffekt entfällt zugunsten des angenehmen Gefühls, dass man sich diesen Mann sogleich nach seinem ersten Auftritt als Täter vorstellen konnte.

Finale

Moralisch überlegen ist Lindholm auch dieses Mal, aber immerhin gibt’s einen Einblick in ihre Vergangenheit just an jener Polizeischule, an der sie jetzt ermittelt und auch da wird sie wieder ein wenig menschlicher gemacht, indem ein Verweis wegen Diebstahls (von Lebensmitteln, nicht etwa von Kfz-Halterdaten!) zur Sprache kommt, der beinahe ihr Ende als Polizeischülerin bedeutet hätte. Wieder ein eher halbherziger Versuch, diese moralischin einer anderen Welt lebende Polizistin ein wenig differenzierter wirken zu lassen. Wir gehen jetzt nicht in die Tiefe, sondern nehmen das so hin, sind wieder relativ wenig involviert, geben für diesen nicht uninteressanten Krimi aber 7/10.

© 2019, 2015, 2013 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Charlotte Lindholm – Maria Furtwängler
Tobias Endres – Hannes Jaenicke
Martin Felser – Ingo Naujoks
Döring – Arnd Klawitter
Olaf Reins – Konstantin Prochorowski
Sandra Wiegand – Katharina Schüttler
Michael Bronner – Christian Blümel
Lothar Grammert – Martin Kiefer
Birgit Wels – Lale Yavas
Malte Brüning – Hanno Koffler
und andere

Musik – Johannes Kobilke
Kamera – Markus Hausen
Buch – Thorsten Näter
Buch – Susanne Schneider
Regie – Christiane Balthasar


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