© Crimetime 420 - Titelfoto (Farbfilm) DFF / ARD (Der Film ist in Farbe)
Zwei Herren, Schlau und Doof
Der 144. Polizeiruf ist ein echtes Übergangswerk. Entstanden im Mai und Juni 1990, als bereits sicher war, dass die Wiedervereinigung kommen würde, aber geklaut wurden noch Ostmark mit dem Karl-Marx-Konterfei auf dem Hunderter. In stürmischen Zeiten galt es auch, die Teams zusammenzuhalten – so kommen hier nicht weniger als fünf Kommissare zum Einsatz.
Das wäre selbst heute rekordverdächtig, auch wenn man die mittlerweile nicht selten mit Viererteams bestückten Tatorte und das Quartett in Rostock inkludiert. Doch die Umstellung auf die im Westen üblichen Ränge war schon vollzogen und Peter Fuchs als einziger Hauptkommissar selbstverständlich der leitende Ermittler. Mehr Fakten und Eindrücke in der -> Rezension.
Handlung (Wikipedia)
Seit einiger Zeit werden aus dem Balt-Orient-Express auf deutschem Boden Brieftaschen und Geld entwendet. Die Ermittler um Kriminalhauptkommissar Peter Fuchs, Kriminaloberkommissar Jürgen Hübner und Kriminaloberkommissar Lutz Zimmermann schleusen Polizisten in die Waggons ein, um die Fahrgäste zu beobachten. Altglassammler Lothar Berger wird eines Tages von einem vermeintlichen Schaffner angesprochen, der ihm die Mitarbeit bei Diebstählen anbietet. Bei dem falschen Schaffner handelt es sich um Druckereimitarbeiter Torsten Feist, der in Uniform leicht an die im Schlafwagen weilenden Gäste herankommt und ihnen stets unbemerkt die Geldbörsen stehlen kann. Lothar Berger, der von seiner Frau geschieden ist und die beiden Kinder nur selten sehen darf, braucht Geld und willigt in eine Zusammenarbeit ein. Sie besteht im Wesentlichen darin, dass Lothar den eigentlichen Schaffner von Torstens „Aktionsgebiet“ fernhält, da die Zuggäste und auch der Schaffner sonst hinter den Trick kommen würden. Vor den Augen der Ermittler begehen Torsten und Lothar so weitere Diebstähle.
Bald will Lothar aussteigen, erwartet seine neue Freundin doch ein Kind von ihm und misstraut Torsten instinktiv. Der beschwört Lothar, dass die Brüche absolut sicher sind. Sie verlegen sich dennoch auf andere Delikte. Sie rauben der alten Erna Weber die Kasse ihres Tante-Emma-Ladens aus. Als Erna Weber misstrauisch wird und Torsten zu stellen versucht, schlägt Lothar sie mit einem massiven Holzbrett nieder. Erna Weber wird schwer verletzt in ein Krankenhaus gebracht, wäre aufgrund ihrer starken Kurzsichtigkeit aber auch keine gute Zeugin für die Ermittler.
Schon aufgrund der Diebstähle im Zug konnte eine Zeugin ein Phantombild von Torsten anfertigen lassen. Da dieser laut anderen Zeugen stets nach dem Verlassen des Zuges ein Taxi nahm, gibt sich Jürgen Hübner als Taxifahrer aus und fährt so eines Tages tatsächlich Torsten zu seiner Freundin. Die Ermittler kennen nun Torsten und haben auch zu Lothar bereits Ermittlungen aufgenommen, der als Schulabbrecher mit geringer Bildung der sozial auffälligste unter den regelmäßigen Zugpassagieren ist. Eine Verbindung zwischen beiden Männern können die Ermittler nicht finden, wissen aber, dass Torsten mindestens einen Mittäter hat.
Der nächste Diebstahl der Männer ist besonders ausgefeilt. Torsten hat für beide auf Arbeit falsche Pässe gedruckt, die sie nun als Ermittler legitimieren sollen. In einer Tankstelle geben sie an, dass Falschgeld in Umlauf gekommen sei und sie daher die eingenommenen Scheine untersuchen müssten. Erwartungsgemäß finden sie „Falschgeld“, weswegen sie sämtliche Scheine konfiszieren. Zu spät erkennt der Verkäufer der Tankstelle, dass er Betrügern aufgesessen ist. Lutz Zimmermann erfährt von einem Nachbarn unweit des Tatorts Tante-Emma-Laden, dass Torsten und Lothar regelmäßig zusammen in seinem Kahn angeln fahren. Auch die Tankstellentat lässt die Ermittler schnell an Torsten und Lothar denken, die laut Aussage des Nachbarn gerade auf dem nahe gelegenen See zusammen angeln. In Wirklichkeit dient ihnen der Weg über den See als sicherer Fluchtweg. Bei der Rückkehr zu ihrem am Ufer abgestellten Fluchtauto werden Torsten und Lothar schließlich verhaftet.
Rezension
Bis zum Ende des Films haben wir’s nicht herausgefunden: Wozu hat der trickreiche Herr Feist den nicht so erleuchteten Herrn Berger wirklich gebraucht? Wir hätten ja schon die Nachnamen umgekehrt gewählt, weil Berger irgendwie weltmännischer klingt und feist ist er ja auch nicht. Aber vor ein paar Sekunden hatten wir dann doch einen Geistesblitz. Tatsächlich lautete nämlich die Frage, die wir an uns selbst gestellt hatten: Wozu hat dieser Narzisst Feist nun den Berger gebraucht? Eben darum. Um seinen Narzissmus besser ausleben zu können.
Spaß beiseite. Ein Gaunerpärchen, am besten schön asymmetrisch angelegt, bietet den richtigen Unterhaltungswert, wenn es um Delikte geht, bei denen es wichtig ist, dass der Zuschauer alles erklärt bekommt. Der Schlaue erklärt also dem Dummen, was anliegt und der Zuschauer wird auf diese Weise klasse manipuliert: Anfangs ist er etwa so dumm wie der Dumme, am Ende freut er sich, dass er dem, was der Schlaue sagt, viel besser folgen kann als der Dumme und am liebsten würde er Letzteren schütteln, damit er’s auch endlich kapiert. Der Zuschauer versetzt sich also in die Rolle des Schlauen und je narzisstischer der Zuschauer ist, desto besser gelingt ihm das, während der Verdacht wächst, dass der Dumme alles verbocken wird.
So ist es aber in „Allianz für Knete“ nicht. Denn der Schlaue hält sich für schlauer, als er ist und macht den entscheidenden Fehler selbst. Dieser Film ist eine Allegorie auf die Apologeten des Kapitalismus. Deswegen bekommt dieser Polizeiruf in der IMDb nur magere 5,5/10, denn die meisten, die sich in der IMDb durch Abstimmungsergebnisse verewigt sehen wollen, sind – genau. Narzissten und Neoliberale. Die es nicht schätzen, wenn einer von ihnen so enttarnt wird.
Wir hingegen hatten wirklich Schwierigkeiten mit diesem ungleichen Paar, denn wir sind ja nicht mehr im Jahr 1990. Komisch, dieser Feist wirkt wie einer jener Wessis, die scharenweise in den Osten einfielen und sich dort für die Schlaueren hielten. Selbst der weitere Verlauf stimmt: Irgendwie verloren alle. Die einen ihre Identität, die anderen die Gewissheit, wirtschaftlich immer vorne dabei zu sein und zusammen die Peilung. Bis heute wirkt sich das so aus, dass man sich an unterschiedlichen Tatbeständen festklammert, die entweder der Vergangenheit angehören oder der Vergangenheit angehören sollten.
Der Fall selbst ist sehr banal und folgt noch dem währen der DDR-Epoche üblichen Muster, dass ein Tötungsdelikt nicht vorkommen musste. Beinahe wäre eine alte Frau mit einem Regalbrett erschlagen worden. Obwohl man nicht erfährt, was aus ihr wurde, geht man nicht von ihrem Tod aus. Weil man einfach den Berger nicht für einer tödlichen Handlung für fähig hält. Wo er doch hätte Sänger werden können.
Aber seine erste Frau, wie ist er bloß an sie oder sie an ihn gekommen? Seine Frisur sollte es nicht gewesen sein, die Eindruck gemacht hat. Vielleicht hat er sie besungen. Jung sein heißt eben auch, sich irren dürfen. Und wieso heißen in älteren Polizeirufen so viele Frauen Irmgard? Trotzdem super, dass man alle hat mitmachen lassen, nicht nur Peter Borgelt (Fuchs) und Jürgen Frohriep (Hübner), die mti dieser Produktion zusammen auf 144 Fälle Fälle kommen und damit auf genau so viele, wie es insgesamt zu jenem Zeitpunkt Polizeirufe gab. Dabei ist auch Ernst Georg Schwill, der dann im Berlin-Tatort den dritten Mann neben Stark und Ritter spielen durfte.
Finale
Ob man diesen seltsamen Film für spannend hält, hängt stark davon ab, ob man die Figuren Feist und Berger spannend findet. Die Handlung allein ist eher eine Schlaftablette und immer fällt der Streckenwärter der Bahn über irgendwelche seltsamen Gegenstände. Aber: Wie er da auf die fahrenden Züge guckt, cool. Wir fanden den Film spannend, weil wir dieser Zeit und dem Menschenbild nachspüren wollen, das in den Filmen zum Ausdruck kommt. Jetzt könnte man einwenden, jedwede politische Ausertung des Bildes wollte manvermeiden, damit dieser Film und der Polizeiruf als Reihe nicht im Strudel einer neuen Zeit und des ideologischen Wandels untergehen. Das ist, bis auf das Aussetzen im Jahr 1992, gelungen: Der Polizeiruf hat sich, befördert durch beliebte Ermittler, spätestens Ende der 1990er wieder fest etabliert und wir entdecken aktuell in im nicht für möglich Gehaltenes.
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Regie | Gerald Hujer |
| Drehbuch | Jürgen Wenzel |
| Produktion | Hans-Jörg Gläser |
| Musik | Reinhard Lakomy |
| Kamera | Kurt Bobek Matthias Tschiedel |
| Schnitt | Brigitte Hujer |
- Peter Borgelt: Kriminalhauptkommissar Peter Fuchs
- Jürgen Frohriep: Kriminaloberkommissar Jürgen Hübner
- Lutz Riemann: Kriminaloberkommissar Lutz Zimmermann
- Dagmar Jaeger: Kriminalkommissar Feldmann
- Ernst-Georg Schwill: Kriminalkommissar Hempel
- Joachim Siebenschuh: Torsten Feist
- Joachim Nimtz: Lothar Berger
- Steffie Spira: Erna Weber
- Angela Brunner: Emmi
- Edgar Külow: Streckenläufer
- Gerhard Vogt: Druckereibesitzer
- Joachim Zschocke: Werner Zimmer
- Silvia Mißbach: Heidemarie Schröder
- Ilona Knobbe: Irmgard
- Petra Blossey: Eleonora Berger
- Cathrin Hoffmann-Fehrle: Reisende
- Otmar Richter: Tankstellenwart
- Uwe Lach: Arbeitskollege
- Alfred Woronetzki: Streckenläufer
- Michael Heuser: Kriminalist
- Herbert Graedtke: Polier
- Wolfgang Mähnert: Kellner
- Eva Bergert: Frau Lohmann
- Frank Weiland: Herr Lohmann
- Olaf Hörbe: Taxifahrer
- Jost Kittel: Eisenbahner
- Rolf Dittrich: Abschnittsbevollmächtigter
- Friedemann Nawroth: Schaffner
- Claudia Schmutzler: Taxisuchende
- Harry Pusch: Reisender
- Horst Elsner: Pantomime
- Maria Rex: Kind
- Torsten Hermann: Jens Schröder
- Wolfgang Gorks: Abschnittsbevollmächtigter
- Horst Krause: Reichsbahnarbeiter
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

