18:00 Uhr – in einer halben Stunde geht es los. Kleiner Vorbericht aus bezirklicher Sicht.
Zum ersten Mal seit längerer Zeit sind wir wieder live zugeschaltet, wenn über Politik diskutiert wird. Vorausgesetzt, der Livestream funktioniert, der auf Facebook und Youtube avisiert ist. Wir hatten zunächst vor, diese Veranstaltung zu besuchen, uns aber nach der Ankündigung des Livestreams entschlossen, zu Hause direkt zu texten – und einen Sitzplatz freizumachen, vielleicht für eine ältere Person, die es nicht so mit Livestreams hat und vielleicht auch die Diskutierenden unbedingt aus der Nähe betrachten möchte.
Uns sind Inhalte meist wichtiger als Personen, das hat uns in den letzten beiden Jahren viel emotionalen Stress mit der LINKEn erspart. Ärgerlich sind wir trotzdem – weil wir auch inhaltlich nicht zufrieden sind. Wird es heute Abend etwas zum Mitnehmen geben? Etwas, das zum Weiterdenken anregt oder die richtigen Weichenstellungen aufzeigt?
Wird zum Beispiel Sarah Wagenknecht endlich wieder richtig links sein dürfen, nachdem sie bald nicht mehr in vorderster Reihe auf Wählerfang gehen muss? Wird Kevin Kühnert, eingebunden in eine Partei, die durch ihre Kandidatenaufstellung für den Vorsitz schon klargemacht hat, dass sie immer noch keinen Ruck nach vorne vollziehen will, glaubwürdig rüberkommen? Wird übers Klima diskutiert werden und werden wir sehen, wie nun die alte Vermögensteuerforderung der LINKEn zur Klimareichensteuer umgelabelt wird?
Uns ist es gleich, wie das Ding heißt, aber es muss endlich kommen und für die Finanzierung der richtigen Dinge eingesetzt werden. Für eine soziale Abfederung des ökologischen Wandels zum Beispiel und für diesen selbst.
Wir werden das Gesagte direkt kommentieren und versuchen, noch während des Gesprächs zu analysieren.
Der Austragungsort ist das Gemeindehaus Lichtenrade im Bezirk Tempelhof-Schöneberg von Berlin, also in unserem Wohnbezirk, aber im südliche, konservativen Teil. Eine gute Wahl, meinen wir, denn dieser kleinbürgerliche Süden hat uns Schönebergern einen direkt gewählten Bundestagsabgeordneten namens Dr. Jan-Marco Luczak von der CDU beschert, der ständig gegen den Mieterschutz und alles, was sozial ist, agitiert – etwas linke Grundbildung tut in Lichtenrade also not.
Hoffentlich reisen nicht wieder überwiegend Menschen aus unserer Ecke an oder sind jene anwesend, die ohnehin zum progressiveren Teil der Bezirksbevölkerung zählen. Links sein, heißt auch immer, die Dinge zum Besseren verändern wollen. Dazu muss man sich bewegen können, in Lichtenrade ist die Kleinscholle aber ein wichtiges Lebenselement und auf der sitzt man nun mal eher fest.
Stichwort Veränderung: Initiatorin der Veranstaltung ist nicht DIE LINKE im Bezirk, sondern „Aufstehen“. Verwundern mag dies jene nicht, welche den Verlauf der Dinge bei dieser leider etwas unbeweglichen Veränderungsbewegung verfolgt haben und außerdem die Ausrichtung dieses Bezirks innerhalb der Berliner DIE LINKE kennen.
Den engagierten Parteimitgliedern dort, die viel Energie in die Unterstützung von Sahra Wagenknecht gesteckt haben, ist diese zumindest eine stimmungsvolle, ein klein wenig Aufbruch vermittelnde und qualitativ hochwertige Veranstaltung schuldig. Und mit Kevin Kühnert diskutiert sie ja recht gerne, wie wir schon länger wissen. Auch er hat seine politischen und persönlichen Wurzeln übrigens in unserem Bezirk und ist immer noch Mitglied der hiesigen BVV (Bezirksverordnetenversammlung).
So gesehen, ein Heimspiel für den SPD-Hoffnungsträger, der noch nicht für den SPD-Vorsitz antritt, weil er abwarten will, bis die anderen den Karren mit der alten Tante drin vollends an die Wand gefahren haben – damit er dann seine linkeren Positionen leichter durchsetzen kann. Auf Trümmern lässt sich oft am Besten etwas Neues aufbauen. Damit sind wir mitten in der Interpretation. Wir meinen auch, er soll mal noch etwas warten.
So, es geht los – das Podium ist noch nicht besetzt, der Saal wirkt aus der Kameraperspektive jedenfalls voll. Nachdem wir wissen, dass der Livestream funktioniert, schicken wir auch die erste Version dieses Beitrags ab.
Die Moderatorin Laura Laabs kannten wir nicht, sie kommt von Aufstehen Neukölln. Aber neben Sahra Wagenknecht und Kevin Kühnert diskutieren mit: Mohsen Massarrat, ATTAC Deutschland. Es wird auch gleich erwähnt, dass Kühnert nicht für den Parteivorsitz kandidiert (Juos-Chef ist er wohl, das ist bekannt), sondern sogar aus Lichtenrade in unsere BVV gewählt wurde. Einer von denen also. Michael Prütz von Deutsche Wohnen enteignen ist dabei, den sehen wir also nun auch erstmals live. Er bekommt fast so viel Applaus wie Kühnert und Wagenknecht, obwohl wir im Saal viele ältere Menschen sehen, von denen einige ein deutliches Eigenheimbesitzer-Gepräge haben. Man versteht also, dass es nicht darum geht, ihnen ihre Häuschen wegzunehmen. Dann Raoul Didier vom DGB, den wir bereits von Veranstaltungen der LINKEn im Bezirk kennen.
Die Anmoderation ist wirklich süß, kann man schon fast sagen, weil sie so einen semiprofessionellen Touch hat: Könnten sie und Kühnert nicht das nächste Kandidaten-Spitzenduo für die SPD sein? Aber natürlich ist Wagenknecht die erste Rednerin und behauptet gleich, DIE LINKE sei daraus entstanden, dass die SPD mit Gerhard Schröder den sozialdemokratischen Weg verlassen hat. Wir dachten bisher, sie sei aus der PDS hervorgegangen, die es schon lange vor Schröders Aufstieg bzw. vor seiner Kanzlerschaft gab – aber gut. Bei den Lichtenrader*innen muss man vielleicht etwas verkürzt ansetzen.
Nun gebe es ja Mehrheiten im Land für soziale Veränderung, aber die Parteien repräsentieren nicht mehr den Willen dazu. Und wie soll die SPD mit der CDU einen echten Mietendeckel durchsetzen? Ja, das fragen wir uns auch immer wieder. Deswegen sieht ja auch die Wohnungspolitik aus wie die Echternacher Springprozession.
Aber es könnte es nach der nächsten Bundestagswahl zu Schwarz-Grün kommen, die Menschen werden also sozialpolitisch im Stich gelassen. Und dieses lächerliche Klimapaket, da kommt es schon auf den Tisch. Das hat sie natürlich mit dem von uns bereits veröffentlichen Fraktionsstatement gut auf dem Schirm: Klimaheuchelei, soziale Spaltung, Verbraucher abkassieren und gewisse Kräfte, die niemand gestärkt sehen will, werden weiter zulegen, also die AfD.
Wir nehmen Wagenknecht ab, dass sie der SPD die Daumen für eine gute Vorsitzendenwahl drückt und dass sie nicht Olaf Scholz als nächsten Vorsitzenden sehen möchte. Haben wir schon erwähnt, dass die SPD-Mitglieder gemäß einer Umfrage genau ihn favorisieren und damit nicht vom Lemming-Syndrom wegkommen? Hoffentlich erfolgt noch eine Besinnung.
Kühnert ist also ein Kind dieses Stadtteils, das haben wir gelernt und er sagt selbst, dass dies eine ziemlich schwarze Ecke von Berlin ist, in der die CDU traditionell den Wahlkreis gewinnt. Beim nächsten Mal nicht mehr, daran müssen wir alle arbeiten, oder?
Nun aber was ganz Wichtiges: 2005 und 2013 hatte es nach den Bundestagswahlen die Chance auf 2RG gegeben. Aber was Kühnert nur umschreibt, ist, dass die SPD sich lieber in einer GroKo und dann noch einer alle Zähne hat ziehen lassen. Und 2017 war bekanntlich keine theoretische „linke“ Mehrheit mehr vorhanden.
Wir möchten hier mal kurz einwerfen, dass auch Kühnert letztlich die aktuelle GroKo-Bildung unterstützt hat, trotz seiner „Tritt ein, sag nein“-Kampagne, durch die er überhaupt erst bekannt wurde.
Kühnert kritisiert das Klimapaket als kleinherzig und plötzlich entdecke die Union das Soziale, weil sie meint, man könne die Menschen nicht mehr belasten, die Partei, die den Spitzensteuersatz … ähm, wir dachten, das war die SPD, unter jenem oben erwähnten Herrn Schröder, die ihn um einen großen Schritt gesenkt hat und die so viele soziale Schandtaten im Eiltempo organisiert hat. Mal sehen, ob Wagenknecht darauf noch eingehen wird. So, jetzt aber: Gerechte Besteuerung. Stärkung des Gemeinwohls. Lebensgrundlagenerhaltung. Rechtsansprüche auf Qualifizierung, Bildung, Arbeit. Klar gibt es dafür Mehrheiten in der Gesellschaft.
Dass es sich hier nicht um eine klassischen Rollenverteilung handelt, zumindest nicht im Fall der Moderatorin, sieht man daran, dass sie nun darauf eingeht, dass Kevin Kühnert schon vor einem Jahr skeptisch gegenüber Aufstehen war und – sich ebenso bestätigt sieht wie wir, um es hier noch einmal zu schreiben, denn wir haben uns ja intensiv und mit einem eigenen Dossier damit befasst – bevor wir ins Thema #Mietenwahnsinn eingestiegen sind.
Die Moderatorin verteidigt also Aufstehen und das, was damit erreicht wurde. Wir lassen es an dieser Stelle stehen, weil wir immer die Diskrepanz zwischen Innen- und Außensicht im Blick haben: Mag sein, dass es nach innen viele neue Freundschaften und politische Verbindungen gab und geben wird, aber in der Öffentlichkeit findet Aufstehen so gut wie nicht mehr statt und hat nur stattgefunden, solange es erkennbar von Sahra Wagenknecht angetrieben wurde und der Machtkampf in der LINKEn noch offen war.
Die Moderatorin möchte wissen, wie Kühnert Aufstehen heute sieht. Sehr mutig. Aber er ist ja auch sehr diplomatisch: Mit anderen Worten, weniger diplomatisch. Da kann man auch mitmachen, wenn man nicht die politische Bildung hat, um ein eine Partei einzutreten und „all die Widersprüche“ auszuhalten, sprich, mit einer gewissen Verengung im Denken auch aktiv sein möchte. So haben wir’s bisher gar nicht betrachtet, obwohl wir wissen, dass viele bisher nicht politisch Aktive sich für Aufstehen interessiert haben. Voraussetzungsreich nennt Kühnert die Parteiarbeit, wir kennen den Begriff eher aus der Textanalayse.
Nun wieder was ganz Wichtiges: Die SPD positioniert sich zum ersten Mal seit zwei Wochen … nach lähmenden 20 Jahren für die Wiedereerhebung der Vermögensteuer. Das wird ja noch eine richtige Gerechtigkeits-Volksbewegung. Wir hatten aber bisher den Eindruck, gerade die Scholz-Fraktion in der SPD macht dabei noch nicht so mit. Sogar, zumindest, in Teilen, sollen die Hartz-IV-Regeln geändert werden.
Nun etwas Werbung für den demokratischen Kompromiss, die unterschiedlichen Persönlichkeiten, leider fragt die Moderatorin dann nochmal, ob Kühnert das politische Geschehen doch eher in den Parteien angesiedelt sieht. Klar, aus ihrer Position will sie das wissen, wir wüssten gerne mehr über die Zukunft des Landes. Für uns und vermutlich die meisten nicht darin verorteten Zuschauer ist Aufstehen nicht der Angelpunkt der Zukunft der Welt, des Klimas oder auch Berlins. Was soll Kühnert auch sonst sagen, als dass verschiedene Engagements einander nicht ausschließen?
Nun kommen wir zu einem Kern. Alle Bewegungen, auch die Mieter*innenbewegung, so Kühnert, richtigen ihre Erwartungen an die Politik. Genau da haken wir jetzt ein. Ja, leider ist das noch so. Wir meinen aber, wir müssen diese Haltung überwinden und uns langfristig ind den Stand setzen, nicht mehr so von der klassischen Parteipolitik abhängig zu sein, die im Grunde mit uns machen kann, was sie will, zwischen den Wahlen. Sie wird ja von vielen ängstlichen Menschen für eine verfehlte Politik dann nicht mal abgestraft. Es heißt im GG, die Parteien wirken an der politischen Willensbildung mit und nicht, sie kanalisieren sie ganz alleine. Das ist auch keine Anarchie, Herr Kühnert – da merkt man, dass er mit 30 schon ein richtiger Parteibonze ist. Wir müssen deshalb immer überlegen: Wie wird jemand in diesen Institutionen eingeschliffen, was sagt er und was wird am Ende davon umsetzbar sein, wenn er den Weg aller Juso-Vorsitzenden gegangen ist? Schröder. Nahles. Die haben mal genau so geredet wie Kühnert jetzt. Wenn nicht wesentlich agitativer, denn er versucht ja schon mit 30, alles parteipolitisch zu richten. Dat da auch bloß nix passiert … Kein Wunder, dass die SPD wenig Zugriff auf die Mieterbewegung hat, die einzige echte Basisbewegung derzeit in Deutschland neben FfF, das aber, anders als diejenigen, die sich gegen den Mietenwahnsinn erhoben haben, eine Leitfigur namens Greta Thunberg vorweist – also das, was Sahra Wagenknecht für Aufstehen hätte werden müssen, wenn man es richtig aufgezogen hätte.
Der Applaus für Kühnerts gegenseitige Befeuerung von Bewegungen und Parteien ist auch eher verhalten. Unsere Vermutung: Eher deshalb, weil in Lichtenrade das Bewegungswesen nicht so zuhause ist. Oder doch, weil viele Aufsteher da sind und gerne mal richtig was Eigenes machen würden?
Sahra Wagenknecht spürt auch, dass noch Erklärungsbedarf vorhanden ist und äußert sich noch einmal zu ihrer eigenen Motivation – und eines merkt man deutlich: Dass Aufstehen, das ja bekanntlich vor „FfF“ da war, nicht diesen Druck erzeugen konnte, in dem Fall einen sozialen Druck. Aber das haben wir damals schon geschrieben: Eine Leitfigur muss bereit sein, den ganzen Weg zu gehen, mit allen Risiken, um aus einer von oben initiierten Sache eine Breitenbewegung zu machen: Im Fall Wagenknecht hätte das auch möglicherweise eine Spaltung der LINKEn bedeutet.
Dass wir heute nochmal so über das reflektieren können, hatten wir nicht erwartet. Hoffentlich interessiert alle Leser*innen das so wie uns gerade, dass der Spin so deutlich in diese Richtung geht, hatten wir nicht erwartet. Wenn der Mann von ATTAC oder jener von DWenteignen mal drankommen, wird sich das sicher ändern.
Wagenknecht muss in den Konjunktiv gehen – wir bräuchten etwas FfF Adäquates fürs Soziale. Das heißt, sie glaubt nicht, dass FfF das mit nach oben ziehen kann. So sehen wir’s auch, denn FfF ist etwas von jungen, sehr mittelständischen, oft sogar gehoben mittelständischen Menschen, die noch keine materiellen Notsituationen erlebt haben und daher andere Prioritäten setzen. Wir würden es klasse finden, wenn die Mieterbewegung sich verbreitern könnte, aber angesichts, dessen, was einige zeigen, die ihr eigenes Ding durchgebracht haben und mal etwas solidarisch sein könnten – nämlich nichts mehr -, wird auch das schwierig werden. Das musste an der Stelle auch mal.
Wagenknecht erwähnt die Gelbwesten, mit denen wir uns auch gerade wieder befassen – ja, aber die sind eben von selbst aufgestanden, ohne von oben einen Anstoß gebraucht zu haben. Sowas in Deutschland ist eben schwierig, hier wird ja eher darüber diskutiert, ob es dabei auch Rechte gibt als darüber, wie massiv und brutal die Polizei in Frankreich gegen die Gelbwesten vorgeht. Das ist eine typisch deutsche Diskussion, die jede Bewegung schon klein aussehen lässt, bevor sie überhaupt angefangen hat, Wirkung zu zeigen. Das macht es dem Kapital hierzulande auch so leicht. Wie naiv Menschen sind und sich von oben manipulieren lassen. Diese Eigenschaft hätte Sahra Wagenknecht sich sogar zunutze machen können, für eine gute Sache, aber sie hat sich letztlich, auch typisch, vor den Konsequenzen gescheut.
Wie kampagnenfähig das Kapital ist, das gleitet schön rein, weil die Kampagnen natürlich auch wirken: Die anderen haben die Millionen, wir müssen Millionen sein, die dagegen auf die Straße gehen. Wir sehen, dass nicht einmal in Frankreich, wo die Lage ganz anders ist, der Neoliberalismus gestoppt werden kann, und das, wo jeder mittlerweile sehen kann, wo er hinführt. Die geballte Macht des Kapitals anzuprangern, aber sich ihr nicht mit aller Entschiedenheit entgegenzustellen, ist allerdings immer tricky, das gilt letztlich auch für Sahra Wagenknecht.
Ah, nun! Die Moderatorin nimmt selbst die Wendung: Was würde jeder von euch in seinen revolutionären Koffer packen, um es, sagen wir mal, in der übernächsten Legislaturperiode umzusetzen. Das könnte sogar noch zu unseren Lebzeiten sein, daher sind wir sehr interessiert.
Gut, die Vermögensteuer, höherer Mindestlohn, alles geschenkt, welcher halbwegs normale Menschen würde das nicht befürworten? Aber, so Wagenknecht: Wir müssen endilch die Erpressbarkeit der Politik durch die Wirtschaft überwinden. Das ist ein großer Satz. Und es geht um die Eigentumsfrage.
Natürlich nicht in Form des von der Gegenseite initiierten Popanzes „DDR, Planwirtschaft“. Aber zwischen einer vollstaatlichen Planwirtschaft und einem brutalen Kapitalismus, in dem Multimilliardäre Arbeitnehmer als Kostenfaktoren behandeln, gebe es viel.
Zum Beispiel Stiftungen, die aber nicht zum Steuern sparen gegründet werden, sondern, um kollektiv verwaltetes Kapital herauszubilden (unser Duktus). Es geht nicht gegen die Marktwirtschaft zum Besseren des Konsumenten, sondern gegen die Kapitalbildung in der Hand weniger. Großer Applaus dann dafür, dass aber auch der Markt aus der Daseinsvorsorge raus muss. So von der Seite, beim Applaudieren, würden wir doch meinen, dass viele Mieter*innen anwesend sind. Keine Bange, die Eigenheimbesitzer kommen erst zum Schluss dran, wenn alle Großimmobilienvermögen enteignet sind. Scherz, muss auch mal sein. Den manchmal wirklich idiotischen Kampagnen der Gegenseite geschuldet. Dass man mit sowas durchkommt, liegt nicht an der höheren Intelligenz, sondern eben – sic! – an der Kapitalverteilung und der Ruchlosigkeit, das System für sich maximal auszunutzen.
Kevin Kühnert fasst es dann zusammen: Gemeinwohlorientierung darf nicht zu segmentiert gedacht werden. Wir sagen: Diese Segmentierung spiegelt aber auch leider eine vom Neoliberalismus verseuchte Mentalität vieler wieder. Da von einem zum anderen und alles zusammen zu denken, ist schwierig. Solange wir das nicht mehrheitlich können, müssen uns wohl wirklich die Politiker an die Hand nehmen.
Die Rekommunalisierung zum Vielfachen des seinerzeitigen Privatisierungserlöses kommt auf diesem Wege zur Sprache – nur ist diese bei Weitem noch nicht so vorangeschritten, wie Kühnert es suggeriert, sondern bis jetzt der berüchtigte Tropfen auf dem heißen Stein. Jetzt sind aber die norwegischen Rentenfonds dran, die von den Renditen deutscher Pflegekonzerne (8, 9, 10 Prozent jährlich, sagt Kühnert) gefüttert werden. Was sollen die Norweger bloß machen, wenn ihr Öl alle ist und Kühnert & Co. hier das verstaatlichen, worin sie vertrauensvoll investiert haben? Vor dem Öl war das ein ziemlich armes Land. Und ist heute massiv darauf angewiesen, dass der Renditekapitalismus nicht zusammenbricht, weil überall in der Welt investiert wird. Das ohne Bewertung am Rande.
Nun aber ran an die Bouletten. Nach einigen Zuordnungsschwierigkeiten übernimmt Kühnert das von Wagenknecht bekannte Klatten-Quandt-Beispiel, dass diese Menschen in einer halben Stunde so viel an Dividenden bekommen, wie ein Polizeibeamter nach der Ausbildung netto im Jahr verdient. Die Leistungsgerechtigkeit ist futsch, aber die Yellow Press hat ganze Arbeit geleistet und hinterfragt dieses Brimborium nicht.
Mohssen Massarrat von ATTAC plädiert – nicht erst, seit es FfF gibt, für eine Verknappung des Angebots an fossilen Rohstoffen, um den Verbrauch zu senken und ihm wird umgehend die Systemfrage gestellt. Für jemanden von ATTAC recht erstaunlich, plädiert er m. a. W. dafür, die Leute nicht mit der Notwendigkeit einer Systemänderung zu erschrecken, sondern im Kapitalismus das zu reformiern, was eben geht. Um es mal zu drehen: Rohstoffe künstlich zu verknappen, ist aber dem aktuellen System leider fremd.
Er führt dann auch Wagenknechts „Reichtum ohne Gier“ an, nach dem eine Überführung von Produktionsmitteln in Gemeineigentum ohne Veränderung der Machtverhältnisse möglich sein soll. Wir müssen das nochmal lesen, weil wir daran nicht glauben. Eine gemeinwohlorientierte Produktionsweise verändert die Machtverhältnisse per se sehr stark und so dumm sind die aktuell Mächtigen nicht, dass sie das nicht erkennen und nicht mit aller Kraft zu verhindern suchen. Demokratie sei erst (wieder) wirklich möglich, wenn Produktivvermögen in Mitarbeiter*innenhand übergeht. Das ist aber in etwa der größte Systemwechsel, den man sich vorstellen kann, denn er geht weiter als z. B. die Rekommunalisierung, die bis auf einige Sondermodelle darauf hinausläuft, dass nicht der Staat anstatt privater Eigentümer zum privatrechtlichen Eigentümer wird. Jedoch das so verstandene kollektive Eigentum derer, die dann zu Produzenten und Konsumenten würden, zu fördern, soll m. o. w. der Inhalt des Koffers sein, den Mossarrat den Politpromis mitgeben möchte. Da sind wir prinzipiell sehr mit einverstanden, aber es ist ein Systemwechsel, daran führt nichts vorbei.
Nun rummst Frau Laabs rein und sagt, DIE LINKE als Partei wirke ja auch etwas angestaubt. Immer im Kopf behalten. Sie ist bei Aufstehen. Aber sie hat trotzdem Recht. DIE LINKE ist in den Jahren seit der erfolgreichen Berlinwahl, also seit drei Jahren, von ihrem gesamten Auftritt um mindestens fünfzehn Jahre gealtert. Das kommt daher, dass dort nun zu viele das Sagen haben, die wirken, als seien sie nie richtig jung gewesen und immer schon eher kalte Machtfische als leidenschaftliche Idealist*innen. Die beste Verkäuferin linker Politik in Deutschland sitzt gerade im Raum und verabschiedet sich sang- und klanglos aus der Führungsriege jener Partei. Wir suchen schon seit Jahren nach jungen Talenten, aber wir sehen nichts – die ganz Jungen, also jene unter 30, nehmen wir mal aus, das wäre unfair, sie dafür zu bashen, dass sie noch nicht die Wirkung haben wie so ein Naturtalent à la Kevin Kühnert. Warum hat aber DIE LINKE so jemanden nicht?, das könnte man genauso fragen. Zieht DIE LINKE die falschen Persönlichkeiten an? Oder: Wie kann man die Linke (als gesellschaftliche Strömung) ähnlich sexy machen wie FfF?
Nachdem wir nun geklärt haben, dass man nicht nur in FfF, sondern auch in den Parteien mit unter 45 nicht für voll genommen wird, womit Kühnert wohl eher kokett spielt, angesichts der Aufregung, die manche seiner Aussagen vielleicht auf übertriebene Weise erhalten, kommt Sahra Wagenknecht auf den Kern linker Politik, die den Benachteiligten gelten muss und soziale Gerechtigkeit herstellen soll. Wir werfen ein: Klar, dass das für Wohlstandskinder, die für FfF auf die Straße gehen, nicht so sexy ist. Vielleicht nie sein wird, wenn die Familien genug Substanz haben, auch die nächsten zwei, drei Wirtschaftskrisen zu überstehen, ohne dass es zu spürbaren Wohlstandsverlusten kommt.
Jetzt waren wir etwas voraus: Wagenknecht nimmt unsere Lieblingswendung. Natürlich ist FfF nicht sozialmilieuneutral. Wer da unterwegs ist, das ist uns von Beginn an aufgefallen. Genau diejenigen mit dem Gepräge, das wir aus unserer eigenen Schulzeit kennen, damals in der Friedensbewegung, in der Anti-AKW-Bewegung. Bzw. deren Kinder. Die Wagenknecht als sprechfähig, interessenvertretungsfähig, wir sagen, als privilegiert bezeichnen. Alles das macht einen Unterschied, den wir auch sehen – und die Ärmeren, die zurückbleiben, sind kurioserweise diejenigen, die sich für solche Themen vielleicht nicht so interessieren, aber auch nicht so große ökologische Fußabdrücke hinterlassen: Nix von Mama mit SUV in die Schule gebracht werden oder mehrere Fernreisen pro Jahr. Vielleicht etwas überspitzt, aber diese Ambivalenz ist nicht von der Hand zu weisen.
Aber was ist damit, denen, die sich dort vielleicht gar nicht hintrauen, ein Gesicht zu geben und sie öffentlich zu machen? Die soziale Frage wird von vielen Medien und auch von vielen politischen Seiten als altbacken hingestellt, da liegt Wagenknecht sehr richtig, woran u. a. die SPD schuld ist, mit ihrer Kampagne, Neoliberalismus mit Modernität gleichzusetzen, die sie in den 2000ern gefahren hat. Es sei Irrsinn, normalen Leuten in Deutschland die Heizung zu verteuern, während ein Freihandelsabkommen nach dem anderen abgeschlossen wird, das nicht nur zu noch mehr globaler Verteilungsungerechtigkeit führt, sondern natürlich auch den Ressourcenverbrauch immer weiter antreibt.
Dummerweise ist Deutschland ganz besonders stark auf diesen Freihandel angewiesen, wie wir wissen, und muss angesichts neuer protektionistischer Tendenzen bei alten Freunden wie verrückt ackern, um neue Absatzmärkte zu finden. So ist das, wenn man sich komplett einseitig ausrichtet und die Drehung vom Freihandels-Neoliberalismus in den spätkapitalistischen Protektionismus verpasst. Da kann man nicht glaubwürdig Klimapolitik verkaufen, die auch noch sozial gerecht wirkt.
Solange sich an diesen Parametern nichts ändert, ist Klimaschutz eine lächerliche Show – allein die weltweiten Warenströme verursachen bereits 25 Prozent des CO²-Ausstoßes.
Die linken Antworten dazu liegen klar auf der Hand. Zudem: Überwachung durch Datenkraken mit dem Zweck kapitalistischer Verwertung – und was darüber hinausgeht, fügen wir bei – und die Auswirkungen der KI auf unsere Autonomie, das alles sind super tolle Themen für die Linken. Sie müssten sie nur mal besetzen, oder? Solange bedenkenlosen Techies hierbei die Meinungshoheit überlassen wird, verflutscht eine Möglichkeit, noch kollektiv auf irgendetwas zu antworten, nach der anderen und am Ende sitzen alle allein in ihren Micro-Workspaces und an die Tür klopft der Roboter. So wird’s kommen, wenn linke Politik nicht endlich wieder zurück in die Herzen findet.
Der Grunddissens aber ist die ökonomische Ungleichstellung, die man nicht durch formale Gleichstellung aller Gruppen marginalisieren kann, denn marginalisiert sind immer diejenigen, die nicht über die größeren Mittel verfügen, egal, welcher Gruppe sie sonst angehören.
Bei der Saalrunde bekommen die Diskutanten nun vorgeworfen, dass der Aspekt Krieg und Militär beim Klima ganz außen vor gelassen wurde. Das ist natürlich besonders für Wagenknecht bitter, die normalerweise nie vergisst, die Kriegstreiberei in den größeren Zusammenhang zu stellen, sogar unabhängig von der ökologischen Komponente, die in der Tat nicht von Pappe ist. Da hat man mal was auslassen müssen, aus Zeitgründe, schon ist jemand da, der genau darauf zufliegt wie ein Falke, der den letzen freilaufenden Themenhasen auf dem Feld entdeckt hat. Wir können uns lebhaft vorstellen, woran Aufstehen wirklich krankt und was eine Parteiorganisation einer basisdemokratischen Diskussionsplattform, die Aufstehen ja mehr is als eine Bewegung, letztlich doch voraus hat. Weitere Saalfragen lassen wir hier von der Darstellung her aus, kommen aber auf das wichtige Vertrauen in die Politik(er*innen) zu sprechen.
Es ist fair, wenn Sahra Wagenknecht ihrer eigenen Partei eine große Mitschuld an den AfD-Wahlergebnissen in Ostdeutschland gibt, da ist auch was dran, aber es ist nur eine von vielen Ursachen. Wir halten es mittlerweile für falsch, bei allem Nachdenken über die Herkunft bestimmter charakterlicher Eigenschaften, bei der Rückführung bis in den NS-Staat, bis in die Kaiserzeit, zurück quer durch die autoritären Strukturen in der DDR hindurch und das Wendetrauma, die Menschen vollkommen von der Veranwortung für ihr politisches Handeln zu entbinden. Es gibt immer solche und solche und wir wissen, dass auch im Westen in sozial problematischen Gebieten weit mehr rechts gewählt wird als im Durchschnitt, aber auch dort gilt: Das Falsche zu tun ist keine Alternative zu mehr Engagement fürs Richtige. Wagenknecht macht das Gleiche wie fast alle anderen, egal, wer nun welches Ding in den Vordergrund stellt: Sie argumentiert monokausal. Und weil sie das tut, ist es für uns auch keine Frage, dass ihr absehbarer Abgang DIE LINKE bei den gerade gelaufenen Wahlen im Osten viele Stimmen gekostet hat. Nur, was sind Stimmen wert, die allein dadurch zustandekommen, dass man nicht die eigenen Anteile an allem sehen muss, was geschieht? Das wird auch für uns selbst noch ein anhaltender, schwieriger Prozess, zum Glück müssen wir nicht politisch verkürzen und können uns das immer Weiterdenken erlauben. Und wir übertragen diese Verkürzung nun auch nicht auf alle anderen Themenfelder des heutigen Abends, denn die Verkürzung ist zwangsläufig – einerseits. Andererseits kann man Dinge auch kurz und richtig darstellen. Quer dazu verläuft die Linie, dass Linke immer die Umstände betrachten, während Liberale immer sagen, alles, was uns geschieht, haben wir selbst so gemacht. Was aber gerade im wirtschaftlichen Bereich kompletter Unsinn ist.
Leider sagt Wagenknecht noch etwas, was wir schon länger schreiben. Hätte die AfD Populismuskönige à la Salvini anstatt ihrer aktuellen, traurigen Führungsgestalten, sähen die Wahlergebnisse nochmal anders aus. Da hat sie leider absolut Recht. Das befürchten wir seit Längerem, dass mal einer kommt, der ein anderes Format hat. Zum Glück neigt die AfD auch dazu, Typen mit Potenzial schnell abzusägen, wie sich z. B. an Frauke Petry belegen lässt. Vielleicht richtet es die Grundniedrigkeit so lange, bis die anderen Parteien sich haben etwas Besseres einfallen lassen als bisher. Zum Beispiel könnte man nach Berlin schauen, wo die AfD derzeit vier Prozent weniger bekäme als bei der letzen Wahl, weil 2RG sich handfeste Scharmützel mit dem Kapital erlaubt. Gibt es sie doch, die soziale Komponente? Sicher, aber eben nicht als alleinige Ursache für alles, was politisch falsch läuft.
Dass Wagenknecht vom Thema Krieg und Frieden getriggert wurde, merkt man aber auch noch, denn sie greift es auch noch einmal auf. Die Friedensbewegung! Deutschland hat nicht mal die Kraft für eine zentrale Bewegung, die eine Mehrheit vereint, und dann das noch. Die sind fast alle schon ganz schön alt, die Friedensbewegten, die wir kennen.
Nun muss Sahra Wagenknecht die Runde verlassen, Termindruck. Auch nach dem Burnout.
Aber was nun mit 2RG, fragt die Moderatorin – auf Bundesebene? Die Grünen, sagt Kühnert, sind die FDP von heute … sofort Applaus … aber er meint es erst einmal nicht inhaltlich, sondern strategisch, weil sie mittlerweile die Position der Königsmacherpartei haben.
Ansonsten seien die Grünen a.) zu fragen, mit wem sie glauben, ihre Klimapolitik besser durchsetzen zu können, mit der CDU – im Zweifel auch mit der FDP, oh Schreck, oder mit der SPD und der LINKEn und die beiden anderen Parteien müssten sie dann auch auf eine gute Sozialpolitik verpflichten. Man traue den Grünen zwar diesbezüglich nicht, aber man sei ja zu dritt und dann würde das schon klappen.
So, wie in Berlin. Wo 2RG zwar nicht perfekt sei, aber auch mit den Grünen der Mietendeckel als das radikalste Instrument seiner Art in Deutschland beschlossen worden sei und kommen werde. Nun ja. Gut, wenn man sich auf manchen Gebieten ein wenig auskennt. Die SPD hat den Mietendeckel zwar erfunden, aber der Regierende Bürgermeister von der SPD ist derjenige, der immer wieder daran knabbern will, nicht die Grünen. Ob das letztlich taktisch klüger ist, weil der Deckel damit zunehmend gerichtsfest wird, ist derzeit allerdings schwer einzuschätzen, da ist auch noch einiges im Fluss.
In Abwesenheit von Sahra Wagenknecht widerspricht ihr Kevin Kühnert bezüglich der Ost-Wahlergebnisse genau in der Weise, wie wir es vorhin angerissen haben. Menschen ernst nehmen, sagt er, heißt auch, erwachsenen Menschen zuzutrauen, dass sie nach fünf, sechs Jahren AfD gemerkt haben, dass diese nicht das richtige Sammelbecken für ihre Wut ist. Ja, das ist eben der andere Aspekt und damit haben wir dann doch noch beide Hauptlinien in dieser Sache gehört. Dann überrascht er uns damit, dass er in die echten Rechten und die anderen teilt, die nicht in erster Linie rassistische Argumente vorbringen. So do we. Wir sagen auch, es gibt diesen Prozentsatz und es gibt Rückkehrbereite.
Nachdem nun der Gewerkschaftsfunktionär Raoul Didier und Michael Prütz von Deutsche Wohnen enteignen aufs Podium gekommen sind, wird erst einmal klargestellt, was wir vorhin etwas weggelassen haben, als Kühnert es erwähnte: Dass größere Betriebe in der Regel bessere Arbeitsbedingungen bieten als kleine, auch wegen der dortigen Gewerkschaftsorganisationen. Wir neigen dazu, das zu bestätigen. Wie in kleinen Klitschen mit unorganisierten Mitarbeiter*innen umgegangen wird, ist oftmals unter der Würde und der idyllische Familienbetrieb eher ein Märchen. Persönlich haben wir die besten Erfahrungen im Umgang mit den Angestellten in zwei Firmen gemacht, die jeweils mehr als 5.000 Mitarbeiter hatten. Die besten allerdings weit weg von Berlin. Aber der Organisationsgrad der Arbeitnehmer*innen sinkt eben immer weiter, darauf wird man sicher noch kommen.
Den Arbeitsteil lassen wir hier aus, weil er zu speziell ist und wir mit den Kämpfen der Gewerkschaften gegen die „zunehmende Übergriffigkeit der Unternehmen, die am liebsten gleich Hand ans Arbeitszeitgesetz legen würden“ nicht so zugange sind, dass wir darauf in nächster Zeit ein wesentliches Modul weiterführender Überlegungen aufbauen können. Wenn wir mal eine versierte Person aus diesem Bereich kenennlernen, werden wir deren Sachkompetenz gerne aufnehmen und in unsere Artikel einfließen lassen. Worüber wir hin und wieder schreiben, sind die generellen Veränderungen in der Arbeitswelt und dass, wie überall, mehr Solidarität notwendig ist, damit Menschen nicht schutzlos Kapitalinteressen ausgeliefert sind. Das wird vor allem in dem Moment relevant, in dem man realisiert, dass man jahrelang auf Verschleiß gearbeitet hat und das auch noch cool fand, abgeschieden, wie man durch entsprechende Indoktrinierung war.
Nun aber Michael Prütz von Deutsche Wohnen enteignen. Diesen Teil werden wir wohl noch einmal ausgliedern, denn es geht ganz konkret darum, wo gerade das Volksbegehren steht. Die erst Stufe ist gelaufen, das wissen wir. Prütz adressiert es auch gleich richtig: Der Sozialdemokrat Andreas Geisel, Innensenator, muss nun die zweite Stufe freigeben. Wir müssen nun wieder, wie seinerzeit in der Trettachzeile, direkt zitieren, denn Prütz ist ein rhetorisches Naturtalent, das leider wohl zu lange inaktiv war, sonst wären schon alle bösen Vermieter längst enteignet:
„Ich habe ja nun den ganzen Abend hier gelauscht. Wie immer: tolle Analysen, alles wunderbar – was folgt eigentlich daraus? Das Problem ist doch, dass die politische Linke in Deutschland ein Trümmerhaufen ist. SPD und Linkspartei sind doch keine kämpferischen politischen Parteien, das sind Selbsterfahrungsgruppen, bessere Selbsterfahrungsgruppen, das ist doch der Punkt!“
Wir weisen an der Stelle darauf hin, dass DIE LINKE in Berlin „DWenteignen“ immerhin adaptiert, wenn schon nicht adoptiert hat – allerdings nach langem Zögern und Gründung eben nicht aus der Partei heraus, sondern von einem Dissidenten der damaligen PDS namens Rouzbeh Taheri. „Gemacht“ hat es DIE LINKE nicht, auch wenn wir schon mitbekommen haben, dass einige in ihr so tun, als ob.
Die Initiative, so Prütz, sei aus einem ganz einfachen Grund erfolgreich: Man wolle gewinnen und man könne gewinnen. Bisher haben wir von Prütz noch keine Aussagen gehört, die über „DWenteignen“ hinausgehen, aber hier werden wir fündig: Die Linkspartei macht jeden Tag ein neues Thema auf, aber ist z. B. in Sachsen oder Brandenburg für niemanden mit irgendetwas zu identifizieren. Ganz unsere Schreibe, was Aufstehen angeht. Hat aber auch niemanden interessiert, dass wir ihnen geraten haben, sich auf den damals gerade hochkochenden Mietenwahnsinn zu stürzen. Damals kannten wir die Initiative „DWenteignen“ noch nicht. Prütz war mal Mitglied der PDS, das erfahren wir ebenfalls.
Wie war das? (Mehrheitsfähiges) Thema suchen, benennen, polarisieren, organisieren? Mehrheiten gewinnen! Wir haben einen oder zwei Begriffe nicht drinne, und gleich krieg Kevin Kühnert sein Fett weg, der sei zwar ein super Typ, aber von den Jusos (deren Bundesvorsitzender er ist, siehe oben), die sich hinter DWenteignen gestellt haben, habe sich bisher noch kein einziger bei der Initiative blicken lassen.
Beinahe tun uns die anderen schon leid. Aber eines möchten wir anmerken: Der gruselige Verlauf des Mietenwahnsinns kommt DWenteignen natürlich auch entgegen. Die Politik hat sich bisher fast nur Blößen gegeben, daran kann man aber auch sehen, wie leicht es mit einer gewissen Originalität und populistischem Talent ist, in solche Lücken zu stoßen. Wir sind dann jedes Mal froh, wenn es jemand für eine linke Sache tut, wenn sich dort ein Talent zeigt, und nicht bei den Rechten.
„Jetzt kommt ja nun der Mietendeckel. Das wird für uns alle eine Erleichterung. Aber was passiert? Der rechte Flügel der SPD und der rechte Flügel der Grünen versucht, ihn zu zerschießen. Und jeden Tag stehen die Lobbys bei (Bürgermeister) Müller und dem müssen wir was entegegensetzen, daher die große Demo am 3. Oktober (dem Tag der Deutschen Einheit) – und wir werden in der Enteignungsfrage keine Kompromisse machen.“
Begeisterung im Saal, ausgelöst mit recht wenigen Worten. Kevin Kühnert bekennt sich zwar zu Art. 15 GG, aber nicht eindeutig zum konkreten Vorhaben von „DWenteignen“. Trotz seiner Einlassungen, die bezüglich der Autoindustrie vor einiger Zeit für viel Aufregung gesorgt haben. Eine weitere Baustelle kann er da wohl nicht brauchen. Auch Juso-Vorsitzende müssen an die Zukunft denken und wissen, wo man stoppen muss – vor allem, wenn es um Eingriffe in die Regierungsarbeit in Berlin geht.
Er weist unter anderem darauf hin, dass seinerzeit die rot-rote Regierung mit einem entsprechenden Gesetz erst die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass eine Initiative wie DWenteignen ins Laufen gebracht werden kann. Die SPD hat anhand des Volksentscheids 100 Prozent Tempelhofer Feld auch schon erfahren dürfen, wie es sich anfühlt, wenn es anders läuft als geplant.
Wir müssen wieder ein bisschen kürzen, aber die Fage von Laura Laabs, ob DWenteignen sich als Einzelthemeninitiative nicht zu eng aufstellt bzw. ob es ein größeres Konzept dahinter gibt, interessiert uns schon deshalb sehr, weil wir wissen wollen, welche Erzählung die Hauptakteure selbst haben. Ob wir uns nicht in Einzelthemen verlieren, fragt die Moderatori, die bis jetzt eine Utopie vermisst.
So hätten wir wohl auch geantwortet: Es handele sich nicht um ein Einzelthema, sagt Michael Prütz. Die Eigentunsfrage beziehe sich auch auf andere Bereiche, aber man müsse ja mit einer Frage anfangen, selbstverständlich gehe es in der Folge auch um Verkehr usw. Er würde sich wünschen, die deutsche Linke sei so mutig wie die Labour Party in Großbritannien, die für den Fall ihres Wahlsieges eine großangelegte Verstaatlichungswelle beschlossen hat.
Unsere verschwörungstheoretischen Freunde würden jetzt sagen: Deswegen wird Corbyn auch nie an die Macht kommen, und wenn sie ihm sonstwas anhängen müssen. Aber als Aktivist so denkt, hat schon verloren, bevor er angefangen hat. Die Gegenseite sieht nach unserer Ansicht diesen Spin auch und reagiert deshalb so hysterisch. Natürlich ist ein solcher Zug, wenn er erstmal erfolgreich auf die Schiene gebracht ist und Fahrt aufgenommen hat, schwer zu stoppen, denn was spricht dagegen, für jedes weitere Modul der Daseinsvorsorge genau den Weg zu gehen wie bei „DWenteignen“?
Und ja, es gebe ja Gute in der SPD, in der Linken, mit denen und auf deren Versammlungen rede man ja auch viel, aber deren hasenfüßige Art, Politik zu machen, sei eben für viele Menschen nicht attraktiv. Wir können uns noch erinnern: Der letzte, der keine hasenfüßige Politik gemacht hat, war Gerhard Schröder, aber was herauskam, war für die Mehrheit ein Alptraum. Der Stil entscheidet also nicht alles und die aktuelle Generation der maßgeblichen Politiker, die ja meist etwas jünger sind als Prütz, wirkt eben recht anämisch. Wenn sich dieser Eindruck noch mit nachweisbarem Zögern verbindet, wenden sich in der Tat viele Wähler*innen ab. Es ist auch weitaus amüsanter, Prütz zuzuhören, als zu sehen, wie langweilige, schreckliche Politik gemacht wird – nach seinem Verständnis.
Laura Laabs fragt, wie viele Lichtenraderinnen es wohl bräuchte, damit „DWenteignen“ weiterhin Erfolg hat. Von ca. 25.000 Berliner*innen, die sich als links sehen, antwortet Prütz, seien vielleicht 150 in seiner Initiative tätig: „Ich frage mich, was die anderen alle machen? Was machen die den ganzen Tag? Es ist doch klar, dass wir hier vor einer strategischen Frage sitzen und einen großen Teil des Kapitals herausfordern!“
Da hat er sehr Recht. Das haben wir sofort gesehen, nachdem wir begannen, uns mit der Idee zu befassen – und natürlich setzen wir darauf auch Hoffnungen und freuen uns, dass die Initiative dieses Größere auch im Blick hat und vermutlich, egal, wie das Volksbegehren ausgeht, weitermachen wird. Wenn jemand in der Lage ist, Menschen von der Idee zu begeistern, dann sicher Michael Prütz mit seiner hochauthentischen Ausstrahlung. Da wir aber wissen wollen, wie das Land zu verändern sei, warten wir nun noch darauf, dass er uns das Vergesellschaftungsmodell erklärt, das die Eignerschaft von über 230.000 Wohnungen durch private Konzerne ersetzen soll.
Warum engagieren sich aber so wenige Menschen, die im Arbeitsleben stehen? Raoul Didier weist darauf hin, dass viele, auch Gewerkschaftler, schon vor Ort und in ihrem engeren Bereich so eingebunden sind, alle Hände und den Kopf voll haben, dass sie z. B. für wichtige übergeordnete Arbeit keine Kapazität mehr haben. Für uns ist das neben der Problematik der mentalen Vereinzelung ein weiterer wichtiger Aspekt – und umso wichtiger, dass wir uns nicht in Nebenwidersprüchen verlieren. Zu denen die Wohnungfrage als „die Brotfrage unserer Zeit“ eindeutig nicht gehört.
Wir lagen schon richtig, als wir beim Einstieg ins Thema erkannten, dass dies der Hebel für weitergehende Veränderungen sein dürfte, und kein anderes Thema sonst dafür so geeignet ist: Die Radikalität, mit der sich die Preisverhältnisse auf dem Wohnungsmarkt ändern, die übergroße Dynamik, ist dabei eine wesentliche Triebfeder.
Die Fragerunde lassen wir mal wieder aus, damit wir wieder darauf eingehen können, was Raoul Diedier schon angesprochen hat und worauf Michael Prütz richtigerweise eingeht: Die Neoliberalen, auch die Grünen darunter und natürlich auch Gesellschaftslinke, die in Wirklichkeit auf Abgrenzung zielen, ziehen einen ganzen Wust von Nebenwidersprüchen ins helle Licht, damit wir uns auseinanderdividieren lassen, anstatt gemeinsam dem Kapital die Stirn zu bieten. Da merkt man bei Prütz doch die alte PDS-Schulung, das kommt nicht wie angelernt daher.
Mohssen Massarrat beschreibt noch einmal eine Möglichkeit für Aufstehen, doch ins Spiel der Bewegungskräfte einzugreifen: Als Vermittler zwischen Gruppen, die einander im Moment nicht viel zu sagen haben – ein Beispiel war, dass FfF von der Friedensbewegung nichts wissen will. Die einen haben noch keine Ahnung von den Zusammenhängen, die anderen sind auch uns manchmal zu russlandhörig. Wir haben immer das Gefühl, dort könnte passieren, was will, die jeweilige Regierung würde bedingungslos unterstützt. Es ist generell nicht unsere Herangehensweise an Politik, geostrategische Fragen über alles zu stellen, denn damit wären wir letztlich allen Imperien dienlich und der Solidarität aller Menschen miteinander nicht.
Dann zieht Massarrat als bisher einziger ein ehrliches Fazit über Aufstehen – Kühnert hat es im Grunde auch getan, aus Rücksicht auf Wagenknecht aber nicht so deutlich: Der Einbruch ist zu verzeichnen – aber was könnte Aufstehen tun, um aus der Sackgasse zu kommen? Nach unserem Verständnis von gruppendynamischen Prozessen und unseren Erfahrungen wird das generell super schwierig werden, denn wenn es, wie Massarrat sagt, bereits an einer kritischen Selbstreflektion fehlt, dann findet genau das statt, was derzeit auch DIE LINKE lähmt, und das heißt, für manche Aktiven, die auf beiden Hochzeiten tanzen, auf denen das Licht gerade nicht heller wird, doppelt sich der negative Effekt auch noch auf. Und in Berlin war Aufstehen in erster Linie von erfahrenen Linken organisiert worden, nicht von begnadeten Politikneulingen.
Wir sind damit durch, aber das gesamte Video kann man sich natürlich auch im Netz anschauen. Die letzte Viertelstunde haben wir im Wesentlichen rausgelassen und natürlich war dies auch eine Solidaritätsveranstaltung für „Aufstehen“ und wichtige Werbung für „DWenteignen“. Ob die SPD und die Gewerkschaften davon profitieren werden, da sind wir uns nicht so sicher, aber Kevin Kühnert hat ein schönes, aktivistisches Schlusswort gehalten. Da wollen wir mal hoffen, dass die Erfreuten von heute nicht die Enttäuschten von morgen sein werden, zumal viele im Saal waren, die übermorgen nicht politisch nochmal ganz von vorne anfangen werden.
Diese Fassung des Beitrags ist noch nicht gegliedert und redigiert, aber Letzteres gilt ja für viele unserer Artikel, bei denen Aktualität vor – nein, nicht vor Qualität, aber vor Perfektion geht. Auch für uns war es interessant, wieder einmal Input zu bestimmten Themen zu bekommen und vor allem einen weiteren Einblick in das Innenleben von „DWenteignen“, denn wir ergänzen unsere Arbeit ja schrittweise um mehr direkte Eindrücke von „vor Ort“ – wobei dieser lange Beitrag einen Zwischenschritt darstellt. Die Saalatmosphäre ist immer noch einmal besonders, aber fürs Aufnehmen der Inhalte ist die Variante, von zuhause aus mitzudenken, die bessere – zumindest, wenn wir nicht selbst mit Menschen sprechen und durch unsere Fragen weitere Informationen bekommen. Der Input von heute Abend war aber auch so ausreichend.
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

