„Eingekurzt“ soll angeblich der Trendbegriff der gestrigen Nationalratswahlen in Österreich sein, die dem ehemaligen und bald wieder Kanzler Kurz von der ÖVP ein glänzendes Ergebnis beschert haben. Auch gut „Ich war mal Kurz weg“.
Das vorläufige amtliche Endergebnis (ohne Briefwähler) sieht so aus:
| ÖVP | 38.4 Prozent | + 6.9 Prozent |
| SPÖ | 21.5 Prozent | – 5.3 Prozent |
| FPÖ | 17.3 Prozent | – 8.7 Prozent |
| NEOS | 7.4 Prozent | + 2.1 Prozent |
| JETZT (Peter Pilz) | 1.9 Prozent | – 2.5 Prozent |
| Grüne | 12.4 Prozent | + 8.6 Prozent |
Solche Ergebnisse wie die ÖVP hätte die CDU bei uns gerne mal wieder, sie sind aber nicht abzusehen. Die 17,3 Prozent für die Freiheitlichen bei der Wahl 2019, die mit Strache ins Straucheln gerieten, können wir uns für die AfD auch vorstellen, je nachdem, wie die Dinge in Deutschland in den nächsten Jahren laufen. Umfragen sahen sie im Bund schon bei bis zu 16 Prozent.
Uns interessiert immer am meisten, wie „links“ abgeschnitten hat. Die SPÖ hat verloren, obwohl sie, zumindest in der Außensicht, gar nicht so viele Fails zu verzeichnen hatte, die Grünen hingegen haben, dem allgemeinen Trend im Zeichen der Klimakrise folgend, stark hinzugewonnen. Neben der ÖVP hat auch die NEOS in Relation zu ihrem vorherigen Ergebnis gut abgeschnitten. Die Parteifarbe ist zwar Pink, aber das ist eben etwas deutlich anderes als Tiefrot. Wenn man die NEOS als liberale Mitte-Partei mit wirtschaflich neoliberaler Ausrichtung hinzurechnet, hat das Mitte-Rechts-Spektrum in Österreich selbst unter der Ägide des FPÖ-Strache-Skandals nicht verloren.
Die Grünen können das schwache Abschneiden der SPÖ zwar leicht überkompensieren, aber das rechts-konservativ-mittige Lage sieht weiterhin aus, als könnte es die Politik dominieren. Wenn man die NEOS ihm zuschlägt, hat es nicht einmal ein Prozent gegenüber den Nationalratswahlen 2017 verloren.
Wie das grundsätzliche Weiter so genau ausschaut, nachdem klar ist, dass Sebastian Kurz erneut Kanzler werden wird, hängt davon ab, mit wem er koaliert. Die ÖVP-Wähler tendieren eher nach rechts als zu Schwarz-Grün.
Wer auf einer recht ansehnlichen Datenbasis mehr ins Detail gehen möchte, für den haben wir hier eine schöne Darstellung. Österreicher*innen können dabei auch das Ergebnis in ihrer Gemeinde anschauen.
Viele Pressetimmen, vor allem deutsche, hat DIE WELT hier zusammengefasst. Ein wenig schmunzeln mussten wir über das Fazit der ZEIT, das in der Tat typisch deutsch ist. Wir meinen: Auch wenn Kurz mit den nächsten Koalitionspartnern wieder Probleme bekommt – für die Wähler*innen wird es darauf ankommen, ob ihnen seine Politik inzwischen überwiegend gefallen hat.
Wenn das so ist, und dass es bisher so war, deuten wir aus dem Ergebnis von gestern, wird er auch eine dritte oder vierte Chance erhalten, solange ein möglicher erneuter Fail nicht an seiner Person festzumachen ist.
Wir sind ebenfalls gespannt darauf, ob es zu Schwarz-Grün bzw. Schwarz-Grün-Pink kommen wird oder zu einer Neuauflage des Mitte-Rechts-Bündnisses. Was vor allem die SPÖ nicht tun sollte: Eine Erneuerung alter Bündnisstrukturen anstreben, auch wenn die Oppostionsrolle ihr ebenfalls bisher kein Glück gebracht hat.
TH
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