Einmal täglich – Tatort 457 #Crimetime 1072 #Tatort #Münnchen #Batic #Leitmayr #Menzinger #BR #täglich #DailySoap #einmal

Crimetime 1072 – Titelfoto © BR 

Seife für die Massen

Einmal täglich ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort. Der vom Bayerischen Rundfunk produzierte Beitrag wurde am 29. Oktober 2000 im Ersten Programm der ARD erstgesendet. Das Münchner Ermittlerduo Batic und Leitmayr ermittelt seinen 27. Fall. Es geht um den Mord am Star einer Fernsehserie.

„Zwischen zwei Filmen wie ‚Kleine Diebe‘ und ‚Ein mörderisches Märchen‘ darf auch mal so etwas sein, schrieb sinngemäß ein Nutzer des Tatort-Fundus, womit der Tenor vorgegeben ist: Es ist was anderes. Die parodistischen Ansätze, die im 457. Tatort ausgereizt werden, haben die Münchener auch immer wieder gepflegt, wenn auch in den letzten Jahren weniger, gemäß der Stimmung der Zeit, in der nur noch Düsteres und auch mal leicht übertrieben Pathetisches und übertrieben Klamaukiges funktioniert. Dazwischen ist nicht mehr viel Platz, auch nicht für Filme wie diesen, in dem man sich über das Genre der Daily Soaps anhand des Mottos delektiert „Wie vor der Kamera, so dahinter“. Hat das gut funktioniert? Wir klären es in der -> Rezension.

Handlung (1)

Er bringt es einfach nicht fertig, seiner Geliebten Clarissa die lebensunterstützenden Maßnahmen abzuschalten: „Es tut mir leid. Bis morgen.“ Kurze Zeit später tritt ein junges Paar in den Raum, und sie überredet ihn, für eine „Belohnung“ die Geräte abzuschalten. Er stolpert aber ungeschickt über die verlegten Kabel. Cut! – und das zum wiederholten Male. Beim Verlassen des Sets wird der edle Retter und Star der Seifenoper Total das Leben, Peter Burkhardt, von einer kreischenden Fan-Gemeinde aus Sindelfingen erwartet. Besonderen Eindruck hinterlässt ein junges Mädel mit dem Poesiealbum-Eintrag „Ich freue mich auf nachher“. Der tappige Darsteller Tobias Helberg hingegen verlässt enttäuscht den Drehort und findet in seinem Auto einen Erpresser-Brief über 10.000 Mark. Produzent Scheffler und Pressesprecherin Sassner sind entsetzt ob der sinkenden Einschaltquoten. Das hält Carlo Menzinger nicht davon ab, auch im Büro seiner aktuellen Leidenschaft für Total das Leben nachzugehen, da sein Rechner über einen FireWire-Anschluss verfügt. Das junge Mädchen mit dem Poesie-Album taucht am Abend vor dem Fenster von Peter Burkhardt auf und beobachtet ihn beim Duschen. Kurze Zeit später wird er tot von einem Nachtwächter in Halle 6, dem Soap-Drehort, aufgefunden.

Der Produzent Scheffler und seine Crew sind betroffen vom Tod ihres Stars und ratlos, wie es weitergehen soll. Als die beiden Kommissare nochmals gemeinsam mit der Requisiteurin möglichen Unregelmäßigkeiten am Tatort nachgehen, macht eine schmächtige Person mit Hoodie und Rucksack auf sich aufmerksam. Es handelt sich um das Mädchen mit dem Poesiealbum, die Schülerin Bettina Faber. Sie bricht zusammen, als sie vom Tod Peter Burkhardts erfährt. In der klassisch eingerichteten Wohnung Burkhardts finden Batic und Leitmayr einen identischen Erpresserbrief, den auch schon Tobias Helberg in seinem Auto gefunden hatte. Auf seinem Anrufbeantworter ist außerdem eine Nachricht von Bettina Faber. Ihre Mutter kann ihr Entsetzen über die Todesnachricht kaum verbergen, denn sie ist ihm privat sehr nahegekommen.

Unterdessen nimmt der „Intriganten-Stadl“ skurrile Formen an: Jeder der Protagonisten hat eine Leiche im Keller – vom schwulen Partner, über Sex mit Minderjährigen bis zu Softporno-Produktion. Da liegt es nahe, dass sich Soap-Fan Carlo als verdeckter Ermittler unter die Komparsen mischt. Bettina Faber zeigt Leitmayr einen geheimen Zugang zur Produktionshalle 6, und Carlo entdeckt Michael Broda, wie er Erpresserbriefe schreibt. Der gibt den Kommissaren ein Video, das Carola Faber und Peter Burkhardt beim Liebesspiel in der Dekoration zeigt. Burkhardt war aber auch unternehmerisch aktiv und stand kurz vor der Produktionsübernahme von Total das Leben, was Alexander Scheffler in Zugzwang gebracht hat. Nach kurzem Abstreiten gesteht er den Totschlag.

Rezension

Was ist eine „Seifenoper“?

Wir machen nun keine Alltagskulturhistorie, aber den Stand zu dem Zeitpunkt, als der 457. Tatort entstand, reißen wir kurz an:

Angeregt durch Dallas und den Denver Clan entstanden in den 80er Jahren „Die Schwarzwaldklinik“ (ab 22. Oktober 1985) und die „Lindenstraße“ (ab 8. Dezember 1985), deren letzte Folge am 29. März 2020 ausgestrahlt wurde. Auch und gerade das Privatfernsehen begann nach seiner Genehmigung in Deutschland, dieses Sendeformat mit Eigenproduktionen für sich zu gewinnen. RTL begann mit „Ein Schloß am Wörthersee“ (17. Oktober 1990), es folgte „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ (11. Mai 1992). Mit „Marienhof“ (1. Oktober 1992) und „Verbotener Liebe“ (2. Januar 1995), beide ARD, gingen überaus erfolgreiche Dauerbrenner des öffentlich-rechtlichen Fernsehens an den Start.

Ob „Marienhof“ bereits eine Reaktion auf „GZSZ“ war? Nein, war es nicht, aber die Vorbereitungen zu der Serie dauerten so lange, dass GZSZ schneller am Markt war. So ist das in der Marktwirtschaft. Im Jahr 2011 wurde „Marienhof“ eingestellt, „GZSZ“ läuft bekanntlich noch heute. Jedenfalls hatte das öffentlichrechtliche TV Ende der 1990er sich schon erfolgreich als Konkurrenz zu den privaten Herausforderern etabliert und nach Ansicht vieler Tatort-Fans ist das, was wir in „Einmal täglich“ sehen, vor allem an „Marienhof“ angelehnt. Der Bezug ist schon deshalb deutlich, weil z. B. Marienhof-Darsteller*in Leonore Capell auch in „Einmal täglich“ mitspielt.

Die große Zeit der Daily Soaps ist vielleicht vorbei, in Deutschland ist gerade noch Platz für GZSZ, aber möglicherweise empfinden wir das nur so, weil es nicht mehr so viele davon gibt, sie nicht mehr so breit diskutiert werden und immer neue Formate und Abspielkanäle das Fernsehen unserer Zeit bestimmen. Streamingdienste haben es zudem besonders leicht, solche Serien zu platzieren, weil die Zuschauer*innen sie abrufen können, wann sie gerade Zeit haben und sie nicht vorher aufzeichnen müssen, falls es nachmittags doch nicht so klappt mit dem Andocken an die erweiterte Familie.

So stellt man sich die Menschen vor, die am Fernseher hängen und unbedingt wissen wollen, was mit ihren Lieblingsfiguren passiert: wie die Fabers, Mutter und Tochter, alleinerziehend, ein verträumtes Mädchen, das sich auf den Mann seiner Träume kapriziert, denn im wirklichen Leben der beiden gibt es nicht viele Männer. Kurios, dass die Mutter tatsächlich ein Verhältnis mit dem Serienstar hat, das für beide Seiten nur ein Verhältnis darstellt, aber die Tochter bekommt es am Schluss mit und ist entsetzt. Die Serienstars hingegen sind auch nicht so gut aufgestellt, wie man denken sollte: Die meisten sind raus dem Business, weil nach einer Rolle in einer Daily Soap verbrannt. Sie kannte vorher niemand und sie werden nur mit dieser einen Figur identifiziert. Außerdem sind viele von ihnen keine gelernten Schauspieler und diese Tatsache und dass im Durchschnitt jeden Tag eine Folge produziert werden muss, wenn es sich wirklich um eine Daily Soap handelt, lassen keine hohen Qualitätsmaßstäbe zu. „Regisseur bei einer Daily Soap sein, heißt vor allem Schadensbegrenzung“, sagt deswegen wer? Der Regisseur natürlich. Auch der Produzent weiß, was er dialogmäßig zu leisten hat.

Batic: „Den größen Schaden vom Tod Ihres Stars haben doch Sie.“
Produzent: „Den größten Schaden hat er wohl selbst.“
Batic: „Sie wissen schon, was ich meine.“

Trotzdem, es war genau jener Produzent, natürlich nur im Streit, nicht absichtlich, denn eigentlich ist er ja ein netter Mensch, der den Laden zusammenhält, aber doch immer kurz vor der Pleite steht. Da kam also dieser junge Schnösel, der zur Hauptfigur aufgebaut wurde, nebenbei studierte er BWL und ließ ein Konzept anfertigen, mit dem man die Serie erfolgreicher gestalten könnte. Natürlich heimlich und am Produzenten vorbei, um vielleicht selbst in das Geschäft einsteigen zu können. Das tun nachher drei Frauen. Seine Assistentin und zwei der Hauptdarstellerinnen. Die Programmchefin des Fernsehsenders akzeptiert. Die Show geht weiter. Sie ist vielleicht ein wenig an die legendäre Silvia Koller angelehnt, die Redakteurin beim BR, die Batic und Leitmayr zu Stars machte. Unter ihrer Ägide entstand auch „Einmal täglich“.

Standen Tatorte und diese Daily Soaps je in Konkurrenz zueinander? Ich meine, eher nicht. Vielmehr war es so, dass der Tatort, obwohl es auch in den 1990ern Innovationen gab, neue Teams, erst in den 2000ern wieder zu heutigem Glanz aufstieg und die Position als zuschauerreichste deutsche Reihe immer wieder verteidigen muss, nicht zuletzt gegen den Polizeiruf 110 als Konkurrenz aus dem eigenen ARD-Imperium. Trotzdem hatte allein GZSZ zu besten Zeiten über 6 Millionen Zuschauer*innen pro Folge, derzeit sind es noch etwa 4 Millionen, währen neue Tatorte oft wieder zweistellige Millionenzahlen erreichen oder zumindest über 9 Millionen kommen. Sie sind allerdings auch um ein Vielfaches aufwendiger als eine Folge Daily Soap, mit der man Fans geradezu hinter den Bildschirmen festnageln kann. Obwohl man immer wieder versucht, aus Kostengründen die Drehs zu beschleunigen, benötigen Tatorte immer noch etwa 20 bis 21 Tage, bis sie im Kasten sind. Im Tatort über dieses Format sieht man nun, wie Biester Biester spielen, Opfer Opfer sind, gewiefte Assistentinnen ihre Chefs übertrumpfen, Fans zwischen Himmel und Hölle schweben, Eifersucht und Konkurrenzneid das Geschehen bestimmen, die Produktion ständig auf der Kippe steht etc.

Man weiß schon gar nicht mehr, wer spielt wen? Jemand, der eine böse Rolle hat, überträgt sie ins wirkliche Leben, weil er nicht mehr unterscheiden kann oder war schon vor seiner Fernsehkarriere so und wurde deshalb gecastet? Dass wirklich geschauspielert wird, kann man eher ausschließen, wenn es nach dieser Darstellung geht. Einige der Darstellerinnen aus den Daily Soaps haben es tatsächlich zu etwas gebracht, aber man darf nicht vergessen, dass dies seltene Ausnahmen sind, angesichts der unzähligen jungen mehr oder weniger begabten Menschen, die sich dort versuchten und vor allem gut aussehen mussten, um eine Rolle zu bekommen, legendär wurden die GZSZ-Darsteller*innen der ersten Zeit Andreas Elsholz und Saskia Valencia (Gehrke), die optisch damals das Bild der Serie prägten, spätere bekannte Namen waren Jeanette Biedermann oder Yvonne Catterfeld, die sich außerhalb dieser Serienwelt etablieren konnten.

Finale

Als Krimi macht „Einmal täglich“ nicht viel her. Es handelt sich um einen ganz traditionellen Whodunit, mit dem Vorteil, dass alle Verdächtigen mehr oder weniger am Set sind und man nur durch die Kulissen laufen muss, um die Handlung abzuspulen. Selbstverständlich gibt es auch ein paar Außenaufnahmen und Szenen in richtigen Wohnungen. Neben der spielfreudigen Darstellung des Serienlebens und des Lebens neben der Serie ist das Team der drei Musketiere von der Isar wieder das Plus des Films. Carlo Menziger geht undercover, die beiden anderen ermitteln sich brav durch das Geschehen, kommen aber im Grunde auch nur durch ein etwas an den Haaren herbeigezogenes Geständnis zu Potte. Es war eher unwahrscheinlich, dass es dieser Täter sein würde, aber was soll man machen? Damit es nicht zu sehr nach Opernseife riecht, heißt es am Ende bei solchen Taten gerne: Das hab ich nicht gewollt! Aber er / sie fiel im Streite so unglücklich mit dem Hinterkopf auf die Kante des Sofakissens! Mir hat das Zuschauen Spaß gemacht, weil das Überzogene ja erst das Klischee so richtig lebhaft werden lässt. Wenn man Klischees mit Wenns und Abers versieht, verlieren sie hingegen so lange an Konturen, bis das Ziel der Sozialpädagog*innen erreicht ist: Es gibt keine begründeten Klischees. Stimmt aber nicht, und man muss die Schubladen, die dadurch entstehen, unter anderem von Vorurteilen unterscheiden können.

7/10

© 2021 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Dennis Grabosch (Tobias Hellberg) · Sandra Leonhard (Vera Niessen) · Leonore Capell (Felicitas Sassner) · Alexander Duda (Alex Scheffler) · Seyfi Oelmez (Michael Broda) · Vanessa Sobolewski (Britta Wagner) · Luise Helm (Bettina Faber) · Iris Böhm (Carola Faber) · Manou Lubowski (Peter Burkhardt) · Thomas Kylau (Werner Kleiber) · Christian Wittmann (Herwig Weber) · Feo Schenk (Redakteurin) · Piet Aaron (Regisseur) · Lori Stern (Regieassistentin) · Julia Schönfeld (Ärztin) · Karl Moik (Gerichtsarzt) · Tilo Acksel (Drehbuchautor) · Udo Swann

Regie – Peter Fratzscher
Buch – Markus Stromiedel
Kamera – Jörg Schneider
Schnitt – Karin Fischer
Musik – Joachim J. Gerndt

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s