Filmfest 684 Cinema
Wie die Löcher in den Schweizer Käse oder in die Handlungen von Actionfilmen kamen
Der Mann, der niemals aufgibt (Originaltitel: The Gauntlet) ist ein US-amerikanischer Actionthriller aus dem Jahr 1977. Regie führte Clint Eastwood, der auch die Hauptrolle übernahm; das Drehbuch schrieben Michael Butler und Dennis Shryack. Der Film wurde in Las Vegas, in Phoenix (Arizona) und in Superior (Arizona) gedreht.[3] Seine Produktionskosten betrugen schätzungsweise 5,5 Millionen US-Dollar. Der Film spielte in den Kinos der USA ca. 26,4 Millionen US-Dollar ein.[4] Der Originaltitel lautet The Gauntlet, was neben ‚Fehdehandschuh‘ ‚Spießrutenlauf‘ bedeutet. 2006 wurde mit 16 Blocks ein Remake gedreht.
Der deutsche Verleihtitel sagt wieder einmal alles und nichts. Vor allem, weil dem Protagonisten gar nichts anderes übrig bleibt, als immer weiterzumachen, wenn er am Leben bleiben will, ist das nicht aufgeben im Grunde keine freie Entscheidung. Nichts mehr zu verlieren, daraus bestehen viele Thriller und bei Clint Eastwood griff dieses Schema seit „Dirty Harry“ (1971), wenn er einen Cop zu spielen hatte. Auch „The Gauntlet“ war ein Erfolg, auch wenn er nie den Bekanntheitsgrad von „Dirty Harry“ erreichte und Eastwood wieder einmal das Regiefach übte, wie erstmals im Jahr 1971 bei „Play Misty for Me“. Zwei Jahre vor „The Gauntlet“ hatte er mit „Der Texaner“ („The Outlaw Josey Wales“) einen ersten großen Erfolg als Regisseur. Dabei wurde die Rolle seines Love Interests mit einer gewissen Sondra Locke besetzt. Mehr dazu, was sich daraus für „The Gauntlet“ ergab und weitere Aspekte des Films finden Sie in der –> Rezension.
Handlung (1)
Der abgehalfterte Polizist und Alkoholiker Ben Shockley wird von seinem Chef mit der Überführung der Prostituierten Gus Mally von Las Vegas nach Phoenix beauftragt. Sie soll als Zeugin in einem Prozess aussagen. In Vegas angekommen, holt er sie vom dortigen Revier ab und wird bereits von ihr gewarnt, sie nicht nach Phoenix zu bringen, da man auf ihren Tod Wetten abgeschlossen hat. Die Wette wird in Vegas beim Pferdewetten als „Mally No Show“ (Kein Auftritt für Mally) geführt. Shockley glaubt ihr nicht und wird prompt von Unbekannten im Wagen auf der Straße angegriffen. Sie flüchten in Mallys Haus. Als Shockley die örtlichen Behörden verständigt, wird die Polizei aber angewiesen, das Haus zu umstellen. Sie schießen es kurz und klein. Durch ein Abwasserrohr können sie ins Freie fliehen. Shockley zwingt einen Streifenpolizisten, sie beide aus der Stadt bis zur Staatsgrenze zu bringen. Dort sollen sie von der Polizei von Phoenix übernommen werden. Zur Sicherheit schickt er den Polizisten erstmal allein zum Treffpunkt, und dieser wird beim Empfang von Kugeln durchsiebt.
Ben und Gus fliehen zu Fuß weiter, und es kommt bei einer Übernachtung im Freien zu einer seelischen Zerreißprobe, indem sie ihm alles erzählt. Als am Morgen Rocker dort auftauchen, zwingt Shockley einen mit Waffengewalt, ihm sein Motorrad zu überlassen. Mit diesem fahren sie weiter durch das Niemandsland und werden plötzlich von einem Hubschrauber gejagt. Dieser verfängt sich aber in den Stromleitungen und geht in Flammen auf.
In einer kleinen Stadt und nach etwas Rast wird ein Greyhound-Reisebus gekapert und mit Metallplatten gepanzert – da Shockley mit Mallys Hilfe erkannt hat, dass sein eigener Chef Blakelock der Mann ist, gegen den sie aussagen soll, befürchtet er, nicht freundlich empfangen zu werden. Mittlerweile hat sein Chef Blakelock Anweisungen gegeben, den Weg zum Gericht mit Polizisten zu bewachen. Als der Bus in die Stadt kommt, soll Shockley durch seinen Freund Josephson aus dem Bus gelockt werden, um ihn zu erledigen. Josephson wird erschossen und Ben verletzt. Er fährt nun in Schrittgeschwindigkeit bis zum Gericht. Dabei wird er von Polizisten, die unter dem Kommando Blakelocks stehen, beschossen. Am Gericht kommt der durchlöcherte Bus an, und Ben schleppt sich hinaus auf den Vorplatz, umstellt von seinen uniformierten Kollegen. Sie haben das Feuer eingestellt, da kommt Blakelock und befiehlt wütend, beide zu erledigen. Er verletzt Shockley nochmals und tötet aus Versehen den Staatsanwalt. Mally erschießt ihn im Eifer des Gefechts mit einer Polizeiwaffe.
Rezension
Sondra Locke und Clint Eastwood trafen erstmals bei Dreharbeiten im Jahr 1973 aufeinander und wurden ein prominentes Paar in Hollywood („sie machte ihn monogam“, heißt es in ihrer IMDb-Kurzbiografie). Beim Anschauen des Films hatte ich bereits das Gefühl, dass zwischen den beiden Hauptdarstellern mehr ist als nur ein Liebesverhältnis, das sich zunächst aus einer Abneigung heraus im Verlauf der Handlung entwickelt. Manche Schauspieler können so etwas natürlich auch großartig spielen, aber vor allem die Schlussszene und mancher Moment der beinahe rührenden Intimität wirkt schon sehr echt. Selbstverständlich muss der Film ein gutes Ende haben, denn, wie Clint Eastwood im Verlauf richtig sagt. Er ist Cop und die Ordnung muss wiederhergestellt werden.
Das Lexikon des internationalen Films schrieb, der Film sei „äußerst spannend und effektvoll, aber auch rauh inszeniert“. Die „Absurdität der Story“ mache die „kritische Absicht“ zunichte; der Protagonist erkenne zwar „seine faschistoiden Züge“, dies bleibe jedoch ohne Folgen.[1]
Die Zeitschrift Cinema schrieb, der „furiose“ Film biete „atemberaubende und präzise inszenierte Action“.[2]
Der Faschismus von Actionhelden im amerikanischen Kino, neuerdings besonders in Form der Superhelden anzutreffen, ist ja ein großes Thema und Clint Eastwood war immer mal so, mal so, auch politisch gesehen. Seine Haltung kommt vor allem gegenüber den Rockern zum Ausdruck, die eigentlich nichts anderes tun, als in der Wüste herumzufahren und sich einen schönen Tag zu machen, mit ihren Feuerstühlen. Mag schon sein, dass sie Drogen nehmen, aber es wirkt, als sei der Cop eben einfach nicht für diese Späthippies zu haben. Er hätte viel unspektakulärer eine Maschine requirieren können, soweit mir bekannt, darf die Polizei in den USA Kraftfahrzeuge von Zivilisten in Besitz nehmen, wenn Gefahr im Verzug ist. Sie muss halt den Schaden ersetzen, wenn damit etwas passiert. Er hätte sogar versuchen können, sich mit den Rockern anzufreunden, sie in Richtung Phoenix zu dirigieren und sich dadurch vor weiterer Verfolgung zu schützen.
Dass er für eine Frau eine so starke Rolle in einem von ihm selbst inszenierten Film bereithält wie hier für Sondra Locke ist in der Tat erstaunlich und in gewisser Weise ein Paradigmenwechsel. In ihrer Rolle als Gus Malley hat sie von Beginn an den größeren Durchblick. Natürlich auch einen Wissensvorsprung, aber sie versteht viel eher, dass der korrupte Polizeiapparat keine Probleme damit hat, Zeugen und eigene Leute aus dem Weg zu räumen, wenn es um die Involvierung mit der „MOB“ geht. Ob es im Original „Der Mob“ (also die Gangster- oder Mafia-Organisation) heißt, entzieht sich meiner Kenntnis, aber durchaus möglich, dass kein bestimmter der allseits bekannten Mobs benannt wird, mit denen die Polizei vor allem bei Drogengeschäften allzu häufig unter einer Decke steckt. Auch darauf weist Gus Mally hin, dass kleine Haschischkonsument:innen von der Staatsmacht getriezt werden, indes gewaltige Heroindeals ungestört weiterlaufen.
Ich tendiere eher zur Meinung des Filmlexikons, wenn es um die Inszenierung geht. Selbst für heutige Verhältnisse bietet das Zusammenschießen des kleinen Hauses und später des Greyhound-Busses einiges an Action und spannend ist der Film auf jeden Fall. Er wäre allerdings noch viel spannender, wenn nicht einiges so an den Haaren herbeigezogen wirken würde, um ebenjene Szenen zu ermöglichen, in denen Dutzende von Polizisten auf ein kleines Haus und dann hunderte von ihnen auf einen Bus schießen. Die Idee von Cop Ben Shockley, seinen Gegnern den Weg durch Phoenix, Arizona zu stecken, den er nehmen will, ist wirklich schockierend, weil so ziemlich die unsinnigste aller Varianten, um seine Zeugin doch noch vor Gericht zu bringen und damit seinem Gegner ein Schnippchen zu schlagen. Je unauffälliger die beiden durch die Stadt kommen, desto besser, wäre die richtige Idee gewesen. Im Gerichtsgebäude hätte es niemand mehr gewagt, sie einfach zu erschießen und Shockley hatte ja noch seinen treuen Kumpel Josephson auf dem Revier, mit dem er sich hätte so vereinbaren können, dass eine Undercover-Zustellung der heißen Menschenwaren möglich gewesen wäre. Und wenn man schon mitten durch die Stadt fährt wie auf einem Catwalk, mit einem Publikum jedoch, das nicht klatscht, sondern schießt, warum nicht etwas schneller, um nicht ganz so viele Kugeln abzukriegen? Aus Angst, ein Knöllchen zu kassieren? Am Ende kommt es eh, wie es muss: Derjenige, gegen den ausgesagt werden soll, verstirbt gerechterweise, als er versucht, Shockley persönlich umzulegen, nachdem die ihm unterstehende Polizei dies schlussendlich doch verweigert. Der Satz des Commissioners „Wir bezahlen die Polizisten dafür, dass sie schießen, nicht, dass sie denken“, hat sich mir allerdings eingebrannt, denn da ist eben dieses Kritische, das nach Ansicht des Filmslexikons misslungen ist.
In der Tat sind Eastwoods Darstellungen immer mindestens ambivalent, wenn nicht sogar komplett auf der machohaften Seite angesiedelt. Hier ist Ersteres der Fall, weil er einen gebrochenen Mann spielt, der schon auf dem absteigenden Ast sitzt und als Bauernopfer ausgewählt wurde, dessen Tod von den Strategen in Staatsanwaltschaft und Polizei einkalkuliert wird. Es gibt weitere ziemliche Klöpse in der Handlung, etwa den Hubschraubereinsatz. Da fahren die auf einem schicken Motorrad flüchtenden Schockley und Malley schon durch eine sehr pittoreske Gegend mit Straßentunnels, aber auf die Idee, in einem der Tunnels anzuhalten und dort zu warten, um den Scharfschützen aus dem Hubschrauber zu locken, kommen sie nicht, sondern setze sich immer weiter der Gefahr aus, von der Flugmaschine aus erschossen zu werden. Es lag so nah, in einem der Tunnels anzuhalten und so zumindest zu versuchen, den Gegner zu erschießen oder ihm zu entwischen, wenn er zu Fuß unterwegs ist. Aber es musste ja der spektakuläre Shodown des Rotorblatts mit dem Strommast der Überlandleitung sein, der sich zuvor bereits andeutete. Insofern und gemäß der gesamten Plotführung keine große Überraschung, dass man auf das Naheliegende verzichtete, um ein Fluggerät in einem Feuerball aufgehen lassen zu können. Das Verbringen eines Gefangenen in eine Stadt sahen wir schon einmal in „Coogans großer Bluff“ aus dem Jahr 1968, Clint Eastwood spielte darin ebenfalls einen Polizisten und es war einer seiner ersten Erfolge jenseits der Italo-Western, mit dem er bekannt wurde.
Eines kann man Eastwood schon abnehmen: Er hat wirklich die Law-and-Order-Mentalität, die auch Schweinereien bei der Polizei offen thematisieren kann, die im Polizeikino der 1970er außerdem so stark verbreitet ist wie nie zuvor. Filme wie „Serpico“ (1973) mit Al Pacino haben dabei Maßstäbe für den etwas genaueren Blick auf das Innenleben einer verrotteten Exekutive in einer verrotteten Stadt gesetzt. Das Auskeilen gegen „die Macht“ und deren dunkle Seite, schön in dem Jahr, in dem „The Gauntlet“ erschien, mit „Star Wars“ auf eine andere Ebene in einem anderen Genre gehoben, ist zu einem Reflex im amerikanischen Kino geworden, der nur noch dazu dient, die Helden noch spektakulärer in ihrer Rolle als vermeintliche Davids gegen vermeintliche Goliaths zu inszenieren. Diesem Prinzip folgt auch „The Gauntlet“ und unter normalen Umständen hätte das Paar, dem man als Zuschauer natürlich die Daumen drückt, niemals das Stadtzentrum von Phoenix erreicht. In dem Zusammenhang ein weiterer unsinniger Move: Warum schießt man nicht gleich auf die Reifen des von Shockley und Malley gekaperten Busses, um diesen (beinahe) zu stoppen? Dass zuvor in dem Haus und dann im Bus keine einzige Kugel die beiden wirklich trifft, wenn man von einem Schuss ins Bein von Shockley absieht, ist ein Witz. Schauen Sie sich mal sein T-Shirt an, offenbar sind die Kugeln an ihm abgeprallt, nicht an dem Stahl-Panzerschild, den er in den Bus eingebaut hat. Da merkt man, wie gut es ist, eine harte Schale zu haben. Der Kern darf durchaus etwas weicher sein.
Finale
Das Paar Eastwood / Locke spielt gut zusammen, angesichts der Hintergründe einer noch frischen Realbeziehung verständlich, aber nicht selbstverständlich. Die beiden Figuren, die sie darstellen, werden interessant gezeichnet und Locke bekommt in ihrer Rolle als Gefangene, die als Zeugin aussagen soll, die besten Dialogstellen. Das fällt auch deswegen auf, weil dabei richtig gute Sätze sind, während das Sprachliche ansonsten nicht die Stärke von „The Gauntlet“ darstellt. Die Action passt, wenn man davon absieht, dass sie überwiegend auf Quatsch basiert, und das macht leider doch eine Menge aus – dass sie das tut. Man kann auch solche Filme so gestalten, dass die Gewalt nicht allzu sehr als Selbstzweck und Showeffekt daherkommt. Dass sie in US-Filmen auf eine gruselige Weise ritualisiert ist, ist schlimm genug, aber man muss sie nicht auch noch so an den Haaren herbeiziehen wie in diesem Cop-Thriller. Schade, denn man merkt unter anderem, dass Clint Eastwood auch als Regisseur durchaus etwas drauf hat und seine Erfahrungen am Set als intelligentes Learning by Doing später noch für prämierte Filme wie „Unforgiven“ (1992) einsetzen wird.
„The Gauntlet“ hat einige Stärken, wie das Starpotenzial der Hauptdarsteller und die Zeichnung ihrer Figuren, die auf Eastwoods Potenzial als Regisseur hindeutet, aber auch sehr auffällige Schwächen. Kleines Detail am Rande, beim Suchen eines Titelfotos auf einer Spezialseite für Actionfilme gefunden, das Fans von Actionfilmen eher auffällt als mir, weil ich mehr das Gepräge solcher Filme im Ganzen betrachte: Shockley erschießt tatsächlich selbst niemanden. Ob es besser ist, dass es seine Freundin am Schluss tut? Die Frage ist unter anderem, wie man Emanzipation versteht.(2)
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© 2021 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
(1), zitiert, kursiv, tabellarisch: Wikipedia
(2) https://theactionelite.com/looking-back-at-the-gauntlet-1977/
Besetzung |
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· Clint Eastwood: Ben Shockley |