Filmfest 687 Cinema – Die große Rezension
Nach dem Platoon und vor der Rückkehr des Patriotismus
Geboren am 4. Juli (Originaltitel: Born on the Fourth of July) ist ein US-amerikanischer Film aus dem Jahr 1989, gedreht von Oliver Stone. Erzählt wird die Lebensgeschichte von Ron Kovic, dessen gleichnamige Autobiografie die Vorlage für den Film liefert. Die deutsche Synchronisation wurde erstellt von der Synchronfirma Berliner Synchron GmbH Wenzel Lüdecke und Jürgen Neu war verantwortlich für das Dialogbuch und die Dialogregie.[1] Der Film gilt als Teil der Vietnam-Trilogie[2][3] der Filme Platoon (1986), Geboren am 4. Juli (1989) und Zwischen Himmel und Hölle (1993) des Regisseurs Oliver Stone.
Am 4. Juli 1776 wurde die Unabhängigkeitserklärung der USA verabschiedet. Dieses Ereignis wird in den USA alljährlich als Nationalfeiertag (engl. Independence Day – Unabhängigkeitstag) begangen und ist ein zentrales Element des Films.
Wir sind uns nicht mehr sicher, ob der von uns gewählte Subtitel sich auf die Zeit bezieht, in welcher der Film entstanden ist oder auf jene, in welcher er spielt, also gegen Ende des Vietnamkriegs. Letzteres ist korrekt, Ersteres sollten wir aber auch vor gut sieben Jahren schon anders gesehen haben, als wir die Rezension geschrieben haben. 1989 standen Filme wie dieser längst im Abwehrkampf gegen die Wummen-Klassiker wie die „Rambo“-Reihe oder auch Filme, die derivativ Schluss mit Vietnam machen wollten, aber das Setting so gestalteten, dass dies nicht auf den ersten Blick erkennbar war, wie die Großstadt-Actionfilme oder SF-Produktionen wie „Terminator“. Mehr zu „Geboren am 4. Juli“ steht aber in der –> Rezension.
Handlung (1)
Ron Kovic wird am 4. Juli 1946 geboren und tritt nach seinem Highschool-Abschluss, zunächst geblendet von idealistischen Vorstellungen, den Marines bei, um für sein Land im Vietnamkrieg zu kämpfen. Während eines Einsatzes begeht seine Einheit in einem Dorf ein Massaker an Zivilisten, in dem irrtümlichen Glauben, es handele sich um gegnerische Kämpfer. Auf dem unkoordinierten Rückzug erschießt der unter Schock stehende Ron einen Kameraden. Als er das Geschehene später seinem Vorgesetzten meldet, wird er aufgefordert, den Vorfall zu vergessen. Beim nächsten Einsatz wird Ron schwer verwundet und kommt zurück in die USA.
Dort teilen ihm die Ärzte mit, dass er unterhalb des Bauchnabels für immer querschnittsgelähmt bleiben wird. Nach einer langen und erfolglosen Phase der Rehabilitation, in der er sich noch einen offenen Beinbruch zuzieht, kehrt er wieder nach Hause zurück. Ron bleibt Patriot, obgleich er unter den Kriegserlebnissen und seiner Lähmung leidet, die es ihm unmöglich machen, sein früheres Leben weiterzuführen. Deshalb beginnt er zu trinken und gerät mehrfach in Streit mit seinen Eltern. Nachdem sein Vater ihm nahegelegt hat, Erholung in Mexiko zu suchen, kommt er dieser Bitte nach. Er freundet sich mit dort ansässigen Vietnamveteranen an und verbringt seine Zeit hauptsächlich mit Alkoholkonsum und Prostituierten. Die ebenfalls gelähmten Veteranen frustrieren ihn allerdings noch mehr, weshalb er wieder in die USA zurückkehrt. Sein Weltbild gerät nun ins Wanken. Er besucht die Familie des von ihm versehentlich getöteten Kameraden und gesteht, was in Vietnam vorgefallen ist. Er entwickelt sich allmählich zu einem Kriegsgegner und nimmt aktiv an der Antikriegsbewegung teil.
Während eines Parteitags der Demokratischen Partei, auf dem er eine Rede halten darf, durchlebt Ron noch einmal seine gesamte Vorgeschichte und erinnert sich dabei an seine Mutter, die ihm einst prophezeite, er werde einmal vor sehr vielen Menschen sprechen.
Rezension
Ron Kovic ist eine reale Person und „Geboren am 4. Juli“, was auf Kovic tatsächlich zutrifft, hält sich eng an dessen Memoiren, die den gleichen Titel tragen wie der Film Was der Film, der 1989 entstand, nicht zeigen kann, ist, wie Kovic sich 1991 gegen den ersten Irak-Krieg, Golfkrieg oder „Krieg für Öl“ ausspricht und 2003 gegen den von Bush-Regierung unter Zuhilfenahme absichtlicher Fehlinformationen als Begründung angezettelten zweiten Irak-Krieg. Ron Kovic ist noch heute aktiv und hat mit Oliver Stone, dem Regisseur von „Geboren am 4. Juli“ 2009 das 20jährige Jubiläum des Films gefeiert. Mit „Geboren m 4. Juli“ ehrt Oliver Stone einen wirklichen Helden der jüngeren US-Geschichte. Keinen stereotypen, platten Klon des üblichen Hollywood-Actionhelden, sondern einen Mann, der durch die Hölle ging, aer nicht sofort danach, sondern durch späteres Nachdenken zur Einsicht kam.
Oliver Stone ist der US-Regisseur fürs große politische Kino. Er hat Nixon und George W. Bush porträtiert, ihm ist also kein Eisen zu heiß, keine noch so krude Persönlichkeit zu schwierig – wir haben seinen Film „JFK“, das auf „Geboren am 4. Juli“ folgende, hoch komplexe Werk, für den Wahlberliner rezensiert und 85/100 vergeben. Zum Thema Vietnam hingegen haben wir kürzlich Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ angeschaut und darüber geschrieben – mit dem man „Geboren am 4. Juli“ wegen der ähnlichen Intention und Botschaft, aber komplett unterschiedlichen Herangehensweise an das amerikanische Trauma gut vergleichen kann.(2) Anlässlich der Veröffentlichung dieses Textes auf dem Filmfest des „neuen“ Wahlberliners im Jahr 2021: Wie wär’s denn mit einem handfesten Porträt über Donald Trump, Mr. Stone? Wir finden schon, das muss jemand machen, der in der Lage ist, es auch gut zu machen. Plumpheit mit Plumpheit kontern, würde zumindest uns nicht ausreichen. Später als unser Entwurf entstand auch Stones bisher letzter Film, der sich mit dem Whistleblower Edward Snowden befasst (2016).
Ein ganz so fantastisches Filmgenie wie Stanley Kubrick ist Stone nicht und heute wird „Full Metal Jacket“ (1987) hervorragend rezipiert, ähnlich gut aber Stones Vietnam-Vorgängerfilm „Platoon“ von 1986. „Geboren am 4. Juli“ kommt eine ganze Ecke schlechter weg. Um es gleich zu schreiben: Diese nicht unerheblichen Unterschiede (8,4/10 auf der IMDb für „Full Metal Jacket“, 7,2/10 für „Geboren am 4. Juli, Stand 07.06.2014), sehen wir nicht. Im Gegenteil, beide Filme ergänzen einander hervorragend und manchmal haben auch Privatsender gute Ideen und senden sie am selben Abend direkt hintereinander, sodass man auch die zeitliche Nähe des Vergleich als schätzenswerten Vorteil mitnehmen kann.
Wir haben „Full Metal Jacket“ mit 8,5/10 bewertet, so werden wir auch bei „Geboren am 4. Juli“ herauskommen. Eines ist schon klar: „4. Juli“, wie wir den Film im Folgenden nennen werden, ist konventioneller als „FMJ“. Er folgt klassischen Konventionen und sein Storytelling ist zwar nicht ganz bruchlos, aber viel flüssiger als das von „FMJ“, der quasi in zwei sehr unterschiedliche Teile zerfällt. „FMJ“ setzt auf eine gewisse Distanz, die gegenüber den Figuren selbst dann bestehen bleibt, als man sich in der Schlussszene mit dem Heckenschützen unwillkürlich in einem Boot mit den Marines findet – einfach aufgrund der sehr eindringlich dargestellten Situation. Der Film endet in Vietnam und niemand weiß, was den Soldaten noch alles widerfahren wird.
In „Geboren am 4. Juli“ weiß man es so genau, wie man es nur wissen kann. Verwundung, unabwendbares Dasein im Rollstuhl für den Rest des Lebens und eine Wandlung, die große politische Wirkung entfaltet. „FMJ“ hat ein offenes Ende, „4. Juli“ hingegen zeigt eine abgeschlossene Geschichte, ist beinahe episch. Wenn wir sagen, die Filme ergänzen sich auch, ist das ein wenig scherzhaft gemeint: Die Ausbildung der Rekruten auf Parris Island, die von Kubrick ausführlich gezeigt wird und das Highlight von „FMJ“ darstellt, wird von Stone ganz ausgelassen – man kann ja bei Kubrick nachsehen, wie es dort zugeht, wird er sich gedacht haben, konnte viel Zeit sparen und zur Sache kommen: Dem Töten im Dschungel, den Feldern und an den Stränden im fernen Südostasien. Es gibt zwar auch hier eine Art Drillszene, aber die findet vor der militärischen Ausbildung statt, als Ron zum College-Spitzensportler geformt wird. Da gibt es so einen Drill-Instructor-Lehrertyp, der aber auch lächerlich wirkt im Vergleich zu Sgt. Hartman in Kubricks „FMJ“ – sicher ist das nicht unbeabsichtigt. Wie man einen Soldaten macht, ist nicht Zentrum von „4. Juli“, sondern, wie ein Soldat die Wirklichkeit des gnadenlosen Dschungelkrieges erlebt und was diese mit ihm macht.
Ron Kovic wird in ein Massaker an Zivilisten verwickelt, wobei nicht auf die ganze Konsequenz wie bei Kubrick (Hubschrauberszene) gesetzt wird: Bei Kubrick erschießt ein verrohter Soldat aus reiner Mordlust fliehende Zivilisten, in „4. Juli“ wird das Dorfmassaker eine Mischung von Versehen u nd Notwendigkeit dargestellt, da Vietkong-Angehörige die Dörfler als Schutzschilde benutzt haben. Ganz logisch ist das nicht: So genannte menschliche Schutzschilde sind ja nicht wörtlich gemeint, sondern der Gegner wird dadurch erpresst, dass er weiß, dass die andere Seite sich Unschuldiger bedient und hinter ihnen verschanzt. Also hat entweder die Offiziersebene das Auslöschen des Dorfes doch in Kauf genommen – oder der Vietkong hat die Landsleute geopfert, um den Hass auf die Amerikaner zu stärken und sie an den Pranger stellen zu können. Was es wirklich gab, war die in „FMJ“ erwähnte Ted-Offensive am Feiertag, mit der die Amerikaner nicht gerechnet hatten und das in „4. Juli“ angedeutete Massaker von My Lai an etwa fünfhundert Zivilisten.
Es soll nicht im Zentrum unserer Rezension stehen, welcher Film die „besseren“ Kriegszenen bietet – nach unserer Ansicht schenken sich die beiden Werke auch hier nicht viel, unabhängig davon, dass die Inszenierung in „FMJ“ drastischer, die in „4. Juli“ stimmig bezüglich der mentalen Lage des Soldaten Ron Kovic wirkt. Dieser ist die eindeutige Identifikationsfigur in Stones Film, während es eine solche bei Kubrick nicht gibt. „FMJ“ ist sperriger, aber lässt uns nicht an sich heran. Während Stones Film hat es uns mehrfach heftig gepackt, aber auch das ein Stone-Move, der ihm mitunter vorgeworfen wird: Er kriegt die Zuschauer fast immer, weil er es will und weiß, wie man es macht.
Wenn man die Möglichkeit, Empathie zu fühlen, als Wert an sich betrachtet, liegt „4. Juli“ in diesem Bereich weit vorne, zumal Tom Cruise hier die beste Vorstellung abgibt, die wir bisher von ihm gesehen haben. Folgerichtig wurde er für den Oscar als bester Hauptdarsteller in der Rolle des Ron Kovic nominiert. Das war eine Zeit, als die Academy ihm noch neutral gegenüberstand und die später auch in der Filmindustrie kontrovers diskutierte Scientology-Mitgliedschaft noch kein öffentliches Thema war (zumal nicht in den USA, wo die CoSC als Religionsgemeinschaft anerkannt ist).
1989 war Cruise ein vielversprechender Schauspieler, der aber noch keine ganz große Darstellung geliefert hatte; die bis dahin beste wohl in „Rain Man“ (1988), in dem aber Dustin Hoffman als Autist die Aufmerksamkeit auf sich zog. Seine Leistung in „4. Juli“ ist tadellos. Vor allem, wie er sich von einem patriotischen, hoffnungsvollen jungen Mann in ein Wrack verwandelt und von diesem in einen Mann, der seine Würde wieder– und zudem seine Bestimmung findet, kann man nicht anders als großartig bezeichnen. All diese Stadien, Momente der Hoffnung, Irritation, des Wankens, der Verzweiflung und der Wiederauferstehung zu meistern, das erforderte vom damals erst 27jährigen Cruise eine Menge an Einfühlungsvermögen. Sicher hat ihm die Führung durch einen Regisseur geholfen, der seinerseits eine enge Beziehung zum Thema hat: Anders als etwa Kubrick war Stone selbst in Vietnam und ging genau durch die Metamorphose wie Ron Kovic – glücklicherweise, ohne dass er schwer verletzt werden musste, um diese Wandlung zu vollziehen.
Faszinierender als Menschen, die es immer schon besser gewusst haben und wohlfeile Statements von hinter dem Ofen aus abgeben, sind ohnehin jene, die eine Katharsis erlebt haben und vom Saulus zum Paulus wurden. Dass es dabei einschneidender Momente bedarf, dass man das meist nicht aus der Theorie heraus earbeitenden kann und vielleicht sogar eines entsetzlichen Siechtums, wie es Ron Kovic in der unterbesetzten und mies ausgestatteten Veteranen-Reha erlebt, dass man dazu noch erleben muss, wie in Mexiko die Veteranen in Suff und Völlerei dahinvegetieren, gebrochene Persönlichkeiten sie alle, das ist realistisch und – wir bilden hier auch nicht die Kritik nach, die davon spricht, dass die dargestellte Wandlung psychologisch nicht stimmig sei.
Selbstvertständlich muss ein wenig gerafft werden, der Film wäre ja sonst fünf Stunden lang und hätte gewiss Stoff genug für fünf Stunden aus dem außergewöhnlichen Leben von Ron Kovic verwenden können, ohne dass es langweilig geworden wäre. Aber zweieinhalb Stunden sind dem Thema und dem Mann, der hier seine Filmbiografie bekommt, angemessen und wir sehen die Zeit in Mexiko als die Phase an, in der sich der zuvor wütende und enttäuschte, wehleidige und sich gehen lassende Kovic in einen Mann des aktiven Protestes transzendiert – ohne zunächst selbst zu bemerken, wie ihn die Szene in der Wüste verändert, in welcher er sich mit einem anderen Veteranen prügelt und die beiden hilflos und ohne ihre Rollstühle zurückbleiben, bis ein vorbeifahrender Pickup sie mitnimmt. Ein Wendepunkt muss sich nicht jahrelang vorher andeuten und eine Wandlung muss nicht in kleinen Schritten vor sich gehen. Meist ist sie in der Tat ein Prozess, aber es kann auch ein auslösendes Ereignis für den Anschub sorgen, der das bereits Vorhandene befreit und wirksam werden lässt, der aus Zweifeln und Verzweiflung Selbstermächtigung generiert.
Wir empfanden die Wende nicht als abrupt. Was fehlt, ist, im Gegensatz zu einigen erklärenden Rückblenden, die keinen Zuschauer verständnislos zurücklassen wollen, vielleicht die Explikation. Damit jeder Zuschauer und Kritiker im Bilde ist, hätte Kovic vielleicht jemandem genau erklären sollen, warum er jetzt gegen den Vietnamkrieg und gegen jeden Krieg ist. Wir haben eine solche Ansprache nicht vermisst. Denn hohles Pathos in Ansprachen haben wir zuvor genug gehört, die Wende aber ist eine innere, die nicht in Worte gefasst werden muss. Es ist, um es noch einmal zu präzisieren, richtig, dass die meisten Menschen sich eher mit der Zeit verändern, aber die meisten Menschen unserer Zeit haben auch keine dermaßen traumatischen Erlebnisse mehr wie jene essentielle Situation auf Leben und Tod in einem grausamen Krieg, welche die Reflektion verstärken, beschleunigen und in eine humanistische Richtung lenken könnten. Wir reden nicht von Kindheitstraumata etc., sondern von Geschehnissen, die Menschen als junge Erwachsene fortreißen von ihren Gewissheiten.
So interpretieren wir also den Urlaub und besonders den erwähnten Moment des ausgesetzt seins als einen kurzen, beinahe unsichtbaren seelischen Prozess, der durch jenen Moment besiegelt und unumkehrbar wird – sodass Kovic aus Mexiko zurückkehrt und sich anders verhält als vor seiner Abfahrt dorthin.
Die geballte Erfahrung von Stone und dem Filmvorbild Ron Kovic mit der gesamten Thematik hinterlässt eine hohe Authentizitätsvermutung, die allgemein vielleicht ein wenig unterschätzt wird. „4. Juli“ abstrahiert und intelletualisiert nicht, das ist wahr, aber es geht gerade bei hoch politischen Filmen auch um ihre Wirksamkeit. In dieser steht „4. Juli“ dem künstlerisch hoch eingeschätzten „FMJ“ nicht nach – beide kommen allerdings, das schrieben wir schon in der Rezension zu „FMJ“, nicht ganz an den besten Antikriegsfilm heran, den wir bisher gesehen haben: „Wege zum Ruhm“. Dieser stammt auch von Stanley Kubrick.
In „4. Juli“ hat Ron Kovic auch ein Umfeld, das einiges von seiner Haltung erklärt, wie sie vor der Metamorphose ist, und da hat der Autor der eigenen Biografie nichts geschönt. Rons Vater, der aus Jugoslawien stammt, wirkt gütig und ganz normal, aber die erzkatholische irische Mutter sorgt mit ihrer Mischung aus Bigotterie und übertriebenem Ehrgeiz, den eigenen Sohn betreffend sowie einer politischen Naivität, die sicher typisch für die meisten Amerikaner der 1950er war und zu sehr vereinfachender Weltsicht geführt hat, dafür, dass der Junge keine differenzierte Denkweise entwickeln konnte.
Einen Hint zum ersten Präsidenten Bush, als „Platoon“ entstand und die kurz darauf in den Ersten Golfkrieg münden sollte, darf man vermuten. Dieses Ereignis war 1989 allerdings nicht abzusehen, denn die auslösende Invasion Saddam Husseins in Kuweit war wohl nicht einmal von Insidern erwartet worden und hat im Westen einen ähnlichen Reflex ausgelöst wie der Einmarsch der Nazis in Polen. Die wirtschaftlichen Interessen hinter dem Krieg, der letztlich geführt wurde, sind eine andere Baustelle, die bis heute besteht. Den Bogen zum militärisch-industriellen Komplex schlägt auch „4. Juli“ nicht. Vielleicht, weil die Verbindung von wirtschaftlichen Interessen und Kriegstreiberei selbst für Vietnamgegner nicht so deutlich sichtbar war wie heute. Es war ein ideologischer Kampf, der hier ausgefochten wurde, ein Stellvertreterkrieg, der sich auf amerikanischer Seite zu einem direkten Krieg auswuchs, während die Russen sich nie auf das schmale Brett begeben haben, aktiv in Vietnam tätig zu werden und damit dem großen Gegner noch einmal Auge in Auge gegenüberzustehen, wie während der Kubakrise von 1962, die beinahe zum dieses Mal atomaren Dritten Weltkrieg geführt hätte.
Die Abgründe des Lobbyismus und der Abhängigkeit der Politik von Banken, Öl- und Rüstungsfirmen, die alle ein Interesse an bewaffneten Konflikten haben, mit denen sich prima Geld verdienen lässt, ohne sich auf schwierigen warenwirtschaftlichen Weltmärkten behaupten zu müssen wie bei Produkten, die sich nicht für Kriegszwecke verwenden lassen, stellen alle kritischen Filme abseits, die wir bisher zur Kriegsthematik gesehen haben. Am nächsten kommt der Wahrheit auch hier wieder „Wege zum Ruhm“, in dem die Ruhmsucht und die Angst vor Gesichtsverlust weitere, besonders verwerfliche Motive fürs Krieg machen thematisiert, die ebenso wie die wirtschaftlichen Interessen dazu führen, dass Millionen einfacher, manchmal auch verblendeter Menschen wie Ron Kovic vor seiner Wandlung, ins Feld ziehen und in Zinksärgen heimkehren. Bis heute gibt es seitens der USA unseres Wissens keine übergeordnete regierungsseitige Entschuldigung für die zivilen Opfer des Einsatzes und die großflächige Zerstörung und langfristige Kontaminierung von Landschaften durch das Dioxin „Agent Orange“, lediglich einzelne Militärs haben, oft sehr viel später, ihr Bedauern hinsichtlich der Vorgänge ausgedrückt.
Finale
Für Oliver Stone gibt es eine Menge zu tun, wenn er weiterhin die Finger in die Wunden der USA legen und eine kritische Form von Mainstream-Hollywoodkino machen will, so, wie es gerade noch denkbar ist. Wir bewundern seine Filme aus der simplen Überlegung heraus, dass es innerhalb des Studiosystems wesentlich schwieriger ist, solche Filme zu realisieren als für Independent-Künstler oder Dokumentarfilmer wie Michael Moore, die weniger den wirtschaftlichen Überlegungen unterworfen sind, die auch für den kommerziellen Film gelten und dafür sorgen, dass teure Produktionen, und das sind Kriegsfilme meistens, so gestaltet sein müssen, dass sie ein breites Publikum erreichen.
Man muss schon sehr renommiert sein, um etwas wagen zu können, wie es z. B. Francis Ford Coppola mit dem ersten ernsthaften Vietnam-Kriegsfilm „Apocalypse Now“ in 1979 war. Oliver Stone setzt auf den Appeal des damaligen Jungstars Tom Cruise und dann sehen wir Tom Cruise über mehr als die Hälfte des Films als Krüppel. Vor diesem Konzept und dem Wagnis, das alle Beteiligten damit eingegangen sind, muss man den Hut ziehen, zumal die technisch-künstlerische Ausführung ebenfalls überzeugt. Die Bildgestaltung in den für die jeweiligen Emotionen passenden Farben ist zwar kein Alleinstellungsmerkmal, gibt aber den Plansequenzen eine Atmosphäre, die dem jeweiligen Seelenzustand von Ron Kovic entspricht.
85/100
© 2021 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
(2) Die Rezensionen erscheinen in anderer Reihenfolge auf dem Filmfest, diejenige für „Full Metal Jacket“ ist noch nicht veröffentlicht.
Regie | Oliver Stone |
Drehbuch | Oliver Stone Ron Kovic |
Produktion | Oliver Stone A. Kitman Ho |
Musik | John Williams |
Kamera | Robert Richardson |
Schnitt | David Brenner Joe Hutshing |
Besetzung | |
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