Five Easy Pieces – Ein Mann sucht sich selbst (Five Easy Pieces, USA 1970) #Filmfest 699

Filmfest 699 Cinema

Five Easy Pieces – Ein Mann sucht sich selbst (Originaltitel: Five Easy Pieces) ist ein US-amerikanischer Spielfilm aus dem Jahr 1970.

In Teilen ist „Five Easy Pieces“ ein Roadmovie, vor allem aber eine Reise ins Innere eines komplizierten Mannes, der zu Beginn des Films einfach erscheint. Auf dieser Reise, das stellt sich im Lauf des Films heraus, können vor allem Menschen mitgehen, bei denen nicht alles glattgelaufen ist. Die vielleicht aus guter Familie kommen, gute Voraussetzungen hatten, aber nicht das Talent oder den Willen, daraus etwas zu machen, das man herkömmlich als Erfolg bezeichnet, was also gesellschaftliche Anerkennung bringt. Bei Robert ist das die Musik und aus diesem Grund ist uns der Einstieg in den Film ab dem Moment gelungen, als sich herausschält, dass er aus einer Musikerfamilie kommt und offenbar den eigenen Ansprüchen oder denen seines Vaters nicht gerecht geworden ist. Wie es dann spannend wird, darüber mehr in der –> Rezension.

Handlung (1)

Robert Dupea arbeitet als Gelegenheitsarbeiter auf einem Ölfeld. Er ist unzufrieden mit seinem Leben, seiner Partnerschaft zur simplen Rayette Dipesto und seinem Umfeld. Doch in Robert schlummern Talente, die er hinter sich gelassen hatte, als er seine Familie verließ. Robert war ein begabter Pianist einer Musikerfamilie.

Als sein Arbeitskumpel Elton wegen eines Tankstellenüberfalls verhaftet wird, kündigt Robert seine Arbeit und besucht seine Schwester Tita, ebenfalls eine begabte Pianistin, in einem Aufnahmestudio. Dort erfährt er, dass sein Vater Nicholas nach einem zweiten Schlaganfall schwer krank ist. Gemeinsam mit Rayette macht er sich auf den Weg nach Hause. Bevor sie ihr Ziel erreichen, lässt er jedoch Rayette in einem Motel zurück. Es erscheint ihm unmöglich, Rayette in seine intellektuelle Familie einzuführen.

Auf dem Familiensitz erwarten ihn neben seinem Vater, der nicht mehr sprechen kann, seine Schwester Tita, Bruder Carl, der ehemals erfolgreiche Violinist, der jedoch nach einem Unfall nicht mehr auftreten kann, und dessen neue Freundin Catherine, die auf Robert eine erotisierende Wirkung hat. Zwei Wochen bleibt er allein bei der Familie und beginnt eine Affäre mit Catherine, bis Rayette zur Familie stößt, da ihr das Geld ausgegangen ist und sie des Wartens auf Robert überdrüssig geworden ist.

Robert ist die Begegnung von Rayette mit seiner Familie tatsächlich peinlich. Er macht noch einen letzten Versuch aus der Affäre mit Catherine eine Beziehung herzustellen, doch Catherine weist ihn zurück. Frustriert verlässt Robert gemeinsam mit Rayette die Familie, doch wohin soll sein Weg ihn führen. Bei einer Rast an einer Tankstelle fragt er einen Trucker, ob der ihn mitnehme. Robert lässt Rayette samt Geld und Auto zurück an der Tankstelle. 

Rezension 

Dieser Vater erkrankt und Robert gibt seinen einfachen Job auf, um nach Kanada zur Familie zu reisen. Ein Dialog mit dem Mann, der nicht mehr sprechen kann und nach zwei Schlaganfällen dem Tod geweiht ist, kann nicht zustande kommen, also muss Robert einen Monolog halten, dem der Vater nichts mehr entgegensetzen kann, obwohl er das erkennbar gerne würde. Die Familie Dupea ist großartig gezeichnet – alle Kinder sind auf die eine oder andere Weise hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben. Die Schwester ist keine große Konzertpianistin, sondern macht Background-Einspielungen in einem kleinen Studio. Der Bruder war wohl als Violinist erfolgreich, hat sich aber sinnbildlich den Hals so sehr verrenkt, dass er eine Krause tragen muss und nicht mehr auftreten kann.

Und Robert schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch und unfähig, Konstanz in sein Leben zu bringen. Die Affäre oder Beziehung mit Rayette besteht nur dadurch, dass sie sehr anspruchslos ist und seine häufigen Anfälle von Frust ausleben und seine emotionalen Grenzen, die in tiefsitzenden Enttäuschungen und einem Mangel an Selbstachtung begründet sind, aushält und ihm geradezu sklavisch ergeben ist.

Beim Anschauen des Films ging uns durch den Kopf, dass nur der Rückzug auf eine Position, in welcher er geistig unterfordert ist, für Robert überhaupt eine Art Sozialleben garantiert. In einem hochklassigen Job und in einer Großstadt mit anspruchsvollen, komplexen Frauen hätte er noch mehr Schwierigkeiten, sich irgendwo einzuordnen oder auch nur einzubringen, seinen Fluchtreflex unter Kontrolle zu bekommen und zu sich selbst zu finden. Die relative Abgeschiedenheit seines Lebens erleichtert es ihm, der Konfrontation mit anderen und sich selbst auf sehr dosierte Weise Raum zu geben.

Am Ende siegt der Fluchtreflex und Robert haut mit einem Holztransporter ab, vermutlich hat er nicht einmal seine Papiere dabei. Der neuerliche Rückschlag, mit der attraktiven und ihm geistig ebenbürtigen Catherine nichts aufbauen zu können, was ihm Halt geben würde, führt dazu, dass er auch Rayette verlässt und versucht, sich selbst neu zu erfinden. Wir dürfen aber der Tatsache gewiss sein, dass er seine Muster und Probleme mitnehmen und noch einen langen Weg zu sich selbst vor sich haben wird – einen längeren als die Reise mit dem Holztransporter in die kanadischen Weiten.

Unsere Wahrnehmung des Mannes hat sich im Verlauf des Films verändert. Anfangs dachten wir, das sei ein für die frühen 1970er typischer Film, der prekär arbeitende Menschen mit den Problemen zeigt, die man ihnen typischerweise zurechnet, in der Mitte einen Mann, der ein unbestimmtes Bedürfnis hat, aus der täglichen Einöde auszubrechen – dass in ihm mehr steckt, ist nicht einmal ansatzweise zu bemerken, bis wir ihn mit seiner Schwester sehen. Schrittweise verändert sich damit auch unsere Sicht auf die Beziehung mit Rayette. Empfinden wir Robert anfangs als emotional unterbelichtet, ungerecht und in gewisser Weise als brutal, sind wir am Ende bei ihm, als er sich mit dem Truck aus dem Staub macht. Gerechter als seine früheren Handlungen an Rayette ist das gewiss nicht, aber wir kennen nun den Hintergrund des Mannes, und es fällt uns leichter, ihn zu rechtfertigen. Ein Lehrbeispiel dafür, wie Identifikation auch damit zusammenhängt, wie sehr man eine Figur aus ihrem Umfeld und ihrem Werdegang heraus erschließen, in ihren in diesem Fall etwas ausgelatschten Schuhen gehen kann, wenn man so will.

Jack Nicholson als Macho mit Problemen macht einmal mehr einen großartigen Job, und eine Oscarnominierung für ihn (und für Karen Black als Rayette in der nicht einfach zu spielende Rolle des einfach gestrickten Mädchens) finden wir unabhängig von der sonstigen Filmproduktion des Jahres gerechtfertigt, zumal seine Art der Darstellung bereits weitgehend den heutigen Konventionen entspricht und ganz New Hollywood verpflichtet ist, in dem das Kino und der Alltag und die Beobachtung seiner Menschen für einige Jahre eine innige Beziehung zueinander pflegten.

Finale

Der Titel des Films bezieht sich nicht, wie Roger Ebert in seiner zeitgenössischen Kritik von 1970 schrieb, auf die Zahl von Roberts Frauenbekanntschaften entlang seines Weges, deren gab es nur drei, sondern auf ein Notenbuch für Klavier, das er als Kind besaß (und das „fünf leichte Stücke“ hieß). Er beschreibt den Film in seiner Neurezension von 2003, in welcher er ihn seiner Kollektion von „Great Movies“ zuordnet, als tief und genau das, was sich die Kritiker damals erhofft hatten: „This was the direction American movies should take: Into idiosyncratic characters, into dialogue with an ear for the vulgar and the literate, into a plot free to surprise us about the characters, into an existential ending not required to be happy.“

Das war die Richtung, die das amerikanische Kino nehmen sollte: Hin zu eigenwilligen Charakteren, zu Dialogen mit einem Ohr fürs Ordinäre und fürs Intellektuelle, hin zu einem existenziellen Ende, das nicht unbedingt glücklich sein musste.“

Wir können dem nur beipflichten. Dass es anders kam, mit dem amerikanischen Kino, ist schon wieder Geschichte, aber es ist auch fortdauernd anders geblieben. Dies bedeutet nicht, dass man ganz darauf verzichten muss, interessante Filme anschauen zu können, auch in den USA. Aber es gibt keinen Strom mehr in Richtung Einfühlung, Klarheit und Wahrheit, wie er damals spürbar war. Alle Genres nahmen teil an einer Renovierung des Mediums, deren Ergebnisse nicht verschwunden, aber zu Floskeln erstarrt sind, wie etwa die übertrieben witzigen Dialoge in Situationen, in denen niemand mehr Zeit hat für Dialoge.

Außerdem ist „Five Easy Pieces“ leicht zu verstehen, macht kein Aufhebens um sich selbst, wenn man von der Tatsache absieht, dass die Offenbarung von Roberts Vergangenheit die bisherige Sichtweise des Zuschauers ziemlich abrupt geraderückt und sich auch die Figur Robert ein wenig an diese Tatsache anpassen muss, dass er plötzlich intellektuellere Sätze sagen darf, weil man nun weiß, er kommt aus einer Künstlerfamilie. Er hat natürlich im Haus der Familie die besseren Dialogpartner und hebt sich durch seine dortige Anwesenheit unwillkürlich selbst – ein wenig jedenfalls. Er versucht auch, sich zu prügeln, aber auf sympathische Weise funktioniert das überhaupt nicht. Damit auch das Einfache nicht am Publikum vorüberzieht, trägt der deutsche Titel den Zusatz, der beschreibt, was man sieht, aber was am Ende des Films nicht abgeschlossen ist. Sonst hätte es ja auch heißen müssen „ein Mann findet sich selbst“.

81/100

© 2022 Der Wahberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

(1), kursiv, zitiert, tabellarisch: Wikipedia

Regie Bob Rafelson
Drehbuch Carol Eastman
Bob Rafelson
Produktion Bob Rafelson
Richard Wechsler
Kamera László Kovács
Schnitt Christopher Holmes
Gerald Shepard
Besetzung

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