Crimetime Vorschau – Titelfoto © WDR / Bavaria Fiction, Thomas Kost
So schön, euch zu seh’n
Man muss sich nicht mit Margarethe in der Oper Faust selbst besingen mit „Ha, welch ein Glück, mich zu seh’n!“, es reicht, sich an anderen Personen zu erfreuen. Zugegeben, auch Max Ballauf und Freddy Schenk haben uns bisher nicht in die Direkt-nach-Premiere-Rezensionen zurückholen können, außerdem haben die Langzeit-Kommissare die unangenehme Eigenschaft, uns tatsächlich den Spiegel vorzuhalten, denn sie werden älter und wenn alles normal verläuft, trifft das auf uns ebenfalls zu.
Doch die beiden Jungs aus Köln sind etwas Besonderes und nach wie vor diejenigen, die wir wohl am meisten vermissen würden, wenn sie von der Tatortbühne abgingen. Dabei haben sie sich mit nicht weniger als 83 Einsätzen (einigen mehr, wenn man Ballaufs Düsseldorfer Zeit mitrechnet) wahrhaft alles verdient, sogar den Ruhestand. Aber vielleicht kriegen sie die Münchener Batic und Leitmayr (87 Fälle) noch gepackt, die sind zwar noch einmal gut fünf Jahre länger unterwegs als das Colonia-Duett, aber die Premierenfrequenz ist bei Ballauf und Schenk etwas höher. Mit die höchste im ganzen Tatortland, wenn ich’s im Kopf richtig überschlagen habe. Als es noch keinen Münster- und kein Dortmund-Tatort gab, haben nur die beiden den WDR für mehrere Jahre repräsentiert, und das mit Bravour. Erst als dank Ermittlern wie ihnen der Tatort sich reformiert und modernisiert, seine Bodenbildung beim Zuschauerinteresse hinter sich hatte, konnte man experimentierfreudiger werden und wirklich schräge Teams kreieren. Können es die Kölner noch?
„Welche Gefühle, Äußerungen sind wahrhaftig, welche sind nur gespielt? Die „echten“ Darsteller um Thomas Heinze, Nina Kronjäger (die übrigens auch in der Realität mal ein Paar waren) und Martin Feifel verleihen ihren Figuren dabei jene geheimnisvolle Undurchschaubarkeit, die es braucht, um das Spiel mit Wahrheit, Lüge, authentischen und vorgetäuschten Emotionen aufrechtzuerhalten. Entstanden ist dabei ein eindrucksvoller Ensemblefilm, der von den eigenwilligen Charakteren mit ihren persönlichen Schicksalen lebt. Die zwei Zeitebenen, die gerade am Anfang stark ineinander verschachtelt sind, verlangen dem Publikum durchaus etwas Kombinationsgabe ab, aber das ist ja nicht das Schlechteste für einen Kriminalfilm. Unbedingte Einschaltempfehlung!“ – Tatort-Fans, Redaktion
Das fängt doch recht gut an. Gemeint sind übrigens Schauspieler, und ob sie echte Gefühle können, denn in diesem Milieu trägt der 1188. Tatort sich zu. Also werden wir gleich mutig und machen weiter mit den Stimmen der Kritik:
Ich habe beim Anschauen dieses Tatorts tatsächlich alles um mich herum vergessen. Die Geschichte hat mich komplett in ihren Bann gezogen. Da ist so gar nichts Gefälliges, kein Versuch, zwischendrin mal mit einem witzigen Spruch das Ganze aufzulockern. – SWR3, Brigitte Egelhaaf
Dafür gibt es fünf Elche, der Film steht also bombensicher in der Kurve, wenn es nach dieser Bewertungsstelle geht. Also ein richtig grimmiger Tatort aus Köln. Es war doch einmal die Gabe der beiden Cops aus der Domstadt, im dialektischen Austausch soziale Themen für uns so aufzubereiten, dass wir sie verstanden haben, dass wir unterschiedliche Positionen dazu kennenlernen durften und dass am Ende alles zwar schlimm war, es kam immerhin zu Todesfällen, aber doch nicht ganz so, denn an der Wurstbraterei werden auch die übelsten Probleme der Gesellschaft plötzlich nichtig und klein. Aber wir sind ja dieses Mal unter Schauspielern. Oder?
»Der Arzt, dem die Sauen vertrauen« Boulevard der Dämmerung: Der Köln-»Tatort« handelt von Schauspielern, deren glanzvolle Tage vorbei sind. Einer von ihnen treibt eines Tages tot im Pool. Sarkastisch, zärtlich, klug. – Der Spiegel, Christian Buß
Buß zieht wieder mal das große Los bei der Titelfindung und in der Folge Vergleiche: Das reale Leben beteiligter Darsteller. Dazu muss man deren Biografien ein wenig kennen, zum Beispiel wissen, dass das Schauspielerpaar im Film auch im Leben mal zusammen war (Thomas Heinze, Nina Kronjäger) und mehr. Im Leben, im Film, da ist selbst der Bezug zu Billy Wilders Meisterwerk „Boulevard der Dämmerung“ nicht absurd, zumal es eine Leiche im Pool gibt. Und am Ende gibt es 9/10. Mehr habe ich bei Buß bisher nie gesehen, obwohl er die 9 in den letzten Monaten jetzt zum dritten Mal gezückt hat, wenn ich mich richtig erinnere. Zumindest seit der zweiten Halbsaison 20/21. Das wertet diese Note aber nicht ab, denn einige jüngere Filmen kamen auch beim Publikum gut an, was bekanntlich nicht immer der Fall ist, wenn Kritiker:innen sich begeistern. Schauen wir noch bei unserer letzten Stelle nach, die wir routinemäßig sichten:
Bei diesem dekonstruierten Krimi erschöpft sich der Spaß nicht nur im Durchdringen der Erzählstruktur und der Lust am Ritt durch die (Wahrnehmungs-)Ebenen, auch das, was hier über das bunte Völkchen erzählt wird, besitzt hohen Unterhaltungswert: Spiel im Spiel, die narzisstische Selbstdarstellung mit Hang zum Melodramatischen. Die Montage ist im ersten Drittel furios, dann dominiert der Raum: die Villa des Schauspieler-Ehepaars, gespielt von Thomas Heinze und Nina Kronjäger, die selbst einmal ein Paar waren. Und der Pool wird zum Zentrum der Geschichte, zur Projektionsfläche, zur Metapher. Trotz Selbstreferentialität bleibt der Film ein Krimi, der Ballauf und Schenk aus ihren Rollen-Klischees befreit. – Tittelbach-TV, Rainer Tittelbach
Dafür 5/6. Kürzlich gab es auch mal 5,5, aber auch hier zumindest eine Einschätzung des 1188. Tatorts als überdurchschnittlich. Das sieht doch gut aus. Kann also Klaus J. Behrendt beruhigt sein? Ich finde es sympathisch, dass ihn die Quote seiner Filme interessiert, wie er kürzlich kundegtan hat, anlässlich 25 Jahre Freddy & ich. Ja, 25 Jahre werden es nun. Letztes Jahr feierten die Münchener übrigens ihr 30-Jähriges. Es ist richtig, dass Schauspieler sich dafür interessieren, wie ihre Filme ankommen. Die Haltung hingegen, ich mache so lange Kommissar:in, wie ich laufen kann (egal, ob das Publikum noch mitrennen möchte). Nun ja, Narzissmus hat verschiedene Spielarten und man soll das Weitermachen um jeden Preis nicht ohne nähere Kenntnis von einer Person pathologisieren, ebenso nicht die Spiegelung in guten Quoten, aber Behrendt und Dietmar Bär (Freddy Schenk) wirken bei allem, was sie im Film darstellen, auch dann, wenn man sie als sie selbst im Fernsehen sieht, sympathisch und nicht übermäßig eitel.
Handlung
Carolin und Moritz Seitz waren einmal bekannt als erfolgreiches Schauspieler-Ehepaar. Doch heute gilt sie als die Frau eines Mörders: Vor vier Jahren wurde Moritz Seitz verurteilt, den einstigen Theaterstar Thore Bärwald nach einer ausschweifenden Silvesterparty umgebracht zu haben.
Jetzt stellt sich Ole Stark der Polizei. Er ist ebenfalls Schauspieler und behauptet, der wahre Mörder zu sein. Neue Ermittlungen kann die Staatsanwaltschaft nicht veranlassen, aber sie gibt Ballauf und Schenk eine Woche Zeit, um herauszufinden, was dran ist an der Geschichte, die ihnen da aufgetischt wird.
Titel | Komponist | Interpret |
---|---|---|
Autumn Leaves | Kosma, Joseph; Enoch, Jaques Charles | Bob Dylan, Nat King Cole, Eva Cassidy, Adderley Annonball, Frank Sinatra |
I Zimbra | Byrne, David; Eno, Brian Peter George | Talking Heads |
Tainted Love | Cobb, Ed | Soft Cell |
Lifes What You Make It | Hollis, Mark David; Friese-Greene, Timothy Alan | Talk Talk |
Good Day | Dawson, Jonathan Jeremiah; Page, David Antony; Leach, Romany | Jonathan Jeremiah |
Nun komm, der Heiden Heiland, No. 3, BWV 659 | Bach, Johann Sebastian | Perahia, Murray |
Blind | Byrne, David; Frantz, Chris; Harrison, Jerry; Weymouth, Tina | Talking Heads |
Nur nicht aus Liebe weinen | Mackeben, Theo | Brings |
Hauptkommissar Max Ballauf – Klaus J. Behrendt
Hauptkommissar Freddy Schenk – Dietmar Bär
Rechtsmediziner Dr. Joseph Roth – Joe Bausch
Staatsanwältin Melanie Novak – Renan Demirkan
Moritz Seitz – Thomas Heinze
Carolin Seitz, seine Frau – Nina Kronjäger
Lene Seitz, Tochter von Moritz und Carolin – Sarah Buchholzer
Ole Stark – Martin Feifel
Betti Stark, seine Frau – Franziska Arndt
Frank Heise, Freund von Carolin Seitz – Florian Anderer
Emre Topal, Kollege von Frank – David Vormweg
Thore Bärwald – Max Hopp
Urs Keller – Manfred Böll
Agnieszka Lewandowska – Julia Goldberg
u. v. a.
Buch – Wolfgang Stauch
Regie – Torsten C. Fischer
Musik – Daniel Hoffknecht