Crimetime 1099 – Titelfoto WDR
Und das in Frankfurt
Der Zeuge ist ein Fernsehfilm aus der Fernseh-Kriminalreihe Tatort der ARD und des ORF. Der Film wurde vom WDR produziert und am 7. April 1980 zum ersten Mal gesendet. Er ist die 111. Folge der Tatort-Reihe, mit Kommissar Enders in Vertretung für Kommissar Haferkamp.
Da haben sie uns wieder eine Perle serviert. Sollten man öfters tun, aber scheint gerade bei „Eintagsfliegen“ wie dem Kommissar Enders schwierig zu sein, weil die Einordnung problematisch ist – und weil es häufig begründet ist, dass es beim einmaligen Einsatz eines Ermittlers oder eines Teams blieb. Ob wir solche Gründe in „Der Zeuge“ entdeckt haben und alles, was wichtig ist, steht in der –> Rezension.
Handlung
In Frankfurt taucht ein Bankräuber-Trio auf, das bisher in Essen und Umgebung „gearbeitet“ hat. Zwei Männer sind in eine Bank eingedrungen, der dritte Täter – vielleicht eine Frau – hat im startbereiten Auto vor der Bank gewartet. Was bisher bei diesen Tätern noch nicht vorgekommen ist: Sie haben auf der Flucht geschossen und einen Wachmann lebensgefährlich verletzt.
Da die Essener Kriminalpolizei mit der Arbeitsweise der Gangster vertraut ist, wird sie von den Frankfurter Kollegen um Unterstützung bei der Aufklärung dieses Falles gebeten. Anstelle von Haferkamp, der in Urlaub ist, meldet sich Kommissar Paul Enders bei seinem Frankfurter Kollegen Fischer. Er kann aber zunächst wenig zur Aufklärung des Falles beitragen, weil wesentliche Aktionen an ihm vorbeilaufen. Zum Beispiel behauptet ein Herr Baumann, Angestellter eines Autoverleihs, den Mann wiederzuerkennen, der am Vortag bei ihm den Fluchtwagen gemietet hat. Der Verdächtige wird verhaftet, die Polizei kann ihm jedoch nichts nachweisen. Da kommt Enders auf eine Idee: Der Zeuge Baumann ist für die beiden Täter, die noch in Freiheit sind, ein wichtiger Mann. Werden sie nicht versuchen, an ihn heranzukommen, ihn mit Geld oder mit Gewalt bewegen wollen, seine Aussage zurückzunehmen? Baumann ist ein unsicherer, unzuverlässiger Mann, zudem Alkoholiker. Was wäre, wenn Enders in die Rolle von Baumann schlüpft?
Nach anfänglichen Bedenken stimmt Kommissar Fischer dem Experiment zu: Paul Enders bezieht Baumanns Wohnung und übernimmt auch seine Arbeit beim Autoverleih. Wenig später taucht eine Frau auf, die sich als Journalistin ausgibt und Baumann/Enders um ein Interview bittet: In Wahrheit ist sie Inga Weiss, die Fahrerin des Fluchtautos. Enders verabredet sich mit ihr für den Abend. Inzwischen hat der Fall eine gefährliche Wendung genommen. Der Wachmann ist seinen Verletzungen erlegen. Werden die Täter jetzt aufs Ganze gehen? Werden Inga Weiss und ihr Komplize Klaus Brender den Zeugen umlegen? Kommissar Enders muß auf alles gefaßt sein.
Rezension
Sogar in Frankfurt trifft der Kommissar aus Essen auf eine Wirtin, die super nett ist und gut kocht. Offenbar war schon damals das Image der Städte etwa wie heute: Das gute, alte Ruhrgebiet mit seinem Gefühlsmenschen und die Bankenstadt mit ihrer Kälte und mehr Schein als Sein. Dabei standen die meisten heutigen Türme im Jahr 1980 noch gar nicht, wie man auf den Panoramabildern sehen kann. Doch bereits diejenigen, die es seinerzeit gab, waren wohl faszinierend genug, sie nehrfach ins Bild zu setzen. Man merkt schon, dass der Film die Sicht des WDR auf die Mainmetropole spiegelt und ich erinnere mich immer wieder, dass ich mit dem Produzenten der Haferkamp-Tatorte, Werner Kließ, vor seinem Tod noch Kontakt hatte. Er hat mir gegenüber abgestritten, dass die Tatorte bewusst dem Duktus des Neuen Deutschen Films angenähert wurden oder ihn gezielt aufnahmen, um modern, manchmal auch kühl und immer kritisch zu wirken. Haferkamp selbst war ja eher ein „barocker“ Mensch, der gerne alten Jazz hörte, gutes Essen und auf zurückgezogene Weise die schönen Dinge des Lebens liebte, wirkte aber weniger wie aus einer anderen Zeit als z. B. der Hamburger Kommissar Trimmel. Jörg Hube als sein Vertreter Enders hingegen ist einfach nur – nett. Sympathisch. Geht einen eigenen Ermittlungsweg, aber ohne dabei seine Partner in Frankfurt zu kompromittieren.
Die Handlung ist eine ziemliche Räuberpistole in jedem Sinne des Wortes, das zeigt sich auch am Ende: Da sitzt der echte Baumann auf den Stufen des Polizeipräsidiums und denkt nach, ob er nun seine Aussage zurückziehen soll oder nicht. Er kriegt aber die Belohnung eh nicht, weil er einen unschuldigen Mann als Tatbeteiligten identifiziert hat. Falls Enders das wusste, wäre es eine böse Ironie von ihm, die man ihm zuvor gar nicht zutraut. Denn im Grunde kommt alles auf ihn zu, weil er eben so sympathisch ist, vor allem gilt dies für den weiblichen Teil des Räubertrios, der sich freiwillig bei einem Abendessen bei der oben erwähnten netten Wirtin offenbart, nachdem sie sich zuvor als Journalistin ausgegeben hat.
Am Ende dreht sie Enders eine Nase, weil er sie reingelegt hat, so etwas habe ich bisher in einem Tatort noch nie gesehen und es weist schon auf ein Merkmal dieses Films hin: Er ist auf manchmal groteske Weise witzig und bei den Schauspielleistungen war ich mir nicht sicher, ob sie absichtsvoll rudimentär sind, weil damit das Setting karikiert werden sollte, oder ob man es einfach nicht besser konnte. Damit meine ich immer alle Beteiligten, nicht nur die Darsteller, denn es sind ja einige bekannte Namen darunter. Zum Regisseur Peter Adam hingegen habe ich nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag gefunden. Heinz Hoenig als hyperaktiver Bankräuber und Claudia Demarmels als seine Freundin und Geschäftspartnerin stechen dabei besonders hervor, während Peter Bongartz einen Typ spielt, den er häufig gibt, Jörg Hube wirkt als Enders schon sehr gelassen und zurückgenommen, wenn man von seiner auffälligen Jacke absieht. Vielleicht sagt seine Freundin in Essen deshalb zu ihm: „Tschüs Paul und komm nicht so schnell wieder“, dann holt sie ihn aber doch inkonsequenterweise am Bahnhof ab. Wenn das alles sehr gezielt und präzise inszeniert wirken würde, könnte man sagen, er wirkt eben vor allem in Abwesenheit, man vermisst ihn, aber ob man so weit gedacht hat, lässt sich nicht feststellen, weil der Stil des Films keine Aussage über gewollt oder unfreiwillig komisch zulässt.
Das Drehbuch ist schon ziemlich originell, aber auch schwierig in die Spur zu bringen, vor allem in dem Moment, als Baumann einfach das Hotel verlässt und in seine Wohnung zurückkehrt, wegen der Katze „Musch, musch“ ist die richtige Ansprache, nicht „Miez, miez“ und wegen des Stoffs, den er dort gebunkert hat, der aber leider ziemlich alle ist. Die Minibar im Hotelzimmer wäre vielleicht die bessere Lösung für das Bedürfnis nach Alkohol gewesen. Wenn man tiefer gräbt, als es vielleicht von jenen vorgesehen war, die den Film gemacht haben, wird man durchaus fündig.
Die schäbige Dachwohnung von Baumann in einem offenbar aus verschiedenen Gewerbe- und Wohneinheiten zusammengeschusterten Ensemble irgendwo in einer wenig hübschen Gegend von Frankfurt hat mich leider an einen realen Vorgang erinnert, mit dem wir es gerade zu tun haben und der so sehr dazu anregen könnte, eine Geschichte darüber zu schreiben, wenn die Kreativität derzeit vorhanden wäre. Der Mann und sein Leben sind durchaus so konzipiert, dass man die Einsamkeit des selten Beachteten, der nur von seinem Chef herumgeschubst wird, seinen Wunsch, als Zeuge mal groß herauszukommen, verstehen kann. Uwe Dallmeier bietet in der Rolle des Baumann neben dem bewährten Willy Semmelrogge als Kreutzer auch die eindeutig als positiv zu identifizierende Leistung an, und wenn man solch eine Rezension wie diese an einem grauen Novembertag schreibt, während Corona die Stadt rockt, während man erkältet allein zu Hause sitzt und nicht im Büro und mit Kolleg:innen in pandemiegemäßem Abstand, aber doch so in der Nähe, dass Kommunikation möglich ist, bekommt man beinahe automatisch ein Gespür für das Leben des Baumann, während alle anderen Figuren eher nicht plastischer werden. Wie auch, Baumann ist der einzige, dessen Privates wir näher kennenlernen, auch wenn über seine Biografie eben sowenig etwas verlautbart wird wie über die der anderen Charaktere, etwa der Polizisten oder die des Banräubertrios. Da ist „Der Zeuge“ noch ganz klassisch, es wird nur gezeigt, das Meiste darf man sich hinzudenken und ist recht frei bezüglich der Interpretation.
Finale
Wegen der oben erwähnten persönlichen Umstände wollen wir die Rezension auch nicht zu sehr ausdehnen. Der Film hat durchaus einen rauen und irritierenden Charme, der sich auch in Momenten begründet, die nicht sehr professionell ausgeführt wirken. Vermutlich wurde auf Videomaterial gedreht und überhaupt wirkt der Film eher billig gemacht, obwohl man bei der Besetzung nicht an interessantem Personal gespart hat und ist in vielen Details nicht stimmig, die auf eine gewisse Nachlässigkeit bei der Ausführung schließen lassen. War dieses Drehbuch ursprünglich für Hansjörg Felmy als Kommissar Haferkamp vorgesehen? Ich stelle ihn mir gerade vor, wie er im „Clever“-Blaumann einen Ford Granada Kombi in Beige abledert und sich von Chef Clever seinerseits abbürsten lässt. Das wäre noch komischer gewesen als das, was wir sehen und daher ist die Vertretung durchaus die bessere Lösung. Wir sind gerade dabei, das Tatort-Punkteschema ein wenig abzusenken bzw. zu spreizen. Zu einem früheren Zeitpunkt hätten wir vermutlich 6 Punkte vergeben, jetzt verharren wir bei
5,5/10.
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2021)
(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia
Regie | Peter Adam |
Drehbuch | Peter Adam |
Produktion | Werner Kließ |
Musik | Klaus Doldinger – Tatort Thema |
Kamera | Helge Weindler |
Schnitt | Lilian Seng |
Besetzung | |
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