Filmfest 774 Cinema – Concept IMDb Top 250 of all Time (95)
Style und Stars und der Clou mit den sieben Oscars
Johnny Hooker ist ein Trickbetrüger, der versehentlich den Geldboten eines Mob-Bosses um 11.000 Dollar erleichtert, was seinen Freund Luther das Leben kostet, auch hinter Hooker sind die Killer von Lonnegan, dem Mobster, her. Der aber verkriecht sich nicht so, dass man ihn gar nicht finden könnte, sondern organisiert mit Hilfe von Luthers früherem Partner Henry Gondorf einen spektakulären Rachefeldzug, der nicht mit Gewalt, sondern sehr tricky ausgeführt ist und Lonnegan um eine wirklich große Summe bringen soll. Der Plan dazu wird in allen Details und stufenweise in Form von Kapiteln erklärt.
Der Eindruck nach dem Film? Es geht mehr um den Ausdruck als um den Eindruck – wie sag ich’s den Fans dieser hochdekorierten Gaunerkomödie? Also fangen wir lieber mit dem Positiven an. Das Superstar-Duo Redford und Newman funktioniert auch hier wieder prächtig, wie schon in „Butch Cassidy an the Sundance Kid“ (1969) vom selben Regisseur, George Roy Hill. Das ist angesichts der Präsenz der beiden schon die halbe Miete. Dazu wirken die 30er Jahre hier so fluffig und stylish, wie sie in den echten Gangsterfilmen aus den 1930ern niemals waren, bis hin zu Redfords Krawatte, die in Format und Muster eher der ausladenden Mode von 1973 entspricht als der von 1936. Die anderen Figuren sind optisch nicht so stark überzeichnet und bei den Settings und Autos hat man sich wirklich um Originalität bemüht, wir haben keine größeren Fehler gefunden.
Nun aber zu den offensichtlich enttäuschenden Aspekten. Die IMDb weist haufenweise Fehler im Film nach, hin und wieder doch bei der Verwendung von Produkten und Gestaltungselementen, die es in den 1930ern so nicht gab, allerdings ist uns das durch die Rasanz der Szenen und dadurch, dass es relative Kleinigkeiten waren, einige davon nur für Amerikaner erkennbar, nicht ins Auge gesprungen.
Aber es gibt gemäß obiger Quelle allein 19 teilweise massive Robleme im Continuity (bei den Szenenanschlüssen) sowie einige faktische Fehler, auch davon fielen uns die meisten nicht auf, weil der Film so ekstatisch ist, dass man keine Zeit hat, sich auf Details allzu sehr zu konzentrieren. Insgesamt zählt die IMDb derzeit 42 Fehler, alle 3 Minuten gibt es also einen. In Zeitlupe wäre das sicher alles viel auffälliger. Für uns belegt diese vergleichsweise schlampige Arbeit schon, dass „The Sting“ eben nicht eine so hohe Produktionsqualität hat, wie ihm zuweilen unterstellt wird und für einen siebenfachen Oscargewinner und die Komödie mit den meisten Oscars jemals ist das eigentlich nicht gangbar. Vor allem der Oscar für den besten Schnitt steht wegen der vielen Fehler unter einem erheblichen Fragezeichen, denn viele der Anschlussfehler hätten beim Cutten auffallen müssen.
Dass der Film trotz seiner Flaws technische Oscars abgeräumt hat, belegt aber auch, dass die Academy sich von den Stars hat mitreißen lassen, ohne allzu genau hinzuschauen. Und auch, ohne allzu genau über den Plot nachzudenken.
Das Kernproblem ist also der Plot? Der Film ist eine Kriminalkomödie, keine Satire oder Persiflage, das vorweg. Das heißt, eine gewisse Logik und Wahrscheinlichkeit sollte ihm innewohnen. Wir haben nun einmal das Problem, dass wir, unter anderem durch die Parallelarbeit an der TatortAnthologie (jetzt integriert in „Crimetime“, Anm. TH), mittlerweile einige Anforderungen an den Plot stellen. Wir können nicht Dinge in Tatorten massiv kritisieren, sie aber bei einem siebenfachen Oscargewinner beiseite schieben, weil Redford und Newman zwei exzellente Schauspieler und in ihren Ganovenrollen sehr kapabel sind. Besonders von Newman sind wir richtiggehend Fans und haben auch bei „Der zerrissene Vorhang“ schon verhalten rezensiert, obwohl das Fan-Dasein durch Hitchcock noch gedoppelt wurde.
Okay, der Plot ist nicht vorwiegend komisch, sondern überwiegend lächerlich. Sorry für diese klare Erkenntnis. Der Kernpunkt der Unglaubwürdigkeit ist folgende Prämisse, die der Film selbst erstellt, um schneller durch die Handlung zu kommen: Lonnegan weiß alles, den Eindruck gewinnt man anfangs. Blitzschnell kriegen seine Leute in Chicago heraus, dass der Kurier Mottola sich sie 11.000 Dollar nicht selbst unter den Nagel gerissen hat, wer ihn reingelegt hat und wie man an diese Leute herankommt, sodass einer, Luther, schnell von Lonnegans Leuten umgelegt wird. Johnny Hooker, der Mann mit den geschwinden Beinen, entkommt immer wieder. Auch dazu gibt es noch etwas zu sagen, aber der Reihe nach.
Bei dem, was Lonnegan, der selbst gar nicht so elaboriert wirkt, durch seine Leute alles gesteckt bekommt, kriegt er nicht den großen Bluff ebenfalls hinterbracht? Das ist schon ziemlich frech gestaltet. Was so einem Boten passiert, zwei Kleingauner ausfindig zu machen, das geht ratzfatz, aber ein Großschlag gegen sein Geld, ausgeführt von schätzungsweise 50 Leuten aus der Unterwelt, die einander alle ganz doll lieb haben, den kriegt dieser ins Geld so verliebte Mensch nicht mit. Da hätte wohl jeder normale Mobster Informationen durch Dritte einholen lassen, bevor er 500.000 Dollar, 1936 eine Riesensumme, im Koffer ins Wettbüro trägt. Sicher sind die Tricks alle gut ausgeführt und das Reinlegen mit verzögerten Rennverläufen soll es wirklich gegeben haben, aber die Reichen, die da ausgenommen wurden, waren sicher keine Mob-Bosse mit einem derart riesigen Apparat. Zumal mit eigenen Wettbüros in der Stadt, schon deshalb hätte auffallen müssen, dass es plötzlich einen Konkurrenten gibt, den vorher niemand kannte.
Ebenso hätten Lonnegans Killer und Helfer irgendwann einmal merken müssen, dass Hooker und Kelly, der vorgebliche Assistent des vorgeblichen Mr. Shaw (Gondorf) ein und dieselbe Person sind, schließlich verfolgen sie Hooker ständig und müssten demnach mitbekommen, wenn er Richtung Aktion mit Gondorf marschiert.
Eine weitere hochgradige Unglaubwürdigkeit ist die Sequenz mit dem italienischen Spitzenkiller Salino, der sich als eine Sie herausstellt. Dass diese Hooker auf offener Straße erschießt und dadurch ihrerseits Opfer von Gondorfs Schützen wird, den dieser zu Hookers Schutz abgestellt hat, hätte wirklich nicht passieren müssen, die Erklärung „bei früherer Erledigung wäre das aufgefallen (…)“ ist mehr als dürftig. So nämlich fällt es auf, aber wenn sie ihn irgendwo im Restaurant oder im Bett umgebracht hätte, wäre es eine wahrhaft todsichere Sache gewesen.
Ein weiteres Problem rankt sich um den korrupten Polizisten Snyder vom Betrugsdezernat. Auch er bekommt anfangs alles unerklärt schnell heraus, wobei noch gesagt wird, dass er eh allenfalls der Zweitschnellste bei den Infos ist (wie schnell muss derjenige sein, der am schnellsten Bescheid weiß?), dass Hooker einen Gangster-Kurier um 11.000 Dollar erleichtert hat und will ihm davon 2.000 abnehmen (1). Synder wirkt sehr tricky, ist immer dicht am Geschehen – und lässt sich dann, wie Lonnegan, auf eine zwar geschickt gemacht, aber letztlich doch zu simple Weise reinlegen. Wer so mit der Polizeiarbeit vertraut ist wie Snyder, dem muss an dieser Horde falscher FBI-Polizisten irgendetwas auffallen oder er hätte sich mindestens via Dienstkanal rückversichern müssen, dass das FBI wirklich an der Sache dran ist.
Es ist vor allem die Inadquanz von Informationsflüssen in der einen oder anderen Richtung, die den Plot schief werden lässt, denn damit, dass alle Tricks funktionieren, steht und fällt er ja. Weitere Schwachstellen wie die Tatsache, dass Lonnegan sich überhaupt auf all das einlässt und sich im Stil eines Tölpels von einem Trick zum nächsten manipulieren lässt, sind den Drehbuchautoren wohl selbst aufgefallen, deshalb legten sie Gondorf den Satz in den Mund, dass Lonnegan schon verloren hatte, bevor er beschloss, jemand zu werden. So wirkt er in der Tat, aber wie konnte er im wilden Chicago der 1920er dann so mächtig werden, wo der dazu noch in New York sitzt und in Chicago seine Leute ja sehr fest im Griff haben muss. Das wird alles dadurch erklärt, dass er ohne Federlesens andere umbringen lässt, also die Gangsterwelt in Furcht hält. Bei seinem Aufstieg aber hätten ihm andere, ähnlich skrupellose, aber denkschnellere Typen garantiert im Weg gestanden. Auch zu diesem Aspekt sollte man sich die vergleichsweise realistischen Gangsterfilm der frühen Tonfilmzeit noch einmal anschauen. Da haben weitaus kleinere und einzelne Fehler ausgereicht, um jemanden für immer aus dem Rennen zu werfen. Ein wenig wird sich Lonnegan auf eine irische Connection gestützt haben, die aber nur sehr dezent angedeutet wird, weshalb aber auch Gondorf sich als „Shaw“ ausgibt (der Realname des Schauspielers, der Lonnegan verkörpert), als er in die Pokerrunde im Zug einsteigen will, also quasi als Landsmann von Lonnegan. Wenn man will, kann man dahinter die Erklärung suchen, dass Lonnegan sich mit dem pöbelnden Säufer überhaupt einlässt, der viel zu deutlich den Besoffenen markiert, um Lonnegan dann besser reinlegen zu können.
So ziehen sich Fragwürdigkeiten durch den ganzen Film, der zudem auch den Oscar für das beste Originaldrehbuch erhalten hat. Es versteht sich, dass wir gerade bei einem solchen Film etwas genauer hinschauen. Wer ein wirklich gutes Drehbuch zu einem Pierod Picture aus den 1970ern über die 1930er sehen will, der soll sich „Chinatown“ aus dem Folgejahr anschauen, das ist beinahe makellos – der Film ist auch keine Komödie, aber wenn das Wort „Krimi“ drübersteht, und nicht „Burleske“, dann darf man ruhig ein wenig mehr Konsistenz ins Script bringen, als das bei „The Sting“ der Fall ist.
Weniger hat uns gestört, dass die Figuren Gondorf und Hooker in den 1930ern auch nicht richtig vorstellebar sind, dass Hooker immer wieder auf schnellen Füßen vor Killern und der Polizei flieht, dass Gondorf, der als Schnarchnase ins Bild kommt, binnen kürzester Zeit eine solche logistische Meisterleistung wie das falsche Wettbüro mit all seinem Personal zustande bringt. Schließlich muss er nach dem jahrelangen Rückzug aus dem Big Business doch seine Bekannteschaften eigentlich erst einmal reanimieren – und auf Loyalität überprüfen. So viel zur Handlung. Die Musik ist cool.
Die Musik als Bonus? Scott Joplin hat „The Entertainer“, die vielfach variierte Grundmelodie des Films, schon um 1900 geschrieben, aber sie wirkt auch in einem Film aus den 1930ern noch gut und gibt dem Ganzen einen ebenso nostalgischen wie pfiffigen Touch, passend zu Hooker und Gondorf und sie unterstüzt den besonderen Rhythmus des Films, der unter anderem dadurch erzeugt wird, dass Figuren eher durchs Bild geschleust werden als von Anfang bis Ende zentral darin platziert. Vor allem die Eröffnungsbilder mancher Szenen sind ingeniös und geben dem Film neben den Sets einen individuellen Stil. Das ist schon alles nett gemacht und zusammen mit den Stars und den übrigen Schauspielern, die alle gut sind, sorgt es auch dafür, dass „The Sting“ trotz seines illusionistischen Plots keine schlechte Bewertung bekommt. Wir sind ja nicht so, dass wir einen Faktor allein würdigen und über alles andere stellen, was durchaus gelungen ist. Aber wenn man sich schon darauf eingerichtet hat, einen Film für die ewige Anthologie auf Datenträger zu bringen und dann bei 7,5/10 herauskommt, ist das eben enttäuschend, zumal bei einem Film, der den Oscar als bester Film des Jahres gegen den wundervollen „American Graffiti“ von George Lucas und den hochbrisanten „The Exorcist“ gewonnen hat. Dafür, dass er diese Filme abgehängt hat, wirkt „The Sting“ heute ein wenig zu leichtgewichtig und sicher hat es mit Redford und Newman zu tun, dass so viele Auszeichnungen zusammenkamen. Es ist aber auch auffällig, dass außerhalb der Oscars relativ wenige Preise für „The Sting“ abgefallen sind. Unter anderem kein Golden Globe, dafür war sogar nur das Drehbuch als einzige Kategorie nominiert. Die normalerweise starke Korrelation zwischen den beiden Preisen ist hier komplett aufgehoben.
Hat die Geschichte einen realen Hintergrund? Hat sie, Henry Gondorf gab es wirklich, er arbeitete allerdings hauptsächlich vor dem Ersten Weltkrieg und ein Betrogener hatte weniger Bedenken auszusagen als Lonnegan im Film und brachte ihn für ein paar Jahre nach Sing Sing. Die Methode „The Wire“, die im Film beschrieben wird, war also 1936 wirklich schon veraltet – weshalb man gerade dieses Jahr genommen hat, bleibt der Spekulation überlassen.
Das Fazit? Es macht Spaß, Redford und Newman zuzuschauen, aber der beste Film des Jahres 1973 ist „The Sting“ nicht. Wenn man sich den Spaß an dem Film erhalten will, sollte man die Handlung nicht zu kritisch hinterfragen, wir müssen das aber tun, weil deren Qualität zur Gesamtbewertung in einer Rezension gehört, aber es gibt eben keine 9 oder 8,5 Punkte, die bei stärkerem Plot angesichts der anderen Aspekte durchaus drin gewesen wären, sondern nur die erwähnten 7,5/10.
© 2022 Der Wahlberliner (Entwurf 2014)
-
Die Relation der Summen sollte man nicht allein an der Inflation seit 1936 festmachen, sondern auch am gestiegenen Wohlstand – 1.000 Dollar waren damals etwa ein durchschnitliches Jahresgehalt, die erwähnten 500.000 Dollar von Lonnegan also ein echtes Vermögen.
Regie | George Roy Hill |
---|---|
Drehbuch | David S. Ward |
Produktion | Tony Bill, Julia Phillips, Michael Phillips |
Musik | Scott Joplin |
Kamera | Robert Surtees |
Schnitt | William H. Reynolds |
Besetzung | |
|