Frontpage | Geopolitik | Wirtschaft | Anteile russischer Ölexporte nach wichtigen Abnehmerländern
Wir freuen uns, dass Statista heute wieder eine besonders wichtige Grafik aufgelegt hat, die ein wichtiger Baustein in der Diskussion um Sanktionen gegen die russische Wirtschaft wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine sein könnte. Nämlich: Was könnte das EU-Ölembargo bewirken? Auch den heute gefundenen Kompromiss, der auf dem EU-Sondergipfel erzielt wurde, stellt der Begleittext bereits dar. Wir kommentieren im Anschluss an die Grafik und diesen Text:

Nachdem in den vergangenen Wochen bereits in einigen EU-Ländern über einen Importstop für russisches Gas bis Ende 2022 diskutiert wurde und Russland als Warnung Ende April die Versorgung von Polen und Bulgarien mit dem fossilen Energieträger eingestellt hatte, wurde jetzt seitens der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union ein Teil-Embargo für den Import von russischem Öl beschlossen. Nach Berichten der Tagesschau handelt es sich dabei um ein Einfuhrverbot über den Seeweg, Transportwege wie die Druschba-Pipeline, die beispielsweise Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Deutschland versorgt, bleiben davon ausgenommen. Wie unsere Grafik zeigt, könnte Russland diese Sanktion mit verstärktem Fokus auf seine südlichen Nachbarn ausgleichen.
Schon 2020 belief sich der Warenwert russischer Ölexporte nach China laut UN Comtrade auf rund 24 Milliarden US-Dollar, ein Wert, der den gesammelten Ölimporten aus den Niederlanden, Deutschland, Polen und Italien im selben Jahr entsprach und in Zukunft deutlich steigen könnte. Alleine in den Top 10 der größten Exportzielländer für russisches Öl befanden sich 2020 sechs EU-Staaten, die sich voraussichtlich unter dem neuen Embargo umorientieren müssen: Laut Wirtschaftswoche werden 70 bis 85 Prozent des Öls in Tankern nach Europa verschifft. EU-seitig will man den Wegfall unter anderem durch eine Kapazitätserhöhung der südosteuropäischen Adria-Pipeline kompensieren.
Russland scheint, neben der schon seit einigen Wochen gängigen Praxis des Charterns griechischer Öltanker, allerdings schon andere Abnehmer für den Energieträger gefunden zu haben. Die Türkei und besonders Indien fahren die Importe von russischem Rohöl seit einigen Wochen deutlich nach oben und profitieren dabei von einem sanktionsbedingten Preisabschlag. Je nach Fortschritt dieser Entwicklung könnte ein Öl-Embargo der EU also weniger Einfluss auf den russischen Staatshaushalt haben als erhofft.
Nun wäre es interessant, zu wissen, wer sonst noch in welchem Umfang Öl nach China liefert und zu welchen Konditionen, um ausloten zu können, ob der ohnehin bei weitem größte Abnehmer weitere Kapazitäten für russisches Erdöl hat. Eines wird Herr Xi sicher nicht tun. Die Tanks nur um Freund Putin willen überlaufen lassen. Es sei denn, es ergibt sich eine Möglichkeit zum Weiterverkauf mit Aufschlag, das würden wir ihm wiederum zutrauen. Nun rechnen wir aber mal zusammen: Allein die oben gelisteten EU-Staaten kommen auf 44,8 Prozent, nehmen also mehr ab als China, weitere europäische Länder, die an den Sanktionen teilnehmen, wie Großbritannien, muss man addieren, ebenso kleine Abnehmer, die nicht auf der obigen Liste stehen. Insgesamt wird man also dazu kommen, dass Westeuropa immer noch erheblich mehr russisches Öl kauft als China. China wird diesen Anteil sicherlich nicht kompensieren können.
Daraus ergibt sich auch die Logik des Preisabschlags, den Russland gewähren muss, wenn es an neue Abnehmer liefert, welche die Gunst der Stunde erkennen, wie etwa Indien. Den aktuellen Marktpreis von ca. 120 Dollar je Barrel Öl kann Putin bei diesen Geschäften vergessen, bereits laufende langfristige Verträge sind ohnehin, wie beim Gas, günstiger für die Abnehmer. Es stimmt also nicht, dass die „Druschba“ das Exportembargo quasi aushebelt, das dürfte zumindest der kleinere Anteil an russischen Lieferungen nach Westeuropa sein. Nachgerade unsinnig nimmt sich deshalb der Streit mit Ungarn aus, das nur 1,4 Prozent der russischen Expoerte abnimmt. Das sieht man u. a. am hohen niederländischen Einkaufswert: Dorthin wird das Öl per Schiff verbracht und er ist so hoch, weil in Rotterdam Öl für andere Länder raffiniert wird, nicht, weil die Niederlande so einen enorm hohen Ölverbrauch hätten.
Das Narrativ einiger Linker, die meinen, Russland würde von den Embargos auch noch preislich profitieren, halten wir für obsolet. Auch eine Umschichtung aller Exporte in den Westen (50 Prozent!, oder vielleicht 30-35 Prozent abzüglich der Druschba-Pipeline) hin zu anderen Abnehmern ist nicht ohne großen logistischen Aufwand möglich, der Einkauf seitens des Westens zu nicht gerade schnäppchenhaften Konditionen bei anderen Lieferanten hingegen schon, denn es wird bei weitem nicht an Öl gefördert, was gefördert werden könnte. Man hält sich zurück aus strategischen und taktischen Gründen, Letztere bestehen vor allem darin, kein Überangebot zu schaffen, das die Preise zu sehr zu sehr in den Keller sinken lassen würde. Das ist schon lange die Politik der OPEC, sie startete auf legendäre Weise mit zwei Öpreisschocks 1973 und 1979. Sie funktioniert auch, sofern man sich dort einigermaßen einig ist und nicht einzelne Länder finanziell so unter Druck stehen, dass sie unbedingt Öl verkaufen müssen, zu jedem Preis, wie es zwischenzeitlich in Venezuela der Fall war. Jetzt aber würde sich die Chance für die OPEC-Staaten bieten, sich richtig die Kassen vollzumachen, bevor die Energiewende die goldenen Zeiten Vergangenheit sein lässt. Nie war der Zeitpunkt, die Abnehmer wieder ein wenig auszunehmen, günstiger als im Moment, u. a., weil Russland als Alterantivanbieter sanktioniert wird. Das muss man wissen, wenn man im Westen das Teil-Ölembargo seitens der EU unterstützt.
Russland ist sicher nicht, wie einige es verkaufen wollen, in Wirklichkeit ein Gewinner der Sanktionen, denn Staaten handeln interessengesteuert und Russland unendlich zu pampern, ist nicht im Interesse der möglichen neuen Abnehmer. Es gibt keine Solidarität in diesem großen Maßstab und schon gar nicht zwischen Imperien, auch wenn sich die großen und kleineren Diktaturen auf eine ungute Weise miteinander verbunden fühlen. Vielmehr darf Russland, das schreiben wir immer wieder gerne, sich schon mal daran gewöhnen, dass China zum gegebenen Zeitpunkt die Konditionen für wirklich alles im bilateralen Verhältnis diktieren wird und auch in Indien lässt die Politik gerade stärker als bisher durchblicken, wie viel Macht man durch einen riesigen Absatzmarkt in der Hand hält. Man wird es sich dort nicht mit dem Westen und mit der eigenen, ökonomisch ziemlich gerupften Bevölkerung verscherzen, indem man Russland Mondpreise für sein Öl bezahlt. Am meisten profitieren also die „neutralen“ Staaten davon, die sich nicht profilieren und vorgeblich nicht positionieren. Wenn zwei sich geopolitisch streiten, freut sich ein ganzes Bündel Dritter.
Das ist der Preis, den sowohl Russland also auch der Westen zu zahlen haben. Dass beide ihre geopolitische Situation verschlechtern. Eine der Absurditäten heutiger Kriege im Zeichen des Imperialismus, die zeigen, warum Chinas Weg der „Soft Power“ strategisch so viel vorteilhafter ist. Man kann Menschenrechtsverletzungen begehen, wie man will, niemand traut sich mehr, Konsequenzen anzudrohen. Wir haben diese Entwicklung bereits befürchtet und darüber geschrieben, als eine Eindämmung der größten und gefährlichsten Diktatur der Welt noch möglich gewesen wäre, vor mehr als 10 Jahren. Aktuell sieht es so aus, dass der Krieg in Europa alle Europäer, auch die Russ:innen, sehr viel kosten wird. Absurd eben, das Ganze, selbst wenn man die vielen Todesopfer gar nicht in die Betrachtung einbezieht, sie steigern diese Absurdität freilich in erheblichem Maße.
Sollte man deshalb die Sanktionen lieber sein lassen? Wir hatten von Beginn an mehr für Waffenhilfe an die Ukraine plädiert, aber wir haben mit einer Mischung aus Entsetzen und Amüsement gelesen, wie einige friedensbewegte Linke nun argumentieren, man müsse doch Pragmatismus, nicht Moralismus walten lassen, um diesen Krieg zu beenden. Sicher, man kann ganz pragmatisch einen Diktatfrieden Putins zulassen und ihn auch in einigen anderen Ländern, die noch keine NATO-Mitglieder sind, ein bisschen was erobern oder „anschließen“ lassen. Ist es das, was die bisherigen Friedens-Generalmoralisten, die sich jetzt auch noch als Pragmatiker darstellen, wollen? Vermutlich ja. Klar, wir können und dürfen nicht jeden Preis zahlen, vor allem der Teil der Bevölkerung, den es besonders hart trifft, darf das nicht. Deswegen meinen wir: Es muss endlich an die Kriegsgewinner und die Reichen im Allgemeinen herangetreten werden, um diese Moral zu finanzieren. An diejenigen, die Moral propagieren und sie sich leisten können. Wir alle tragen diesen Krieg sowieso dadurch mit, dass sich die ökonomischen Parameter immer mehr zu unseren Ungunsten verschieben, ohne dass wir uns auch nur mucksen und dagegen protestieren. Wir sind bereits moralisch und lassen uns den Widerstand aus moralischen Gründen wegnehmen, wo andere bloß davon reden und wir sind so pragmatisch und realistisch, zu sehen, welche die sozialen Folgen dieser seit Jahren anhaltenden, durch immer weitere Probleme wie die Pandemie oder den Krieg verstärkten Verwerfungen sein werden. Da haben wir einigen Ideologen eine Menge voraus, die nicht so recht auf der Rolle haben, worum es wirklich geht und wo sie eingreifen könnten und müssten, wenn sie wirklich an die Menschen dächten und nicht an das Wohlergeben von Freund Putin und dessen unwürdiges Regime der wenigen Reichen und der vielen Armen.
TH