Schloss Vogelöd (DE 1921) #Filmfest 788

Filmfest 788 Cinema

Schloß Vogelöd ist ein deutscher Horrorfilm von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahre 1921. Er entstand nach dem gleichnamigen Kriminalroman von Rudolf Stratz.[1]

Ein Horrorfilm nach einem Kriminalroman – geht das? Immerhin wurde der Film im Englischen mit „The Haunted Castle“ betitelt. Ich glaube, wir sehen hier einen der ersten Filme, in dem aus einer vollkommen wirkenden Verkleidung heraus ein Horror entsteht, der nichts mit übernatürlichen Phänomenen zu tun hat. Die Filme von F. W. Murnau vermitteln dieses Gefühl, dass es spukt, wenn auch nur in den Köpfen von Personen. Anders freilich im nachfolgen „Nosferatu“, mit dem Murnau weltberühmt wurde. Da geht Inneres und Äußeres eine Symbiose ein, die heute noch sehr spannend wirkt. Welchem Genre gehört „Schloss Vogelöd“ nun wirklich an? Dies und mehr klären wir in der – Rezension.

Handlung (1)

Eine Männergesellschaft trifft sich zu einer mehrtägigen Jagd auf Schloss Vogelöd, wo Herr von Vogelschrey der Gastgeber ist, doch strömender Regen macht das Vergnügen zunichte und die Gäste vertreiben sich ihre Zeit im Inneren des Schlosses. Auch der nicht geladene Graf Johann Oetsch erscheint. Er wird von den anderen Jagdteilnehmern gemieden, da er im Rufe steht, vor einigen Jahren seinen Bruder Peter erschossen zu haben. Dieses Gerücht wird von einem ehemaligen Landgerichtsrat genährt.

Die Witwe des Bruders, die wiederverheiratete Baronin Safferstätt, wird ebenfalls erwartet – was die Situation unangenehm für den Gastgeber macht. Graf Oetsch ignoriert dies und bleibt. Die Baronin ist bei ihrem Eintreffen entsetzt und entschlossen wieder abzureisen. Die Kunde vom Eintreffen des mit ihrem früheren Mann verwandten Pater Faramund hält sie zurück; sie will bei ihm die Beichte ablegen.

In den folgenden Tagen bezichtigen sich Oetsch und die Baronin – sowie der Baron – gegenseitig des Mordes am Bruder des Grafen. Gleichzeitig, in Rückblenden, erfolgt eine etappenweise Beichte der Baronin, dass ihre Ehe alles andere als harmonisch verlaufen sei. Ihr Ehemann sei mehr und mehr an geistigen Dingen interessiert gewesen als an ihr, sodass sie sich im Beisein des Barons Safferstätt, eines Freundes ihres Mannes, etwas „Böses“ gewünscht habe – was dieser wiederum falsch verstanden und ihren Mann daraufhin erschossen habe. Die gemeinsame Schuld habe schließlich sie und den Baron heiraten lassen, ohne etwas anderes füreinander zu empfinden als Leere.

Der Pater nimmt seinen falschen Bart und seine Perücke ab und offenbart sich als Graf Oetsch, der nunmehr seine Unschuld beweisen kann. Baron Safferstätt erschießt sich. Der echte Pater Faramund erreicht schließlich das Schloss.

Rezension

Wir möchten uns F. W. Murnau von vorne erschließen, aber das ist gar nicht so einfach. Denn einige seiner frühen Filme sind verschollen, so dass wir, anders als z. B. bei Ernst Lubitsch, die Genese, die ersten Schritte des Filmemachers nicht betrachten können. Tatsächlich ist „Schloss Vogelöd“ nach „Der Gang in die Nacht“, den wir bereits besprochen haben, der zweite Murnau-Film, der erhalten geblieben ist. Dies allerdings auf hohem Restaurierungsniveau, von der nach ihm benannten Stiftung gefertigt. Zwischen ihm und „Nosferatu“ liegt noch „Der brennende Acker“, der auf unserer Liste steht. Die großen Filmemacher, die in Deutschland damals tätig waren, haben bereits unverkennbar eigene Handschriften und einen von Beginn an mehr oder weniger künstlerischen Ansatz gezeigt. Besonders trifft das auf Murnau zu, seine Filme wirken in dieser Hinsicht am kompromisslosesten.

Selbst auf die Gefahr hin, dass die Theatralik etwas überschwappt, wie man das in „Schloss Vogelöd“ durchaus feststellen darf, ohne dass man deshalb Murnaus Leistung nicht würdigt oder gar ketzerisch wirkt. Für mich ist dies auch kein Horrorfilm, sondern ein Thriller, in dem lediglich die Natur in Form des Wetters eine besondere Rolle spielt. Es regnet Bindfäden oder Hunde und Katzen, denn angesichts der Seelenzustände der Menschen in diesem Film, zumindest derer, die von dem Mord betroffen sind, der sich vier Jahre zuvor ereignete, muss der Himmel sich auskübeln. Daran führt nichts vorbei und das Schlossmodell ist sehr niedlich geraten, das dann jedes Mal von außen mit derselben Kameraeinstellung (vermutlich ist es auch dieselbe Metrage, mehrfach kopiert) gezeigt wird. Einmal klart es plötzlich auf, doch dieser Moment ist trügerisch, denn keine Verknotung, keine Verstrickung ist gelöst und kurze Zeit später ist folgerichtig das Sauwetter zurück. Am Ende hört es wieder auf zu regnen, aber darf es das, angesichts dessen, dass ein gepeinigter Mensch sich selbst erschossen, gerichtet hat?

Eine Ehe geht in die Binsen, weil der Mann anfängt, „spirituell“ zu werden und seiner erdverbundenen Frau mehr und mehr entrückt. Die Schwarten, die er jetzt liest, anstatt dieser schönen, leidenschaftlichen Person die Aufmerksamkeit zu widmen, die sie verdient, sind so dick, dass man jemandem die Zehen brechen könnte, ließe man einen jener Wälzer auf sie fallen. Dass es der Frau gelingt, eine davon zuzuschlagen, um die Aufmerksamkeit des Mannes zu erringen und das Buch auf die Mitte des Tisches zu expedieren, ist beinahe ein Wunder.

Man sieht, wie schon in „Der Gang in die Nacht“, einen Mann, der sich selbst von seiner Partnerin entfremdet. Anders als damals ist es die Frau, die einen neuen Verehrer hat und der ist so in sie verschossen, dass er ihren Schrei nach dem Ordinären oder auch Verworfenen missversteht und tatsächlich ihren vergeistigten Mann umbringt. Mich hat das nicht perfekt überzeugt, muss ich sagen, aber ich sehe es auch aus der Sicht des 21. Jahrhunderts, nicht aus der von Murnau, der selbst für seine Zeit kein sehr moderner Charakter gewesen sein dürfte, anders als z. B. Fritz Lang oder Ernst Lubitsch, die in vieler Hinsicht sehr progressiv auf das Medium Film einwirkten. Murnau ist vielmehr ein Romantiker und aus dem, was Liebe sein soll und nicht ist, entspinnen sich mächtige Dramen, die schon mal in Gefahr geraten, ins Lächerliche zu driften. Um das zu kompensieren, hat der Regisseur in „Schloss Vogelöd“ etwas eingeflochten, was ich bisher von ihm nicht kannte: Humor. Die Traumsezenen. Eine ist wirklich horribel, lässt „Nosferatu“ bereits ahnen, die andere jedoch ist einfach witzig und könnte auch von Lubitsch stammen. Vielleicht hat Murnau sich bei dem Kollegen das wirklich angeschaut, weil es etwas von Slapstick ohne totale Übertreibung hat. Und dann die Schlussszene, als der echte Pater ankommt und der Torwächter ihm entgeistert hinterherschaut. Das ist eigen und setzt dem sehr Schweren dieses Films noch ein kleines, ironisches Schlusslicht auf.

Es wirkt sogar einigermaßen integral, was aber nicht für die Traumszene des Küchenjungen zutrifft, die zu sehr mitten in ein unerfreuliches und von innerer Pein geprägtes Szenario eingeschoben wird.

Eine der einprägsamsten Szeneneinstellungen ist die eines leeren Saales mit der Baronin und dem Baron Safferstätt, jeweils zur Linken und Rechten, die symbolhaft den Seelenzustand des Paares darstellen soll.[2]

Leer ist der Saal dann nicht, könnte man spitzfindig anmerken, aber gemeint ist, es stehen keine Möbel darinnen, die beiden Personen sind ganz auf sich gestellt und weit voneinander weg. Die Ensembles in Räumen sind wichtig, auch, weil dieser Film tatsächlich fast ganz „drinnen“ spielt, anders als „Der Gang in die Nacht“, in dem die Natur viel stärker eingebunden wird und in dem sich das Innere sozusagen ins Äußere begibt, um dort vom Äußeren beschrieben zu werden, was sicher den einen oder anderen Zwischentitel erspart. Allerdings agieren die Darsteller:innen bei Murnau auch so, dass man keine Zweifel über deren Verfassung hat. Da ist nichts Zweideutiges, oder doch kaum. In Bezug auf „Der Gang in die Nacht“ hat die Murnau-Verehrerin Lotte Eisner geschrieben, die Darstellungen seien selbst für damalige Verhältnisse schon veraltet gewesen. Ich würde das weitgehend auf „Schloss Vogelöd“ übertragen wollen. Vor allem Olga Tschechowa hätte man etwas dezenter agieren lassen können. Die Möglichkeit dazu war ihr gegeben, wie man daran sieht, dass sie im Tonfilm weiterhin eine gut beschäftigte Darstellerin war und sich an den Stil der Zeit problemlos anpassen konnte.

Es dauerte gleichwohl eine Zeit, bis der Groschen bei mir gefallen war und ich rekapitulieren musste, ob man den Grafen Oetsch und den Priester auch wirklich nie zusammen im Bild sieht, wie es bei einer klassischen Verstellung in Form einer Verkleidung sein muss. Mir fiel zwar auf, dass die Tonsur des Mönchpriesters nicht echt war, aber ich schob es eher darauf, dass man es damals eben noch nicht so echt hinbekam, wenn man einen Darsteller einsetzte, der in Wirklichkeit über volles Haupthaar verfügt, nicht darauf, dass man andeuten wollte, hier sei ein Fake gegeben. Es ergibt aber Sinn, wenn ich mich nicht sehr täusche: kurz nach Moment, in dem Oetsch erfährt, dass bald der Priester erwartet wird, trifft dieser vorzeitig ein und Oetsch weiß auch, dass die Baronin diesem Priester eine große seelische Not offenbaren will. Oetsch spekuliert darauf, dass es sich um den Mord an seinem Bruder handelt, und so ist es.

Ein solches Geständnis dürfte juristisch nicht verwertet werden, die Bezichtigung Oetschs seitens der Baronin, die sie zwar nicht zur Mittäterin, aber zu einer Lügnerin in einer so wichtigen Sache macht, in der es um Leben und Tod gehen könnte. Oetsch wurde nicht überführt, aber die Ächtung wiegt schwer, sie wird im Film auch gut dargestellt, denn er steht im wörtlichen Sinne oft etwas abseits des „Mainstreams“, der anderen Gäste und ich fand das sehr schmerzlich, hatte das Ausgeschlossen sein regelrecht gespürt. Dass der Mann nicht seinen Bruder umgebracht hat, war mir hingegen relativ früh klar, denn warum hätte er sich den anderen sonst so aufdrängen sollen, wenn es nicht um eine Rehabilitation geht? Allerdings, wie er diese erwirken will, das kann ihm anfangs selbst nicht klar gewesen sein, diese Sache mit dem Priester kommt ihm zufällig zu Hilfe. Vielleicht hätte er es ansonsten mit einer offenen Konfrontation versucht. Anders als der Mord von Safferstädt am früheren Mann der Baronin, nur, um dieser einen Gefallen zu tun – man hätte es realistischer so darstellen können, dass sie dadurch „frei“ wird für eine neue Bindung, ist die Handlung, die nicht in Rückblenden erzählt wird, also der Hauptteil, durchaus stimmig. Die Folgen sind plausibler als die Entstehung der Verstrickung, könnte man sagen.

Finale

Es gibt immerhin diese Rückblenden, und sie werden optisch nicht abgesetzt, das ist schon recht fortgeschritten und war m. E. in „Der Gang in die Nacht“ noch nicht zu sehen, trotzdem würde ich „Schloss Vogelöd“ nicht als Meilenstein bezeichnen wollen, auch nicht in der Entwicklung von Murnau, wobei sich meine Kenntnis freilich, siehe oben, auf bisher wenige Filme bezieht. Neben den beiden genannten sind es aktuell „Der letzte Mann“, „Sunrise“ und „Nosferatu“, den ich ebenfalls nach der kürzlichen Sichtung rezensieren wollte, ich möchte ihn aber noch einmal auf mich wirken lassen, bevor ich das tue. Murnau ist ein Filmer des sehr Ausdrücklichen und damit ein Hauptvertreter des Expressionismus, auch wenn er sich bei ihm nicht in schrägen Filmbauten und anderen optischen Verzerrungen ausdrückt. Es ist mehr das Spie der Darsteller:innen, das sehr ausdrucksstark angelegt ist. Irgendwann einmal dachte ich sicher, das ist im Stummfilm aus nachvollziehbaren Gründen sowieso üblich gewesen, inklusive des Slapsticks und der zugehörigen Grimassen, aber es gibt durchaus bedeutende Unterschiede bei der Schauspielerführung, die etwas damit zu tun haben, wie sehr jemand sich in einer Szene, in der die Kamera lange auf ihn gerichtet ist, entäußert, was der dabei preisgibt, den Zuschauer wissen lassen oder ihm begreiflich machen will. Deswegen muss man in der deutschen Welt des Stummfilms, die zudem vom Theater inspiriert ist, auch in Kauf nehmen, dass die Handlungen sich nicht immer sehr rasant entwickeln. Der Ausdruck braucht seine Zeit und das kann man auch von Schloss Vogelöd sagen. Nicht, dass der Film so öde wäre, aber man muss sich auf ihn einlassen, zu viel Distanz führt dazu, dass man das eine oder andere eben doch als gedehnt, anderes als zu theatralisch empfinden könnte.

Man fällt nicht so hinein, fühlt sich nicht so rasch zu Hause, wie es schon bei frühen Lubitsch-Werken kein Problem für mich war. Auch Fritz Lang hatte mit längeren Expositionen gearbeitet, aber seine Filme waren für damalige Verhältnisse auch sehr lang, um nicht zu sagen, Großkino in jeder Hinsicht. Murnau hingegen beschränkt sich nach dem, was ich bisher gesehen habe, gerne auf etwa 80 Minuten, in denen alles gesagt und gezeigt sein sollte. Selbst „Faust“ ist nicht mit Langs „Nibelungen“ zu vergleichen, was die Ausbreitung des Sujets im Stil der Mitt-1920er angeht, in denen das Kino eine große künstlerische und kommerzielle Blüte erlebte. Alles in allem hat mich „Der Gang in die Nacht“ etwas mehr berührt und überzeugt als „Schloss Vogelöd“.

67/100

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

[1], kursiv, tabellarisch: Schloß Vogelöd (1921) – Wikipedia

[2] Wikipedia, a. a. O.

Regie Friedrich Wilhelm Murnau
Drehbuch Carl Mayer nach dem gleichnamigen Roman von Rudolf Stratz
Produktion Erich Pommer
Kamera Fritz Arno Wagner
László Schäffer
Besetzung

 

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