Filmfest 803 Cinema
30 Jahre später
In the Line of Fire – Die zweite Chance (Originaltitel: In the Line of Fire) ist ein US-amerikanischer Actionfilm aus dem Jahr 1993. Der Regisseur war Wolfgang Petersen, das Drehbuch schrieb Jeff Maguire. Die Hauptrollen spielten Clint Eastwood, John Malkovich, Rene Russo und Dylan McDermott. Die Musik komponierte Ennio Morricone.
Dass „In the Line of Fire“ unter der Regie von Wolfgang Petersen entstanden ist, lässt uns natürlich noch etwas genauer hinschauen. Den ersten Film, den wir von ihm rezensiert haben, war kein Beitrag für die „FilmAnthologie“, sondern für die „TatortAnthologie“ des Wahlberliners (heute Bestandteil von „Crimetime“, Anm. TH, 2022), und das Werk ist berühmt weit über die Fangemeinde der ARD-Krimireihe hinaus: „Reifezeugnis“ (1977), der auch Nastassja Kinski bekannt machte. Demnächst werden wir Petersens allerersten Tatort „Blechschaden“ anschauen, der ebenfalls zu den Highlights der Reihe zählen soll. Der zeitliche Zusammenhang aber besteht zu „Das Boot“, über dessen Director’s Cut wir kürzlich für den Wahlberliner geschrieben haben – und den wir für einen der besten Kriegsfilme überhaupt halten.
Handlung (1)
Secret-Service-Agent Frank Horrigan gehörte beim Attentat auf John F. Kennedy am 22. November 1963 zum Personenschutz des Präsidenten. Dass er Kennedys Leben nicht retten konnte, empfindet er als persönliches Versagen. Nach einigen Jahren Bekämpfung der Finanzkriminalität meldet er sich wieder zum Dienst beim Secret Service. Es stellt sich heraus, dass ihn diese Tätigkeit, besonders das Laufen neben der Präsidenten-Limousine, körperlich überfordert. Er wird belächelt; zu den Spöttern zählt anfangs auch seine Kollegin Lilly Raines. Allerdings kommen sich Frank und Lilly im Verlauf des Filmes näher.
Bald meldet sich ein anonymer Anrufer, der ankündigt, den Präsidenten ermorden zu wollen. Er fragt, ob Frank bereit wäre, sein Leben zu opfern, um das des Präsidenten zu schützen. Einmal gelingt es beinahe, den Anrufer zu stellen. Frank stürzt während der Verfolgung auf den Hausdächern und wird vom Attentäter Mitch Leary festgehalten und am Sturz aus dem vierten Stock gehindert. Frank könnte ihn zwar erschießen, dann würde er aber selbst herunterfallen. Der Attentäter könnte allerdings auch Frank erschießen oder einfach fallenlassen. Schließlich rettet Leary Frank das Leben, kann aber entkommen. Bei dieser Gelegenheit erschießt Leary Al D’Andrea, Franks Partner und Topagent in spe („Vertrauen Sie mir, Sie werden ein guter Agent. Ich bin ein guter Menschenkenner.“). (…)
Rezension
Die Ansprüche waren also hoch, die wir „In the Line of Fire“ entgegenbrachten, obwohl wir selbstverständlich wissen, dass Petersen nicht alles gelungen ist, was er, insbesondere in Hollywood, versucht hat. Doch schon der Übergang aus einem Szenario wie „Das Boot“ mit seiner Innensicht auf die Lage im Deutschland des Zweiten Weltkriegs zu einem Thriller, der um eines der immer noch heißesten Themen Amerikas, den Mord an Präsident John F. Kennedy, herumgebaut ist, bringt viel Spannung mit sich. Denn für Petersen hätte es die logische Herangehensweise bedeutet, die USA aus einer distanzierten Außensicht heraus zu betrachten. Das tut er aber nicht, sondern filmt auf eine Weise, als würde er nicht nur dazugehören, sondern wüsste mehr. Nicht bezüglich der vielen Verschwörungstheorien oder –wahrheiten um dieses Verbrechen, denn was da stimmt, ist ihm wohl ebenso egal wie seiner Hauptfigur Frank Horrigan, der das auch ausdrücklich kundtut, sondern bezüglich der psychologischen Aufstellung, die sich bei Horrigan und in den USA nach dem Mord an Kennedy ergeben hat.
Es wird sichtbar, dass die USA möglicherweise ein anderes Land wären, hätte es diesen Sündenfall und den damit einsetzenden moralischen Niedergang nicht gegeben. Das klingt auch in Franks Worten an, darauf wird immer mal wieder allgemein angespielt. Nicht, dass es vor Dallas keinen Rassismus, keine Geheimdienstpolitik hinter und neben der offiziellen, keine Gewaltexzesse gegeben hätte, aber es ging und geht bis heute um das Selbstbild der Vereinigten Staaten – außerdem war der Kennedy-Mord der Auftakt für weitere Anschläge, fällt in etwa mit dem Beginn des großräumigen Vietnam-Engagements zusammen und in den 1970ern traten außerdem ökonomische Probleme auf, deren Folgen die USA bis heute mit sich herumschleppen. Vieles, was sich dort zeigt, unterscheidet sie nicht von Phänomen bei anderen Nationen, aber die USA unterscheiden sich gerne von anderen Nationen, und sich nicht zu unterscheiden und sich dies sogar einzugestehen, kann ausreichen, um eine mentale Dauerkrise zu verursachen. Es geht auch um den Führungsanspruch, und den haben die USA nach der Auflösung der Blöcke mehr oder weniger exklusiv.
Man hätte den Film weitaus politischer machen können, ohne gleich ein großes Panorama aufzumachen wie ein Jahr zuvor in „J.F.K.“ von Oliver Stone. Wir erinnern uns an eine Aussage, die der US-Starkritiker Roger Ebert einmal in einer Rezension zu einem älteren Film gemacht hat, den er sinngemäß dafür gelobt hat, dass er nicht so gnadenlos naiv sei wie die heutigen Politthriller – möglicherweise war es ein Beitrag zum Abhörthriller „Der Dialog“ (1974). Nehmen wir die hochgradig interessanten und komplexen Filme von New Hollywood zum Vergleich mit dem, was etwa 20 Jahre später gedreht wurde, muss man sagen, Ebert hat fast ausnahmslos recht.
Das trifft auch auf „In the Line of Fire“ zu, der auf einem höchst fragwürdigen Szenario fußt, damit überhaupt ein Thriller entstehen kann. Nicht eine Tat ist der Auslöser des Duells zwischen Horrigan und dem Attentäter, sondern die Ankündigung der Tat und die Fixierung des Attentäters auf die Person des Geheimdienstagenten Horrigan. Dessen Zugehörigkeit zu einem bestimmten Dienst, ebenso wie die der Kollegen, nie erwähnt wird. Es handelt sich aber um den „USSS“, der in erster Linie tatsächlich für den Schutz des Präsidenten zuständig ist.
Regisseur Petersen wusste 1993 längst, wie man gute Krimis macht und auch einen U-Boot-Krieg als Thriller filmt, das Drehbuch gab ihm die Möglichkeit, die Spannung aus einem solchen Duell heraus zu entwickeln. Trotzdem ist alles in diesem Film zu sehr simplifiziert und trotz aller erkennbar absichtlichen Übertreibungen und gewollt auf Standards des Genres anspielenden Elemente ist die große Ironie, die in allem liegt, was in diesem Film passiert, nicht deutlich genug herausgehoben. Und das mag auch an der Stellung von Petersen als Ausländer liegen, der den satirischen Einschlag, den die Handlung im Grunde aufweist, nicht so herausgehoben hat, als wäre er sozusagen von Geburt an dazu befugt und hätte die Ereignisse um JFK als Junge miterlebt und alles, was danach geschah, verinnerlicht.
So ist der Film eben mehr oder weniger ein Star-Vehikel für Clint Eastwood, der nicht nur bezüglich Körpergröße, sondern auch mit seiner Präsenz die übrigen Akteure überragt und seiner Figur eine Glaubwürdigkeit mitgibt, die in Kontrast zur wenig glaubwürdigen Handlung steht, die, um wieder mit Ebert zu sprechen, wirklich zu naiv ist, um uns mit der Idee anzufreunden, der US-Präsident könnte tatsächlich Opfer eines fanatischen Einzeltäters werden. In diesem Fall sogar von einem Mann, der einst vom System ausgebildet wurde, für das System gearbeitet hat und dann entgleiste. Da kommt dann doch die über weite Strecken zu geringe Ironie durch, ebenso wie bei der Person des Stabsschefs des Weißen Hauses und auch die Bemerkung, dass Kennedy „ein anderer Mann“ war als die zu Beginn der 1990er aktuellen Politiker, in diesem Fall der gerade abgewählter George Bush Senior und der neue Präsident Bill Clinton – ein bekennender Fan von John F. Kennedy -, haben wir vermerkt. Es gab tatsächlich zu Beginn der 1980er Jahre ein Attentat auf Ronald Reagan, das von einem Einzeltäter ausgeführt wurde.
Doch selbst der Mord an Abraham Lincoln 1865, der erste von bisher drei Präsidentenmorden in den USA, wurde nicht von einem Mann allein ausgeübt, John Wilkes Booth, auf den sich Horrigan mehrfach im Film bezieht und dem er „Panache“ zuschreibt (im positiven Sinn als Elan, Verve oder auch eine besondere Form von Mut verstanden), sondern von einer Gruppe von Südstaatlern, die mit dem Ende des Bürgerkriegs und der Niederringung des Südens inklusive der Abschaffung der Sklaverei nicht klarkamen. Booth war ein bekannter und beliebter Bühnenschauspieler und kein psychopathischer Freak wie Leary. Leary steht im Grunde für dieses obskure Individuum, das sich auf den Weg macht, eine symbolische Handlung zu begehen, die aus seiner schrägen Weltsicht motiviert ist und nach dessen Ansichten auch Mord gerechtfertigt ist – nicht, um politisch etwas zu erreichen oder zu verhindern, sondern um ein Zeichen zu setzen, das aber – wiederum ironischerweise – ein System eher stützt als im schadet.
Wie eng der Film selbst wiederum mit dem Establishment der USA verflochten ist und auch deswegen und nicht nur wegen des deutschen Regisseurs die Systemkritik sehr begrenzt und verdeckt anbrachte, zeigen die Produktionsnotizen, die wir aus der Wikipedia übernommen haben (die wiederum die IMDb-Trivia zum Film als Quelle verwendet hat).
-
Weil Clint Eastwood Das Boot kannte und als „wundervollen Film“ schätzte, darüber hinaus Tod im Spiegel gesehen hatte und auch direkt nach Erbarmungslos nicht gleich noch einmal Regie führen wollte, fragte er bei Wolfgang Petersen an, ob er für den Filmstoff die Regie übernehmen wollte.[3] Dies bedeutete für Petersen den endgültigen Durchbruch in Hollywood.
-
Es gab über private Verbindungen zum amerikanischen Secret Service die Erlaubnis, Aufnahmen der tatsächlichen Wahlkampfveranstaltungen von George Bush sen. und Bill Clinton zu machen. Der Filmpräsident, Eastwood und andere Darsteller wurden digital in diese Aufnahmen hineinkopiert. Dadurch konnten die Produktionskosten erheblich gesenkt werden.
-
Erstmals wurden in einem Hollywoodfilm digitale Effekte benutzt, nicht um den Film aufwendig aussehen zu lassen, sondern um Geld zu sparen, z. B. für Statisten. Die fotorealistischen Effekte schrieben Filmgeschichte, blieben aber wegen ihrer Perfektion von den meisten Zuschauern und auch von Filmschaffenden unbemerkt. In der Kategorie Visual Effects wurde der Film nicht einmal für den Oscar nominiert. Nachdem ein anderer Produzent die Aufnahmen der fliegenden Air Force One gesehen hatte, rief er den Produzenten Jeff Apple an, wo man das Flugzeug mieten könne. Es war jedoch eine reine Computeranimation.
-
Um Eastwood in die Aufnahmen mit Kennedy zu kopieren, wurden Ausschnitte aus Dirty-Harry-Filmen benutzt. Filme aus den 1960er Jahren mit Eastwood waren meist Western und damit wegen der Kleidung völlig ungeeignet. Wegen der typischen 1970er-Jahre Frisur retuschierte man Clint Eastwood digital die Koteletten ab.
-
Fred Dalton Thompson, der den unsympathischen Stabschef des Weißen Hauses spielt, ist auch im echten Leben Politiker und kandidierte 2008 erfolglos für die Nachfolge von Präsident Bush.
Finale
Mehr Panache hätte dem Film sicher gutgetan und die Thrillerhandlung mit einer dezidierteren und vielleicht sogar brisanten Aussage zu unterstützen, hätte aus einem annehmbar spannenden, mit einer guten Hauptfigur ausgestatteten, aber ziemlich konventionellen Film vielleicht etwas Besonderes gemacht. Einzelne Aussagen in diesem Werk sind durchaus bedenkenswert, aber der Schritt, der im Grunde gemäß Horrigans Einstellung logisch wäre, nämlich, dass es sinnlos ist, sich für einen Politiker des Jahres 1993 zu opfern, wenn man Kennedy 1963 nicht schützen konnte, der wird doch lieber nicht gegangen. Letztlich ist die Frage offen, was genau Horrigan antreibt, als er sich vor den Präsidenten wirft: Erlösung von einer gefühlten, nunmehr 30 Jahre andauernde Schuld zu finden, gegen Leary zu gewinnen, professionelles Engagement. Persönliche Verbundenheit mit der aktuellen Administration oder gar Bewunderung für den Präsidenten jedenfalls ist es nicht, das wird recht deutlich.
Nicht so deutlich hingegen wird, was den Regisseur Wolfgang Petersen ausmachen und ihn von einem handwerklich versierten Hollywood-Routinier abheben könnte.
64/100
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)
Regie | Wolfgang Petersen |
---|---|
Drehbuch | Jeff Maguire |
Produktion | Jeff Apple Gail Katz Wolfgang Petersen David Valdes Robert J. Rosenthal |
Musik | Ennio Morricone |
Kamera | John Bailey |
Schnitt | Anne V. Coates |
Besetzung | |
|