Sollten die Sanktionen gegen Russland wegen der Energiekrise aufgehoben werden?  (Umfrage) | Geopolitik | Ukrainekrieg, Energiekrise

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Gerade zur rechten Zeit hat Civey eine Umfrage zu einem Thema geschaltet, das uns alle mehr oder weniger beschäftigt. Ein Subthema des Ukrainekrieges, für uns hier in Deutschland aber möglicherweise das Hauptthema, wenn wir ehrlich sind: Was wird mit der Energieversorgung hierzulande, wenn die Sanktionen gegen Russland weiter bestehen bleiben oder gar ausgeweitet werden?

Ansonsten tragen die Linken derzeit nicht viel zum gesellschaftlichen Diskurs bei, das man progressiv nennen könnte, sondern sind eher mit sich selbst beschäftigt, aber in Bezug auf Russland haben sie immer eine Meinung, darauf kann man sich noch einigermaßen verlassen. Auf der „Friedensdemo“ am 02. Juli in Berlin z. B. gab es Plakate zu lesen wie „Hände weg von Russland“. Noch Fragen bezüglich einer verqueren Sichtweise im gegenwärtigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine? Wegen dieser ausnahmsweise klaren Positionierung wurden Aussagen aus den Reihen von Die Linke auch zum Aufhänger für die Umfrage gemacht:

Wie bewerten Sie die Forderung der Linken, die Sanktionen gegen Russland aufgrund der Energiekrise aufzuheben?

Der Civey-Erklärungstext dazu:

Der Linken-Wirtschaftsexperte Klaus Ernst fordert die Aufhebung der Strafmaßnahmen gegen Russland, um die Energieversorgung sicherzustellen. In der Rheinischen Post sagte er, die Bundesregierung müsse sich bei direkten Verhandlungen mit Russland dafür einsetzen. Falls die Gasversorgung nicht anders zu gewährleisten ist, müsste man zudem die Inbetriebnahme der Gas-Pipeline Nord Stream 2 erwägen.

Die Linke beklagt schon länger die Wirkungslosigkeit der energiepolitischen Sanktionen des Westens. Russland setze den Krieg problemlos fort und verdiene viel Geld durch den Export von Rohstoffen, so Ernst. Sein Parteikollege Gregor Gysi warnt in der FR zudem vor einer Verschärfung der weltweiten Lebensmittelkrise, da Russland und die Ukraine zu den wichtigsten Weizen-Exporteuren zählen.

Sowohl die EU-Kommission als auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) halten die Sanktionen für effektiv. Auf dem G7-Gipfel im Juni sagte Scholz dem ZDF, dass die Wirtschaft Russlands so bereits erheblich geschwächt wurde. Das Bundeswirtschaftsministerium rechne laut WAZ mit einem Einbrechen der russischen Wirtschaft um über zehn Prozent. Die volle Wirkung entfaltet sich aber gemäß einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik i.d.R. erst nach Monaten.

Gerade zur rechten Zeit kommt die Umfrage für uns auch deshalb, weil wir heute wieder einmal Sahra Wagenknecht zu Wort kommen lassen wollten, anhand ihres gestrigen Newsletters. Um es vorwegzunehmen: Was Klaus Ernst, der Ex-Vorsitzende sagt, entspricht ziemlich genau dem, was die Ex-Fraktionsvorsitzende im Bundestag sagt und was die beiden sagen, entspricht ziemlich genau dem, was Putin & Co. auch sagen. Da geht es noch um mehr, zum Beispiel um die Inbetriebnahme von Nord Stream 2. Wie äußerste sich kürzlich ein ranghoher Vertreter der russischen Administration. Gaslieferungen nach Deutschland?

Kein Problem, man muss nur Nord Stream 2 öffnen. Das ist so durchsichtig, darauf kann die Bundesregierung gar nicht eingehen, wenn sie sich nicht komplett blamieren will. Gewisse Menschen hierzulande wollen damit auch nicht der Bevölkerung helfen, sondern in ihrer Verbitterung über fast alles wenigstens mal Recht behalten und einen Triumph feiern. Dass wir das so interpretieren, liegt leider an der verspielten Glaubwürdigkeit einer gewissen Gruppe innerhalb der Linken, die mit Frieden einen Diktatfrieden zugunsten Russlands meinen. Dazu gehört auch Sahra Wagenknecht, dazu gehört Klaus Ernst, der grundsätzlich demselben Lager innerhalb der Partei zuzurechnen ist. Dieses Lager hat immer weniger zu sagen, aber jetzt, wo hierzulande Probleme drohen, kann man diese Probleme natürlich verwenden, um noch einmal schön nachzutreten und auch der eigenen Partei Schwierigkeiten zu machen, in der man nichts mehr werden kann. Und plötzlich werden radikale Gesinnungsethiker zu Pragmatikern, wenn es um Russland geht („man muss doch verhandeln, egal, was dabei herauskommt“), auch das ist in dieser Gruppe innerhalb der Linken gut zu beobachten. Es ist nur noch peinlich und nicht unser Ansatz, was immer auch passieren wird. Wir zitieren aber zunächst aus dem gestrigen Newsletter von SW:

Der Wirtschaftskrieg mit Russland entwickelt sich mehr und mehr zum Albtraum. Sollten die Gaslieferungen tatsächlich eingestellt werden, droht uns eine Katastrophe, wie wir sie seit der Weltwirtschaftskrise zu Zeiten der Weimarer Republik nicht mehr erlebt haben. Und was machen unsere Oberhäuptlinge? Scholz redet vom Unterhaken, der Arbeitgeberpräsident träumt von einem „nationalen Notstand“, in dem Streiks nicht mehr ohne weiteres möglich sind, Habeck wirbt für kürzeres Duschen – und irgendwelche Experten erzählen uns, dass es sowieso gesünder ist, die Wohntemperatur auf 16 Grad abzusenken, denn wenn man friert, schmelzen immerhin die Fettpolster. 

Statt solche aberwitzigen Debatten zu führen, sollten wir lieber der Wahrheit ins Auge sehen: Die westlichen Sanktionen ruinieren nicht Russland, sondern Deutschland. Putin verkauft seine Rohstoffe an andere Länder und seine Taschen sind durch die steigenden Energiepreise prall gefüllt, während die Portemonnaies der Menschen hierzulande immer leerer werden. Deshalb: Schluss mit diesem Wahnsinn! Wir können und müssen den Wirtschaftskrieg beenden und die Sanktionen aufheben. Dann bekommen wir auch wieder genug Öl und Gas zu moderaten Preisen. (Q2-220708)

Ja, eines muss man verschiedenen Teilnehmern an der Meinungsbildung leider attestieren: Sie tun genau das, was den Putinisten in die Hände spielt, sie argumentieren klassistisch. Die Grünen sind Spezialisten dafür, immer wieder durchblitzen zu lasen, wie sehr von oben herab sie denken; die kapitalistische Wirtschaft sieht sowieso immer Gelegenheiten, die Menschen noch mehr unter die Knute zu zwingen. Aber Putins System ist erstens nicht besser, zweitens gibt es in der Argumentation von SW Lücken und Unwägbarkeiten.

Nach allem, was wir aktuell wissen, kann Putin sich eben nicht die Taschen durch Öl und Gas verkaufen an neue Abnehmer vollmachen, sondern muss Abschläge hinnehmen.

Das ist Marktwirtschaft in besonderen Zeiten denn es handelt sich um Notverkäufe. Warum sollten Länder, die bisher bestens versorgt waren, plötzlich höhere Preise für Putins Rohstoffe zahlen? Sie müssen sein Öl doch nicht an der Börse kaufen, sondern können direkt mit der russischen Regierung verhandeln. Und zwar in diesem Stil: Wir nehmen dir deine plötzlichen Überschüsse ab, aber zu einem Preis, den wir mitbestimmen.

Was denn sonst? Indien oder China sind doch keine Putin-Subventionierer, sondern verfolgen ihre eigenen Interessen. Wer etwas anderes glaubt, der liegt auch geostrategisch falsch, denn diese großen Staaten, die machtpolitisch selbst nach vorne möchten, haben kein Interesse daran, dass Putin machen darf, was er will. Sie fangen die Schäden, die er anrichtet, nicht ohne jeden Zwang dazu mit Überpreisen auf. Falls sie wirklich aktiv dafür sorgen, dass Russland nicht einknickt, dann nur zu einer Bedingung: künftige komplette Abhängigkeit insbesondere von China. Viel Spaß mit dieser Alternative, Wladimir.

Beim Gas kommt hinzu, dass fast alles, was Russland liefert, durch Pipelines nach Europa geleitet wird, die nicht in kurzer Zeit woandershin verlegt werden können. Deswegen fragen wir uns, ob sogenannte Wirtschaftsfachleute es nicht besser wissen oder uns dieses freie Spiel des Gasverkaufs einreden wollen, um die Angst hierzulande weiter zu schüren. Derzeit testet Putin lediglich, wie in Deutschland auf seine reduzierten Gaslieferungen reagiert wird. Behalten wir die Nerven oder drehen wir vorzeitig durch, wie SW es gerne hätte?

In Wirklichkeit geht es nämlich um eine Wette, die in der Tat Nervensache ist. Der Westen wettet darauf, dass die Sanktionen Putin mehr schaden als dem Westen selbst und spielt auf Zeit. Putin wettet dagegen und spielt ebenfalls auf Zeit. Zum Beispiel, dass er die Ukraine schon erobert hat, bevor es für Russland existenziell wird. Der Ausgang ist vollkommen offen, denn selbstverständlich nimmt die russische Wirtschaft, die ohnehin nicht die stärkste ist, prozentual, am BIP gemessen, mehr Schaden als die westliche, in diesem Krieg. Die meisten Menschen in Russland haben aber nicht viel zu verlieren, auch darauf setzt Putin. Nationalstolz anstatt ein gutes Leben. Russland ist das größere Land mit der am meisten ausgeprägten Vermögensungleichheit, nicht etwa die USA. Die Ukraine liegt übrigens ähnlich dramatisch schlecht, was Einkommens- und Vermögensgerechtigkeit angeht, das wollen wir hier auch gar nicht verschweigen. Wir sind ja keine Fans der ukrainischen Regierung oder gar von Herrn Melnyk, nur, weil wir Putins Angriffskrieg verurteilen.

Dies muss schon deshalb erwähnt werden, weil absolut nicht zu verstehen ist, warum ausgerechnet eine linke Partei, die auf gesellschaftliche Solidarität setzen sollte, ein so klassenundurchlässiges System wie Putins Oligarchenwirtschaft als absolut erhaltens- und fördernswert ansieht. Das berührt uns immer wieder von Neuem peinlich. Aus unserer schwierigen Demokratie mit ihrem dominanten Kapitalismus kann man auf jeden Fall mehr machen als aus diesem verkrusteten und auf Nichtdemokratie geradezu angewiesenen System. Dafür muss man sich aber endlich hier richtig einbringen, anstatt sich als Putins Sprachrohr aufzuführen und sich damit unglaubwürdig auch in anderen Dingen, zum Beispiel in Sachen Antiimperialismus, zu machen. Uns erzählt von den Putinist:innen niemand mehr, er oder sie sei Antiimperialist:in.

Bleiben wir noch kurz bei deisem Thema Imperialismus. Im weiteren Verlauf des Newsletters stellt Sahra Wagenknecht die USA als Urheber auch des Ukrainekriegs dar. Aber selbst im Fall Syrien, den sie als Beispiel für eine lange Reihe Neocon-Fails anführt, vergisst sie zu erwähnen, wie Putin Aleppo bombardieren ließ etc. So peinlich, einmal mehr. Aber das Motto kann natürlich auch sein: Die anderen machen eh nur Propaganda, also machen wir nur Putin-Propaganda. Und genau da zerstört die Linke sich, weil es ihr an der erwähnten Glaubwürdigkeit mangelt. An Linke stellen wir ethisch höhere Anforderungen als reine Propaganda zu machen, sonst können wir auch denjenigen politisch folgen, die einfach nur an ihr Portemonnaie denken und dafür jedweden Hunger und jedwede Gewalt in Kauf nehmen und das sogar ehrlich zugeben. Gewalt ist Gewalt und da müssen gleiche Maßstäbe gelten. Das gilt ebenso für Verteidigungslagen wie diejenige der Ukraine, es versteht sich, dass eine Bevölkerung sich gegen eine Okkupation ihres Territoriums verteidigen darf.

Die größte Lücke in der Argumentation von SW ist aber eine andere: Putin wird, wenn die Sanktionen gegen Russland aufgehoben haben, ganz sicher nicht sagen: Das war aber nett von euch, jetzt machen wir einen fairen Frieden. Wer das glaubt, der muss wirklich auf der berüchtigten Brennsuppe dahergeschwommen sein. Im Gegenteil, der Rückenwind durch die vollkommene Restitution der Wirtschaftsbeziehungen wird ihm auf jeden Fall helfen, die Ukraine weiter zu besetzen und sich dann neue Ziele zu suchen, weil er den Westen als Haufen von Schwächlingen identifiziert hat. Das entspricht seinem Weltbild, nicht ein Zeichen des guten Willens von einer Seite zu akzeptieren, die er grundsätzlich als feindlich wahrnimmt. Für ihn ist das ein Sieg und ein Sieg mit nur geringen Verlusten führt zu weiteren Problemen mit Putin, das kann man auf jeden Fall prognostizieren. Wir waren von Beginn an eher für Waffenhilfe als für eine Sanktionsarie mit unübersehbaren Folgen, aber jetzt gibt es vorerst kein Zurück. Vielmehr hat die Bundesregierung die Aufgabe, für die Ärmeren im Lande die Probleme, die ihnen daraus entstehen, zu kompensieren und die Reichen mehr zur Kasse zu bitten. Man solte es beim aktuellen Stand nun aber auch belassen und nicht die Spirale immer weiterdrehen. Alles, was der Westen insgesamt gerade tut, ist hinreichend, um die Ukraine so zu unterstützen, dass sie ihre Unabhängigkeit erhalten kann und muss auch der ukrainischen Regierung ausreichen. Denn auch dieses Narrativ teilen wir nicht: Unsere Freiheit wird im Donbass verteidigt. Das stimmt ebenso wenig wie damals am Hindukusch. Uns geht es darum, dass Länder nicht im 21. Jahrhundert noch einfach überfallen werden dürfen, wenn andere Länder sich für militärisch überlegen halten.

Die obige Argumentation gilt übrigens auch für die von Gregor Gysi angesprochene Lebensmittelkrise. Wer kann dafür garantieren, dass Putin nach der Aufhebung von Sanktionen nicht zum Westen sagt: Wir lassen das mit dem Getreide zurückhalten mal einfach, wie es ist, bis ihr jedwede Unterstützung für die Ukraine eingestellt. Das ist die Logik, nach der solche Kriege geführt werden, wenn man damit durchkommt, dass man andere erpresst. Der globale Süden, der hungert, geht Putin dabei hintenrum, das merkt man wohl deutlich genug. Eher im Gegenteil, er versucht, die Schuld dafür auf den Westen zu verlagern. Also sollte die Linke nicht ausgerechnet damit in seinem Sinne argumentieren.

Wir haben mit „unentschieden“ gestimmt, weil wir beide Seiten sehen und nicht frohlocken, nur, weil irgendwer sich jetzt möglicherweise festgefahren hat. Es ist gar nicht ausgemacht, wer das am Ende sein wird, das wiederholen wir gerne. Es gibt welche, die wissen es aber schon ganz sicher, so, wie sie ganz sicher wussten, dass Putin keinen Angriffskrieg inszenieren wird.

Der Westen hat wirtschaftlich die größeren Möglichkeiten und die verliert er nicht mir nichts dir nichts durch die Russland-Sanktionen. Der überwiegende Schaden wird also temporär sein.

Die Mehrheit möchte die Sanktionen denn auch beibehalten und wir werden jetzt sicher nicht schreiben: Dann bezahlt bitte auch die Folgen, ihr ca. 60 Prozent Befürworter, wir wir das bei anderen Themen schon mal gerne tun. Zum Beispiel, wenn Menschen sich so offen kriegslüstern geben, dass wir ihnen am liebsten ein Gewehr in die Hand drücken und sagen wrüden: Da, rechts und dann in Richtung Süden, da geht’s zur Front. Tun wir in diesem Fall nicht, dafür ist unsere Haltung viel zu differenziert und sind die wirtschaftlichen Folgen zu wenig abwägbar, die sich aus der aktuellen Situation ergeben können. 

Dass SW von „Gaskrieg“ in Bezug auf die Sanktionen spricht, ist auch wieder ein typischer Ausdruck verdrehter Denkweise: Den Gaskrieg hat doch wohl Putin begonnen, denn bisher war das Gas noch nicht sanktioniert. Wenn man von einem Wirtschaftskrieg spricht, ist das etwas anderes, aber die Eskalation hin zum Gaskrieg ging von Russland aus. Der beste Satz aber aus diesem Newsletter, im Zusammenhang mit ebenjenem Gaskrieg:

„Putin lacht sich tot über uns.“ Als Zwischenüberschrift in großen roten Lettern.

Warum eigentlich nicht? Wenn dies das Ergebnis der Politik des Westens sein sollte, dann wäre einiges gewonnen. Dafür macht sich die Politik gewiss auch gerne mal lächerlich. Wer immer Putin nachfolgt, schlimmer wird es nicht werden können, es sei denn, Russland will tatsächlich einen Atomkrieg vom Zaun brechen. Wir wissen schon, was Wagenknecht und Co. dann sagen werden: „Aber Putin musste die Bombe doch als erster schmeißen, er wurde von den Neocons in den USA dazu gezwungen!“ Es werden ihre letzten Worte sein, bevor der Atompilz über Berlin aufsteigt. Und keine falschen Hoffnungen bitte: Auch die hinterste Ecke des Saarlandes wird nicht verschont werden, nur weil dort jemand wohnt, der Putin beim Krieg gewinnen helfen will. Ein paar Tage später wird auch dort kein Haus mehr stehen und keine Maus mehr laufen.

TH

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