Gefährliche Träume – Tatort 104 #Crimetime 1121 #Tatort #Berlin #Behnke #SFB #Traum #Gefahr

Crimetime 1121 – Titelbild © SFB

Noch vor Christiane F.

Gefährliche Träume ist eine Folge der ARD-Krimireihe Tatort und wurde vom Sender Freies Berlin (SFB) produziert. In seinem zweiten und letzten Fall muss Kommissar Behnke einen Todesfall in der Drogenszene und ein damit zusammenhängendes Tötungsdelikt aufklären. Der Film wurde von Februar bis April 1979 in West-Berlin gedreht.[2] Das Szenenbild erstellte Gerd Staub. Bei ihrer Erstausstrahlung am 23. September 1979 in der ARD erreichte die Folge einen Marktanteil von 51 %.

Der Drogenmissbrauch war in den 1970ern in aller Munde, besonders zum Ende hin. Der Roman „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ erschien zwar schon 1978, wurde aber erst 1981 verfilmt, also nach diesem Tatort. Was zum 104. Tatort zu schreiben oder zu sagen ist, steht in der –> Rezension.

Handlung (1)

Die Schülerin Carola Hartmann schwänzt oft die Schule und verbringt die Nächte lieber in der Disko mit ihrem Freund Wolfgang Stettner. Wolfgang ist mit dem Drogenhersteller Klaus Zoske befreundet, der ihn mit Stoff versorgt. Carola kann mit der Drogenaffinität ihres Freundes nichts anfangen und lehnt von ihm angebotenen Stoff ab. Ihre Eltern sind geschieden und sie lebt bei ihrem Vater. Ihr Freund Wolfgang geht regelmäßig in Diskotheken seinen Drogengeschäften als Kleindealer nach. Kurz darauf wird Wolfgang tot auf der Diskotoilette aufgefunden, offensichtlich hat er sich eine Überdosis Heroin gesetzt. 

Behnke wird stutzig, weil die Spritze, mit der der tödliche Schuss verabreicht wurde, nicht auffindbar ist. Aufgrund der bei der Leiche gefundenen Wagenschlüssel kann Wolfgang, der keine Papiere bei sich hatte, von der Polizei identifiziert werden, die Überprüfung des Wagens ergibt allerdings keine Spuren von Drogen. Ein Mitarbeiter der Diskothek teilt Behnke mit, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass Junkies sich das Heroin auch ohne Spritze verabreichen, wenn keine zur Hand sei, daher sollten die Beamten nicht zu viel in das Fehlen der Spritze interpretieren. Ein Besuch Behnkes bei den Kollegen des Rauschgiftdezernats ergibt zunächst auch keine neuen Erkenntnisse, außer dass Heroin häufig durch Beimengungen verunreinigt ist, was zum Tode des Junkies führen kann.

Carola erfährt von einem Mitschüler, dass Wolfgang tot ist. Sie sucht Klaus Zoske auf, dieser streitet ab, Hintergründe über den Tod Wolfgangs zu wissen. Während er versucht, Carola hinauszukomplimentieren, gesteht er allerdings, der Dealer von Wolfgang gewesen zu sein. Als er sich kalt und ohne Empathie zeigt und Carola provokativ anbietet, auch sie könnte den ersten Schuss von ihm gratis haben, aus alter Freundschaft zu Wolfgang, nimmt Carola in der Wut eine Flasche und schlägt Zoske damit nieder, dieser bricht zusammen. Unterdessen hat Carolas Ex-Freund Dieter Schwarz Carolas Vater Erich darüber informiert, dass Carolas neuer Freund tot ist und mit Drogen zu tun hatte. (…)

Anni und Tom über „Gefährliche Träume“:

Anni: Ich habe nie harte Drogen genommen. Bei dir müssen wir gar nicht erst fragen, du warst eh viel zu brav.

Tom: Gut, dass wir das ohne meine Mitwirkung geklärt haben. Das war nun also der zweite Behnke-Tatort und wieder ein Zeit- und Sittenbild der späten 1970er und natürlich speziell aus Berlin.

Anni: Westberlin. Nie waren die Stadtteile weiter auseinander. 400 Drogentote im Jahr. Nicht in Berlin, in der ganzen Republik. Im Osten: Null. Alles war gut. Heute sind aber 1333 pro Jahr (2016) kein Aufreger mehr. 

Nach der Sichtung der DDR-Polizeirufe ist zu bestätigen, dass in keinem einzigen davon Drogenmissbrauch in tödlichen Mengen vorkommt. Dafür wird Alkoholabhängigkeit offener thematisiert als in den Tatorten der Vorwendezeit.

Anmerkung zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im neuen Wahlberliner: 1.826 Drotentote im Jahr 2021. Ziemlich untergegangen in der viel höheren Zahl von Todesfällen an / mit Corona.

Tom: Seit Jahren steigen die Zahlen wieder, dank der „Designerdrogen“. Aber man merkt dem Film an, wie neu das Thema, die Szene, der Umgang der braven Bürger damals war. Ein wahres Thema der Zeit, der Tatort kam denn auch passgenau zwischen der Veröffentlichung des Buches „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (1978) und der Verfilmung (1981). Freilich ist die Dramatisierung eines Einzelschicksals in diesem Tatort bei weitem nicht so ausgeformt, der nüchterne Ton der 1970er-Krimis überwiegt sehr die Darstellung des Leides von Drogenabhängigen.

Anni: Und natürlich die Andeutung, wie es zu solchen Drogenkarrieren kommen kann. Der reiche Sohn, vernachlässigt …

Tom: Zumindest einen Mitschüler in der Oberstufe hatte ich, der genau dem Bild entsprach und auch von der Schule flog, das war ein paar Jahre später, natürlich.

Anni: Und dann das Scheidungskind, hübsch, schüchtern, ziellos und antriebslos, traumatisiert vom Verlust der Vollfamilie. Ich fand sie von Dagmar Claus sehr schön gespielt, aber die wurde nie berühmt, hat keine eigene Wiki-Seite. Sie hatte aber ein Jahr vor dem Tatort in einem TV-Film namens „Heroin 4“ mitgespielt, über den ich leider keine Inhaltsangabe gefunden habe. Ist damit eine starke Dosis gemeint, die man vier Tage nach Einnahmen noch in den Haaren etc. nachweisen kann?

Tom: Dann muss man natürlich auch Peter Schiff als Vater erwähnen. Toll, wie er versucht, die fehlende Mutter auszugleichen, immer an der Seite der Tochter steht und versucht, jedwedes Verständnis zu zeigen, auch wenn ihm an einer Stelle die Hand ausrutscht, wie man das damals noch nannte. Überforderung. Und dann will er ihre vermeintliche Tat decken, ein Standardmotiv.

Anni: Worüber Ermittler Behnke aufgebracht ist. Wirklich schade, dass er nicht noch mehr Tatorte machen durfte. Herrlich, wie er, während über Drogen referiert wird, seine Kippen selbst dreht. Das waren Zeiten. Und der Humor hinter der bierernsten Art von Behnke, sowas ist zwar heute nicht mehr zu sehen, aber auch kultig. Die Dialoge dieses Tatorts sind teilweise weit über Durchschnitt, in dem Fall war es positiv, dass Regie und Drehbuch von einer Person stammen, Günter Gräwert.

Tom: Handlungsseitig ist der Film aber noch ziemlich vorsichtig, Carola ist ja eben nicht drogensüchtig und die echten Hardcore-Konsumenten werden eher am Rand gezeigt, um das Publikum nicht zu sehr zu verschrecken. Aber die Figuren- und Milieuzeichnung überwiegen klar über die Handlungsdynamik, was aber in damaligen Tatorten auch normal war.

Anni: Was für eine Zeit das war. Alles irgendwie futsch. Damals konnten Kids noch drogensüchtig werden, weil die Eltern irgendwie nicht funktionierten, wie sie im Optimalfall sollen, wer sich heute so gehen lässt, hat schon früzeitig keine Chance mehr. Heute werden Drogen nicht mehr genommen, um sich in irgendwas hineinzuträumen, sondern, um die Leistungsfähigkeit zu steigern, ob beim Durchmachen bei Partys, bei Prüfungen, whatever. Und jetzt frag ich dich, was von beiden ist die bessere Welt?

Tom: Dass die Ökonomie selbst die Destination des Drogenkonsums an sich ziehen würde, war Ende der 1970er nicht abzusehen, auch wenn es im Geld ging, etwa bei Carolas Vater, der immer unterwegs ist, um noch ein paar Mark extra zu verdienen und es dadurch zu einem neuen Sechszylinder-Opel Commodore bringt. Heute müssen die Leute extra verdienen, um sich ein AB-Ticket leisten zu können.

Anni: Die Normalos, die sich nicht nach oben abgesetzt haben.

Tom: Handwerker, die unter Druck von Arbeitskräften aus allen möglichen Ländern stehen, sind Normalos, wenn sie nicht einen größeren Betrieb haben oder kultige Altmöbel restaurieren. Die Atmosphäre der Endsiebziger wirkt in Berlin echt trostlos, das fällt mir in diesem Tatort nicht zum ersten Mal auf. Ich muss sogar ein wenig revidieren, was ich mal gefordert habe, als es darum ging, das Duo Ritter und Stark abzulösen und was ich mir von einem neuen Team erwarte: Mehr Originalität im Sinn der Berliner Mischung. Mittlerweile verstehe ich, dass man nach Markowitz und nach diesen Filmen aus den 1970ern und 1980ern mehr auf den Hauptstadtlglanz als neues Leitmotiv setzen wollte. Nicht auf das Drogenmilieu, skurrile Rentner und auch nicht auf Leute, die im Subventionsberlin der 1970er ökonomisch trotzdem baden gingen, wie in „Feuerzauber“.

Anni: Langweilig fand ich den Film nicht und insgesamt gelungen. Du musst dich eben darauf einlassen, wie die Zeiten damals waren und wie spannend es auch war, dass neue Milieus entstanden und der Wohlstand begann Schattenseiten wie die Vereinsamung zu zeigen. Wer heute sagt, das waren tolle Zeiten, nur, weil die Leute fast alle Arbeit hatten, von der sie leben konnten, der muss aber auch sehen, wie damals Kriminalität, Scheidungsraten und eben Drogenkonsum rasant anstiegen und angestammte soziale Verhältnisse und Bindungen reihenweise zerbrachen. Und das kam ja oft genau durch die finanzielle Unabhängigkeit. Wie hätten Kids in den 1950ern Heroin finanzieren sollen. Klar, es gab Ausnahmen wie Christiane F. oder die Kinder von Reichen, bei denen das Geld unkontrolliert einfach rübergeschoben wurde.

Tom: Das Zerbröseln der Moral war ja auch ein Thema in den Tatorten, von Beginn an. Es gab Filme, in denen dezidierte EInzeltäter eine Rolle spielten, wie es sie zu allen Zeiten gab und immer geben wird, aber auch welche, in denen Einbrecherbanden und Autoschieber und Menschenhändler und Drogendealer als Symbole für gesellschaftliche Fehlentwicklungen sinnbildlich verwendet wurden. Und es wird schon angedeutet, dass es im Untergrund die OK gibt, die sich dann in legale Geschäfte einkauft, um ihr Geld sprichwörtlich zu waschen – etwa mit den Waschsalon-Ketten, von denen hier die Rede ist. Die Macht der OK wird aber noch nicht gezeigt, das ist heutigen Filmen vorbehalten.

Anni: Ich würde Drogen komplett freigeben, dann wäre dieses Geschäftsfeld bald ausgetrocknet.

Tom: Und die OK würde sich noch mehr auf Wohnungseinbrüche und Straßenraub konzentrieren – und das bei unserer ermittlungsstarken Polizei?

Anni: Das ist jetzt etwas egoistisch gedacht. Und bei Mord ist die Aufklärungsquote ja doch recht hoch. Was natürlich den Ermordeten nichts mehr nützt. Aber 2011 gab es in Deutschland 662 Tötungen und über 1000 Drogentote. Natürlich die ganzen heimlichen Morde nicht mitgezählt, die als solche nicht erkannt wurden.

Tom: Fassen wir zusammen, der 104. Tatort hat gute Figuren, tastest sich vorsichtig ans Drogenmilieu heran, weil er nicht bei Fehlern erwischt werden will, die Handlung ist so gemächlich wie damals üblich und natürlich die Musik und die Discos und überhaupt die Zeit. Was mich wundert ist, dass nicht mehr Vinylscheiben so schön bunt gemacht wurden wie die von der Rocky Horror Picture Show, das hätte sich doch in einem Jahrzehnt, in dem die Mode, die Autos, alles ziemlich bunt war, angeboten. Ich gebe 7/10.

Anni: Und heute gibt es alles nur noch in der Cloud, es hat sich entmaterialisiert. Die Mode natürlich nicht, die zeigt seit Jahren kaum noch Neues, aber mit den roten, überkniehohen Stiefeln wärst du heute auch noch ganz vorne dabei. Okay, ich wäre ganz vorne dabei. Von mir 7,5/10.

7/10

© 2022, 2017 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Stab und Besetzung: Regie Günter Gräwert Drehbuch Günter Gräwert, Georg Alten Produktion Horst Borasch Musik Klaus Doldinger Kamera Henning Zick, Klaus Kuckel Schnitt Marion Richter Besetzung Hans Peter Korff: Kommissar Behnke Ulrich Faulhaber: Kommissar Hassert Peter Schiff: Erich Hartmann Dagmar Claus: Carola Hartmann Vladimir Weigl: Klaus Zoske Michael Tregor: Wolfgang Stettner Eckhardt Heise: Dieter Schwarz Carola Ebeling: Marianne Wagner Bernd Herberger: Joachim Schanitz Klaus Herm: Kommissar Hinze (Rauschgiftdezernat) Klaus Sonnenschein: Kommissar Kraatz (Rauschgiftderzernat) Constanze Harpen: Monika („Moni“) Monika Werner: Polly, Verdeckte Ermittlerin

 

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