Filmfest 824 Cinema
Heilig’s Blechle!
Die Blechpiraten ist ein US-amerikanischer Actionfilm aus dem Jahr 1974. Regie führte H. B. Halicki, der auch das Drehbuch schrieb, als Produzent fungierte und die Hauptrolle spielt.
„Die Blechpiraten“ heißt auch „Nur noch 60 Sekunden“, dem Originaltitel entsprechend. Wieso eigentlich? Allein die Verfolgungsjagd am Schluss dauert ungeheuerliche 40 Minuten, bei einer Gesamtlänge von 105 Minuten heißt dies, für eine einzige Sequenz wurde 38 Prozent der Spielzeit aufgewendet. Es gibt Filme, die sind fast in einer einzigen Einstellung gedreht, aber die haben einen gewissen künstlerischen Anspruch. Den kann man bei H. B. Halickis Operette in Schrott nicht unterstellen. Es muss nicht immer Kunst sein. Okay, die Schlussszene war uns dann doch irgendwann zu üppig. Vielleicht so nach einer Viertelstunde. Danach wurde es wieder besser, weil wir begriffen, dass der Regisseur, Autor, Designer und Gesamtschaffende des Films, im Realleben tatsächlich Stuntman und Autosammler, einen typisch amerikanischen Wahnwitzrektord aufstellen wollte: Mehr zu diesem Wahnwitz lesen Sie in der –> Rezension.
Handlung (1)
Der Versicherungsdetektiv Maindrian Pace und sein Team führen ein Doppelleben als unaufhaltsame Autodiebe. Dabei kommt ihm sein eigentlicher Beruf sehr gelegen, denn Pace klaut nie unversicherte Autos. Als ein südamerikanischer Drogenboss Pace dafür bezahlt, 48 Autos für ihn zu stehlen, hat der Dieb alle zusammen bis auf einen 1973er Ford Mustang. Doch auch diesen zu bekommen, stellt für den cleveren Dieb eigentlich kein Problem dar und das gesuchte Exemplar ist auch schnell gefunden. Als sich Pace darauf vorbereitet, den Wagen in Long Beach zu stehlen, weiß er nicht, dass sein Schwager ihn nach einem geschäftlichen Disput längst bei den Cops verpfiffen hat. Die Polizei wartet also auf ihn, doch so einfach lässt sich Pace nicht schnappen und es beginnt eine gnadenlose Verfolgungsjagd, die Pace durch gleich fünf Städte führt.
Rezension
Die meisten gecrashten Wagen innerhalb eines einzigen Movies. Etwa Mitte der 1960er war die Technik so weit, dass man veritable Verfolgungsjagden ernsthaft angehen konnte, zuvor waren auch die wildesten Szenen dieser Art mit Rückprojektion gefilmt, was herrlich künstlich wirkt. Wenn zum Beispiel der Hintergrund, den man durchs Fenster sieht, hüpft, das Auto aber satt auf der Straße liegt undsoweiter. Sicher ein Meilenstein war der berühmte „Bullitt“ mit Steve McQueen aus 1968 und Tele5 hat „Die Blechpiraten“ jetzt neben „Convoy“ gezeigt, „Sugarland Express“ von 1974 und von Steven Spielberg gehört in dieselbe Kategorie der Filme, in denen viele, viele Autos eine große, große Rolle spielen, im Cop-Film der die natürlich Basis von Verfolgungsjagdne zwischen Cops und Verbrechern ist, machte sich „French Connection“ (1971) einen Namen. Dem Hörensagen nach, denn es ist uns bis heute nicht gelungen, diesen Film fertigzuschauen. Wir schliefen jedes Mal ein. Vermutlich, kurz bevor genau diese thrilligen Szenen kamen, die in Beschreibungen zum Film beschrieben sind. Das ist Rezensentenpech, aber der Film ist zuvor auch irgendwie teilweise sehr gedehnt, denn dem, was vielleicht das Ganze noch rettet, gehen enervierende Beobachtungsarien voraus: Cops sitzen in Autos und beobachten, wie Verbrecher aus Autos aussteigen, einsteigen, damit durch die Gegend fahren. Das ist in „FC“ so ausgedehnt wie in „Nur noch 60 Sekunden“ die blechschadenreiche Schlussszene.
Auffällig ist in der von uns gesehenen Version, dass die Synchronisation erkennbar original ist und teilweise akustisch schwer verständlich, bis auf zwei offenbar eingefügte Szenen, in denen das Bild beinahe gewollt unscharf wirkt, aber die Stimmen erkennbar anders und auch klarer klingen. Immerhin ist eine dieser Szenen etwas reflexiver, denn auch Autoklauer und ihre Freundinnen haben irgendwelche Träume, die man darstellen kann.
Die deutsche Wikipedia enthält nicht einmal einen Eintrag zu diesem Indie-Film, in dem anstatt teurer Schauspielprofis H. B. Halickis Freundeskreis gecastet und eingesetzt wurde. Die Dialoge sind in weiten Teilen improvisiert, ein vollständiges Script gab es nicht, die Dramaturgie ist sprunghaft und roh und wenn wenigstens alles auf den 40-Minuten-Crashdown zulaufen würde, wäre das noch zu rechtfertigen. Der wird aber durch einen beschissenen Verrat in der Crew des Chefs vom Ganzen möglich, der tatsächlich Mr. Pace heißt. Seine Gspusi nennt sich auf Deutsch Kürbisjagd. Die 48 gestohlenen Autos sind in der amerikanischen Wikipedia tatsächlich alle aufgelistet und man sieht in der Tat eine erlesene Sammlung – und die gehört oder gehörte wirklich H. B. Halicki. Nicht verwunderlich, dass die Kamera mal mit Mr. Pace zusammen an ihnen vorbeifährt, um zu zeigen, was man in fünf Tagen klauen und in wenigen Jahren sammeln kann, wenn man ein echter Autofreak ist und die Fahrzeuge noch nicht die Preisexzesse ab den 1980ern durchgemacht haben. Die Sammlung wäre heute jedenfalls viele Millionen wert. Sowohl, wenn man die damaligen Neupreise, die Autos stammen überwiegend aus den frühen 1970ern, auf heute hochrechnet wie auch den Sammlerwert, den sie mittlerweile alle haben. Einige, wie ein Mercedes SL von 1957, waren damals schon Ikonen und Muscle Cars wie der Ford Mustang „Eleanor“ sind mittlerweile Legenden.
Dieses Auto spielt auch eine besondere Rolle. Insgesamt werden vier davon gestohlen, damit am Ende einer wirklich in die Hände des Auftraggebers gelangen kann. Bei einem scheitert der Diebstahl, weil der Besitzer zu früh zurückommt, der zweite Wagen ist nicht versichert und weil Autodiebe à la Pace und besonders seine Freundin auch sozial eingestellt sind, geben sie ihn zurück, Nummer drei ist dann das Crashcar des Jahrhunderts und – so verbeult, dass am Ende in der vielleicht witzigsten Szene des Films Nummer vier organisiert werden muss. Ein Halleluja dafür, dass diese Autos in Kalifornien so dicht gesät sind. Uns hätte interessiert, wie viele dieser Autos tatsächlich verwendet wurden; wir wissen nur, dass eben 93 Fahrzeuge insgesamt ihr Ende fanden, in diesem Film, was wiederum fast eines pro Minute ist und man kommt auf 2,32 pro Minute Verfolgungsjagd. Wir sind beinahe erstaunt, wie ruhig es zuging. In der US-Wikipedia wird ausführlich das ganze Kommher und Howtodo beschrieben, daher können wir uns ein wenig auf das Werk konzentrieren und seine Zeit.
Die Handlung ist hanebüchen, vor allem, als der große Klau beginnt. Natürlich hilft dabei, dass die Amerikaner zumindest im Film selbst teure Kisten einfach stehen lassen, ohne sie abzuschließen, dadurch wird die Mehrzahl der Auftragsfälle zu einer relativ einfachen Sache. Ansonsten wird so ein Winkeleisen verwendet, wie man es auch hierzulande manchmal in Szenen sieht, in denen klassischerweise noch nicht elektronisch gesicherte Fahrzeuge genappt werden. Heute ist alles so virtuell geworden: Immer muss ein Computer verwendet werden, um die Wegfahrsperren zu knacken oder sonst irgendwas an der Elektronik manipuliert werden, was aber nicht den Schauwert hat wie die physische Form der Öffnung und des Ingangsetzens. Aber so viel Fun wie damals ist ja heute generell nicht mehr.
Ab der bereits als Wendepunkt angedeuteten Mitte der 1960er explodierte in Hollywood geradezu die Kreativität und wurde die Alltagssprache nicht mehr veredelt, sondern trashig auf die Spitze getrieben, auch die Typen, welche die Leinwand beherrschen, wandelten sich innerhalb weniger Jahre. Der endgültige Fall des Hays Code 1964 hatte daran erheblichen Anteil und nur durch die plötzliche Abwesenheit gründlicher Zensur wurde es möglich, dass am Ende der große Raid on Cars tatsächlich funktioniert und Mr. Pace wirklich in Eleanor Nr. 4 selig davonfahren kann. Man darf davon ausgehen, dass alle 48 Autos pünktlich an den südamerikanischen Drogenbaron übergeben und eingeschifft werden können. Welch ein moralischer Wandel innerhalb weniger Jahre. Beinahe wäre es auch noch umgekehrt gelaufen: Per Zufall hätten die Autoknacker einen noch größeren Deal machen können, denn ein weißer Cadillac hatte den ganzen Kofferraum voller – Schnee. Wie passend. Unter einem Golfbag kaum getarnt. Keine Spur von „Alles muss man auseinandernehmen, bis man auf den Stoff stößt“, wie eben in French Connection, woran man merkt, die Szene, in der ein Lincoln Continental bei der Polizei zerschraubt wird, fand noch vor der kritischen Phase statt, in der uns so langweilig wurde.
Wir finden es hingegen nicht schlimm, dass „Nur noch 60 Sekunden“, der diesen Titel aus einem Grund trägt, den wir bisher nicht ermitteln konnten, jedenfalls ist der Sinn nicht so klar herausgearbeitet wie bei „Nur 48 Stunden“, also, es ist eher von Vorteil, dass dieser Film amateurhafte Züge trägt und eigentlich ein Comic ist, denn die Art, wie die Autodiebe vorgehen, wie der eine einen offiziellen Anstrich als Versicherungsfachmann hat, wie sie reden und wie der große Klaus verläuft – da muss auch die Verfolgungsjagd nicht physisch funktionieren. Das tut sie sicher in allen Einzelteilen, denn damals gab es keine CGI, mit der man hätten nachhelfen können, aber – siehe oben – der Gesamtablauf strapaziert doch etwas zu sehr das Gefühl für Authentizität. Allerdings war „Nur 60 Sekunden“ damit auch ein Pionier des Actionkinos. Spätestens ab den frühen 1980ern kam es immer häufiger zu Filmen, die jedwede physische und meist auch die psychische Logik sprengten und irgendwann eine Art neofaschistisches Universum schufen, die Rambo-Filme waren dafür stilprägend und wir sehen heute gefühlt mehr Streifen mit Figuren, die irgendwelche übermenschlichen Fähigkeiten haben als normale Menschen – normal im weitesten Sinne dessen gemeint, was die Realität an Verhaltensvarianz und an individuellen Fähigkeiten immer wieder offenbart.
Ein Kultfilm ist „Nur noch 60 Sekunden“ aber außerhalb eines Publikums, das sich auf Filme mit Autos spezialisiert hat, sicher nicht, dazu ist die IMDb-Bewertung von derzeit 6,5/10 zu niedrig. Männer mögen ihn etwas mehr als Frauen, aber die Differenz ist nicht auffällig, auch die Alterskohorten zeigen keine großen Bewertungsdifferenzen.
Amerikanische Maßstäbe kann man bei uns in vielerlei Hinsicht nicht anlegen, aber es war auch eine andere Zeit, gedreht wurde der Film just vor dem ersten Ölpreisschock, der dann zu kleineren Autos führte, noch einmal beschleunigt wurde der Prozess durch den zweiten OPEC-Coup von 1979. Wer weiß, wie die Autos heute in Amerika aussähen, wenn es nicht dieses Downsizing in den späteren 1970ern und den 1980ern gegeben hätte. Vermutlich hätten sie einen besseren Stand gegen „Premium“-Importe. Es nervt schon beinahe, zu schreiben, wir wissen ja, es ist vorbei mit der Herrlichkeit und dem fetten Leben auf allen Ebenen, die heutigen Materialschlachten im Kino sind vor allem virtuell und komischerweise nicht billiger als früher, das Auto hat keine Fans mehr, es gibt nur noch unverantwortliche SUV-Fahrer*innen und dann in ganz vielen Abstufungen Menschen, die sich langsam vom Auto verabschieden oder es nie begrüßt haben; Letztere werden in den jüngeren Altersgruppen immer mehr. Die Geschichte ist aber vergangen und vieles, was in „Nur noch 60 Sekunden“ gezeigt wird, widerspricht sowieso der hiesigen Mentalität. Dieser Unterschied ist auch heute noch relevant und der Eindruck, dass der Graben eher tiefer wird als sich schließt, wird vermutlich nicht nur von unserer subjektiv-großstädtischen Sicht generiert. Die frühen 1970er waren wohl die wildeste, exzessivste Zeit aller Zeiten und das spiegelt „Nur noch 60 Sekunden“ vortrefflich.
Finale
Wir hatten letztlich doch viel Spaß und manchmal zeigt sogar ARTE Filme, die keine Kunst sind, aber auf eine schräge Weise Kult oder filmhistorisch und soziologisch etwas zum Verständnis beitragen können. Aber die meisten Werke, die heute im Fernsehen laufen, haben schon eine „2“ vorne, wenn es um das Entstehungsdatum geht und jede Neuentdeckung aus den 1970ern, die wir als Kinojahrzehnt immer mehr zu schätzen lernen, ist ein – genau, ein wertvolles Sammlerstück für unsere Filmanthologie, die sich im neuen Wahlberliner „Filmfest“ nennt. Auch einige der billigen Blechkisten mit den dicken Motoren, die H. B. Halicki neben echter Autokunst sammelt, haben es verdient, in einen Enthusiastenfundus aufgenommen zu werden.
66/100
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Stab | |
---|---|
Regie | H. B. Halicki |
Drehbuch | H. B. Halicki |
Produktion | H. B. Halicki |
Musik | Ronald Halicki, Philip Kachaturian |
Kamera | Scott Lloyd-Davies, Jack Vacek |
Schnitt | Warner E. Leighton |
Besetzung | |
|