Bienzle und der tiefe Sturz – Tatort 365 #Crimetime 1126 #Stuttgart #Bienzle #SWR #SDR #Sturz

Crimetime 1126 – Titelfoto © SWR

Bienzle und der tiefe Sturz ist eine Folge der Krimireihe Tatort. Die Erstausstrahlung des vom Süddeutschen Rundfunk unter der Regie von Peter F. Bringmann produzierten Beitrags fand am 6. Juli 1997 im Ersten Deutschen Fernsehen statt. Es handelt sich um die 365. Episode der Filmreihe sowie die siebte mit dem Stuttgarter Kommissar Ernst Bienzle.

Die Rezension entstand ursprünglich im Jahr 2017, während einer Sommerphase, in der wir in erster Linie einige Lücken anhand einer Restaurierung alter Tatorte des Sender Freies Berlin schließen konnten – aber selbstverständlich wurden auch andere ältere Filme wiederholt. Im Film spielt ein Tatbestand eine Rolle, der auch heute wieder viel diskutiert und mittlerweile eine eigenständige Tradition entwickelt hat: Die Verlagerung von Produktionsstätten der deutschen Industrie ins Ausland.

Handlung (1)

Kommissar Bienzle gerät bei einem privaten Ausflug mitten in einen Mordfall. Edwin Schimmel, der Inhaber einer Firma in Deißlingen, war mit seiner Belegschaft auf einem Betriebsausflug auf die Schwäbische Alb und stürzte dabei einen Abhang hinunter. Obwohl der Kommissar eigentlich dienstfrei hat, ist er wild entschlossen, diesen Fall zu übernehmen. Um besser ermitteln zu können, reist Bienzle in den Wohnort des Opfers und mietet sich in einem Gasthof ein. Schnell erfährt er, dass es mit der Ehe des Opfers nicht mehr zum Besten stand, und Constanze Schimmel offensichtlich ein Verhältnis mit Christian Steinhoff hat, den sie über geschäftliche Beziehungen ihres Mannes kennengelernt hatte. In der Firma selber gibt es Unruhe, da aufgrund der neuen Situation Steinhoff zum kaufmännischen Leiter ernannt wird, und damit Georg Zimmermann leer ausgeht, der sich Hoffnung auf diesen Posten gemacht hatte. Schimmel plante die Produktion ins Ausland zu verlegen, was einem Großteil der Belegschaft den Arbeitsplatz kosten würde. Für Bienzle deutet daher vieles auf Georg Zimmermann als Täter hin, der jedoch nach Aussagen seiner Arbeitskollegen zum Zeitpunkt von Schimmels Absturz nicht in der Nähe des Abhangs war.

Als die Belegschaft der Schimmelwerke erfährt, dass die Produktionsverlagerung ins Ausland nach wie vor forciert wird, halten sie Christian Steinhoff dafür verantwortlich und wollen ihn zur Rechenschaft ziehen. Bienzle erfährt davon und kann so einen weiteren Mord gerade noch verhindern. Er lässt den Vorarbeiter Hajo Baldauf und Georg Zimmermann wegen der gemeinschaftlich geplanten und ausgeführten Morde festnehmen.

Anni und Tom über „Bienzle und der tiefe Sturz“:Anni: Alte Tatorte, die wir noch nicht gesehen haben, sind ja im Moment fast nur noch die Ur-Berliner aus den 1970ern und 1980ern, die der RBB restauriert hat und die in der Sommerpause gezeigt werden, aber jetzt auch mal ein Bienzle von 1997. Wie er gerade sein erstes Handy bekommt und nicht weiß, wie man die PIN eingibt. Süß. Aber jetzt gleich das Bekenntnis, oder?

Tom: Wir sind gestern Abend bei dem Film eingeschlafen, obwohl es noch gar nicht so spät war. Heute haben wir dann von Minute 52 auf Minute 38 zurückgesetzt und den Rest geschaut. Also, wir haben’s jetzt geschaftt, aber direkt danach war schon wieder Feierabend. Vielleicht liegt’s auch an der etwas einfachen Ernährung in der Fastenzeit. Als ich anfing, mich etwas mehr mit Bienzle zu befassen, habe ich geschrieben, eigentlich ungerecht, dass ich ihn so lange zurückgestellt habe, seine Figur und seine Filme sind nicht so schlecht.

Anni: Aber warum manche diese schwäbischen Tatorte aus den 1990ern und bis zu Bienzles Ablösung 2008 durch Lannert und Bootz nicht nögen, wird gerade an dieser Nr. 365 deutlich, finde ich. Unglaublich zäh und dann noch die Entwicklung, dass das Privatleben der Ermittler auch Relevanz hat, deutlich übertrieben. Ich verstehe schon Frauen, die sich vernachlässigt fühlen, aber muss man sie so unsympathisch zeigen wie Rita, dass ihr euch vermutlich am Ende nur noch denkt: Was für eine Zicke!

Tom: Ja, genau. Ich fand aber den ganzen Film psychologisch nicht besonders überzeugend. Okay, dass die Belegschaft durchdreht, weil ihre Firma ins Ausland verlegt wird, kann im schwäbischen Mittelstand vielleicht mal vorkommen, aber dass daraus gleich zwei Morde resultieren – als ob es etwas ändern würde, den Geschäftsführer zu beseitigen, solange die Drahtzieherin, die Erbin, noch lebt. Und außerdem war es nur Portugal. Die Portugiesen klauen wenigstens nicht gleich die Technologie oder fordern sogar deren kampflose offizielle Übergabe. Was mittlerweile alles an Produktionsfirmen abgewandert ist oder nur durch Robotik in Deutschland zu halten, seit dieser Bienzle entstanden ist, will ich gar nicht wissen. Wir haben mittlerweile nur noch 2,5 Millionen Industriearbeitsplätze insgesamt. Die aber sind immerhin noch für 20 Prozent der Wirtschaftsleistung gut, woran man sieht, wie wertvoll jeder einzelne davon ist.

Anni: Nämlich doppelt so wertvoll wie ein durchschnittlicher Arbeitsplatz woanders, bei den Dienstleistungen usw. Nach Adam Riese. Aber das ist ja doch ein recht kleiner Betrieb von 45 Leuten, da schaltet sich zum Beispiel die Politik nicht ein, wenn es um die Erhaltung der Jobs geht.

Tom: Diese antistrategische aktuelle Regierung schaltet sich auch nicht ein, wenn es z. B. um fast 20.000 Arbeitsplätze bei Opel geht oder um den Ausverkauf nach China. Da kann man gut mitfühlen mit den braven schwäbischen Arbeitern, auch wenn es nur 45 sind.

Anni: Aber sie bringen die Falschen um.

Tom: Ich weiß, was du meinst. Selbstverständlich vertiefen wir das hier nicht. Die Darstellung der wirtschaftlichen Entscheidungen finde ich übrigens für einen solchen Krimi wieder recht gelungen und so aufbereitet, dass sie allgemeinverständlich sind. Das führt zur Vereinfachung, aber die funktioniert, die Zusammenhänge sind nachvollziehbar und die Reaktionen auch. Trotzdem passt z. B. Zimmermanns Reaktion nicht, als er ins Werk kommt und sich offen illoyal gibt, wo er doch offenbar paritätischer Geschäftsführer mit dem Kaufmann sein soll. Das ist nicht nichts, und dass die Erbin des Chefs das Sagen hat, ist ohnehin klar. Hat wohl eigens für die Verhandlungen um den neuen Standort portugiesisch gelernt, sehr fleißig.

Anni: Aber dieser Gerichtsmediziner und wie Rita sich ihm gegenüber beim zweiten Date verhält, beides geht nicht. Sie will Bienzle doch aufmischen, schon okay, aber dafür braucht sie nicht wirklich fremdzugehen. Und der Gerichtsmediziner ist auch ein Kollegenschwein. Also, für mich wirkt das, als sollte mit dieser Sache nach dem Opernbesuch Schluss sein, aber dann hat sich herausgestellt, dass das Drehbuch nicht für 90 Minuten reicht und dass beim zweiten Date ja eine Art Entwicklung stattfinden muss. Trotzdem voll unüberzeugend.

Tom: Man hat die Figuren sozusagen in eine Handlung gequetscht, in der sie zur Verfügungsmasse werden und nicht mehr wie sie selbst wirken. Okay, manchmal ist man ja quasi nicht mehr man selbst. Trotzdem stellt man an Filmfiguren nun einmal höhere Anforderungen und empfindet Dinge, die man bei sich selbst normal findet, schon nicht mehr als authentisch. Was diesen Tatort auszeichnet ist, dass ihn nichts auszeichnet – absolut durchschnittlich, vom Spiel über die Handlung bis zum Visuellen. Abgesehen natürlich vom Sturz von der Alb, der Unternehmer Schimmel erleidet den Action-Exitus unter den Bienzle-Leichen. Ich gebe 6/10.

Anni: Ich bin ja nicht so der Tradition verpflichtet, im Normalfall nur bis 5 runterzugehen, daher gebe ich 5,5/10.

Wertung: 5,5/10*

© 2022, 2017 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1) und kursiv: Wikipedia
* Anlässlich der Republikation im Jahr 2022 abgewertet von 5,8/10, da wir mittlerweile wieder auf halbe Punkte als kleinste Bewertungseinheit umgestellt haben und derzeit eher eine Tendenz zur kritischeren Betrachtung als zu höheren Bewertungen zu verzeichnen ist.

Stab und Besetzung: Regie Peter F. Bringmann Drehbuch Felix Huby Produktion Thomas Martin Musik Jörg Lemberg Kamera Marc Liesendahl Schnitt Christiane Krafft

Besetzung Dietz-Werner Steck: Ernst Bienzle Rita Russek: Hannelore Schmiedinger Klaus Spürkel: Dr. Bernhard Kocher, Gerichtsmediziner Ulrike Kriener: Constanze Schimmel Martin Umbach: Christian Steinhoff Horst Krebs: Hajo Baldauf B. Zechel: Frau Baldauf Rüdiger Wandel: Günter Gächter Bernd Tauber: Edwin Schimmel Manon Straché: Ursula Eggert Astrid Rashed: Cora Joerg Adae: Groschupf Elert Bode: Polizeipräsident Leon Boden: Stephan Klaus Boysen: Herrlicher, Opernintendant Sabine Braeuning: Anne Liebelt Hubert Mulzer: Georg Zimmermann, Technischer Leiter Jochen Probst: Max Fröhlich Christian Pätzold: Bürgermeister Gollhofer Wolfgang Schatz: Wachtmeister Nägele Simone Stuhlegger: Hélène Frank Stöckle: Ziefle Jockel Tschiersch: Heinz Schierle, Kommissar Cem F. Ungan: Ali

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