Filmfest 827 Cinema
Nur eine gesunde Seele in einem gesunden Körper
Jagd nach Millionen (Originaltitel: Body and Soul) ist ein in Schwarzweiß gedrehter US-amerikanischer Film noir von Robert Rossen aus dem Jahr 1947. Der Film gewann 1948 einen Oscar in der Kategorie Bester Schnitt und war nominiert in den Kategorien Bestes Originaldrehbuch und Bester Hauptdarsteller (John Garfield).[1]
„Body and Soul“ hat aktuell eine IMDb-Bewertung von 7,6/10 und zählt damit zu den Films noirs, die man gesehen haben sollte und es sind 0,2/10 mehr als der Film bekommt, mit dem ich John Garfield kennenlernte: „Im Netz der Leidenschaften“ („The Postman Always Rings Twice“), der ein Jahr zuvor entstand und seinen Durchbruch als Schauspieler in Hollywood bedeutete. Ich mag den Film noch heute besonders gerne und – er ist ein absoluter, geradezu prototypischer Film noir. Ob das auch auf „Body and Soul“ zutrifft und weitere Aspekte besprechen wir in der – Rezension.
Handlung (1)
Unmittelbar vor seinem nächsten Titel-Kampf lässt der amtierende Boxweltmeister Charlie Davis in seiner Umkleidekabine seine Vergangenheit noch einmal an sich vorbeiziehen:
Als Sohn eines Süßwarenhändlers wuchs Charlie in New York in bescheidenen Verhältnissen auf. Als das Geschäft seiner Eltern bei einem Bombenanschlag auf ein benachbartes Speakeasy zerstört wird, kommt Charlies Vater ums Leben und seine Mutter Anna steht vor dem Ruin. Um sich und seine Mutter vor der Schande der Armut zu bewahren, beschließt der erfolgreiche Amateurboxer eine Karriere als Profiboxer einzuschlagen. Sein Freund und Manager Shorty Polaski bringt ihn mit dem Promoter Quinn zusammen, der Charlies Talent erkennt und ihn unter Vertrag nimmt. Charlies Mutter und auch seine Freundin, die Grafikerin Peg Born, stehen den Aussichten skeptisch gegenüber.
Charlie schlägt sich gut und gewinnt Kampf um Kampf. Dies bringt den skrupellosen Promoter Roberts auf den Plan, der das große Geschäft wittert und Charlies Management übernimmt. Er überredet den an einem Blutgerinnsel im Gehirn leidenden Weltmeister Ben Chaplin zu einem Kampf gegen Charlie, in dem er ihm verspricht, Charlie werde nicht richtig zuschlagen, wenn Ben rechtzeitig auf die Bretter geht. Da er aber Charlie über diesen Deal nicht informiert, prügelt dieser Ben fast tot. Shorty, der nach dem Kampf die Wahrheit erfahren hat, konfrontiert Charlie auf der Siegesfeier. Dabei erfährt er, dass Roberts ihn ausgebeutet hat und verlässt enttäuscht und wütend die Feier. Auf der Straße wird er von Roberts’ Bodyguard zusammengeschlagen. Verwirrt wankt er vor ein vorbeifahrendes Auto und wird totgefahren.
Peg, die Charlies Entwicklung nicht länger ertragen kann, trennt sich von ihm. Schon bald hat er mit Alice ein glamouröseres Mädchen an seiner Seite. Der Erfolg steigt ihm immer weiter zu Kopf, bis Roberts schließlich beschließt, Charlie gegen einen jüngeren Gegner antreten zu lassen, der in einem wiederum fingierten Kampf den Titel übernehmen soll. Widerwillig stimmt Charlie diesem Deal zu. Ben Chaplin, der mittlerweile als Charlies Trainer fungiert, regt sich darüber so sehr auf, dass er am Tag vor dem Kampf einen tödlichen Hirnschlag erleidet.
Nachdem Charlie aus seinem Tagtraum erwacht ist, begibt er sich zum Titelkampf in den Ring. Entgegen den Abmachungen schlägt Charlie seinen Gegner in der letzten Runde des Kampfs K. o. und verlässt mit der zu ihm zurückgekehrten Peg die Arena.
Rezension
Wenn man die Noirs so liebt wie ich, dann verteidigt man vielleicht auch eine etwas engere Linie, wenn es um die Zuordnung geht.
„Rauh und geradlinig erzählter Debütfilm, in dem das korrupte, skrupellose Boxgeschäft als Spiegelbild gesellschaftlicher Machtverhältnisse fungiert. Treffend in der Sozialkritik, dicht in der Milieuzeichnung, ausgezeichnet gespielt. Stilistische Verbindungen zu den Kriminalfilmen der ‚Schwarzen Serie‘ sind augenfällig.“ – Lexikon des internationalen Films[2]
Trotz der Rückblende kurz nach Beginn ist der Film in der Tat geradlinig erzählt und es kommt zu Verbrechen in Form von „Rigging“ (Boxkämpfe werden „fixiert“, also ihr Ausgang vorher festgelegt), aber nicht zu einer Tötungshandlung, wenn man von dem Anschlag auf das Speakeasy absieht, dem auch der benachbarte Süßwarenhändler, der Vater des Protagonisten, zum Opfer fällt. Und vor allem gibt es ein Happy End. Deswegen finde ich, das Filmlex trifft es dieses Mal exakt: Stilistisch ist „Body and Soul“ ein Film noir, gedreht auf dem Höhepunkt der Schwarzen Serie in den späten 1940ern, aber inhaltlich ist er es nicht. Das Good Girl dominiert über die Femme fatale, die im Grunde eher eines von mehreren Symbolen für gnadenlosen Materialismus in diesem Film ist, als dass sie tiefgehende Gefühle in Charlie auslösen würde.
Sozialkritisch, wie das Filmlex schreibt, sind viele Filme jener Zeit gewesen, eigentlich prangern alle Noirs mehr oder weniger die Gier nach Reichtum an, die meisten dieser Filme werden auch von jener Gier vorangetrieben. Sehr selten, dass andere Motive als Geld im Vordergrund stehen, wenn es um den Niedergang einer Person geht, die sich verstrickt und meist am Ende stirbt. Aber es ist recht früh absehbar, dass „Body and Soul“ so nicht enden wird. Das liegt daran, dass die eigentliche Liebe Charlies, der einige Aufmerksamkeit gewidmet wird und die von Lilli Palmer gespielt wird, sonst ins Leere laufen würde. Eine endgültige Abwendung des guten Mädchens wäre aber nicht vollkommen unglaubwürdig gewesen.
Gerade, wenn man „Body and Soul“ mit „The Postman“ vergleicht, wird der Unterschied sehr deutlich. Ungewöhnlich ist an dem ein Jahr zuvor entstandenen Film das Glamouröse mitten in einem einfachen Landstraßenszenario, aber es ist halt ein ausnehmend gut gefilmtes A-Movie von MGM. Robert Rossens Film wirkt in der Tat rauer, es gibt weniger ikonische Szenen, allerdings fand ich den finalen Boxkampf herausragend. Nicht wegen der Kampfszenen, Boxfilme gibt es viel bessere, obwohl John Garfield wirklich geboxt hat, bevor er zum Film ging, sondern wegen der Dramatik und den immer wieder ins Publikum wechselnden, schnellen Schnitten, die von Angst, Ekstase und einem Zerrbild menschlicher Leidenschaften künden. Die Szenenfolge zeigt ähnlich entlarvend auf Menschen wie Fritz Lang mit den Gesichtern des Lynchmobs in „Fury“. Je blutiger ein Kampf, desto besser, je mehr von Taktik geprägt, desto eher geht das Pfeifen los. Das ist natürlich in allen Sportarten so, aber nicht in der Form, dass die Menge geschundene Körper sehen will und die Sensationsgier den Menschen in die verzerrten Minen geschrieben steht. Eine gewisse Abscheu des Filmemachers ist nicht zu verkennen. Auch das Good Girl, das heimlich zur Show erschienen ist, lässt sich mitreißen; aber wohl mehr, weil sie Sorge hat, dass Charlie schwer verletzt werden könnte. Sie wird auch erst gezeigt, als er zum Gegenangriff übergeht.
Was ich gesehen habe, war die Originalversion. Für die geschäftlichen Szenen, in denen es um Manipulation geht, war es aber nicht schlecht, dass ich die deutschen Untertitel eingeblendet hatte, denn da wird es etwas schnell und undeutlich, für meine derzeitigen Verhältnisse. Hingegen waren Garfield und Palmer ausgezeichnet zu verstehen. Sie auch deswegen, weil sie keine „Native Speakerin“ ist, was im Film auch thematisiert wird, sondern eine Kunststudentin nicht ganz klarer Herkunft, die sich u. a. in Berlin, Paris und London herumgetrieben hat, was auf Palmer zutrifft. Der Film hält sich auch nicht sehr mit komplizierten philosophischen Betrachtungen auf, die es in Noirs durchaus gibt, sondern füllt die für damalige Verhältnisse ordentlich langen 105 Minuten jederzeit mit packender Handlung, die man zudem als ziemlich konsequent und logisch bezeichnen kann. Vielleicht nicht als absolut zwingend, wenn es um Entscheidungen über das künftige Management geht, die Charlie trifft, aber die große Kasse lockt und der Teufel in Form eines unsympathischen, schmallippigen „Geschäftsmanns“ tritt auf. So what?
Berührend ist der Film ebenfalls, anders als der ziemlich kalte „The Postman“ mit seinen im Grunde nur negativen Charakteren. Erstens spielt Palmer herzerfrischend, zweitens wirkt Garfield als Mann, der nach oben will, sehr authentisch, drittens gibt es die Figur des afroamerikanischen Boxers, den Charlie beinahe totschlägt, weil ihm nicht gesagt wurde, dass der Mann eigentlich zu krank ist, um noch einmal in den Ring zu steigen. Später trainiert er Charlie und erleidet einen Herzinfarkt, als er von dem abgesprochenen Kampf um den Weltmeistertitel erfährt. Für mich waren die Szenen mit ihm die emotionalsten, auch, weil der Mann nicht als, sagen wir mal, einfach gestrickter N., sondern als ein Teil der Seele des Films dargestellt wird. Das war seinerzeit keineswegs selbstverständlich.
In dem Zusammenhang müssen wir auf die Hintergründe kommen. Sowohl John Garfield als auch Robert Rossen waren dezidiert liberal bzw. links geprägt, Rossen sogar Mitglied der Kommunistischen Partei und fiel demgemäß nur wenige Jahre nach diesem Film der Kommunistenhetze der McCarthy-Ära zum Opfer. Garfield hingegen weigerte sich, vor einem HUAC-Ausschuss linke Kollegen zu verpfeifen, konnte nur noch am Theater arbeiten, seine Frau trennte sich von ihm, er verkraftete das nicht gut und starb schon 1953 an einer Herzattacke. Robert Rossen hat mit „The Hustler“ danach nur noch einen großen Film gemacht (1961, mit John Newman in der Titelrolle). Nicht nur in Deutschland gab es damals gebrochene Künstlerbiografien, auch Hollywood hat viele seiner größten Talente in jenen Jahren des einsetzenden Kalten Krieges die Arbeit erschwert oder verunmöglicht. Einige arbeiteten sogar unter Pseudonym weiter, um sich ernähren zu können. Bei Regisseuren ging das natürlich nicht, auch nicht bei Schauspielern, sehr wohl aber bei Drehbuchautoren. Dalton Trumbo ist wohl einer der bekanntesten unter jenen, die eine Zeitlang verdeckt schrieben, andere wichen nach Europa aus, wie etwa, gezwungenermaßen sogar, Charles Chaplin.
Wenn ich das nicht nachgelesen hätte, wäre mir aber nichts Besonderes aufgefallen, denn, siehe oben, viele Noirs haben eine ausgesprochen linke Tonung: Das Verbrechen durfte sich zwar nicht lohnen, aber die Tragik einer Figur, die in die Fänge von skrupellosen Kapitalisten landen, die ihr Geld legal, teilweise legal und illegal verdienen, legt den Finger in die Wunde, denn man fühlt mit jenen, die sich nicht befreien können, und es ist eben auch ein typisches Noir-Element, dass das Schicksal so schwerwiegend auf diesen Menschen lastet und sie niemals eine echte Chance haben. Der Film noir ist insofern wesentlich ehrlicher als die vielen Hollywoodmärchen vom Aufstieg, der jedermann angeblich möglich ist, wenn er nur zäh und ein wenig beschlagen ist. Vor allem aber zäh, denn Talent schlummert doch in jedem von uns, man muss es nur irgendwie hervorkitzeln. Oder doch nicht?
Finale
Bei Charlie besteht daran kein Zweifel, er ist ein talentierter Boxer und er will aus der sozialen Enge ausbrechen. Die Szene mit der Angestellten der Fürsorgebehörde, die seine Mutter nach ihren Vermögensgegenständen befragt, fand ich sehr bedrückend. Sowohl Sohn als auch Mutter fanden in der Depressionszeit keine Arbeit und waren pleite, nachdem der Vater tot und das Süßwarengeschäft ein Trümmerhaufen war. Die Familie ist auch erkennbar als jüdisch klassifiziert und die Behördenangestellte hat einen deutsch klingenden Nachnamen. Außerdem wird thematisiert, wie es in den USA einem jüdischen Boxer möglich ist, Weltmeister zu werden, während die Juden von den Nazis in Europa umgebracht werden. Es handelt sich dabei um einen Appell, ehrlich zu bleiben, denn alle „in the Hood“ haben auf Charlie gesetzt und keiner von ihnen würde je glauben, dass er an einer Schiebung teilnehmen würde. In dem Moment entschließt er sich wohl auch, ehrlich zu kämpfen und es dann auch mit dem düpierten Finanzhai aufzunehmen, der ihn gekauft hat oder kaufen wollte. Dieser Stolz bricht zweimal in ihm durch: Er wird Boxer, obwohl seine Mutter es eigentlich nicht möchte, als er die Fürsorgebeamtin rauswirft, er will die vielen Mensch nicht enttäuschen, die auf ihn setzen, als der WM-Kampf ansteht.
„Body and Soul“ ist ein sehr moralischer Film, in dem des um einen starken Körper geht und die unsterbliche Seele in diesem Körper, die sich nicht korrumpieren lassen darf. So schade, dass sich die Menschen im realen Leben nicht viel mehr wie Charlie verhalten und am Ende dafür ins Glück gehen dürfen, mit ihrem Mädchen, als Schatten von hinten gefilmt, während der Abspann einsetzt.
81/100
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia
Regie | Robert Rossen |
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Drehbuch | Abraham Polonsky |
Produktion | Bob Roberts |
Musik | Hugo Friedhofer |
Kamera | James Wong Howe |
Schnitt | Robert Parrish |
Besetzung | |
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