Das Kartell (Clear and Present Danger, USA 1994) #Filmfest 859

Filmfest 859 Cinema

 Do it good or even better

Das Kartell (Originaltitel: Clear and Present Danger) ist ein US-amerikanischer Spielfilm aus dem Jahr 1994, der auf dem Roman Der Schattenkrieg von Tom Clancy basiert. Regie bei dem Thriller führte Phillip Noyce, das Drehbuch schrieben Donald Stewart, Steven Zaillian und John Milius. Die Hauptrolle des Jack Ryan spielt Harrison Ford. Der Film startete am 29. September 1994 in den deutschen Kinos. Die Figur Jack Ryan wurde zuvor schon einmal von Harrison Ford verkörpert, und zwar in Die Stunde der Patrioten (1992). Alec Baldwin spielt Jack Ryan in Jagd auf Roter Oktober (1990), Ben Affleck spielt ihn in Der Anschlag (2002) und Chris Pine in Jack Ryan: Shadow Recruit (2014).[1]

Wer immer sonst noch diesen Jack Ryan gspielt haben mag, kaum jemand wird es hinbekommen haben, ihn sympathischer wirken zu lassen als Harrison Ford, dem man den aufrechten Geheimdienstler jederzeit abnimmt, der sich gegen interne Machenschaften zur Wehr setzt und dabei in den kolumbianischen Drogensumpf einsteigen muss. Ist „Das Kartell“ deshalb auch ein guter und sympathischer Film? Das klären wir in der – Rezension.

Handlung (1)

Die US-Küstenwache entdeckt an Bord eines Schiffes den Mord an einem amerikanischen Geschäftsmann, einem alten Freund des US-Präsidenten Bennett, und seiner Familie. Der leitende CIA-Agent Jack Ryan ermittelt im Auftrag des Präsidenten den kolumbianischen Drogenbaron Ernesto Escobedo als Urheber des Anschlags. Der Präsident beauftragt daraufhin seinen Sicherheitsberater James Cutter mit einer Vergeltungsaktion, jedoch nur indirekt, da ein direkter Auftrag gegen amerikanisches Recht verstoßen würde. Cutter weist den Deputy Director of Operations Robert Ritter daraufhin an, gegen die Drogenbarone und deren Machenschaften mit militärischen Mitteln vorzugehen. Dieser lässt den erfahrenen Kommando-Spezialisten John Clark eine geheime Sondereinheit zusammenstellen, die in Kolumbien verdeckt operieren soll.

Jack Ryan wird in der Zwischenzeit für seinen erkrankten Freund Admiral Greer vorübergehend zum stellvertretenden CIA-Direktor ernannt. Er wird jedoch über die Maßnahmen von Ritter nicht informiert und beantragt daher unwissentlich mit Erfolg Gelder vom Kongress für den Zweck der Bekämpfung des Drogenhandels, unwissend, dass sie letztlich für die Militäraktion eingesetzt werden sollen und auch werden. In Kolumbien entwickelt sich aus der Vergeltungsaktion ein kleiner Guerillakrieg, wobei die US-Eliteeinheit mehrere Drogenlieferungen zerstört und dem Drogenbaron Escobedo auf diese Weise empfindliche Schläge versetzt.

Der Sicherheitsberater von Escobedo, Felix Cortez, arrangiert daraufhin einen Anschlag auf den Autokonvoi des FBI-Direktors Emile Jacobs, der wegen der Beschlagnahme von Drogengeldern auf dem Weg zu Verhandlungen mit der kolumbianischen Regierung in Bogota ist. Dies geschieht jedoch ohne das Wissen von Escobedo, da Cortez in Wirklichkeit die Absicht hegt, die Amerikaner zu einem größeren Militärschlag gegen das Cali-Kartell zu reizen und nach dem Tod der Bosse dann selbst das Kartell zu übernehmen.

Jack Ryan befindet sich ebenfalls im Autokonvoi und überlebt den Anschlag nur knapp. Nur langsam durchschaut Jack Ryan das Verwirrspiel um Macht und versucht, die Drahtzieher zur Rechenschaft zu ziehen. Wie von Cortez vorausgesehen, bombardieren die Amerikaner nach dem Anschlag mit Hilfe einer lasergelenkten Bombe eine Versammlung der Drogenbosse, wobei auch Frauen und Kinder ums Leben kommen. Der Hauptboss Ernesto Escobedo bleibt jedoch unverletzt, da er sich zu dem Treffen verspätet hatte.

Felix Cortez findet anhand von Spuren am Tatort heraus, dass eine amerikanische Eliteeinheit bereits im Land sein muss, und arrangiert ein Treffen mit US-Sicherheitsberater James Cutter. Bei diesem Treffen schließt er mit Cutter einen Deal: Nach seiner eigenen Übernahme des Cali-Kartells und der Ermordung Escobedos will er die Drogenimporte in die USA halbieren und in geordnete Bahnen lenken. Im Gegenzug soll Cutter die US-Eliteeinheit opfern und ihre Stellungen preisgeben. Cutter lässt sich auf den Deal ein, und die amerikanischen Soldaten geraten in eine Falle. Die meisten werden getötet, einige wenige gefangen genommen. Cutter und Ritter vermitteln Clark, dass das Kommando auf Ryans Veranlassung hin aufgegeben wurde, und versprechen ihm weitere Unterstützung gegen das Kartell, für den Fall dass Ryan getötet wird.

Mit Hilfe von Abhörprotokollen der DEA kommt Jack Ryan schließlich hinter die Verschwörung und reist nach Kolumbien. Dort wird er zunächst von Clark gefangen genommen. Der erkennt jedoch schnell, dass er von Cutter und Ritter anstatt von Ryan verraten wurde. Die beiden machen sich auf in den Dschungel um nach dem Rest der Kommandoeinheit zu suchen, finden aber nur noch Domingo Chavez lebend auf.

Ryan klärt nun Escobedo über die Machenschaften seines Sicherheitsberaters auf. Daraufhin kommt es zum Showdown in Cortez’ Kaffeerösterei. Escobedo wird getötet, Clark, Ryan und Chavez gelingt jedoch die Befreiung der beiden gefangenen Soldaten. Cortez selbst wird zwar von Ryan zunächst verschont, jedoch kurz darauf von Chavez erschossen um Ryan und Clark zu schützen.

Nach seiner Rückkehr sagt Ryan ungeachtet der für ihn möglicherweise negativen Konsequenzen vor dem Untersuchungsausschuss des US-Senats über die Vorgänge aus, was das Karriereende für den Präsidenten, Ritter und Cutter bedeutet.

Rezension

Die frühen 1990er müssen eine wahrhaft glorreiche Zeit gewesen sein. Wann sonst wurde so offen gezeigt, dass die US-Geheimdienste ein trickreicher Haufen sind, der gegen jede Regel verstoßen zu können glaubt, den Präsidenten in seine Machenschaften hineinzieht und alle Verantwortlichen stolpern tratsächlich über ihr Vorgehen im Kampf gegen die Drogen. Dass es nicht um eine linksgerichtete Regierung geht, dass nicht ein Regime Change vorbereitet werden soll, sondern es eben um den Kampf gegen die Geisel des Kokains geht, macht die Lage moralisch allerdings ein wenig kompliziert: „Katholisch“ sind die Drogenkartelle nicht zu besiegen, was tut man also? Man führt einen verdeckten Krieg mit einer Spezialeinheit. Heute würde man es „Spezialoperation“ nennen, aber es ist ja auch damals kein offener Einsatz gewesen. Und er verstößt, trotz der Absichten, die Kartelle tatsächlich zu schwächen und die Menge der in die  USA verschickten Drogen zu reduzieren und damit ihren Preis nach oben zu treiben, gegen die Doktrin, dass der Kampf auf fremdem Territorium in dieser Form nicht geführt werden darf.

Dass die Preissteigerungen eine klassistische Methode sind (nur noch die Reichen dürfen koksen, der Mittelstand, der jeden Tag den Laden am Laufen hält und auch einen Anspruch auf Dröhnung haben sollte, nicht mehr), wollen wir an dieser Stelle nur knapp erwähnen. Wenn wir sehen, dass die USA heute nicht weniger als 100.000 Drogentote pro Jahr verzeichnen, kann man sagen: Vielleicht war trotz aller durch die CIA mit ihrer Übung in Regime Changes etwas dran, an der Art, diese Kriegführung zu betreiben. Dass dabei Frauen und Kinder umkommen, wie wir im Film sehen, macht es noch einmal komplizierter. Sind die Angehörigen von Drogenbossen, die durch deren Verkauf des Todes an andere teilhaben an einem unverschämten, illegal erworbenen Reichtum, „unschuldig“? Die Frage muss man stellen dürfen, gekontert wird dieser Aspekt wiederum durch das, was auch die Waffenproduzenten immer sofort sagen, wenn man ihnen ans Leder will: „Die Nachfrage ist da. Ob wir sie befriedigen oder andere, ob sie legal oder illegal befriedigt wird – dann lasst uns doch lieber das Geschäft machen, ihr kennt uns, wir sind für euch einigermaßen berechenbar.“ Und legal, die Waffenlobby betreffend, deswegen ist der Vergleich nicht ganz korrekt. Welche Mittel sind also im  Kampf gegen Drogen erlaubt?

Das allerbeste Mittel wird nicht einmal ansatzweise angesprochen: Ein anständiges Leben in einer anständigen Gesellschaft führen, die sich nicht ständig im Rauschzustand befinden muss, um sich selbst zu ertragen, also Menschen sein zu wollen wie der gute Jack Ryan. Das wäre der Königsweg aus dem Sumpf. Mehr Solidarität, weniger hybrides Streben nach Dingen, die absolut keinen echten Wert besitzen. Die USA sind aber zumindest heute viel zu krank, um das noch  hinzubekommen. 1994 sah das vermutlich noch anders aus, deswegen haben sie damals neben der Romantisierung des Lebens auch einige kritische Filme rausgehauen, denen man zumindest den Willen zur Hinterfragung nicht absprechen kann und die allzu eindeutige Festlegungen vermeiden, wenn man von der Identifikationsfigur Jack Ryan absieht, die gegen den eigenen Staatsmob antritt. Was sagen aber die Kritiker zur Machart des Films?

James Berardinelli schrieb auf ReelViews, bei dem holprigen Ablauf würden Zuschauer eher in den Schlaf getrieben als auf die Kante ihres Sitzes. („The uneven flow is as likely to lead to a snoozing viewer as to one on the edge of their seat.“)

„Mit der dritten Verfilmung eines Jack-Ryan-Bestsellers ist Philip Noyce (‚Sliver‘) der große Wurf gelungen. Harrison Ford kann in dieser intelligenten, actionreichen Adaptation an seine Meisterleistung in ‚Auf der Flucht‘ nahtlos anknüpfen. Wie er sich durch einen Irrgarten der Intrigen schlängelt, um nach grandiosen 141 Minuten als Sieger aus dem Kampf gegen Korruption hervorzugehen, ist allerbeste Kinounterhaltung.“ – VideoWoche

„Perfekt inszeniertes Polit-Abenteuer, das nicht nur Interesse an genreüblichen Effekten, sondern auch an der Gegensätzlichkeit der Figuren und Motive bekundet und dabei kritisch mit den Mächtigen im Staate umgeht.“ – Lexikon des internationalen Films[4]

So wildschön wie die Indiana-Jones-Abenteuerfilme ist „Das Kartell“ nicht, so fantasievoll schon gar nicht, und auch nicht so actionreich nervenkitzelig wie die damals sehr erfolgreichen „Die Hard“- und „Lethal-Weapon“-Reihen. „Das Kartell“ ist eben auch ein Politthriller, und das erfordert mehr Dialog und Szenen, die nicht nur in Explosionen bestehen. Die Dreharbeiten waren umkämpft, im wörtlichen Sinn, der Erfolg allerdings trotz der für damalige Verhältnisse hohen Produktionskosten gesichert, wohl auch wegen des Superstars, der die Hauptrolle spielt:

Ursprünglich wurde geplant, den Film an Originalschauplätzen in Kolumbien wie Bogotá und Medellín zu drehen. Diese Idee wurde allerdings aufgrund der Gefahr durch Konflikte verworfen. Stattdessen wurde in Mexiko-Stadt und Cuernavaca gedreht, ironischerweise wurden die Dreharbeiten aufgrund des zu dem Zeitpunkt ausbrechenden Chiapas-Konflikt behindert. Außerdem wurden Teile des Films durch das Northridge-Erdbeben zerstört, wodurch die Dreharbeiten hinausgezögert und der Film deutlich teurer als geplant wurde. Der ungefähr 65 Millionen US-Dollar teure Film kam am 3. August 1994 in die US-amerikanischen Kinos, wo er über 122 Millionen US-Dollar einspielte und damit zum siebterfolgreichsten Film 1994 in den Vereinigten Staaten wurde. Der deutsche Kinostart folgte am 29. September 1994. In Deutschland wurde der Film, der weltweit über 207 Millionen US-Dollar einspielte, 951.008 Mal gesehen und kam damit nicht unter die dreißig erfolgreichsten Filme des Jahres 1994.

Vielleicht hätte alles schön werden können und mit Filmen wie diesen wäre das Verständnis für die Demokratie gefördert worden, aber dann kam 9/11, und – komischer, oder – von da an wurden die Reihen wieder geschlossen und das heutige Kino der Superhelden und Patrioten schob sich in den Vordergrund. Wie viel gefakte Politik haben wir seitdem aushalten müssen und wie wenig davon wird im Mainstream-Kino auf überzeugende Weise thematisiert? Man muss schon etwas abseits der Blockbuster nachschauen und in Dokumentationen, um eine etwas differenziertere Sicht auf die Dinge entwickeln zu können. Insofern gebührt den damaligen Polit- und Justizfilmen die Ehre, einen Blick auf einen anderen Gang der Geschichte zu werfen, wie er möglich gewesen wär, wenn nicht ebenjene einfluss- und trickreichen Kräfte im Hintergrund, die nicht an Frieden und Fortschritt, nicht an Demokratie und Freiheit, die Oberhand gewonnen hätten. Heute ist vollkommen offen, ob die Demokratien dem Druck von innen und außen überhaupt werden standhalten können. Zerfallserscheinungen gibt es überall, aber meist werden sie filmisch vom Ende her gezeigt, als Dystopien. Das hat Tradition, wenn man an Orwell & Co. denkt. Wie es aber dazu kommen konnte, darüber wird zu wenig geredet, weil wir mitten in einem schleichenden Prozess der Entdemokratisierung stecken, der sich filmisch nicht so gut verarbeiten lässt wie das Einst und das Übermogen.

Finale

In letzter Zeit befasse ich mich intensiv mit dem Kino der 1990er, um den Anschluss an das bis Ende der 1980er reichende Filmverzeichnis herzustellen, das ich fürs Filmfest aufbereitet habe. Action bis zum Abwinken gab es damals schon und sie war nicht so künstlich wie heute durch CGI hergestellt worden, aber es gab eben auch noch einen anderen Blick, es war möglich, dass im Grunde normale Menschen etwas bewirken konnten, wozu heute das Übernatürliche herbeigefleht werden muss, weil man uns allen nicht mehr zutraut, das Steuer herumzureißen. Dadurch wirken die 1990er aus heutiger Sicht übersichtlich und weniger bedrohlich. Außerdem zeigt der Film nichts von der Zerstörung an Menschen, die Drogen anrichten können, sondern konzentriert sich ganz auf die Dschungelschlacht zwischen den Herstellern, hier das „Cali-Kartell“ genannt (das echte „Medellin-Kartell“ wird auch erwähnt, damit keine Zweifel daran bestehen bleiben, wer gemeint ist) und einer amerikanischen Spezialeinheit, die von den eigenen Vorgesetzten verraten wird. Ein Hauch von Rambo & Co. weht also auch durch den Film, aber es ist letztlich ein versierter und integerer Geheimagent mit hohem Sympathiefaktor, kein unglaubwürdiger Actionheld, der wenigstens einige dieser Männer retten kann.

Die IMDb-Nutzer:innen bewerten den Film heute durchschnittlich mit 6,9/10. Das ist nicht ganz schlecht, aber für eine so hoch angesiedelte Produktion auch nicht überzeugend. Die negativsten Nutzer:innen-Kritiken beziehen sich vor allem auf den Vergleich zwischen Buch und Film, den ich nicht habe, deshalb bin ich logischerweise eher dazu geneigt, den Film als „Standalone“ zu bewerten und filmhistorisch einzuordnen, wie oben geschehen. Viele Goofs seien auch darin, heißt es, aber je schneller und actionreicher ein Film ist, desto weniger fallen sie naturgemäß auf und Fehler, die zum Beispiel auf der Wahl des Drehorts basieren etc. finde ich nicht besonders schlimm. Manchmal ist es angebracht, einen Film zu zerreißen und jeder Ungenauigkeit nachzuspüren, aber in diesem Fall nehme ich auch die gute Absicht und von mir aus gerne Jack Ryan in der Verkörperung durch Harrison Ford, von mir aus gerne ein „Do-Gooder“ als Grundlage, denn immerhin ist es einer, der noch ohne Hyperfähigkeiten auskommt und nicht gleich die ganze Welt rettet, und erreiche dadurch eine Bewertung von

76/100.

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

[1] Das Kartell – Wikipedia

Regie Phillip Noyce
Drehbuch Donald Stewart,
Steven Zaillian,
John Milius
Produktion Mace Neufeld,
Robert Rehme
Musik James Horner
Kamera Donald M. McAlpine
Schnitt Neil Travis
Besetzung

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