Filmfest 873 Cinema – Die große Rezension, Titelbild aus dem 4. oder 5. Gesang, Brunhild in Worms, trägt aber noch einmal ihren Helm.
Die Nibelungen ist ein deutsches Filmepos unter Regie von Fritz Lang aus dem Jahr 1924, bestehend aus den beiden Teilen Siegfried und Kriemhilds Rache. Das Drehbuch schrieb die damalige Ehefrau des Regisseurs, Thea von Harbou, unter freier Verwendung von Motiven des mittelhochdeutschen Nibelungenliedes. Der viragierte Stummfilm wurde am 14. Februar (Teil 1) und am 26. April 1924 (Teil 2) im Ufa-Palast am Zoo in Berlin uraufgeführt[1] und wurde zu einem Meilenstein der Filmgeschichte.[1]
Nachdem ich mich im ersten Teil der Rezension schon darüber beklagt habe, dass „Die Nibelungen“ anzuschauen mich an den Rand der Aufnahmefähigkeit geführt und zu Kopfschmerzen geführt hat, möchte ich nicht versäumen, kundzutun, dass mich das Schreiben der Rezension vermutlich einen ganzen Tag oder mehr kosten wird, wird sie doch am Ende wohl aus vier Teilen bestehen, jeweils im Format „Die große Rezension“, als zwei Texten zu jedem Teil des Films von Fritz Lang. Was für ein Glück, dass heute solch ein regnerischer, ungemütlicher Tag ist. In „Die Nibelungen“ regnet es nie, obwohl die Jahreszeiten sehr beeindruckend in die Handlung integriert werden. Das war möglich wegen der langen Drehzeit, die vielleicht neben konzeptionellen Unterschieden auch bedingt, dass die Darsteller:innen nicht immer exakt gleich aussehen, sondern z. B. unterschiedlich geschminkt wirken und das sogar die Technik der Filmaufnahmen sich ein wenig verbessert hat, während dieses Monumentalwerk entstand.
Falls es halbwegs chronologisch gefilmt wurde, würde ich sagen, man sieht dem zweiten Teil den damals rasanten Fortschritt an, den die Aufnahmetechnik machte – allerdings muss ich schon an dieser Stelle etwas korrigieren: Dass einige expressionistische Momente des ersten Teils nicht mehr in die Hauptphase des Expressionismus im deutschen Film fallen. Da er 1922 schon begonnen wurde, ist das alles noch State oft he Art und im zweiten Teil verliert es sich, weil das Inferno den ganzen Saal ergreift. Wir steigen ein mit dem vierten Akt des ersten Teils „Siegfried“ und weisen darauf hin, dass wir auch dieses Mal wieder Aspekte ansprechen werden, die über diese Akte vier bis sieben von Teil 1 hinausweisen.
Teil 1. Der vierte Gesang. Wie Brunhild zu Worms einzog und die Könige sich vermählten
Brunhild wird in Worms feierlich empfangen und kurz danach feiern sowohl Brunhild und Gunther als auch Kriemhild und Siegfried ihre Hochzeit. Hierbei fragt Brunhild ihren zukünftigen Ehemann, warum er seine Schwester einem einfachen Dienstmann zur Frau gibt. König Gunthers Antwort lautet, dass für ihn Siegfried mehr als nur ein Vasall sei und sie vorhaben, Blutsbrüder zu werden. Die Blutsbruderschaft wird noch am selben Tage geschlossen und direkt danach muss Siegfried Gunther erneut helfen, indem er mit seiner Tarnkappe Brunhild in der Hochzeitsnacht bändigt. Dabei nimmt er ihr einen Armreif ab, den er zunächst in einer Truhe verstaut.[2]
Der berühmte Hochzeitsmarsch „Treulich geführt“ von Richard Wagner stammt nicht aus dem „Ring“, sondern aus „Lohengrin“. Wird als auch in der Filmmusik hier nicht einmal angedeutet. Dies vorweggenommen, erklärt sich vielleicht, warum die Doppelhochzeit nicht zu den spektakulärsten Momenten von „Die Nibelungen“ zählt. Vielleicht waren Fritz Lang und Thea von Harbou auch kein Freund bzw. keine Freundin von Vermählungen mit großem Pomp, während die Ehen später nicht das halten, was den Aufwand wert gewesen wäre. Es hat überhaupt nichts Fetenhaftes, was wir sehen, sondern wird ganz in den Dienst einer Geamterzählung gestellt, die sehr wohl herausgehobene Einzelszenen hat, aber in diesem Fall sind die Hochzeiten ja auch die Vorboten des Unheils. Besonders der quasi erzwungene Wohnortwechsel von Brunhild vom nordischen Isenland an den gemütlichen Rhein zeigt ganz klar, dass nicht jeder Mensch überall heimisch werden kann. Diese aalglatten Burgunden, allen voran ihr wenig beeindruckender Mann Gunther, sind nicht das Ding der stolzen Besiegten, die an der Nase herumgeführt wurde. Sie wird auch bald ihren Verdacht bestätigt sehen, dass Gunther nicht derjenige war, der sie knapp bezwingen konnte. Nun gut, hätte Siegfried sich frei bewegen können, wäre der Unterschied beim Steinweitwurf vielleicht etwas größer ausgefallen, aber Gunther war ja nicht nur nicht in der Lage, ihn selbst zu werfen, sondern stand dem Helden auch noch im Weg und dieser musste seine Bewegung so aussehen lassen, als ob sie von dem vor ihm Stehenden ausgeführt würde. Auch tricktechnisch war das nicht einfach, wie die Szene belegt, wurde aber für die Verhältnisse der Zeit beachtlich gut gelöst.
Dies alles führte zum vierten Gesang, dessen Höhepunkt eher der Einzug des Nibelungenschatzes in Worms ist. Jeder der Gesänge oder Akte hat ikonische Momente, die man als Titelbild für eine Rezension verwenden müsste. Für den zweiten Teil des Films gilt das nicht mehr so sehr, weil er anders ausgeführt ist: Teil 1 wirkt sehr gestanzt, in jedem Moment kontrolliert und choreografiert, während das Inferno in der Hunnenburg ein gigantisches Untergangs-Tohuwabohu darstellt, das die Sage wahrlich in Rauch aufgehen lässt. Nicht in Schall, der Tonfilm war noch nicht erfunden und das ist vielleicht gut so, denn „Die Nibelungen“ ist auch stumm schon ein Werk, das bisherige Dimensionen sprengte. Außerdem gibt es ja die Original-Filmmusik von Gottfried Huppertz. Siehe dazu auch Teil 1 der Rezension.
Die Inszenierung der Wormser Machtzentrale der Burgunden, die im vierten Gesang des ersten Teils zu Nibelungen werden, weil Siegfried den notabene geraubten Schatz an sie übergibt, erreicht allerdings hier einen Höhepunkt, deshalb ist es an der Zeit, sich mit den stylischen Dekors des Films zu befassen:
Neben der Qualität der Inszenierung und der schauspielerischen Leistung der Hauptdarsteller wurden von der zeitgenössischen Kritik insbesondere die Masken, Kostüme und Bauten von Otto Hunte, Karl Vollbrecht und Erich Kettelhut sowie die Spezialeffekte von Eugen Schüfftan gelobt. Die prächtigen mittelalterlichen Kostüme nach Entwürfen von Paul Gerd Guderian tragen, typisch für die 1920er Jahre, einen Hauch von Art déco. (…) Als wesentliche Inspirationsquelle für die formale Gestaltung des Filmes und auch für die Kostüme gelten die Illustrationen des Wiener Jugendstil-Künstlers Carl Otto Czeschka, die dieser für eine Nacherzählung des Nibelungenliedes von Franz Keim geschaffen hatte.[10] Das Kinderbuch war 1908/1909 im Wiener Verlag Gerlach und Wiedling erschienen – mit weiteren Auflagen 1920 und 1924. Der Kunsthistoriker Ulrich Schulte-Wülwer gibt in seiner Dissertation „Das Nibelungenlied in der deutschen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“ (Gießen 1980) Hinweise auf die Rezeption dieses kleinen Czeschka-Bandes durch den österreichischen Film-Regisseur Fritz Lang in dessen Nibelungen-Film von 1920/1924.[11][3]
Ich hatte schon im ersten Teil geschrieben, dass die Kostüme und Dekorationen im Vergleich zu Hollywoodfilmen eher schlicht wirken, was nicht daran gelegen hat, dass kein Geld da war, denn man merkt dem Film in vielfacher Hinsicht an, dass die größte europäische Filmfirma dahinter stand. Aber der deutsche Film war damals in der Spitze künstlerisch orientiert und erlaubte sich auch einige zeitgenössische Einflüsse, während man in Hollywood versuchte, die alten Zeiten so nachzubilden, wie man sie sich halt vorstellte. Auch dabei kam es natürlich zum Einträufeln aktueller Mode, aber nicht auf eine so konzeptionelle Art, wie sie hier zu sehen ist: der bewusste Einsatz von Jugendstil und Art Déco ist zwar heute gewöhnungsbedürftig, weil wir eben unsere Rezeption auf die Sicht Hollywoods auf die Historie und all den Bombast, der damit verbunden ist, eingestellt haben, aber die Stilisierung, die Fritz Lang gewählt hat, könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass er die Sage, die er verfilmte, immer im Zeitkontext sah, in ihrer Bedeutung für die jüngste Vergangenheit, dem vermeintlichen Untergang der Nibelungendeutschen im Ersten Weltkrieg. Was er wohl damals noch nicht im Blick haben konnte, war, dass es noch viel schlimmer kommen würde. Auch deswegen hat mich der zweite Teil gestresst: Im Osten erfüllt sich das Schicksal einer Nation, die wahrlich zu Recht ausgelöscht wurde, zumindest ihre politische Spitze betreffend. Da konnte sie kulturell noch so überlegen sein, was Lang ja auch hübsch zelebriert, freilich später etwas uminterpretiert hat, siehe Rezensionsteil 1.
Wenn man es so betrachtet, scheitert eben nicht das Überfeinert- Dekadente am urwüchsigen Aufstrebenden, sondern ein Charaktermix aus, ja, Nibelungentreue und moralischer Verkommenheit an einem Volk, das noch gar nicht in solchen Dimensionen denkt, inklusive des Hunngenkönits, der hier nicht kriegerisch, sondern als rückständig bezüglich der Kultur und eher ohne staatsmännische Attitüde gezeigt wird. Deswegen gibt es im zweiten Teil auch nur zu Beginn noch moderne europäische Architektur- und Modeeinflüsse zu besichtigen, bis dahin, wo Kriemhild den Hof verlässt und gen Osten zieht. Einem ungewissen Schicksal entgegen, wie man meint, angesichts des Rufs, der Attila vorauseilt, aber in Wirklichkeit ist er es, der beinahe untergeht. Sicher wäre das passiert, wenn er weiter mit dieser Frau hätte zusammenbleiben können, aber ein Ritter richtet die Rachegöttin am Ende und mehr als die Burgenden-Nibelungen trägt er eher jene schimmernde Rüstung, die man aus Mittelalterfilmen kennt. Die Charaktere werden durchaus in ihrem Äußeren kenntlich. Was ja auch logisch ist, aber in Filmen vielfach so nicht gezeigt wird. Als Beispiel für starke Charakterisierung durch Styling siehe auch Siegfrieds Mähne vs. Gunthers gezähmtes Pagenköpfchen, obwohl die Anzahl der Haare gar nicht so unterschiedlich sein dürfte. Der Film ist ein Ausstattungsfilm und die Ausstattung ist ein eigenes Konzept.
Der fünfte Gesang. Wie nach sechs Monden Siegfrieds Morgengabe, der Nibelungen Hort, zu Worms eintraf, und wie die Königinnen miteinander stritten.
Hagen von Tronje ist der Ansicht, dass der Nibelungenhort, der von Siegfried nach Worms gebracht wird, für die Burgunden sehr wichtig wäre, da ihre Pracht durch Siegfried in den Schatten gestellt wird. Gunther jedoch will auf keinen Fall Verrat an seinem Blutsbruder begehen. Währenddessen findet Kriemhild durch Zufall Brunhilds Armreif, sodass Siegfried ihr von dem Betrug an König Gunthers Frau erzählen muss. Bald darauf findet der legendäre Streit der Königinnen vor der Dompforte in Worms statt. Brunhild verbietet Kriemhild, zuerst einzutreten – mit der Begründung, dass sie nur die Frau eines Dienstmannes sei. Nach ausgiebigen Provokationen offenbart Kriemhild in ihrer Wut das Geschehen der Hochzeitsnacht. Die zu Tode gekränkte Brunhild fordert anschließend von Hagen und ihrem Ehemann die Ermordung Siegfrieds. Hagen erklärt ihr das Geheimnis von Siegfrieds verwundbarer Stelle an seiner Schulter, an der beim Bad im Drachenblut ein Lindenblatt klebte. Gunther denkt sich daraufhin schweren Herzens einen Plan zum Verrat an seinem Blutsbruder aus.[4]
Mir ging es so: Ich musste an die Dolchstoßlegende denken, als dieser Verrat sich abzeichnete und besonders dadurch, wie er ausgeführt wird, im siebten Gesang. Ganz unmöglich, dass Fritz Lang die damals noch ganz junge Diskussion darum, ob Deutschland im Ersten Weltkrieg wirklich besiegt oder von der eigenen Politik verraten worden war, nicht im Blick hatte, als er „Die Nibelungen“ drehte, sie war viel zu populär und führte mit dazu, dass die Rechten die Weimarer Republik so untergraben konnten. Die deutsche Armee, die unerschütterlich im französichen Felde stand, die ist Siegfried und der verräterische Kaiser und überhaupt die ganze Politik, die wird in Gunther zusammengeführt. Sein Adlatus Hagen hingegen erinnerte mich leider an die Schergen des NS-Regimes, die auch die grausamsten Taten in unverbrüchlicher Treue zu ihrem Führer begingen. Hagen wird von Lang auch nicht als großer Kämpfer herausgestellt, sondern man bezieht sich auf den „grimmen Hagen“, der Kinder und Helden umbringen kann. Lang kann das, was kommen sollte, aber nicht in diesen Dimensionen vorausgesehen haben, auch wenn es in dem wüsten Hagen inkorporiert zu sein scheint.
Vielleicht hatte er aber schon ein Gespür für die Gefahr, in der die Demokratie von Beginn an war und wie sie unter dem ungünstigen Stern eines vermeintlichen Verrats begründet wurde, weil die Deutschen es nicht fassen konnten, dass sie wirklich verloren hatten. Besonders bezog man sich dabei auf den Versailler Vertrag, den Diktatfrieden, und wir schreiben das hier bewusst nicht in Anführungszeichen, der ähnliche Demütigungen auslöste, wie hier Brunhild sie bei Kriemhild anbringt und entscheidend dabei half, nationalistische Rachegefühle anzufachen, so, wie Kriemhild zur grausamen Rächerin von Siegfried wird, im zweiten Teil. Am Ende stirbt sie selbst und reißt die Ihren mit in den Untergang bzw. umgekehrt, chronologisch betrachtet. Welch eine Parallele. Da kam in mir einiges hoch, auch wenn der Film fast 100 Jahre alt ist. Es ist unser Erbe, das immer noch fortwirkt und natürlich den Zugang zu einem solchen Film erleichtert. Nicht das der Nibelungen natürlich, obwohl es so ins Auge springt, dass die Deutschen eine Nationalsage haben, die von einem totalen Untergang und schrecklicher Charakterschwäche kündet, während die Briten dieses tolle König-Artus-Märchen vorweisen können, in dem die Ehre echt und der Grundton optimistisch ist.
Was allerdings, über die zwei Filme hinweg, seltsam wirkt: Dass Gunther sich und die Seinen für Hagen opfert, nachdem er Siegfried verraten hat. Kriemhild fordert von ihm doch bloß einen weiteren Verrat, um den ersten zu kompensieren und hätte ihm freies Geleit gegeben, hätte er Hagen an sie ausgeliefert. Immer dann, wenn sich Treue aufs Beste empfehlen würde, dann wird sie nicht gehalten, wenn sie aber tödlich ist, dann wirkt sie bis zum ausweichlichen Ende. Auch das ist irgendwie deutsch, ich kann es nicht ändern. Die Unfähigkeit, einzuschätzen, wann „Werte“ richtig und wichtig sind und wann man sich in Selbstschutz üben muss, der Mangel an Intuition und Empathie, die es ermöglichen, Situationen so zu beurteilen, dass sie sich nicht zur Fatalität hin entwickeln. Echot das heute noch? Ja, ich finde schon. Sogar in der aktuellen Politik. Hierzulande müssen die Zeiten wirklich ruhig und die Möglichkeiten eingeschränkt sein, damit die Politik keine Kardinalfehler begeht, die uns allen auf den Kopf fallen und wir selbst sind nicht in der Lage, unsere Interessen sinnvoll zu vertreten. Auch das wird wohl zu meinem Unbehagen während des zweiten Teils beigetragen haben: Dass Fritz Langs Film alles andere als angestaubt ist, denn er hat es gesehen und durch die Akzentuierung auch herausgestellt.
Teil 1. Der sechste Gesang. Wie Gunther Siegfried die Treue brach
Der erste Teil des Plans wird von Hagen ausgeführt: Er verkündet, dass eine große Jagd im Odenwald stattfinden wird und dass jeder Recke – so auch Siegfried – dazu eingeladen ist. Im Anschluss behauptet er vor Kriemhild, eine geheime Nachricht bekommen zu haben, dass Krieg gegen die Burgunden drohe und die Jagd leicht zu einer Schlacht werden könne. Kriemhild macht sich nun Sorgen um Siegfried und nimmt Hagens Angebot Siegfried zu schützen gerne an. Dazu muss sie nur seine verwundbare Stelle auf seiner Kleidung markieren, sodass Hagen in der Schlacht seinen Schild darüber halten kann. Am nächsten Morgen brechen alle zur Jagd auf, die bis zum Sonnenuntergang dauert. Nachdem Siegfried zurückgekommen ist, hat er starken Durst und fragt nach Wein. Hagen schlägt ihm stattdessen ein Wettrennen zu einer nahen Quelle vor. Vor dem Start redet Siegfried noch mit seinem Blutsbruder Gunther und fragt ihn, ob sie sich endlich wieder versöhnen könnten. Gunther bringt mit schrecklichen Gewissensbissen hervor, dass sie das ja auch machen könnten, wenn Siegfried von der Quelle zurück sei. Doch nachdem der Drachentöter das Wettrennen gewonnen hat, wird er von Hagen mit einem Speer, der genau Siegfrieds verwundbare Stelle am Rücken trifft, getötet.[5]
Ich habe ja nun schon einige Filme angeschaut, aber dieser Mord an Siegfried, auch wenn ich ihn nicht überragend sympathisch finde, ist das Perfideste, was ich je in einem Kinostück gesehen habe. Es ist nicht einfach ein No-Go im Sinne von „in den Rücken schießen“, wie im Western geächtet, die Stelle, auf die man schießen muss, wird zuvor auch noch unter dem Vorwand, den Mann schützen zu wollen, genau ausgeforscht und die Person, die ihn schützen will, markiert auch noch diese Stelle.
Wenn Kriemhild etwas beschlagener gewesen wäre, hätte sie bemerkt, dass man die bestimmte Stelle doch gar nicht wissen muss, um jemanden zu schützen, denn auch ein Angreifer kann diese Stelle ja nicht kennen. Was soll es also bewirken? Nach der Sache mit dem Ring, der das Unheil erst richtig in Gang bringt, vertratscht sich Kriemhild, die sich nach dieser Ring-Geschichte geschworen hat, die Klappe zu halten, also noch einmal. Sehr frauenfreundlich ist der Film und ist die Sage wahrlich nicht, was aber dadurch ausgeglichen wird, dass sie zumindest in Fritz Langs Filmversion auch nicht besonders männerfreundlich ist. Man mag kaum bestimmen, wer die gröbere Mischung aus Verschlagenheit und Dummheit darstellt, bei den Männern, oder Eitelkeit oder Dummheit, bei den Frauen. Das Volk, das unter den Unzulänglichkeiten der Mächtigen in der Realität arg zu leiden hat, wird im Film allerdings nicht gezeigt, wie in den meisten Filmen, die im Dunstkreis der Macht eine Geschichte erzählen. Es geht ja auch wirklich am Ende nur das Herrscherhaus von Worms zugrunde, das ist, verglichen mit der historischen Realität, eine geradezu saubere, klinische Lösung, denn es trifft nur die, die es provoziert haben und mit denen ich kein großes Mitleid empfand.
Außer mit Kriemhild, interessanterweise, wir schieben aber wieder eine Fremdquelle ein, anhand derer ich erklären werde, warum:
Der Filmdienst schrieb, dass Lang kein „nationalistisches Heldendenkmal“ geschaffen habe, sondern „ein düsteres, konsequent stilisiertes Fresko des sich schicksalhaft vollziehenden Untergangs, in dem nicht Liebe und Treue, sondern Hass und Rache die Triebfedern sind.“ Im ersten Teil würden statuarische Starre und dekoratives Pathos dominieren, der zweite Teil werde von ornamentalen Massenszenen und überlebensgroßen Todesvisionen geprägt. „Die Personen bleiben dabei in geometrische Bildkompositionen und architektonische Bildkompositionen eingebunden, wodurch ein Höchstmaß an optischer Strenge und suggestiver Raumwirkung erzielt wird.“[16] Anlässlich der neuen restaurierten Filmaufführung 2010 bemerkte der Filmdienst in einer neuen Kritik, dass der nun wieder zu sehende ursprüngliche orangefarbene ‚Stich‘ „die besondere Licht- und Schatten-Dramaturgie des Werks zur Geltung bringt“. Der Film überwältige auch 86 Jahre nach der Uraufführung und sei ein „monumentales Rührstück von unerfüllter Liebe und grenzenloser Rache, von schwülstiger Poesie und destruktiver Megalomanie, von selbstverleugnender Aufopferung und schließlich der berühmten Nibelungentreue, die aus Kriemhild ein gewissenloses Monster macht, das die Burgunder und die Hunnen mit sich in den Abgrund reißt.“ Gottfried Huppertz Originalmusik, die von der „urdeutschen Tragödie griechischen Ausmaßes“ erzähle, sei von Dirigent Frank Strobel und dem Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks „eindrucksvoll“ neu eingespielt worden.[12][6]
Zum Glück hat man die Originalmusik verwenden können und nicht etwas kreiert, was aus dem Film etwas ganz anderes gemacht hätte, wie ich das kürzlich bei „Varieté“ hart kritisiert habe. So ganz kann sie vor allem die grausamsten der grausamsten Szenen nicht noch einmal herausheben aus dem Untergangsgetöse, aber sie ist schon gut und, wenn auch nicht wagnerianisch, eben klassisch-sinfonisch, wie heute Filmmusiken in der Regel auch wieder komponiert werden. Insofern also überzeitlich und diesen Aspekt des Films unterstreichend.
Aber das Monster Kriemhild mag ich so nicht stehen lassen. Lang zeigt sie sehr oft, im zweiten Teil, wie sie vor der Burg steht und den Untergang befeuert. Aber in ihren Augen sehe ich sehr wohl das Entsetzen über sich selbst und in ihrem Handeln noch etwas. Kriemhild-Darstellerin Margarete Schön wird erst im zweiten Teil richtig präsent, u. a., weil sie so oft in gleicher Einstellung oder ähnlich gezeigt wird, meist starr, ohne dass sie erstarrt wirken darf, als hätte man ein Standbild in den Film eingefügt. Die Nuancen, die zur Beurteilung des Innenlebens von Kriemhild wichtig sind, spielt sie zurückhaltend, aber so deutlich, dass man weiß, es hätte einen Ausweg gegeben, wenn die Nibelungen, die bezeichnenderweise nicht so detailliert inszeniert wirken, es gewollt hätten. Im ersten Teil ist dies alles ausgeglichener, obwohl auch er einer Person gewidmet ist, Siegfried.
Sie will echte Genugtuung und Gerechtigkeit, nicht den Untergang heraufbeschwören. Der ergibt sich daraus, dass eben die eigene Familie nicht weiß, wem sie treu zu sein hat und wem nicht. Hinzu kommt, dass Hagen kein Format hat, sonst hätte er sich selbst ausgeliefert, um weiteres Blutvergießen zu verhindern und hätte die gerechte Strafe erhalten, den Tod. Nach damaligen Maßstäben natürlich und abzüglich des Selbstjustizaspekts, der bei Herrschenden, die es in der Hand haben, diese tatsächlich anzuwenden, allzu leichtfertig zu tätigem Handeln wird. Außerdem darf man nicht vergessen, dass Hagen Kriemhilds Kind ermordet hat. Ich hatte irgendwie das Gefühl, es ist von Siegfried, nicht von Etzel, aber ich bin mir nicht sicher, ob das zeitlich noch hingehauen hätte. Dann wäre natürlich Hagen insofern sogar ein Doppelmörder an Siegfried und an allem, was Kriemhild lieb und teuer war. Trotzdem will Kriemhild auch Gunther, der mit Hagen das Komplott gegen Siegfried geschmiedet hat, ziehen lassen, wenn sie eben Hagen dafür bekommt. Ich finde das nicht so unfair und das Ende insofern von den Nibelungen komplett selbst verschuldet.
Dass Kriemhild auch viele Hunnen ihrer Rache opfert, die vergeblich versuchen, die gut ausgerüsteten und geschulten Ritter zu schlagen, nun ja. Ich glaube, Fritz Lang hat diesen Aspekt nicht über die Tatsache gestellt, dass Kriemhild ihre Rache ursprünglich auf den Mörder begrenzen und nicht für hunderte von Toten sorgen wollte. Was für mich allerdings eine erhebliche Irritation dargestellt hat, war, dass Kriemhild von Hagen, der geschlagen ist, noch wissen will, wo er den Schatz versteckt hat, bevor sie ihn tötet, weil er es auskostet, dass sie ohne ihn nicht an die Wertgegenstände herankommen wird. Andererseits ist sie die rechtmäßige Erbin des Schatzes, da wird man doch mal beim Dieb nachfragen dürfen, wo er das alles versteckt hat. Es passt trotzdem nicht in unsere heutige Filmrezeption, weil es Kriemhild letztlich auch noch materialistisch wirken lässt, wo es doch eigentlich nur um Rache geht. In ein und derselben Figur ist dies alles gemäß Hollywood, das immer wahr spricht, nicht angelegt.
Teil 1. Der siebente Gesang. Wie Kriemhild Hagen von Tronje Rache schwur
Kriemhild kann in der Nacht nach der Jagd nicht schlafen und bemerkt deshalb das Eintreffen der zurückkommenden Jäger sofort. Verängstigt geht sie vor ihre Kemenate und sieht den toten Siegfried vor sich liegen. Nachdem Gunther Brunhild berichtet, dass der, der sie mehrmals betrogen hat, tot sei, lacht sie über ihn, weil er seinen besten Freund nur wegen der Rachsucht einer Frau umgebracht hat. Während Kriemhild vor Siegfrieds Leichnam kniet, tritt Hagen ein – und sofort beginnt Siegfrieds Wunde wieder zu bluten. Daran erkennt Kriemhild, wer der Mörder ihres Ehemannes ist. König Gunther garantiert für seine Unschuld, doch Kriemhild lässt sich nicht noch einmal belügen. Sie schwört, an Hagen von Tronje Rache zu nehmen. Anschließend geht sie in den Dom und bemerkt dort, dass Brunhild vor dem aufgebahrten Leichnam Siegfrieds Selbstmord begangen hat. In der Schlussszene kniet sie nieder und betet.[7]
Ich werde bei Fritz Lang das Gefühl nicht los, gerade bei diesem an Pathos kaum zu überbietenden Stoff, dass er ein wenig frotzeln will. Das belegen die schon erwähnten Szenen, die von Humor zeugen, aber auch die Zwischentitel, die so gestanzt mediävistisch wirken, dass es schon wieder witzig ist. Es gibt keinen besonderen Grund dafür, dass ich das an dieser Stelle erwähne, außer vielleicht den, dass der erste Teil hier endet und immer wieder diese ultraaltertümliche Sprache zu sehen ist. Wenn die Nibelungen Zeitgenossen von Etzel, also dem Hunnenkönig Attila gewesen sein sollen, dann muss sich das, was die Sage zeigt, etwa im Jahr 450 nach Christus abgespielt haben, als es noch keine Ritterkultur in Mitteleuropa gab, nicht das Höfische, das hier suggeriert wird, nicht Minnesänger wie Volker und natürlich auch keine in (gemäßigte) Fraktur gemeißelte deutsche Sprache. Suggestionen dieser Art gibt es in Hollywood-Filmen auch, aber dass sie etwas wie Ironie verbreitet, ist in Filmen von dort nur dann beabsichtigt, wenn sie Komödien sind, nicht, um als Hilfsmittel, welches das Hinterfragen einer Überhöhung fördern soll. Was die Ebenen angeht, auf denen man Langs Film rezipieren kann, ist er ohnehin seiner Zeit weit voraus, im Grunde auch dem heutigen Mainstream-Kino.
Finale des zweiten Teils der Gesamtrezension zu Fritz Langs „Die Nibelungen“ (Teil 2 von 4)
Wir müssen schon wieder zum Ende kommen, obwohl noch viel zu schreiben wäre. Aber wir haben ja noch die Teile 3 und 4 zum zweiten Film „Kriemhilds Rache“ voraus, auch darin werden wir teilweise direkt an der Handlung orientiert, teilweise übergreifend rezensieren. Mein Gefühl ist, dass die Tatsache, dass der zweite Film etwas kürzer ist als der erste, nicht unbedingt dazu führen wird, dass auch die Rezensionsteile 3 und 4 kürzer werden als 1 und 2. Allerdings kommt es auch zu einer inhaltlichen Verengung beim Film selbst und wir haben schon viele allgemeinere Aspekte abgehandelt. Man wird sehen, schauen Sie bitte rein, die Veröffentlichung des dritten Teils ist für den 28.12.2022 vorgesehen.
87/100
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
[1] Wikipedia, Die Nibelungen (1924) – Wikipedia (Im Folgenden als a. a. O. zitiert, andere Wikipedia-Artikel werden gesondert ausgewiesen.)
[2] Wikipedia a. a. O.
[3] Wikipedia a. a. O.
[4] Wikipedia a. a. O.
[5] Wikipedia, a. a. O.
[6] Die Nibelungen (1922/24, rest. Fassung) – Film ∣ Kritik ∣ Trailer – Filmdienst
[7] Wikipedia a. a. O.
| Regie | Fritz Lang |
|---|---|
| Drehbuch | Thea von Harbou |
| Produktion | Erich Pommer für die Decla-Bioscop AG im Auftrag der Universum Film AG Gustav Püttjer (Aufnahmeleiter) |
| Musik | Gottfried Huppertz |
| Kamera | Carl Hoffmann, Günther Rittau |
| Besetzung | |
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