Carrie (USA 1952) #Filmfest 874

Filmfest 874 Cinema

Carrie ist ein US-amerikanisches Filmdrama von William Wyler mit Jennifer Jones in der Titelrolle und Laurence Olivier als ihrem Partner.

Sicherlich war es die Besetzung, vor allem aber der Name William Wyler, der mich auf den Film aufmerksam machte. Einer der höchstdekorierten Regisseure der klassischen Hollywoodära verfilmt Theodore Dreisers Erstlingsroman „Sister Carrie“, 1952 bereits ein „Period Piece“, das kurz vor 1900 spielt. Die Story klingt klassisch, verläuft aber ungewöhnlich und wir werden in der Rezension mehr darüber erfahren, wie ich den Film aufgefasst habe.

Handlung (1)

Carrie Meeber, eine Farmerstochter und Fabrikarbeiterin, verlässt eines Tages ihre kleine, ländlich gelegene Heimatstadt, um in Chicago ihr Glück zu suchen. Während der Zugfahrt lernt sie Charles Drouet kennen, einen Geschäftsmann, der sie in ein angeregtes Gespräch zieht. Als sie in einer ärmlichen Gegend im Süden Chicagos aussteigt, überreicht Drouet Carrie seine Visitenkarte, damit man sich nicht aus den Augen verliert. Carrie kommt vor Ort bei ihrer Schwester unter, die dort mit Mann und Kind lebt. Nach einem beschwerlichen Tag der erfolglosen Jobsuche entschließt sie sich, in der Hoffnung auf Ablenkung Drouet anzurufen. Der ist darüber sehr erfreut und lädt Carrie in ein schickes Restaurant ein. Als er sieht, wie klamm sie finanziell ist, steckt er Carrie zehn Dollar zu. Als Carrie dies später bemerkt, eilt sie zum Restaurant zurück, wo sie allerdings nur noch den Manager, George Hurstwood, antrifft. Der ist augenblicklich von Carrie fasziniert. Die junge Frau trifft anschließend doch noch Drouet wieder. Nach mehreren Begegnungen mit Drouet beginnt sie ernsthaft ihn dazu zu drängen sie zu heiraten, zumal ihre Nachbarn bereits über die beiden zu tuscheln begännen. Drouet ist ein Hans Dampf in allen Gassen, an einer ernsten Beziehung liegt ihm nichts. Um sie abzulenken, lädt er sie mit Hurstwood zu sich nach Hause ein. Der Restaurantmanager und Carrie kommen sich näher, und als eines Tages Drouet wieder einmal auf Geschäftsreise muss, lädt George Carrie ein, mit ihm ins Theater zu gehen. Dies ist der Beginn einer innigen Liebe, doch als Carrie gerade mit Hurstwood „durchbrennen“ will, erfährt sie, dass dieser verheiratet ist. Unglücklich verheiratet, versteht sich, wie George Hurstwood ihr aufrichtig versichert.

Als Hurstwood am Ende eines langen Abends im Restaurant die Kassenabrechnung macht, schließt er versehentlich den mit einem Zeitschloss versehenen Geldschrank und kann so nicht mehr die Tageseinnahmen deponieren. Er nimmt daher die hohe Summe von 10.000 Dollar mit zu sich, um sie am kommenden Morgen dem Restaurantbesitzer persönlich zu übergeben. Daheim trifft er überraschenderweise seinen Boss an. Dem ist die Affäre zwischen George und Carrie zu Ohren gekommen, und er gibt sich empört. Hurstwoods Chef kündigt an, Georges Gehalt direkt seiner Frau zu übergeben. Daraufhin beschließt George, seinem Vorgesetzten die 10.000 Dollar nicht zu übergeben. Vielmehr will jetzt Hurstwood für klare Verhältnisse sorgen, sich von seiner Frau trennen und mit Carrie und dem Geld als Basiskapital eine neue Existenz aufbauen. Seinem Chef hinterlässt George, der ja kein Dieb sein will, eine Schuldverschreibung über die als „Anleihe“ gedachte Summe von 10.000 Dollar und sagt ihm auf diesem Schrieb zu, das Geld so bald wie möglich zurückzuzahlen. Hurstwood ist derart fasziniert von Carrie, dass er das Mädchen sogar mit einer Lüge aus ihrem Haus lockt, indem er ihr erzählt, dass sich Drouet verletzt habe und er sie zu ihm bringen wolle. Beide besteigen den Zug, und während der Fahrt – angeblich zu Drouet, wie Carrie glaubt – beschwört Hurstwood sie, Drouet zu verlassen, denn nur er, Hurstwood, würde sie wirklich lieben. Hin- und hergerissen zwischen Vernunft und Gefühl entscheidet sich Carrie schließlich für George. (…)

Rezension

„(…) Erst 1952 schaffte sie [Titelfigurdarstellerin Jennifer Jones] ein Comeback: William Wylers Carrie, seine Verfilmung von Theodore Dreisers Sister Carrie, zeigte Jones als krankhaft ehrgeizige Bühnenschauspielerin, die auf ihrem Weg an die Spitze ihren treuen Verehrer und Förderer, gespielt von Laurence Olivier, in Ruin und Selbstmord treibt. Die Kritiker lobten das intensive Spiel des Stars.“[1]

Zugegeben, manchmal macht es Spaß, zu notieren: Glauben Sie nicht alles, was in der Wikipedia steht. Die obige Beschreibung der Rolle von Jones in „Carrie“ ist schlicht Unsinn. Von krankhaftem Ehrgeiz bei ihrer Figur keine Spur. Lesen Sie lieber die Handlungsbeschreibung zum Film fertig, die wir aufgrund ihres massiven Umfangs nur zur Hälfte übernommen haben. Damit schon zu einem ersten Nachdenkpunkt: Vielleicht hätte die Darstellung Carries als eine etwas egoistischere und dezidierter auftretende Frau im Stile von „Alles über Eva“ dem Film sogar gutgetan, denn eines kann man ihm nicht bescheinigen: Dass er es uns leichtmacht, Gut von Böse zu trennen und Schuldige für das Scheitern und Carrie und George zu erkennen. Ein wenig klingt die Bösartigkeit der Gesellschaft im Amerika der Jahrhundertwende an, verkörpert durch Georges Frau, gespielt von 30er-Jahre-Star Miriam Hopkins und durch alle die Leute, die George keinen Job geben wollen. Offenbar gab es kurz vor der Jahrhundertwende etwas wie eine Rezession, falls der ökosoziale Hintergrund des Films realistisch dargestellt ist.

William Wylers erstklassige Schauspielerführung hilft auch bei „Carrie“. Aber mehr dabei, das Schlimmste, nämlich eine Schmonzette mit Bad End zu verhindern, als dabei, einen herausragenden Film zu gestalten. Vielleicht lag es an der Vorlage, dass Letzteres nicht gelang. Theodore Dreisers Erstlingswerk war kein Erfolg und es war generell schwierig, seinen trägen Stil filmisch zu verdichten. Das gelingt zwar dramaturgisch in „Carrie“ einigermaßen, aber was die vielen herausragenden Filme von Wyler auszeichnet, der sichere funktionierende Kompass dafür, dem Publikum alles näherzubringen, was zu sagen oder zu zeigen ist, der ist hier nur in abgeschwächter Form zu erkennen. Mich hat es ohnehin gewundert, dass im Jahr 1952 ein Film gedreht wurde, der so ganz gegen den Zeitstrom gerichtet war, mit einem geradezu dostojewskischen Touch mit Nachtasyl für Männer. Immerhin hat jeder von ihnen eine eigene Schlafbox. Und in einer solchen muss Laurence Olivier übernachten. Ich dachte im Verlauf des Films immer mehr: Was hat diesen Aristokraten unter den britischen Schauspielern bloß geritten, diese Rolle eines Mannes anzunehmen, der so beginnt, wie man es von einem Mann, der von ihm verköpert wird, noch erwarten kann, aber dann geht es in Tiefen, die viele amerikanische Schauspieler ebensogut hätten auf die Leinwand bringen können. Vielleicht kann man sagen, mit ihm wirkt Georges Schicksal tragischer, aber man ist es gewöhnt, dass sich Menschen in amerikanischen Filmen sichtbarer aufbäumen und natürlich in der Regel am Ende auch gewinnen. Dass das nicht der Fall ist, greift eher auf die Entstehungszeit des US-Kinos und die 1920er zurück als auf die sehr erfolgreiche Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Wenn in Filmen wie diesem Menschen scheitern, dann eher, weil sie auf die schiefe Bahn kommen. Natürlich, die „Unterschlagung“, aber ein Verbrecher wird George dadurch nicht, sondern jemand, der nur in einem engen gesellschaftlichen Korsett menschlich und außerhalb dieses Korsetts wirtschaftlich scheitert.

Theodore Dreiser war einer von vielen Literaten, die kritisch auf die amerikanische Wirklichkeit und den American Dream blickten, sehr linksorientiert, umso mehr in seinen späteren Jahren, aber schon „Carrie“ war wohl wesentlich sozialkritischer angelegt, als es in dem Film von 1952 zum Ausdruck kommt, und dabei wirkt sich der Zeitstil durchaus negativ aus, der sich vor allem auf die Wirkung des zu diesem Zeitpunkt bereits oscarprämierten Darstellerpaares verlässt. Obwohl William Wyler Schauspieler so oft wie kein anderer zu Oscars führte, gab es für die Leistungen in „Carrie“ nicht einmal Nominierungen für die Darsteller, lediglich zwei in technischen Kategorien. Für einen Wyler-Film eine schmale Ausbeute, vor allem nach den legendären Werken der 1940er wie „Mrs. Miniver“ oder „Die besten Jahre unseres Lebens“, den wir uns kürzlich angeschaut haben. Zeit, sich anzuschauen, was andere über den Film geschrieben haben:

„Die Liebe zu einem schönen, fast unschuldigen Mädchen (Jennifer Jones) bewirkt den sukzessiven Abstieg eines besseren älteren Herrn (Laurence Olivier) in das unrasierte Elend Gorkischer Provenienz. Der episch träge Gefühlsstrom aus den Quellen des amerikanischen Schriftstellers Theodore Dreiser ist von Regisseur William Wyler filmgerecht kanalisiert worden.“ – Der Spiegel, Nr. 5 vom 28. Januar 1953

„Düster-melodramatische Verfilmung des bedeutenden gesellschaftskritischen Romans von Theodore Dreiser; qualitätvolle Unterhaltung, auch wenn die Konflikte fast ausschließlich auf die private Sphäre begrenzt bleiben.“ – Lexikon des Internationalen Films[1]

„… uneinheitliche Seifenoper aus der Jahrhundertwende … David Raksins Filmmusik ist ein Plus.“ – Leonard Maltin: Movie & Video Guide, 1996 edition, S. 202

„Ein berühmter satirischer Roman wurde zu einer schwerfälligen Erzählung abgeschwächt, mit kaum genügender dramatischer Kraft, um das Interesse aufrechtzuerhalten trotz hervorragender Produktionsbedingungen.“ – Leslie Halliwell: Halliwell‘s Film Guide, Seventh Edition, New York 1989, S. 177

Die Meinungen gehen auseinander, die IMDb-Nutzer geben heute 7,3/10. Das ist respektabel, aber innerhalb von Wylers Werk erwartungsgemäß kein Highlight. Die Musik fand ich sogar so schwach, dass mir dieser Umstand auffiel. Zur Atmosphäre des Films trägt sie nichts bei. Allerdings könnte es sein, dass sie in der deutschen Fassung zurückgenommen wurde, das ist damals nicht so selten gewesen. Manchmal hat man bei späteren Synchronisationen sogar eine andere Musik verwendet. Einige grausame Beispiele sind fast schon so legendär wie die Filme selbst, die man sich deshalb unbedingt im Original anschauen sollte (etwa John Fords „Stagecoach“ ist nur ein Klassiker mit der Originalmusik von John Hageman).

An der Kinokasse scheint „Carrie“ einigermaßen erfolgreich gewesen zu sein; vielleicht, weil er als ernsthaftes Kino galt und der Ruhm des durchweg mit höchsten Ehren ausgestatteten Teams im vorauseilte. Man kann auch nicht sagen, dass jemand darin schwach wirkt, aber es fehlt doch einiges bis zu dem überaus mächtigen Kino, das Wyler inszenieren konnte. Einer unserer absoluten Lieblingsfilme stammt von ihm, „Weites Land“. In ihm zeigt sich alles, was eine begnadete Produktion mit furiosen Darstellerleistungen auszeichnet und deren Botschaft ethisch nicht zu bemängeln ist. Die Verve fehlt „Carrie“ eindeutig, die viele Wyler-Arbeiten auszeichnet und sogar etwas von der leichten Lesbarkeit, die ich auch dann für seine Filme reklamiere, wenn sie durchaus hintergründig angelegt sind.

Ich rechne diese Lesbarkeit, ähnlich wie bei Filmen von Douglas Sirk oder Billy Wilder, auch der deutschsprachigen Herkunft dieser Filmemacher zu, deren Mentalität für mich leicht zu entschlüsseln, deren Sprache, auch das Filmische betreffend, mir vertraut erscheint. In „Carrie“ fehlt die totale Zentriertheit, die die meisten Filme dieser Künstler auszeichnet, die manchmal atemberaubende Geschlossenheit eines psychosozialen Kosmos mit einer Idee dahinter, die sie aufweisen.

Finale

Für damalige Verhältnisse ist „Carrie“ mit 117 Minuten Spielzeit alles andere als kurz, aber vielleicht hätte man ihn mehr als Epos anlegen, die Hintergründe der Figuren mehr herausarbeiten sollen. In Dreisers Roman ist das sicher alles angelegt. Aber warum Figuren so beinahe unamerikanisch handeln, wie man es bei den beiden Hauptfiguren sieht, das ist in diesem Film ein wenig, als ob das Ganze auf einem schwachen Fundament steht und allzu viele Interpretationen zulässt, die aber alle nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führen. Dass Carrie am Ende etwas wie einen Erfolg erreicht, ist schon beinahe ironisch, denn anders als in den Musicals und Aufstiegsgeschichten, die so typisch für das klassische Hollywoodkino sind, ist sie noch keine Hauptdarstellerin, kein Star, wenn auch mit guten Aussichten versehen.

Im Grunde ist der Schluss sogar offen, es stirbt niemand physisch. Aber was man mitnimmt ist, dass es nicht weitergehen wird mit Carrie und George, weil dieser die Rückkehr ins Leben nicht mehr schaffen kann. Ein persönliches Scheitern aufgrund zu großer Ambitionen war damals ein häufiges Thema, etwa in „A Place in the Sun“, der im Vorjahr erschienen war, vier Jahre später in „Giganten“, aber ein Abstieg ohne Widerhaken ist im damaligen Kino doch etwas eher Seltenes gewesen, zumindest auf der Leinwand und abseits berühmter Theateradaptionen, die auch moderner wirkten als „Carrie“, der beinahe wirkt, als hätte Wyler einem in der Vergangenheit liegenden Plot eine adäquate, an den 1940ern orientierte Filmweise zukommen lassen wollen.

Mehrere kollektionistische Ansätze kann man heranziehen, um „Carrie“ als wichtig zu erachten und ihn in Sammlungen von Filmen mit Jennifer Johnes, Laurence Olivier und natürlich von William Wyler einordnen. Aber gerade deshalb liegt auch die Messlatte hoch und meine Erwartungen wurden zumindest maßvoll enttäuscht.

69/100

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

[1] Jennifer Jones – Wikipedia

(2), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie William Wyler
Drehbuch Ruth Goetz
Augustus Goetz
nach dem Roman Schwester Carrie (1900) von Theodore Dreiser
Produktion William Wyler
Musik David Raksin
Kamera Victor Milner
Schnitt Robert Swink
Besetzung

 

Hinterlasse einen Kommentar