Die Nibelungen – Kriemhilds Rache (DE 1924), Teil 3 der Rezension zum zweiteiligen Film #Filmfest 879 #DGR

Filmfest 879 - Die große Rezension - Teil 3 von 4 der Gesamtrezension zu "Die Nibelungen" von Fritz Lang

Die Nibelungen ist ein deutschesFilmepos unter Regie von Fritz Lang aus dem Jahr 1924, bestehend aus den beiden Teilen Siegfried und Kriemhilds Rache. Das Drehbuch schrieb die damalige Ehefrau des Regisseurs, Thea von Harbou, unter freier Verwendung von Motiven des mittelhochdeutschen Nibelungenliedes. Der viragierteStummfilm wurde am 14. Februar (Teil 1) und am 26. April 1924 (Teil 2) im Ufa-Palast am Zoo in Berlin uraufgeführt[1] und wurde zu einem Meilenstein der Filmgeschichte.[1] 

„Die Nibelungen“ haben wir nun schon mit zwei Rezensionen bedacht bzw. einer Rezension in zwei Teilten (hier zu Teil 1) und (hier zu Teil 2), überwiegend dem ersten Teil „Siegfried“ gewidmet, aber wir haben darin auch vieles besprochen, was für beide Teile relevant ist. Kommen wir also zum dritten Teil mit dem Schwerpunkt auf „Kriemhilds Rache“, der überwiegend am Hof des Hunnenkönigs Etzel spielt. Wir haben es in den bereits veröffentlichten Teilen der Gesamtrezension erwähnt: Sie werden etwas umdenken müssen, wenn Sie dem Rachefeldzug beiwohnen wollen, den die Witwe Siegfrieds ausführt, ohne selbst einen Finger zu rühren. Der zweite Teil unterschiedet sich vor stilistisch und inhaltlich erheblich vom ersten, sodass man sagen kann, die Schauspieler, die abzüglich des getöteten Siegfried wieder zu sehen sind, stellen die größte Kontinuität zwischen beiden Teilen dar.

Dies wiederum nur optisch, weil das Verhalten ihrer Figuren sich überwiegend stark verändert hat. Kriemhild, die im ersten Teil naiv, verliebt und dann eine Zicke war, die immer das Falsche tut, tritt als Rachegöttin in ihrem eigenen Recht auf. König Gunther, ihr Bruder, dem man gar nicht zugetraut hat, dass er selbst kämpfen kann, stellt sich mit der übrigen Familie der Wormser Nibelungen bzw. Burgunden mannhaft vor Hagen von Tronje. Dieser selbst, der im ersten Teil so schön in den Raum gestellt wird und dadurch imposant wirkt, ist nur noch Teil einer Kampfgemeinschaft und tritt dort nicht besonders hervor. Es stellt sich auch heraus, dass er höchst mittelmäßig ist – als Recke. Als Mörder weiterhin außergewöhnlich, bringt er doch ein Kleinkind um, aber er ist nicht der Mann, der sich alleine der Rächerin ihres Mannes und dann auch des Kindes stellt, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Kriemhild wirkt sogar vom Aussehen verändert, nicht mehr mädchenhaft und stark geschminkt, wie zu Beginn der 1920er im Film üblich, sondern blass und beinahe modern.

Von einer durchdachten Raumkonzeption mit drei wechselnden Grundsettings sieht man jetzt nur noch das zweite, die Burg zu Worms und es kommt ein neues hinzu, das Hunnenlage und die Hunnenburg, die man aufgrund ihrer Ähnlichkeit als eines zusammenfassen kann. Der Stil wandelt sich von getragen und präzise hin zu einem unfassbaren Chaos und Inferno, das sicherlich einen Höhepunkt unter allen Actionfilmen der Stummfilmzeit darstellt – so, wie der erste Teil wohl die beste Sagenverfilmung jener kinematografischen Epoche ist. Der zweite ist also weniger spezifisch, Fritz Lang lässt den Sensationsfilmer auf eine Weise von der Kette, wie er das später nie wieder getan hat, nicht einmal in „Metropolis“ und „M“, die beide mit viel Personal operieren und durch ihre Dramatik und ihre Schauwerte herausragen. Geschweige denn in seinen US-Filmen ab 1936, mit denen er grundsätzlich etwas kleinere Brötchen backen musste. Steigen wir in die Handlung des zweiten Films ein:

Teil 2. Der erste Gesang. Wie Kriemhild um Siegfried trauerte und wie König Etzel durch Rüdiger von Bechlarn um sie warb

Es ist Winter geworden. Am Hof zu Worms trifft Markgraf Rüdiger von Bechlarn ein und erbittet eine Audienz bei König Gunther. Er will für seinen Herrscher, den Hunnenkönig Etzel, um Kriemhilds Hand bitten. Allerdings hat König Gunther Bedenken, ob seine Schwester ihren Siegfried je vergessen kann. Nachdem Kriemhild den Markgrafen gebeten hat, ihm etwas über Etzel zu erzählen, versichert Rüdiger, dass der Hunnenkönig jeden bestrafen wird, der ihr Leid antut. Hier kommt Kriemhild die Idee, wie sie die Macht Etzels für ihre Rachepläne benutzen kann. Währenddessen versenkt Hagen von Tronje den gewaltigen Nibelungenhort im Rhein, weil er fürchtet, dass Kriemhild das viele Geld dazu verwendet, sich an dem Mörder ihres Ehemannes – also ihm – zu rächen. Als sie davon erfährt, sagt sie sofort zu Rüdiger, dass sie sein Angebot annehme.[2]

Dass der Hunnenkönig einen deutschen Vasallen vorschickt, um werben zu lassen, kann natürlich daran liegen, dass er gerade mit befasst ist, Rom zu erobern und keine Zeit hat, nach Worms zu reisen. Vielleicht ein Glück, sonst hätte er das noch mit besetzt und die germanische Geschichte wäre anders verlaufen. Oder war es Pech? Es hat aber auch den Effekt, dass man noch ein paar Minuten Zeit hat, bis man den Hunnenkönig zu Gesicht bekommt. Fritz Lang hat um 1960 herum gesagt, er sehe den Film auch sozial und politisch, das Alte, Dekadente, die Wormser, gegen das aufstrebende Ostvolk, die Hunnen.

Man merkt, dass alle Spuren von Rassismus, die der Film enthält, nach dem Zweiten Weltkrieg möglichst nicht herausgestellt werden sollten. Anders kann man nämlich das, was man sieht, nicht bezeichnen. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich alles gesehen habe. Denn der Gesamtfilm ist in der Wikipedia mit 293 Minuten Laufzeit angegeben, gesehen habe ich etwa 220 Minuten, so weit konnte im Jahr 2010 der Zweiteiler hinaufrestauriert werden und das ist meines Wissens noch der aktuelle Stand. Im Laufe der Zeit hat man, wie bei vielen alten deutschen Filmen, immer neue Schnipsel gefunden, sie aus vielen Ländern zusammengetragen. Ganz deutlich ist dieser Effekt, der an der Bildqualität ablesbar ist, im zweiten Teil stärker ausgeprägt als im ersten und vor allem: während er im ersten Teil den Film etwas verlangsamt, weil die zuletzt beigefügten Szenen nicht zu den Highlights zählen, schon gar nicht zu den Essentials, ist das im zweiten Teil deutlich anders. Szenen von der brennenden Burg wurden eingefügt, wirklich furchtbare Momente, in denen sich verdeutlicht, wie genau Lang draufgehalten hat, um den Untergang in aller Breite darzustellen, aber auch Szenen, die noch einmal den Eindruck steigern, die Hunnen seien – nun ja, Untermenschen. Ich glaube, die eindeutig den jüngeren Beifügungen zuzurechnende kurze Szene, die mitten in einem eh schon wilden und animalischen Tanz liegt und in der ein hutzeliger Hunne in einer Nische sitzt und im Takt der Musik in seinem Essen herumpanscht, werde ich nicht so schnell vergessen.

In Hollywood ist sicher manches veredelt worden, auch und gerade die weiße Kultur angehend, aber man hat selten so tief gegriffen, wie Lang das hier tut. Etzel wirkt nicht wie ein König, sondern wie ein Wüstenräuber, der passenderweise die Gastfreundschaft höher stellt als einen Eid, den er seiner Frau gegenüber geleistet hat. Erst, als diese anfängt, seine Leute mit Geld aufzuwiegeln, kommt Bewegung in die erstarrte Szenerie und dass er selbst hasst, ergibt sich erst durch den Mord an dem Kind, das die Frau ihm geboren hat. Oder sich selbst, aber er ist ja doch ein König, alles gehört ihm. Ich finde diese Darstellung mehr als unzeitgemäß, wie er sklavisch mit seinem Mantel versucht, das Schlammloch zuzudecken, das zwischen dem Eingang des Palasts und seinem Thron liegt, damit Kriemhild da nicht durchwaten muss. Vielleicht haben alle Eroberer mal so angefangen, aber es kommt ja hinzu, dass die Hunnen trotz vielfacher Überzahl die angeblich so dekadenten Nibelungen-Burgunden nicht besiegen können. Wie haben diese Wilden, die durchs Bild wuseln und kugeln wie, ja, eine Horde von Halbaffen, man kann es nicht anders ausdrücken, bloß Rom erobern können? Die Antwort kann nur sein: Die Römer waren tatsächlich dekadent und hatten einfach keinen Bock mehr auf ihr eigenes Imperium.

Am Ende werden die Nibelungen ausgeräuchert, in einigen guten Hollywoodfilmen und in der Nazi-Realität sah man Ähnliches. Ich habe das in den ersten beiden Teilen der Rezension nicht erwähnt, weil es hierher gehört: Ich halte den zweiten Teil des Films für deutlich schwächer als den ersten, weil da eine Art von kultureller Überheblichkeit drin ist, die ich in keinem anderen Film von Lang gesehen habe. Damit kontert er auch die Botschaft vom zwangsläufigen Untergang einer Haufe von charakterlosen Typen, die Eide, Schwüre, Blutsbruderschaften immer an den falschen Stellen brechen oder aufrecht erhalten, sodass sie im Bermuda-Dreieck zwischen Hang zur Intrige, Mangel an Intuition und Situationserfassung und einer Auffassung von moralischen Werten untergehen, die fast an die heutige Zeit mit ihren politischen Doppelstandards in Sachen „Wertepolitik“ erinnert. Was man daraus über die Verbindungen zum Ersten Weltkrieg und zur Nazizeit hinaus lernen kann, die wir bereits in den ersten Rezensionsteilen gezogen haben? Wehret einer heuchlerischen Politik, die ethisch basiert wirken soll, die in Wirklichkeit aber nur interessengesteuert und außerdem von einem fatalen Vasallentum geprägt ist. Sondern mach offen Interessenpolitik, die wenigstens insofern fair ist, als sie die Interessen anderer auch berücksichtigt und werdet dadurch vielleicht nicht zu besten Freunden und Kumpels, notfalls auch zu Partnern in Crime, sondern zu verlässlichen Partnern auf Augenhöhe.

Die beiden Teile der Nibelungensage, die Fritz Lang gefilmt hat, sind so lehrreich, das kann man gar nicht überbewerten. Allerdings trifft das für den ersten insofern in größerem Maße zu, als man hier sieht, wie Dummheit, Eitelkeit, Überheblichkeit, Gefolgschaft anstatt echter Freundschaft, Ausbeutung und Gier (den Nibelungenschatz betreffend) zu all dem führen, was im zweiten Teil in jenes Inferno mündet. Da geht es mit der Kultur wirklich darnieder, das ist auch wohl der wahre Grund, warum ich am Ende der fast fünf Stunden mit den Nibelungen Kopfschmerzen hatte und auf den Mindfuck schimpfte. Im ersten Teil der Rezensions-Quattrologie. Ein paar Worte zu den Darsteller:innen:

Für Paul Richter war die Heldenrolle des Siegfried wie maßgeschneidert. Theodor Loos spielt den schwachen, wankelmütigen König Gunther, Hans Adalbert Schlettow verkörpert einen grimmigen, finsteren Hagen Tronje, Rudolf Klein-Rogge den König Etzel, der trotz seiner wilden, exotischen Aufmachung von Lang als eine der wenigen sympathischen Figuren im Film präsentiert wird.[6]Margarete Schön verkörperte als Kriemhild eine ihrer wenigen Hauptrollen im Kino, während Hanna Ralph die Brünhild verkörperte.[3]

Das mit der sympathischen Figur wird so nebenbei erwähnt, aber deswegen habe ich diesen Text aus der Wikipedia an der Stelle eingefügt. Ich finde, es stimmt nicht so recht, schon gar nicht nach damaligen Maßstäben von Kultur, die noch ganz eindeutig von Kopfvermessung und ähnlichen Ideen von Rasse bestimmt waren, wie sie vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland im Zuge des Kolonialismus entwickelt worden waren. Wie in anderen westlichen Ländern, muss man beifügen, aber natürlich immer mit einem typisch deutschen Anstrich von Wissenschaftlichkeit und gefühlloser Sachlichkeit, mit der man später trefflich Menschen in den KZs der Wissenschaft dienlich machen, sprich, sie, angeblich in deren Dienst, umbringen konnte. Auch der Hunnenkönig ist in halber Zwerg, im Vergleich zu den Recken vom Rhein oder der Isenländerin Brunhild, wobei es da keinen direkten Vergleich gibt, sie fährt ganz offensichtlich nicht mit ins Hunnenland. Wäre sich auch noch dabei gewesen und gar Siegfried, hätten die Hunnen eh keine Chance gehabt, auch nicht im Verhältnis 1000:1. Und da kommen wir wieder zu etwas, was wir aus Hollywood kennen. Diejenigen, die man heben will, können ihre Gegner viel zu leicht besiegen oder in Schach halten, was den Eindruck vermittelt, diese seien schlicht eine Klasse niedriger. Mindestens. Ab den 1960ern war das auch in Filmen über den Zweitenk Weltkrieg zu sehen. Auch wenn man die Nazis nicht verteidigen soll, diese Art von Geschichtsabbildung führt unter anderem dazu, dass sich die Amerikaner immer wieder selbst überschätzen. In Wirklichkeit sind sie es, die mit unendlicher Technikpower gegen viel schlechter ausgerüstete Gegner schlecht aussehen.

Hätte man also die Wormser als dekadent darstellen wollen, hätte man ihre Kampfkraft im zweiten Teil nicht so hervorheben dürfen. Man kann auch sagen, es geht ziemlich auseinander mit der statuarischen Form, in der Teil 1 gehalten ist. Das trifft sogar auf die Choreografie der Kampfszenen zu, in denen ständig Statisten durchs Bild huschen oder mittenrein gehalten wird, als habe man gar keinen Wert auf die Bildkomposition gelegt. Das konnte man in Hollywood zu der Zeit schon besser, wie Filme à la Ben Hur beweisen, die im Vergleich zum zweiten Teil von „Die Nibelungen“ eine geradezu teutonische Organisation auch der Massenszenen zeigen.

In „Metropolis“ findet dann auch Lang wieder zurück zu den Schauwerten, die eine entzückend als Ornament komponierte Masse von Menschen unzweifelhaft hat und es wirkt alles viel heroischer, als wenn die Hunnen versuchen, ihren eigenen Palast zu erobern, was ihnen erst durch Brandpfeile gelingt. Woran erinnert uns das nun wieder? Wie die „Indianer“ die wackeren weißen Siedler bzw. deren Planwagen beschießen. Es kommt nichts von nichts, obwohl Fritz Lang nie wieder so übergriffig geworden ist wie im zweiten Teil der Nibelungensagenverfilmung, sondern in den USA tatsächlich mit Sozialkritik unterwegs war (am deutlichsten und besten gleich in seinem ersten Film „Fury“, den ich mehr mag als insbesondere den zweiten Teil des Nibelungenfilms). Aber widmen wir uns wieder der Handlung:

Teil 2. Der zweite Gesang. Wie Kriemhild von der Heimat Abschied nahm, und wie sie von Herrn Etzel empfangen wurde

Kurz vor ihrer Abreise besucht Kriemhild ein letztes Mal die Quelle, an der Siegfried ermordet wurde und nimmt etwas Erde mit, die mit Siegfrieds Blut getränkt worden ist, um sie später mit dem Blut Hagens zu tränken. Bei dem Aufbruch weigert sich Kriemhild, ihrem Bruder die Hand zum Abschied zu geben, was ihrer Mutter Ute fast das Herz bricht. Als die zukünftige Frau Etzels im Hunnenland ankommt, ist es Frühling geworden. Sobald Etzel die Frau aus Burgunden erblickt hat, fordert er Rüdiger auf, sich ein Königreich aus seinen Landen als Dank auszusuchen. Kriemhild jedoch fragt direkt nach ihrer Ankunft, ob König Etzel bereit sei, den Schwur des Markgrafen zu übernehmen, dass jeder, der ihr Leid zufügt, mit dem Tod bestraft werden muss. Der Hunnenkönig schwört es.

Oh ja, die Heimaterde, und das auch noch unversöhnt. Um ehrlich zu sein, ich konnte beides verstehen. Diesem Bruder, der ein Verräter ist, kann man auch mal eine Geste ausschlagen, die ja doch nur diesen entlastet, nicht aber das eigene schwere Herz. Schon deswegen habe ich bereit sin den vorausgegangenen Rezensionsteilen dazu tendiert, Kriemhild trotz ihrer Rache nicht so negativ zu sehen. Auch hier sei es wieder erwähnt: Sie bietet den Ihrigen gleich zwei Mal einen logischen Ausweg an, nämlich abziehen zu können, wenn sie Hagen ihr überlassen. Vielleicht weiß sie, dass diese Familie schräg genug ist, den guten Siegfried zu ermorden und den bösen Hagen zu schützen, aber sie macht sich das nicht leicht, als sie zum Beispiel von Giselher angefleht wird, die Familie am Leben zu lassen.

Ich glaube, sie meint den Deal ernst, Hagen gegen freien Abzug. Es ist auch im Sinne der damaligen Auffassung von Gerechtigkeit in Ordnung, was sie tut. Die Rache betrifft sogar nicht einmal den Mitverschwörer Gunther, sondern nur den ausführenden Mörder Hagen. Gute Frage in dem Zusammenhang: Leistet Gunther Beihilfe oder ist er Anstifter oder Täter? Für mich sind Gunther und Hagen, den Mord an Siegfried betreffend, Mittäter, auch wenn Hage am Ende alleine handeln muss, für Gunther handeln ja immer andere, hätten also beide den Tod verdient. Nach heutigen Maßstäben eine lebenslange Freiheitsstrafe, denn heimtückische Tatbegehung kann man wohl ohne Weiteres bejahen, ebenso die gewissenhafte Planung und mildernde Umstände sind weit und breit nicht zu erkennen, sodass § 211 StGB glatt durchlaufen würde. Wenn man das weiterspinnt, kann man natürlich kritisieren, dass es keine Gerichtsverhandlung gibt, sondern Kriemhild es nicht so mit den Sitten der Gastfreundschaft hat. Andererseits müssen die Nibelungen ja nicht einmal ihre Waffen ablegen, was immerhin Erwähnung findet und darauf hindeutet, dass sie dem Braten nicht trauen, der ihnen serviert wird. In der Szene, in der Hagen irgendeinem Getränk aus einer Schale zuspricht, dachte ich schon, Kriemhild wolle ihn vergiften lassen. Aber dann wäre es ja nicht zu dem Inferno gekommen und im Sinne der Entwicklung des Kinos mit vielen Toten und Menschenmassen wäre das durchaus ein Verlust gewesen, trotz des Vorsprungs, den Hollywood schon damals auf dem Gebiet hatte und der in Bezug auf die Massenchoreografie erst von „Metropolis“ wieder eingefangen wurde.

Teil 2. Der dritte Gesang. Wie König Etzel vor Rom lag, und wie Kriemhild ihre Brüder entbieten ließ

Die Hunnenhorden belagern Rom und einige Krieger erinnern sich daran, dass ihr König Roms Kirchen zu Pferdeställen machen wollte. Einer von ihnen stimmt ein Lied an, dass Kriemhild Etzel mit ihren Haaren gezäumt hätte. Etzel tritt aus dem Zelt heraus und will ihn töten, als ein Bote ihn erreicht. Dieser sagt ihm, dass Kriemhild einen Sohn bekommen habe. König Etzel lässt die Belagerung sofort abbrechen und reitet zurück zu seiner Burg. Etzel fragt sie nach einem Wunsch und die Mutter seines Kindes bittet ihn, ihre Brüder an den Hof zu laden. Der König ist gerne bereit, das zu tun. Doch insgeheim kann Kriemhild ihrer Sippe immer noch nicht verzeihen und wird weiterhin von Rachsucht geplagt. Sie ist dazu bereit, ihr eigenes Kind zu benutzen, den Racheplan auszuführen.

Vielleicht ein kurzer Einschub. Es heißt „Gesang“, nicht Akt, weil die Nibelungensage auch „Nibelungenlied“ heißt. Ich denke mir aber, dass Lang und von Harbou sehr wohl bekannt gewesen sein dürfte, dass „Lied“ nicht wörtlich zu nehmen war, also Volker es nicht auf der Geige hätte im Ganzen vortragen können:

Der Titel, unter dem das Nibelungenlied seit seiner Wiederentdeckung bekannt ist, leitet sich von der Schlusszeile einer der beiden Haupttextfassungen ab (Fassung *C): hie hât daz mære ein ende: daz ist der Nibelunge liet („hier hat die Geschichte ein Ende: das ist der Nibelungen Lied“). Allerdings ist ein liet im Mittelhochdeutschen nicht ohne Weiteres als „Lied“ im engeren, modernen Sinn zu verstehen, sondern bezeichnet ein Epos beziehungsweise generell eine erzählende Dichtung,[2] die unter Umständen auch als Gesang vorgetragen werden kann. Der Schlusssatz der dem Originaltext wahrscheinlich näher stehenden Fassung *B enthält das Wort „liet“ nicht und lautet abweichend: diz ist der Nibelunge not (= „Untergang“).[4]

Darauf lässt auch schließen, dass ich auch bisher dachte, „Not“ sei als „Ende“ zu verstehen, der Film aber zwischen beidem unterscheidet und die Not, also den Endkampf, vom endgültigen Ende scheidet, als ob man bewusst da wieder eine ironische Spitze hätte reinbringen und sozusagen auf das Ende draufsatteln wollte. Ich würde Lang, weniger von Harbou, das auch zutrauen, denn so, wie ihm sein eigenen humoristischen Ansätze im ersten Teil wohl kaum entgangen sein dürften, darf man auch davon ausgehen, dass er das hemmungslose Übertreiben des Infernos ohne jede Schau mit dem hintergründigen Gedanken inszeniert hat, den Deutschen und natürlich auch der Welt, in die der Film exportiert wurde, richtig auf den Putz zu hauen, um die Absurdität des Geschehens für diejenigen zu illustrieren, die zwischen den Bildern lesen können und die anderen, also die große Mehrheit des damaligen Kinopublikums, mit dem oben erwähnten Mindfuck zu ergötzen.

Ich glaube aber auch, dass die Zusammenarbeit zwischen dem intellektuelleren Fritz Lang und der zur Kolportage neigenden Thea von Harbou deshalb so gut funktioniert hat, weil die gemeinsamen Filme eine fast einzigartige Mischung aus beidem sind: große Kunst und großer Schwulst. Wenn man es so betrachtet, kann man sagen, im ersten Teil von „Die Nibelungen“ dominiert Langs strenger künstlerischer Ansatz, im zweiten das Fegefeuer eines Sensationsromans, der ohne Umwege durch die Bearbeitung einer Sage auch direkt der von Harbou zuzutrauen wäre. Gut, jetzt haue ich auch etwas auf den Putz, immerhin hat sie auch die sehr gute Gliederung des ersten Teils zumindest mitverursacht. Im zweiten geht sowieso alles mehr ineinander über, die Wechsel der Gesänge sind zum Beispiel nicht mehr überwiegend mit Schauplatz- und Stimmungwechseln verbunden.

Um auch etwas Abwechslung zwischen den Gesängen und deren Beschreibung und Kommentierung zu organisieren, etwas, das nicht fehlen sollte, nämlich der historische Hintergrund des Nibelungenliedes. Es gilt zwar als Sage, aber da es König Etzel (Attila) wirklich gab, könnte es doch sein, dass noch mehr Historisches darin untergebracht wurde.

Das Nibelungenlied ist die wichtigste hochmittelalterliche deutschsprachige Ausformung der Nibelungensage. Deren Ursprünge reichen bis in die Zeit der sogenannten „Völkerwanderung“ zurück, die in der Geschichts- und Literaturwissenschaft des 19. Jahrhunderts als das „heroische Zeitalter“ der Deutschen betrachtet wurde.

Ein hauptsächlicher historischer Kern oder Anknüpfungspunkt der Sage wird oft in der Zerschlagung des damals von Gundahar beherrschten Burgunderreiches im Raum von Worms in der Spätantike (um 436) durch den römischenHeermeisterAëtius mit Hilfe hunnischer Hilfstruppen gesehen.[3]

Weitere historische Ereignisse, die möglicherweise verarbeitet wurden, sind die Hochzeit zwischen Attila und der wahrscheinlich germanischen Fürstentochter Ildico (453) sowie nach Meinung mancher Gelehrter auch der Streit im Hause der Merowinger zwischen Brunichild und Fredegunde um 600. Bereits im 19. Jahrhundert mutmaßten einige Forscher zudem, die Sagenfigur des Siegfried gehe auf Arminius zurück, doch bleibt auch diese Hypothese ohne Beleg.

Die vergleichend erwähnte Artussage mit ihrem konstruktivistischen Ansatz hat ebenfalls ihre Genese in der Zeit der Völkerwanderung, ist aber schwieriger konkret mit historischen Personen in Verbindung zu bringen, weil eine gesicherte Zuschreibung zu einer real existierenden führenden politischen Persönlichkeit fehlt, wie es König Attila im Nibelungenlied ist. Da wir schon drei Gesänge weit vorgerückt sind, bietet sich an dieser Stelle wieder eine Kritik an, die erste, sie bezieht sich, wie die des Filmdienstes (Teil 2 unserer Rezension) auf die aktuelle Fassung, die 2010 entstand:

Hanns-Georg Rodek urteilte für Die Welt nach der Neuaufführung 2010: „Bis die Nibelungen sterben, dauert es lang. Wer gedacht hatte, John Waynes Endkampf im Alamo sei heroisch, hat die „Nibelungen“ nicht gesehen.“ Es sei auch damals schon ein politisches Gleichnis auf eine sterbende Kaste gewesen – die Burgunder als Bourgeoisie, Burgund als Weimarer Republik –, die noch nicht wisse, dass sie dem Untergang geweiht sei. „Nur die Archaik des Films, wo alles vorbestimmt ist und Menschen nur Schachfiguren des Schicksals sind, wirkt heute fremd. Das dürfte allerdings auch schon zur Entstehungszeit so gewesen sein. Im Grunde sind Langs strenge Stilisierung und Künstlichkeit zeitlos.“ Die Nibelungen, so Rodek, könnten auch gegen Langs Metroplis bestehen.[17][5]

Den ersten Teil betreffend, würde ich zustimmen, wenn es um „Metropolis“ geht, der aber ein Einteiler ist, sodass das für meine Begriffe etwas zu harboumäßige Ende mit der Versöhnung der sozialen Klassen einbezogen werden muss, während Teil 1 des Nibelungenfilms keine Kompromisse bezüglich des Verhaltens von Menschen eingeht, sondern die Unversöhnlichkeit aufbaut, die im zweiten Teil in der Tragödie endet. Dieser wiederum kann formal sicherlich nicht „Metropolis“ das Wasser reichen und ist auch inhaltlich-motivisch weniger komplex geraten als Langs Sprung in die Zukunft. Das hat er also auch hingekriegt: Von der Gegenwart (Dr. Mabuse) tief in die Vergangenheit (Nibelungen) hin zur Zukunft (Metropolis). Dann wieder ein paar Spione, wie zu seinen Anfangszeiten und die Mondfahrt als eher realistischer SF. Und dann die große Leere, nachdem er alles gemacht hatte, was denkbar war, außer Horror, da hatte er wohl eingesehen, dass Murnau ihn besser konnte, weil dieser eher ein Romantiker war, dem noch viel vom viktorianischen Zeitalter anhaftete, während Lang auch die Nibelungen deutlich aus der Sicht eines modernen Menschen heraus filmte und daher ihre Mystifizierung nicht weitertrieb, sondern hinterfragte. Aus dieser Krise heraus kam Lang mit „M“, wie wir wissen, damit hat Lang den Krimi und den Film noir geradezu nach vorne katapultiert. „The Alamo“ kenne ich, was für ein Egoshooter von John Wayne unter Mitwirkung angesehener Kollegen. Der Endkampf selbst ist vielleicht sogar etwas länger, aber doch nicht ganz so brutal und, das muss man Wayne schon lassen, die mexikanischen Truppen siegten über die wenigen tapferen Amerikaner, ohne das Fort in Brand zu setzen.

Aus der oben eingeblendeten Rezensionszusammenfassung eht auch hervor, was wir im vierten Teil der Rezension noch einnmal besprechen und widerlegen wollen: Wenn die Burgunden Weimar sind, sind die Hunnen dann die Nazis? Oder ist es doch etwas komplexer. Wenn man tatsächlich die Betrachtung von Fritz Lang auf die aktuelle Politik von 1922-1923 verengt, dann könnte man den Film natürlich auch „profaschistisch“ nennen. Man kann abre auch ganz andere Schlüsse ziehen, und das würden wir dringend anraten, denn der Vergleich der degenerierten Burgunden mit der ganz jungen Weimarer Politik hinkt erheblich.

Und damit zum vierten Gesang. Anders als beim ersten Teil des Films zeigen wir im ersten Teil der Rezension zum zweiten Film, also dem dritten insgesamt, hier schon den vierten Gesang, weil die drei restlichen in der Wikipedia so ausführlich beschrieben sind, dass sie schon viel Text ergeben und vielleicht werden wir da sogar ein wenig kürzen:

Teil 2. Der vierte Gesang. Wie Kriemhild ihre Brüder empfing

Kriemhild erfährt, dass ihr Bruder Giselher sich mit der Tochter von Rüdiger verlobt hat und dass die Burgunden auf dem Weg mehr als einen Monat lang Gäste am Hof des Markgrafen waren. Die beiden Sippen sind jetzt geeint. Außerdem wird erwähnt, dass die Burgunden als (ehemalige) Besitzer des Nibelungenhortes den Titel Nibelungen tragen. Ein Tag vor der Sommersonnenwende ist es soweit. Kriemhilds Brüder kommen in der Burg des Hunnenkönigs an. Noch in derselben Nacht erinnert sie Etzel an seinen Schwur und verlangt von ihm ganz offen, die Schmach an ihr durch den Tod Hagens zu rächen. Für den Hunnenkönig ist jedoch der Angriff auf einen Gast die unehrbarste Tat, die er sich vorstellen kann und er lehnt ab. Danach spricht Kriemhild zu hunnischen Kriegern, wer Hagens Kopf bringe, dem fülle sie den Schild mit Gold. Dieser bemerkt die sich an ihn anschleichende Gruppe, die ihn jedoch nicht anzugreifen wagt und ist nun endgültig davon überzeugt, dass allen Burgunden der Tod an König Etzels Hof drohe.[6]

Dass Etzel gar nicht so grausam wirkt, wie es einem Hunnenkönig zukommt und wie es, auf die Deutschen bezogen, im Ersten Weltkrieg von den Westmächten propagandistisch ausgeschlachtet wurde, wird in einer der oben erwähnten Rezensionen als Beleg dafür angesehen, dass man ihn sympathisch dargestellt habe. Ich bleibe dabei, dass man jemanden, er sympathisch wirkt, nicht so verunziert und optisch roh darstellen muss und seinem Kind gegenüber schon wieder so affig-affin, dass es ebenfalls unkultiviert wirkt. Hier ist natürlich eine Entschuldigung den Affen gegenüber angebracht. Nicht eine Bitte um Entschuldigung, denn ich werde nie erfahren, ob sie eine solche Bitte angenommen hätten, sondern gehe einfach von der konkludenten Annahme aus. Ich gebe es zu, die Art, wie hier die Hunnen gezeigt werden, verführt mich zu Rabulistik.  

Finale

Damit nähert sich der dritte Rezensionsgesang seinem Ende, aber wir haben uns fürs Finale noch etwas Wichtiges aufgehoben, nämlich die Entstehungs- und Restaurierungsgeschichte des Films:

Die erste Restaurierung (beide Teile) wurde in den 1980er Jahren durch das Filmmuseum München fertiggestellt.[12] Unterstützt wurde es durch die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung (Wiesbaden), Gosfilmofond (Moskau), National Film Archives (London) und das Österreichische Filmarchiv (Wien).[13] Die Originalmusik von Gottfried Huppertz wurde aus diesem Anlass vom Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Berndt Heller eingespielt. Eine DVD-Edition dieser ersten restaurierten Fassung des Films ist bislang nur im Ausland erschienen. Es gibt spanische, englische, französische und US-amerikanische Veröffentlichungen.

Die zweite Restaurierung durch die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung wurde nach vierjähriger Arbeit im Jahr 2010 abgeschlossen. Mit 750.000 Euro handelte es sich um das bislang umfangreichste und teuerste Restaurierungsprojekt der Stiftung. Dabei konnten erstmals Kameranegative sowie zahlreiche Kopien aus insgesamt 17 Einrichtungen in neun Ländern verwendet werden.[12] Am 12. und 13. März 2010 wurde eine teilrestaurierte Version erstmals gezeigt. Das hr-Sinfonieorchester unter Leitung von Frank Strobel begleitete die Aufführung unter Verwendung der von Marco Jovic rekonstruierten und neu herausgegebenen Filmmusik nach dem Original von Gottfried Huppertz.[14] Die vollständig restaurierte Neufassung Die Nibelungen (1924/2010) feierte am 27. April 2010 in der Deutschen Oper Berlin ihre Premiere. Die Restaurierung der Murnau-Stiftung unterscheidet sich von der Münchner Fassung durch die orangefarbene Viragierung, einzelne Einstellungen, wie der Tod Kriemhilds, konnten wieder eingefügt werden. Dank der zahlreichen Originalmaterialien ist die Bildqualität deutlich besser.[12] Im Gegensatz zu Metropolis (1927/2010) setzte man nicht auf digitale Technik, sondern eine traditionelle fotochemische Restaurierung. Auch die Einfärbung erfolgte im Originalverfahren der Stummfilmzeit.[15] Beide Teile der zweiten Restaurierung wurden erstmals am 3. Oktober 2011 auf arte im Fernsehen gezeigt.[12]

Wenn wir so genial wären wie Fritz Lang, würden wir ja selbst Filme machen. Wie die Dinge liegen,  bleibt der Ehrgeiz, eine der umfassendsten und fremdquellenaffinsten Rezensionen diesseits einer Dissertation über Fritz Langs Nibelungen abzufassen, der Monumentalität des Werks und der Sage angemessen, aber auch den Plan berücksichtigend, dass das Filmfest mit den bestehenden ca. 900 Rezensionen noch lange nicht zu Ende ist. Allein im Archiv lagern hunderte im „neuen“ Wahlberliner oder generell noch nicht veröffentlichte Texte.

Der abschließende Teil 4 des vorliegenden Textes indes soll plangemäß am 7. Januar 2023 veröffentlicht, oder, exakter ausgedrückt, mit diesem Erscheinungsdatum in den Bestand der im Wahlberliner veröffentlichten Artikel eingefügt werden. Zu klären ist jetzt noch die Punktevergabe. Wir haben den ersten Teil eigenständig bewertet, das Gesamtwerk wäre nicht auf die exzellenten 87/100 gekommen, also können wir auch unsere Ansicht, dass der zweite Teil etwas rudimentärer geraten ist, mit einer abweichenden Punktezahl ausdrücken:

77/100.

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke


[1] Wikipedia, Die Nibelungen (1924) – Wikipedia (Im Folgenden als a. a. O. zitiert, andere Wikipedia-Artikel werden gesondert ausgewiesen.)

[2] Wikipedia a. a. O.

[3] Wikipedia a. a. O.

[4] Nibelungenlied – Wikipedia

[5] Wikipedia, a. a. O.

[6] Wikipedia a. a. O.

Regie Fritz Lang
Drehbuch Thea von Harbou
Produktion Erich Pommer für die Decla-Bioscop AG im Auftrag der Universum Film AG
Gustav Püttjer (Aufnahmeleiter)
Musik Gottfried Huppertz
Kamera Carl Hoffmann,
Günther Rittau
Besetzung

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