Filmfest 884 Cinema – Die große Rezension
Time to say goodbye, Johnny
Der letzte Scharfschütze ist ein Spätwestern unter Regie von Don Siegel aus dem Jahr 1976. Er basiert auf dem gleichnamigen, 1975 erschienenen Roman von Glendon Swarthout. Es war der letzte Film des insbesondere durch seine Western legendär gewordenen Schauspielers John Wayne. Der Film wurde in Deutschland auch unter dem Originaltitel The Shootist, oft verbunden mit Der (letzte) Scharfschütze als The Shootist – Der letzte Scharfschütze oder auch als Der Shootist vertrieben.
Alles wirkt spät an diesem so genannten Spätwestern. John Wayne in seiner letzten Rolle, die Bilder eines ausklingenden 19. Jahrhunderts, das schon von Elementen des heraufziehenden 20. durchsetzt ist, die Schauspieler, die mit John Wayne zusammen diesen Western von Don Siegel formen – und die Form der Inszenierung, die Regisseur Siegel gewählt hat. Mehr dazu lesen Sie in der –> Rezension.
Abschiedsstimmung beherrscht also dieses Werk von der ersten Minute an, in der wir noch nicht wissen, dass dem alternden Scharfschützen J. B. (John Bernard) Books (Wayne) Krebs im fortgeschrittenen Stadium diganostiziert wird. Wir wissen ja, dass Wayne drei Jahre später an Krebs starb und zum Zeitpunkt des Drehs bereits erkrankt war – nicht zum ersten Mal, bereits 1964 musste er sich einer Operation unterziehen.
Nicht nur, weil hier Superstars des klassischen Hollywoodkinos zusammenkommen, hat man den Eindruck, dies ist eher altes als neues Hollywood. Die mächtigen Dekors einer Westernstadt, die schon etwas Gediegenes hat, etwas Fortgeschrittenes, gleichwohl dominiert der archaische Geist von Menschen mit Motiven, die nicht groß hinterfragt werden müssen, die nicht analytisch betrachtet werden können, dies miteinander in Kontrast zu setzen ist auch eine Stilisierung, die sich deutlich von Don Siegels modernen Filmen der frühen 70er Jahre (wie „Dirty Harry“) absetzt.
Die Dialoge und die Handlungsführung sind nicht immer top, das muss man erwähnen, auch wenn man den Film vor allem als Hymne an John Wayne und an ein Genre sieht, das 1976 ebenso am Ende war wie der Star dieses Films. Später entstanden dann und wann diese zuweilen ebenfalls als Spätwestern bezeichneten Filme wie „Unforgiven“ von und mit Clint Eastwood. Diese sind aber im Grunde Werke einer neuen Epoche, Einzelstücke, die etwas Postmodernes ausstrahlen, nicht mehr Vertreter eines mächtigen und sehr filmisch wirkamen Genres , das für ein weites Zuschauerspektrum gemacht war und damit auch eine große qualitative Bandbreite aufwies.
Ein echter Spätwestern, der sozusagen in der Auslaufzone des Genres liegt, dort, wo die einst mächtige Kinowelle, die Helden in Sporen und mit sechsschüssigen Revolvern in die Kinosäle gespült hatte, unspekakulär im Sand der Zeit versickert, das ist „Der letzte Scharfschütze“.
Er markiert das Ende einer 75jährigen Kinotradition, das nicht nur das amerikanische Kino geprägt hat – sondern auch an der Schaffung der Mythen beteiligt war, die Menschen aus allen Teilen Europas erst zu einer amerikanischen Nation geschweißt hatten. Der Westernfilm und die USA gingen in den hohen Zeiten des Genres eine Symbiose ein, die so sehr wie in keinem anderen Land der Welt Wirklichkeit und Dichtung zu einer Identität verschmolz. Dazu waren große Symbole notwendig und Persönlichkeiten, die das verkörperten, was Wirklichkeit und Dichtung zusammenbrachte. Das größte dieser personifizierten Symbole war John Wayne.
Handlung (1)
Im Januar 1901 erreicht die Nachricht vom Tod der britischen Königin Viktoria die Stadt Carson City. Dort sucht der berühmte Scharfschütze J. B. Books wegen schmerzhafter Beschwerden den Arzt Hostetler auf. Hostetler muss dem alten Books die Diagnose eines Krebses im unheilbaren Stadium mitteilen. Der Arzt verschreibt schmerzlinderndes Laudanum, das allerdings nicht ewig helfen wird. Dr. Hostetler rät Books daher, statt des zu erwartenden Siechtums einen schnellen, würdevollen Tod zu suchen.
Books zieht in die Pension der Witwe Bond Rogers, mit der er sich nach anfänglichen Streitereien bald anfreundet. Sein Wunsch, möglichst anonym zu bleiben, wird ihm jedoch nicht erfüllt. Sein berühmter Name führt zu Problemen, da in der Stadt einige Menschen wohnen, die seinen Ruhm ausnutzen wollen, mit ihm noch eine Rechnung offen haben oder ihn aus Geltungssucht umbringen wollen. Books erschießt zwei nächtliche Eindringlinge letzterer Art. Der Marshal der Stadt sagt Books offen ins Gesicht, dass er auf seinen möglichst baldigen Tod hofft, damit wieder Ruhe einkehrt. Serepta, eine ehemalige Geliebte, und ein Zeitungsreporter wollen eine Biografie über Books schreiben. Als ihm klar wird, dass sie nur an ihm Geld verdienen wollen, wirft er sie raus. Ein Bestatter fragt an, ob er ihn beerdigen könne, woraufhin er zustimmt – allerdings nur unter der Bedingung, dass der Bestatter keine Leichenschau mit Eintrittspreisen und Schaulustigen machen wird.
Ehrliche Zuwendung erfährt Books vor allem von der Witwe Rogers. Obwohl die religiöse Frau nichts von Alkohol und Gewalt hält und ihn daher misstrauisch beäugt, nimmt sie seine Einladung zu einer Kutschfahrt an, bei der er ein letztes Mal durch die Landschaft fahren kann. Gillom, der jugendliche Sohn der Witwe, verehrt Books zum Ärger seiner Mutter zunächst auf naive Weise. Als mehrere der anderen Pensionsgäste wegen Books das Haus verlassen, versucht Gillom, das Pferd des berühmten Scharfschützen zu Geld zu machen, was Books gerade noch verhindern kann. Er gibt dem Jugendlichen schließlich Schießunterricht und erteilt ihm Ratschläge. Books bittet Gillom, drei Männern auszurichten, dass er sich gerne im Metropole Saloon am 29. Januar, seinem 58. Geburtstag, mit ihnen treffen wolle: Pulford, ein professioneller Glücksspieler und exzellenter Schütze; Sweeney, ein älterer Mann, dessen Bruder einst von Books getötet wurde und der deshalb auf Rache sinnt; und Jay Cobb, Gilloms Arbeitgeber und ein raufwütiger Kerl.
Schließlich stellt sich Books in einem Saloon zum letzten Showdown. Books bestellt sich beim Barkeeper einen Drink auf seinen Geburtstag, dann bricht eine Schießerei los. Die drei Männer versuchen nacheinander Books zu erschießen, doch sterben selbst. Mit einigen Verletzungen geht Books dank der alten Reflexe als Sieger hervor. Gillom betritt die Bar in dem Moment, als der Barkeeper eine Ladung Schrot in den Rücken von Books schießt. Gillom erschießt den Barkeeper mit der Waffe von Books und wirft diese dann von sich. Books lächelt ihm sterbend zu, dann verlässt Gillom schweigend die Bar und geht zu seiner Mutter.
Rezension
Abschiedsstimmung beherrscht also dieses Werk von der ersten Minute an, in der wir noch nicht wissen, dass dem alternden Scharfschützen J. B. (John Bernard) Books (Wayne) Krebs im fortgeschrittenen Stadium diganostiziert wird. Wir wissen ja, dass Wayne drei Jahre später an Krebs starb und zum Zeitpunkt des Drehs bereits erkrankt war – nicht zum ersten Mal, bereits 1964 musste er sich einer Operation unterziehen.
Nicht nur, weil hier Superstars des klassischen Hollywoodkinos zusammenkommen, hat man den Eindruck, dies ist eher altes als neues Hollywood. Die mächtigen Dekors einer Westernstadt, die schon etwas Gediegenes hat, etwas Fortgeschrittenes, gleichwohl dominiert der archaische Geist von Menschen mit Motiven, die nicht groß hinterfragt werden müssen, die nicht analytisch betrachtet werden können, dies miteinander in Kontrast zu setzen ist auch eine Stilisierung, die sich deutlich von Don Siegels modernen Filmen der frühen 70er Jahre (wie „Dirty Harry“) absetzt.
Die Dialoge und die Handlungsführung sind nicht immer top, das muss man erwähnen, auch wenn man den Film vor allem als Hymne an John Wayne und an ein Genre sieht, das 1976 ebenso am Ende war wie der Star dieses Films. Später entstanden dann und wann diese zuweilen ebenfalls als Spätwestern bezeichneten Filme wie „Unforgiven“ von und mit Clint Eastwood. Diese sind aber im Grunde Werke einer neuen Epoche, Einzelstücke, die etwas Postmodernes ausstrahlen, nicht mehr Vertreter eines mächtigen und sehr filmisch wirkamen Genres , das für ein weites Zuschauerspektrum gemacht war und damit auch eine große qualitative Bandbreite aufwies.
Ein echter Spätwestern, der sozusagen in der Auslaufzone des Genres liegt, dort, wo die einst mächtige Kinowelle, die Helden in Sporen und mit sechsschüssigen Revolvern in die Kinosäle gespült hatte, unspekakulär im Sand der Zeit versickert, das ist „Der letzte Scharfschütze“.
Er markiert das Ende einer 75jährigen Kinotradition, das nicht nur das amerikanische Kino geprägt hat – sondern auch an der Schaffung der Mythen beteiligt war, die Menschen aus allen Teilen Europas erst zu einer amerikanischen Nation geschweißt hatten. Der Westernfilm und die USA gingen in den hohen Zeiten des Genres eine Symbiose ein, die so sehr wie in keinem anderen Land der Welt Wirklichkeit und Dichtung zu einer Identität verschmolz. Dazu waren große Symbole notwendig und Persönlichkeiten, die das verkörperten, was Wirklichkeit und Dichtung zusammenbrachte. Das größte dieser personifizierten Symbole war John Wayne.
Beinahe wäre der Abgang daneben gegangen
Als sein alter Freund Doc Hostetler (James Stewart) dem Scharfschützen J. B. Books mitteilt, dass er nur noch ein paar Wochen zu leben haben wird, sieht der unabhängige, große Mann, dem seine Würde so wichtig ist, ein Ende auf sich zukommen, das alles andere als diese Würde ausstrahlt – im Würgegriff einer Krankheit ist er, welche in dieser fortgeschrittenen Phase von innen heraus alles zerstört, was einen Menschen ausmacht, ihn hilflos macht und sich verhält wie eine gefräßige Raupe, nicht wie ein anständiger Gegner, den man auf der Hauptstraße von Tombstone stellen und dem man ein Duell in der Sonne liefern kann. Es gibt keine Waffengleichheit gegenüber den inneren Feind.
Also beschließt Books einen letzten jener Showdowns, um der Raupe doch eins auszuwischen. Dabei schießt er so gut, dass er diesen Anschlag auf sich selbst überlebt. Alle drei Gegner, die er in den aus dem Vollen geschnitzten Saloon einlädt, sind seinen Künsten nicht gewachsen. Da streckt ihn aber der Barkeeper von hinten nieder, ganz so, wie es der heimtückische innere Feind demnächst auch getan hätte, aber viel weniger grausam.
In diesem Moment wirkt der Film – nicht grafisch, aber inhaltlich – komplett stilisiert. Wir erfahren nicht, wie Books es geschafft hat, die drei Männer zur selben Zeit an denselben Ort zu bekommen. Mindestens zwei von ihnen haben keinerlei Motiv, sich mit ihm anzulegen. Der Spieler könnte auf ein Spiel mit dem alten Giganten aus sein, das würde seinen Ruf befördern. Derjenige, dessen Bruder Wayne erschossen hat, hat immerhin die Rache für sich – wirkt aber in einer früheren Begegnung der beiden nicht so, als würde er sie ausüben wollen. Die dritte Gegnerfigur bleibt kryptisch.
So stirbt Books im Grunde unbesiegt – nur eine feige Serie von Schüssen aus dem Hinterhalt mit einer mächtigen Flinte kann diese Eiche von einem Mann fällen. Warum aber handelt der Barkeeper so? Keinerlei Erklärung, alles Metapher. Es geht um die Archetypen des Westerns, und Don Siegel hätte den Film länger machen müssen, um diese in eine jederzeit nachvollziehbare Handlung einzubetten – und sie damit vielleicht zu marginalisieren.
Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds
Eine Liebe, bei der nicht geküsst wird, prägt hingegen weite Strecken des Films. Books mietet sich auf Empfehlung Hostetlers bei der Witwe Bond (!) Rogers (Lauren Bacall) ein, die ihn zunächst nicht mag, dann aber weint – zuletzt, als er seinen frisch und nach neuester chemischer Methode gereinigten Sonntagsanzug zum besagten Showdown ausführt.
Wayne, Stewart, Bacall – die drei Superstars sind einzeln großartig oder wir empfinden es so, weil wir diese Schauspieler tief im Herzen verehren, die jahrzehntelange, ungebrochene Karrieren an der Spitze des großen Hollywood-Startrosses hinter sich haben. John Wayne spielt wieder sich selbst und doch differenziert und mit einer in jeder Hinsicht schmerzhaften Intensität. James Stewart murmelt sich, wie meist in seinen Filmen, bis zur bitteren Wahrheit, die er seinem Freund beibringen muss: Krebs. Und Stewart wirkt dabei konzentriert und präsent wie stets. Lauren Bacall ist ruppig und doch eine große Seele von einer starken Frau. Dieses Tableau ist so konzipiert worden, dass die Schauspieler programmatische Rollen spielen. Sie leben noch einmal das, wofür sie berühmt geworden sind und werden nicht der Ochsentour unterzogen, gewaltige Charakterweiten und -tiefen darstellen und wahrhaft neue Facetten zeigen zu müssen. Wir stehen am Ende, nicht am Beginn eines kinohistorischen Zyklusses.
Im Zusammenspiel wirken die drei Stars zuweilen etwas statisch, man hat immer die Schauspieler vor Augen, wenn man die Figuren sieht, wie sie miteinander agieren. Am wenigsten, und das ist wohl eine große Leistung, ist das ausgerechnet bei John Wayne der Fall, für den dieses Filmvehikel geschaffen wurde.
Symbole allerorten
„The Shootist“ ist auch deshalb ein klassischer Film, weil über die Stars hinaus, die eine vergangene Epoche repräsentieren, voller Symbolik ist.
Januar 1901 – ein neues Jahrhundert beginnt, gleichzeitig stirbt die englische Königin Viktoria, die ein langes Zeitalter geprägt und ihm ihren Namen gegeben hat. Unruhigere Jahre für die Welt sind absehbar. Zu Anfang des Films kauft Books eine Zeitung, deren Aufmacher dieser Tod der englischen Königin ist. Zum ersten Mal liest Books eine Zeitung ganz genau und weiß am Ende alles, was gerade an diesem ersten seiner acht Tage in der Stadt geschehen ist. Die Dinge ändern sich dennoch für ihn selbst erst dann und dann sehr abrupt, als er um seine Krankheit weiß. Die Bedeutung der Dinge verschiebt sich, hin zu einer Weltwahrnehmung, die über den eigenen Job, das eigene Schicksal hinausgeht.
Der Winter wird im Film „fast wie ein Spätsommertag“ dargestellt. Referiert wird aber im Original der „falsche Frühling“, wie es im Amerikanischen heißt („false spring“). Noch einmal wird der Scharfschütze in diesem falschen Frühling zu Leben erwachen und drei Gegner blitzschnell ins Jenseis befördern. Ein Aufbäumen vor dem ewigen Winter, keine Erwartung eines langen, am Ende erntereichen Sommers. In der Pferde-Straßenbahn begegnet der Scharfschütze einem jungen Mädchen, dem er den Traumprinzen wünscht, sie steht im echten Frühling. Unterschiedliche Zyklen begegnen sich für einen Moment.
Noch deutlicher wird das im Verhältnis von Books mit Gillom Rogers (Ron Howard), dem Sohn der Witwe und Vermieterin. Der Junge bewundert den alten Mann und kann auch schon ganz gut schießen, Books nimmt aber bereitwillig die Vaterrolle ein. Hier ist allerdings eine der Stellen zu bemerken, die im Film nicht besonders gut funktionieren bzw. in denen die Handlungslogik der erwähnten Symbolik zum Opfer fällt. Der junge und der alte Mann gehen aufs Feld und schießen auf denselben Baum, der eine auf die rechte, der andere auf die linke Gabelung des Stammes.
Es war so gedacht, dass Books den Jungen das Schießen lehrt, aber das ist gar nicht mehr notwendig. Psychologisch ist das sonderbar – Gillom hätte doch gleich eine Art Wettschießen vorschlagen können, junge Menschen brennen doch darauf, sich zu beweisen. Oder war der Respekt so groß, dass er Books als Lehrmeister ansehen wollte, auch wenn er einer Unterweisung nicht mehr bedurfte? Jedenfalls unterweist Books ihn nicht, obwohl deutlich bemerkt – dies wird auch im Dialog der beiden Männer klargestellt – dass Books durchaus noch etwas präziser schießt als der Jüngere, und vor allem schneller.
Zeitweise ist es nicht mehr einfach, zwischen Symbolen und Klischees zu unterscheiden. Beinahe alle Versatzstücke des Westerns (derjenigen Version zumindest, die in einer typischen Pionierstadt spielt und in der es keine Soldaten und keine Indianer gibt) sind vorhanden – und auch hier sieht man wieder etwas, das den Film sehr tradtionell wirken lässt. Ehre und Würde sind quasi eigenständige Figuren, sie stehen ebenso selbstverständlich und breitbeinig da wie die tödlichen Gegner, allein ihr Vorhandensein reicht als Motivation zum Handeln aus.
Dieser Darstellung misstraute das New Hollywood zu Recht, in den Jahren nach dem Vietnamkrieg, der sogar in den USA die traditionellen Werte auf den Prüfstand stellte. Allerdings dauerte es nur wenige Jahre bis zur konservativen Gegenbewegung, die bereits in den 1980er Jahren wieder Oberhand gewann. John Wayne hätte diese Zeit der Repatriotisierung unter Ronald Reagan genossen. Der Mann wäre in Rollen wie der des J. B. Books weitaus weniger gelaubhaft erschienen, wenn er nicht auch im Realleben ein Traditionalist und ziemlich rechter Republikaner gewesen wäre. Es ist alles einheitlich, es wirkt alles richtig, aber es ist alles auch ein wenig sehr in Stein gemeißelt – sinnigerweise in den Grabstein, den Books sich kurz vor seinem Tod anfertigen lässt. Ohne Datum, so, als würde er der Sache mit dem sicheren Ende im Saloon nicht trauen und als wüsste er, dass er in den Herzen der Menschen und der Nation unsterblich sein würde.
Es gibt keine Reue, aber einige Gier
Einer anderen Sache kann Books vertrauen. Seinem integeren Charakter. Er hat dreißig Menschen erschossen, aber nach seiner Ansicht haben sie’s alle verdient. Die Witwe Rogers wendet ein, ein Urteil darüber fällen, das könne nur Gott. Schön, Bacall das sagen zu lassen, denn auch ihre Geschichte an der Seite von Humphrey Bogart und deren gemeinsamen Kampf in der Zeit des McCarthyismus kennen wir, sie waren auf der anderen Seite, bei den Liberalen, waren gegen die Kommunistenhetze der McCarthy-Ära eingestellt – und vor allem gegen Vorverurteilungen von Schauspielern und vor allem von Autoren, deren Karriere durch den HUAC beschädigt oder zerstört wurde.
Books sagt zur Einlassung der Witwe von Humphrey Bogart nichts. Er weiß, Gott teilt seine Ansicht. Im Grunde hat der Film trotz der existenziellen Notlage des Helden konservative Botschaften, die 1976 nicht dominiernd waren und die zu verbreiten der Hommage an den Protagonisten des Films diente. Wer John Wayne immer zu sehr als right-wing empfand, um mit ihm warm zu werden, wird es durch „The Shootist“ sicher nicht werden. Auch hier wieder ein Symbol – Karriere als Schauspieler, Ansichten und Weltbilder als Mensch, sie sind eins und damit ist alles gut und alles gesagt, am Ende des Weges.
Dabei wirkt Books / Wayne nicht wie ein alter, starrsinniger Hagestolz, sondern durchaus gezeichnet von menschlichen Brüchen. Man kann sagen, die Klischees, die durch die Handlung des Films und die Darstellung Waynes transportiert werden, füllen sich mit Berechtigung und Logik – was, wie erwähnt, für die Handlung an sich nicht immer gilt.
Es gibt manch unangenehme Szene in „The Shootist“, in denen Menschen Profit aus dem zu erwartenden Ableben des berühmten Revolverhelden ziehen wollen. Da ist der Marshall, der wirklich übertreibt, mit seinen offenen Wünschen, dass Books doch so rasch wie möglich den Tod finden möge. Oder der Bestatter Beckum. Die Vergabe der Rolle an John Carradine, der schon einen berufsmäßig ebenso orientierten Passagier in dem Film „Stagecoach“ (1939) gespielt hat, der John Wayne berühmt machte, ist eine tolle Idee gewesen, und die Rolle des gewinnsüchtigen Unternehmers in Sachen letztes Geleit liegt ihm gut, ist ebenfalls etwas überzeichnet – aber nicht so dubios wie die der ehemaligen Geliebten Serepta (Sheree North), die aus dem Nichts in Books‘ Zimmer tritt und ebenfalls nur darauf aus ist, aus seinem nahen Tod Nutzen zu ziehen. Selbstverständlich ist der Bestatter Teil der Symbolik. Er reiste mit Wayne, als dieser aufstieg zum Star und er ist in der Nähe und allzeit bereit, als klar ist, dass dieser abtreten wird. Wenn man so will, kreist er wie ein Geier über einer fast 30jährigen Erfolgsgeschichte und weiß, am Ende wird er die Beute bekommen.
Die Ex-Geliebte hingegen ist durchaus ein Klischeebruch, denn so erbärmlich sind die Motive der Frauen in den großen Western normalerweise nicht gewesen, zum anderen wirkt die einzige Szene mit ihr recht peinlich – wegen ihres Verhaltens und ihrer Motive, vor allem aber, weil Books sich darüber wundert, dass er die Frau einmal geliebt hat, nachdem sie gegangen ist. Das macht einen nicht sehr durchdrungenen Eindruck, wo der Mann doch sonst als immer noch sehr tough und nicht leicht zu täuschen dargestellt wird. Wir empfanden die Figur der Serepta als überflüssig.
Eine kurze Elegie
Stilistisch ist der Film ebenso old School wie Books als Mensch eine Zeit verkörpert, in der, so will es uns der Film und seine Legende sagen, noch nicht die schalen Interessen, sondern die edlen Werte das Handeln bestimmten.
Die Bildsprache ist einfach und experimentefrei, die Dekors im Ganzen realistisch ausgelegt, wenn auch ein wenig übertrieben gediegen für ein „Carson City“ um 1901. Die Szenen sind ruhig ausgefilmt, das Theaterblut ein wenig üppig, jedoch könnte hier wieder Stilisierung im Spiel sein. Selten, dass Blut so dick und unwirklich gewirkt hat wie in der Showdownszene im Saloon, wo es hellrot und sofort nach dem Schießen schon dick-zähflüssig auf Kleidungsstücken klebt.
Die Kürze des Films (95 Minuten) verhindert nicht, dass ihm etwas Elegisches anhaftet – sentimental wirkt er aber im Großen und Ganzen nicht, Wayne ist nicht der Typ, dessen Leiden zum Zücken von Taschentüchern animiert. Damit bewahrt er dieses Werk, das ein schwieriges Thema, den Tod durch die tückische Krankheit Krebs, erstmalig in dieser Deutlichkeit auf die Leinwand bringt, vor dem Absturz ins Kitschige. Dass dies nicht geschieht, hat aber ausgerechnet in einer Tatsache seinen Grund, die man kritisch sehen kann – dem vehementen Einsatz von Standards und Klischees als eine Art Resummée von vielen, vielen John Wayne-Filmen, der Destillierung von essentiellen Elementen des Westerns. Dieser gewollte Genre-Showdown sorgt für eine gewisse Distanz, weil er auf etwas unwirkliche Weise zusammengestellt, komprimiert und dem Höhepunkt, dem – sic! – Showdown, zugeführt wird.
Finale
Große Männer sterben nicht, sie vergehen („they pass away“) – hat es nicht einmal jemand am Beispiel von John Wayne so ausgedrückt? „The Shootist“ als Abschiedswerk ist der Legende John Wayne und seines langsamen, würdevollen Abgehens ins Off des Lebens. Ohne diesen Letztling wäre sein Werk nicht komplett, nicht abgeschlossen gewesen. So aber hat es sich erfüllt und das nährt wiederum die Legende.
Denn im Gegensatz zu vielen Stars, die sehr jung starben, gehört es zum Bild von John Wayne, dass er an einem Ort steht und nicht anders als seiner Ehre und seinen Werten folgen kann, sozusagen bis zum letzten Atemzug, der nicht zu sehr vor der Zeit kommen kann – wie oft hat Wayne schon früher Männer gespielt, die verletzt waren, aber sich nie beugten, weil sie wussten, dass ihre Zeit noch nicht gekommen ist (am schönsten in „Rio Bravo“)? Es muss demnach den insznierten Abschied als John Wayne-Film geben, und dieser Aufgabe wird the „The Shootist“ gerecht. Wo bei anderen Stars das Leben abrupt abbrach und dadurch Legenden entstanden, gehört es bei John Waynes Legende dazu, dass es einen filmischen Abgesang gibt. Der Held stirbt nicht als junger Wilder und viele Mädchenherzen brechen, er reitet auch nicht der untergehenden Sonne entgegen, sondern steigt direkt auf zu Schar der Gerechten.
Nicht alles an „The Shootist“ hat uns gefallen, aber natürlich beeinflusst auch die Stimmung, die ein Film vermittelt, die Wahrnehmung. Die Stimmung dieses Films heißt Melancholie, Wehmut, wenn man die Hollywoodzeiten wertschätzt, in denen ein John Wayne aktiv war. Schon zum Zeitpunkt seiner Entstehung hat diesem Werk wohl dieses Abschiedssentiment angehaftet. Heute gilt das umso mehr.
Man muss dazu nicht so alt sein wie John Wayne, als er den „Scharfschützen“ drehte, also in der Zeit groß geworden sein, in der Hollywood noch ohne „New“ auskommen musste, dafür aber Stars eines Formats hatte, wie es heute nicht mehr hergestellt wird. Man kann dieselben Eindrücke sammeln, wenn man sich aus historischem Interesse mit alten Filmen beschäftigt und dabei lernt, wie gut sie waren. Die alten Zeiten, die in der heutigen, die Leere verbergenden, den echten, ehrlichen Werten abholden Geschwätzigkeit des Kinos untergegangen sind.
70/100
© 2023, 2014, 2012 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Regie | Don Siegel |
|---|---|
| Drehbuch | Scott Hale Miles Hood Swarthout Glendon Swarthout (Vorlage) |
| Produktion | M. J. Frankovich William Self |
| Musik | Elmer Bernstein |
| Kamera | Bruce Surtees |
| Schnitt | Douglas Stewart |
| Besetzung | |
|
|
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

