Ein Mädchen vom Lande (The Country Girl, USA 1954) #Filmfest 901

Filmfest 901 Cinema

Ein Mädchen vom Lande ist ein US-amerikanisches Filmdrama von George Seaton aus dem Jahre 1954. Als Vorlage diente das gleichnamige Theaterstück von Clifford Odets. Die Paramount Pictures produzierte.

Darauf, diesen Film anschauen zu können, habe ich  lange gewartet. Weil es das Drama ist, für das Grace Kelly, ein wirklicher Shooting Star der frühen 1950er, schon sehr früh ihren ersten Oscar erhielt. Es blieb ihr letzter, weil sie zwei Jahre später aus dem Filmgeschäft ausstieg, um Operrettenfürstin in einem Operetten-und-Steuervermeidungsterritorium zu werden, das kleiner ist als ein Berliner Wohnkiez, aber tausendmal mehr Schaden anrichtet. Ein Terrorakt, diese Heirat, wie das Kapital ihn immer wieder gegen Millionen von Menschen führt. In diesem Fall gegen alle Filmfans, denen Grace Kelly noch viel hätte geben können. Ob der Film mir so viel gegeben hat, untersuchen wir in der –> Rezension.

Handlung (1)

Der erfolgreiche Broadway-Regisseur Bernie Dodd möchte die Hauptrolle in seinem nächsten Stück mit Frank Elgin besetzen. Produzent Phil Cook ist von dieser Idee wenig begeistert: Frank, früher ein großartiger Sänger und Schauspieler, ist längst beim Publikum vergessen und ein heruntergekommener Trinker. Seine Ehefrau Georgie überredet ihn trotz seiner Selbstzweifel, das Engagement anzunehmen.

Doch bei den Proben leidet bald das ganze Ensemble unter Franks Unsicherheit. Immer wieder sucht er Trost im Alkohol und rechtfertigt seine Situation mit einer familiären Tragödie, die sich vor vielen Jahren ereignet hat: Ihr kleiner Sohn kam bei einem Autounfall ums Leben. Infolgedessen habe Georgie sich sinnlos betrunken und einen Selbstmordversuch begangen. Um ihrem Dasein einen Sinn zu geben, habe er ihr damals eingeredet, ohne ihren Rat und Zuspruch nicht auskommen zu können. Seither bestimmte sie über sein Leben, bevormunde und überwache ihn, was ihn schließlich zur Trunksucht getrieben hätte.

Dieses Geständnis bestärkt Bernie in der Überzeugung, Frank zu einem Comeback zu verhelfen. Die ersten Aufführungen in Boston führen jedoch zur Ernüchterung. Bernie wirft Georgie vor, die Ursache für Franks Versagen zu sein. Aus Verbitterung über die unfairen Anschuldigungen beschließt sie, den Aufführungsort zu verlassen und abzureisen. Nach einem erneuten exzessiven Besäufnis landet Frank im Gefängnis. Erst jetzt gibt Georgie die Wahrheit über das Unglück von damals preis: Frank war es, der auf dem Höhepunkt der Karriere seinen Sohn für einen Moment aus den Augen ließ, als Reporter am Straßenrand Publicity-Fotos von ihm machten. Seitdem fühlt sich Frank für den Tod des Kindes verantwortlich, meidet jede Verantwortung und vertraut sich vollständig der Fürsorge seiner Frau an.

Bernies Abneigung gegen Georgie weicht einer tiefen Bewunderung und Verehrung für ihre selbstlose Hingabe. Er ermutigt Frank weiterzuspielen, und einige Wochen später ist die Premiere in New York ein Riesenerfolg. Frank hat durch die hervorragenden Kritiken an Selbstbewusstsein gewonnen, aber inzwischen hat sich Bernie in Georgie verliebt. Vor die Wahl gestellt, entscheidet sich Georgie ein letztes Mal für die Pflicht: Sie bleibt ihrem Mann treu.

Rezension

„Packendes Ehedrama unter Broadway-Schauspielern: Ein einstiger Star findet nach Jahren persönlicher und familiärer Krise wieder Anschluss an eine neue Karriere. Menschlich überzeugend, hervorragend gespielt.“ – Lexikon des Internationalen Films[1]

„Ein Film der Darsteller, ein Triumph der Dialoge, ein geradezu bestürzend echtes Kunstwerk. Letzteres trotz und gerade wegen der nackten Aufrichtigkeit seines thematischen Gehalts.“ – Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1955

Wenn die deutsche Kritik ein Melodram so hypt, was sie deutschen Filmen dieser Art konsequent verweigert hat, dann muss etwas dran sein. Keine Frage, dieser in Schwarz-Weiß gefilmte Seelenstriptease zeigt gute Darstellungen. Ob Grace Kelly besser ist als Judy Garland in „A Star is Born“ muss ich mir noch mal anschauen, die letzte Sichtung ist sehr lange her. Aber sie war „in“ und die Garland wollte mit einem Remake ein Comeback starten, während verfilmtes Theater Mitte der 1950er das Ding an sich war. Allerdings wurden zu Beginn der 1950er schon fantastische Filme dieser Art gedreht, die schwer zu übertreffen waren: „Sunset Boulevard“, der zwar nach einem Originaldrehbuch entstand und das Filmbusiness coverte, aber trotzdem in diese Reihe passt, in der es um Karrieren und Lebensentwürfe und Lebenslügen geht, „A Streetcar Namend Desire“ natürlich, „Stadt der Illusionen“, ebenfalls über das Filmgeschäft und mein persönlicher Liebling „All About Eve“ aus dem Jahr 1950. Nach „A Streetcar“ sollten noch weitere Tennessee-Williams-Adaptionen folgen, etwa „Cat on a Hot Tin Roof“ im Jahr 1958. Dafür hätte die Katze in Person von Elizabeth Taylor den Oscar verdient gehabt, erhielt ihn aber kompensatorisch zwei Jahre später für das schwülstige Teil namens „Butterfield 8“ und versperrte ihrerseits damit anderen Talenten den Weg nach ganz oben.

Viele meinen auch, Bing Crosby hätte nach für seine Performance des strauchelnden Künstlers Frank Elgin den Oscar verdient gehabt, aber gegen den Booster Marlon Brando in „On the Waterfront?“, ebenfalls eine Theaterverfilmung? Unmöglich. Von den Sängern, die ins Filmgeschäft einstiegen, war Crosby vielleicht in der Tat der beste Schauspieler, aber er war eben kein „Method Actor“, und diesen neuen Typus von Darsteller in Hollywood verband man unweigerlich mit den hochambitionierten Literatur- und Theaterverfilmungen jener Jahre. Wie eben Marlon Brando und bald auch Paul Newman, wie letztlich Gregory Peck in „To Kill a Mockingbird“, der den späten Gipfel dieser Welle von Literaturadaptionen darstellte, die noch im klassischen Stil gefilmt waren. Aber Crosby verhält sich wie ein Method Actor. Man hat wirklich das Gefühl, ein menschliches Wrack vor sich zu sehen, das verzweifelt um Anschluss ans Leben kämpft oder von seiner Frau dazu gedrängt wird, diesen Anschluss zu finden, noch mehr jedoch von einem Freund, der an sein Talent nach wie vor glaubt, obwohl er als gerade erfolgreicher Regisseur viel mit dieser Besetzung riskiert. Eine der sympathischsten Rollen übrigens, die William Holden in jenen Jahren gespielt hat, aber er kriegt, wie schon in „Sabrina“ das Mädchen nicht. Kein gutes Karma für einen Leading Man, selbst auf dem Weg nach oben.

Grace Kelly spielt eine verkannte Passionsfigur in einem Dreieck, das am Ende richtig knistert, und noch einmal setzte sich bei mir etwas durch, was ich verloren glaubte: Ich hätte instinktiv ein andere Ende besser gefunden: Diejenigen, die sich bekriegen, sich lieben und am Ende das eine wegen des anderen tun, hätten sich ruhig finden können. Frank Elgin hingegen wäre künstlerisch rehabilitiert gewesen und hätte die Frau, die ihm so lange treu zur Seite gestanden hatte, gehen lassen können, damit sie noch einmal einen neuen Anfang erleben darf mit einem Mann, der vielleicht besser zu ihr gepasst hätte. Doch die Verweigerung einer solchen Art von Happy End ist ja auch ein Trick, der solche Filme hochwertiger und ethisch anspruchsvoll erscheinen lässt.

Grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden, aber es hat für mich einen nachvollziehbaren Grund, dass die IMDb-Nutzer:innen den Film aktuell mit 7,3/10 bewerten, während die oben erwähnten Meisterwerke mit mehr als 8/10 Dauergäste in der Top-250-of-all-Times sind. Vielleicht liegt es daran, dass ihm die unbedingte Schaufreudigkeit fehlt, die alle diese Filme auszeichnet. Man sieht nicht vor dem Bildschirm und denkt: „Wow!“. Mag sein, dass es auch daran liegt, dass man schon so viele Filme dieser Art gesehen hat, in denen die Film – oder Theaterwelt über Production Values, Stars, deren Perspektiven, den ganzen Rummel diskutiert und sich bestimmte Muster dabei immer wiederholen. Das muss schon besonders gut gemacht sein, um mich zum Beispiel noch vom Hocker oder vom Sofa zu reißen. Wenn man etwas genauer hinschaut, ist das Grundgerüst der Handlung nämlich sehr konventionell, ebenso das Filming, das beinahe strikt chronologisch ist und nur wenige Rückblenden zeigt, das nicht in Schleifen geführt wird und auch visuell so zurückhaltend ist, dass man merkt, hier sollen die Darsteller im Vordergrund steht. Das tun sie auch, keine Frage, und sie machen ihre Sache gut. Bei Bing Crosby, der meines Wissens nie einen Karriereeinbruch wie den im Film gezeigten hatte, wirkt der Kampf um die Existenz erschütternd, anders als bei Frank Sinatra in „Young at Heart“, der im selben Jahr gefilmt wurde, wobei jeder wusste, dass er karriermäßig tatsächlich sozusagen von den Toten auferstanden war. Beide schaffen es aber, ziemlich angegriffen auszusehen und das war damals noch eine gewagte Sache.

Bei Grace Kelly ist man diesbezüglich sehr dezent verfahren, weil man ihr glamouröses Äußeres nicht zu sehr retuschieren wollte, außerdem ist es trotz aller ihrer Gaben für mich schwierig gewesen, ihr abzunehmen, dass sie schon seit zehn Jahren diese stressige Ehe mit dem Mann geführt haben soll, der alles verlor, vor allem sein Selbstbewusstsein. Sie war auch tatsächlich zu jung, als dass dies glaubhaft gewesen wäre. Man merkt, wie froh die Filmemacher waren, als sie sie zum Ende hin endlich wieder strahlend schön zeigen konnten. Das Aufatmen ist geradezu spürbar. Ohne diese äußerliche Wandlung von der scheingrauen Maus zu einem der schillerndsten Sterne am damaligen Hollywood-Himmel wäre der Film wohl doch zu sehr ein Wagnis gewesen, vor allem für diese aufstrebende Schauspielerin selbst. Darüber muss man heute nicht mehr philosophieren, Typecasting ist zwar immer noch ein Begriff, jedoch ist die Varianz größer, die man Schauspielerinnen zubilligt. Bei MGM, bei der Kelly eigentlich unter Vertrag stand, werden sie trotzdem graue Haare bekommen haben, diese Frau in einer alten Strickweste und mit einer hochgeschlossen-hässlichen, asymmetrisch geknöpften Bluse, die wohl ihren angespannten und nicht in der inneren Mitte angesiedelten Zustand symbolisieren soll, wenn man das gewusst hätte. Schnell setzte man sie wieder in prächtigem Technicolor in „Green Fire“ ein und vertraute sie der Paramount ein Jahr später erneut an, aber nur, als klar war, dass Alfred Hitchcock sie in „Auf den Dächern von Nizza“ sehr geschmackvoll in Szene setzen würde. Der Film ist optisch das genaue Gegenteil von „A Country Girl“ und es ist gut, dass er gedreht wurde. Dumm nur, dass dabei diese Heiratsgeschichte, die ich oben erwähnt habe, ihren Lauf nahm. Ihr letzter Film sollte Kelly wieder mit Bing Crosby zusammenführen: „High Society“ heißt er passenderweise, denn damals war schon klar, dass Kelly die Filmstadt verlassen würde. Ein Musikfilm, den ich einmal sehr mochte. Heute sieht die Bewertung etwas anders aus, denn das Mondäne und das typisch MGM-Konservative überstrahlt komplett die sozialkritische Haltung des „Originals“, das auch besser gespielt war: „Die Nacht vor der Hochzeit“, mit einem absolut brillanten Cast und gedreht im Jahr 1940.

Seltsamerweise oder nicht, ich hatte vor „The Country Girl“ schon eine Vorstellung von dem Film, nämlich, dass er in Farbe gedreht ist (wer hätte nach „Mogambo“ Grace Kelly keinen Farbfilm zugestanden? George Seaton & Co. taten es nicht, denn verfilmtes Theater war damals noch überwiegend S/W, wenn es daherkam, um etwas auszusagen) und von einem Mädchen vom Lande handelt, das in der großen Stadt sein Glück versucht. Auch dieser Plot ist ein US-Standard erster Kajüte, aber es wäre ja möglich gewesen, dass Grace Kelly in ihm besonders brilliert. Stattdessen sehen wir eine Frau, die schon beinahe gescheitert ist. Vermutlich kommt sie aus einer guten Familie und wirklich vom Land, zumindest legen die Dialoge das nah. Und sie will ihren Frank in Bosten nicht aus Verletzung freiwillig verlassen, sondern wird von Bernie dazu gedrängt, nach dem Motto, lieber aus den Augen als an den anderen gebunden. Das weiß Bernie natürlich nicht, was sein wirkliches Motiv ist.

Ich  muss mir auch wieder mehr englische Filme im Original ansehen, gerade verfilmtes Theater ist ja nicht immer einfach zu verstehen, weil die Dialoge literarischer sind als üblich, gegoogelt habe ich während des Anschauens „understudy“. Ich dachte zunächst, es sei eine Art Souffleur, ein Stichwortgeber damit gemeint, der einspringt, wenn das Gedächtnis eines Darstellers hakt, aber es handelt sich um die Zweitbesetzung, die einspringt, wenn der Erfolg hakt, mit ihr also droht man Frank Elgin immer mal wieder.

Finale

Ein wenig enttäuscht war ich doch von diesem Film. Branchenselbstbespiegelung war in jenen Jahren eine Art Subgenre innerhalb des Fachs Melodram, Abteilung Theateradaptionen, manchmal auch mit Originaldrehbuch, wie oben erwähnt. „A Country Girl“ ist sehenswert, aber er muss sich mit ähnlichen Produktionen messen lassen, die dem, was wir hier sehen, nochmal eins draufsetzen und, ja, es ist eben alles Theater, die größere Show bieten. Außerdem kommt bei mir immer mehr das Gefühl auf, wenn in solchen Filmen auch gesungen wird, so sehr das bei Bing Crosby auf der Hand liegt, leidet darunter sofort die Dichte, die Atmosphäre und es entsteht etwas wie ein Zwitter.

Man kann auch in Musicals ein Drama gut integrieren, aber umgekehrt hat die Intimität des Sprechtheaters nicht so viel Raum für Musikdarbietungen, die im Grunde zu sehr darauf hinweisen, dass hier ein großer Star am Werk ist, der eine arme Sau spielt, die wieder ein großer Star wird, ja werden muss. Das unterscheidet dieses Trinkerdrama, das er Film ja auch ist, z. B. von „The Lost Weekend“ (1945), in dem man sich ganz auf einen Mann konzentriert, von dem nun gar nicht klar ist, an welchem Talentzopf er sich aus dem Sumpf der Alkoholabhängigkeit ziehen soll, was den Film nicht nur sehr realistisch, sondern auch auf eine düstere Weise spannend macht. Aber der große Bing Crosby und der kommende Superstar Grace Kelly als Paar ohne Hoffnung, wie sie beide nicht mehr aus dem Quark kommen? Kaum denkbar.

Eine Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Beitrag einige Monate nach dem Anschauen des Films. Mittlerweile habe ich mir auch „A Star Is Born“ mit Judy Garland angeschaut. Ob zum wiederholten Mal oder erstmals, ist mir nicht ganz klar, denn einige Szenen sind in die aktuelle restaurierte Fassung nur als Standbilder eingefügt worden, und gerade an eine von ihnen meine ich mich in bewegter Form erinnern zu können. Eigentlich kann das nicht sein.  Hat mir die Erinnerung einen Streich gespielt? Wie auch immer, der Oscar für die beste weitliche Hauptrolle in einem Film des Jahres 1954 hätte an Judy Garland gehen müssen, die darin die beste Leistung ihrer Karriere abliefert. 

72/100

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2022)

(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie George Seaton
Drehbuch George Seaton
Produktion William Perlberg
George Seaton
Musik Victor Young
Kamera John F. Warren
Schnitt Ellsworth Hoagland
Besetzung

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