Nur Samstag Nacht (Saturday Night Fever, USA 1977) #Filmfest 902

Filmfest 902 Cinema

Saturday Night Fever ist ein US-amerikanischer Tanzfilm aus dem Jahr 1977, der vom Leben junger Menschen in der New Yorker Diskothekenszene und der dort entstandenen Subkultur handelt. Die Hauptrolle spielte John Travolta. Regie führte John Badham. Die Handlung des Films basiert auf einem Artikel des britischen Musikjournalisten Nik Cohn, der im Jahr 1976 unter dem Titel Tribal Rites of the New Saturday Night[2] im New York Magazine erschien. Norman Wexler entwickelte daraus das Drehbuch.

Solch eine Ikone wie der erste Star-Wars-Film, der 1977 in die Kinos kam, ist Saturday Night Fever nicht geworden, aber einflussreich waren sie beide. Man sollte sie auch beide gesehen haben. Was nicht bedeutet, dass „Saturday Night Fever“ ein  herausragender Film ist. Mehr dazu lesen Sie in der -> Rezension.

 Handlung (1)

Tony Manero ist ein junger italoamerikanischer Mann aus Bay Ridge, Brooklyn, und Angestellter in einem Farbengeschäft. Er lebt in bescheidenen Verhältnissen in einem streng katholischen Elternhaus. Sein Bruder ist Priester und der Stolz der Familie. Tonys wöchentlicher Höhepunkt ist der Besuch der Diskothek 2001 Odyssey in Manhattan. Dort ist er nicht mehr der kleine Angestellte des Alltagslebens, hier ist er der „König der Tanzfläche“. Ansonsten verbringt er Zeit mit seinen Freunden aus der Nachbarschaft. Gelegentlich verwickelt sich die Gruppe in Schlägereien mit verfeindeten Jugendlichen. Tony hat keinen Respekt vor Frauen; einige seiner Verehrerinnen, vor allem das Nachbarmädchen Annette, werden von ihm in der Gruppe „herumgereicht“.

In der Disco lernt Tony eines Tages die etwas ältere Stephanie kennen, und beschließt, statt (wie versprochen) mit Annette lieber mit ihr an einem großen Tanzwettbewerb teilzunehmen. Obwohl Tony an einer Beziehung mit ihr interessiert wäre, lehnt Stephanie dies zunächst ab, da sie meint, größere Ziele verfolgen zu können und Tony nicht ihrem Niveau entspreche. Stephanie ist im Begriff, nach Manhattan zu ziehen und den ärmlichen Stadtteil Bay Ridge hinter sich zu lassen. Stephanie und Tony trainieren gemeinsam und gewinnen den Tanzwettbewerb, doch Tony kann sich im Gegensatz zu Stephanie über den Sieg nicht freuen, da ein konkurrierendes Paar, das nach Tonys Meinung eindeutig besser war, nur aufgrund seiner puerto-ricanischen Abstammung den Ersten Preis nicht bekommen habe. Der aufgebrachte Tony gibt den Latinos die Trophäe und versucht kurz darauf, Stephanie zu vergewaltigen, doch diese kann sich ihm entziehen und flüchtet.

Nun trifft Tony seine Freunde. Zwei von ihnen, Double Jay und Joey, vergewaltigen während einer gemeinsamen Autofahrt Annette, die sich aus verschmähter Liebe zu Tony betrunken hat und wehrlos ist. Anschließend kommt Tonys bester Freund Bobby bei einer Mutprobe auf der Verrazano-Narrows Bridge zu Tode, nachdem er sich zuvor bitterlich darüber beklagt hat, von Tony vernachlässigt worden zu sein: Bobby hatte seine Freundin Pauline geschwängert und sah sich daher von seinem katholischen Umfeld bedrängt, sie gegen seinen Willen zu heiraten; statt ihm in dieser Lebenskrise beizustehen, hatte sich Tony ganz auf Stephanie konzentriert und Bobby nicht einmal angerufen. Erschüttert und angeekelt von sich selbst fährt Tony die ganze Nacht lang mit der U-Bahn, um den Kopf freizubekommen, und klingelt anschließend bei Stephanie. Nach einer Aussprache beschließen Tony und Stephanie, Freunde zu sein. Handlung: Wikipedia.

Anni und Tom über „Saturday Night Fever“

Anni: Gleich mal zum Ende des Films. Ich hatte nicht den Eindruck, dass es da nur um Freundschaft ging, sondern dass Stephanie lediglich wollte, dass Tony respektvoll wartet, bis sie bereit ist für mehr. Sie setzt sich ja dann auf seinen Schoß. Komisch, dass Kritiken nicht sehen, worauf es hinausläuft – und die Wikpedia-Inhaltsangabe auch nicht. Damit verändert sich aber die Interpretation des Films. Und ich meine, es war die volle, die 118 Minuten-Version, oder? Jedenfalls waren die sexuellen Übergriffe enthalten. 

Tom: Eigentlich ist das Ganze die Westside Story aufs Prollige heruntergebrochen. Und ich mag John Travolta in späteren Filmen wie „Pulp Fiction“, aber dass jemand auf so einen Typ steht, das kann nur in einer sehr rudimentären Welt geschehen.

Anni: Ernsthaft? Jaja, man sollte vielleicht nicht über einen Discofilm schreiben, wenn man ein Disco-Trauma hat. Dass alle anderen zur Seite treten, wenn Tony tanzt, ist natürlich eine Form von Stilisierung, die aus den klassischen Tanzfilmen à la Astaire und Rogers übernommen ist, damit sich der ganze Fokus auf die Nummer Eins richtet. Aber wenn du in einem normalen Dorf in einem dort normalen Milieu groß geworden bist, ist das doch sehr ähnlich wie in dieser kleinen Welt in einer großen Stadt, die hier gezeigt wird. (…)  Die Art, wie die Italo-Macker hier mit Frauen umgehen und über sie reden, die erinnert mich fatal an etwas, was ich hier auch oft genug mitbekomme, wenn ich U-Bahn fahre. Und an gewisse Blicke von gewissen Typen in gewissen Gegenden. Im Grunde haben sie mit Filmen wie diesem die heutige Jugendsprache – vielleicht nicht erfunden, aber sie als cool erscheinen lassen.

Tom: Wir leben in einer fragmentierten Welt. Es gibt die exakte Gegenbewegung, dass auf jedes Detail im Sinne der Wokeness geachtet wird, also eine Sprache, in der wir unmöglich diese Form von Rezensionen schreiben könnten, aber es gibt natürlich auch das andere, nämlich Milieus, in denen es tatsächlich so rudimentär zugeht wie in Tonys Familie, in seiner Gang, whatever. Wer würde das bestreiten wollen? Es kann nicht mehr darum gehen, alle dahingehend upzugraden, dass sie PoC perfekt beherrschen, sondern nur noch darum, einigermaßen friedlich nebeneinander herzuleben. Und manchmal wechselt doch einer die Seiten, steigt auf.

Anni: 1977 hat es offenbar noch gereicht, tippen zu können, um einen Job bei einer Werbeagentur in Manhattan zu bekommen. Die Durchlässigkeit der Milieus ist heute weitaus geringer. Aufsteigen auf solchem Niveau kannst du knicken. Es sei denn, du orientierst dich am Subtext, der im Leben von Stephanie gar nicht so subtextlich ist: Sie hatte sich in der Agentur einen Mentor geangelt, der sie nach vorne oben gebracht hat und dafür niederlegen durfte. So, und jetzt denk mal nach, warum in einer ethisch hochwertigeren Welt die Durchlässigkeit tatsächlich geringer ist. Da kommst du vom  Hundertsten ins Tausendste. 

Tom: Über die Besetzung der weiblichen Hauptrolle war ich irgendwie enttäuscht. Ich dachte, JT hätte hier schon  mit ONJ zusammen vor der Kamera gestanden und sie hätten das in „Grease“ lediglich wiederholt, weil es in „Saturday Night Fever“ so gut geklappt hat. 

Anni: Ich fand sie auch relativ blass. John Travolta wäre als 19jähriger aber vielleicht auch nicht so rübergekommen. Es ist ja üblich, dass die Schauspieler in solchen Filmen älter sind als ihre Rollenfiguren. Und vier Jahre machen in dem Alter schon etwas aus. Nur, die weibliche Hauptrolle war mit einer 32jährigen besetzt! Ja, es wird schon gesagt, dass sie älter ist als er, aber doch nicht so viel. Egal, das war es nicht, ich fand die Chemie zwischen den beiden aber nicht explosiv. Aber da die anderen Mädchen auch nicht so attraktiv waren, die in dieser Disco zugange sind, abgesehen von der puertoricanischen Turniertänzerin, ist alles relativ. 

(…)

Tom: Es gibt unterschiedliche Typen, auch in Städten. Die Varianz ist lediglich größer als auf dem Dorf, der Konformitätszwang auch nicht so dramatisch. Insofern war ich immer schon eher Städter, das stimm natürlich. Aber es ist eben eine andere Welt, die der Tonys und derjenigen, die du eben als deren Berliner Gegenstücke angedeutet hast. Ich habe keinen Zugang dazu, deswegen vermisse ich jetzt gerade bei dem Film auch nicht irgendein Stück meiner Jugend. Das hat damit zu tun, dass ich darin nichts Erstrebenswertes sehe. Tanzen, Musik, oh ja, vor allem zu Letzterem habe ich sicher einen Zugang, aber eben einen anderen. 

Anni: Du musst dich nicht verteidigen, wir sind hier unter uns und Frauen sind zum Glück auch verschieden. Aber wenn ich darauf abhebe, wie blöd die Mädchen um Tonys Gang herum sind – okay, die Jungs ja eigentlich auch. Was willst du ausrichten gegen eine Erziehung, in der die Rollen so klar verteilt sind, wenn du nicht irgendwo das Revoluzzer-Gen hast, das niemand in dir vermutet hätte? Das ist eine so repressive und eigentlich freudlose Welt. Und aus der Perspektive projeziert jemand halt alles auf die eine Samstagnacht. Al Pacino, Rocky, die Stars jener Zeit, da gibt es keine Reflektion, und ich finde, dass der Film so pur ist, von mir aus auch spekulativ, ist so dicht an einigen Facetten unserer Realität, du kannst dich diesem Realismus gar nicht entziehen, wenn du eben normal in einer Stadt wie unserer lebst und alles um dich herum beobachtest.  

Tom: Nick Cohn, der Journalist, der mit dem Essay „Tribal Rites of the New Saturday Night“ die Vorlage geliefert hat, hat selbst später gesagt, er hatte eigentlich gar keine Ahnung, über was er da schrieb, weil nicht gut recherchiert. Also, die Ethnien, die Sprache, die Stimmung – da ist Vorsicht geboten.

Anni: Man kann den Kern auch treffen, ohne allzu wissenschaftlich zu arbeiten. Einfach so, aus dem Gefühl für Menschen und ihrer Zeit heraus. Was aber nicht stimmt, in der deutschen Wikipedia – dass der Film die Disco-Welle ausgelöst hat. Discomusik kam schon durch Softpop-Gruppen wie Abba auf, inklusive dieser übertrieben geschnittenen und sehr bunten Show-Klamotten. Der Film hat da nur gut reingepasst und die Welle verstärkt oder auf ihren Höhepunkt gebracht. Anfang der 1980er war das ja quasi wieder vorbei. 

Tom: Da kam die Neue Deutsche Welle.Die war aber auch recht kurz, ging von 1982 bis 1984. Und hat natürlich nicht den Pop und den Rock abgelöst. Kannst du nachvollziehen, warum der Film so ein Mega-Hit war?

Anni: Doch, schon, aber ich kann auch nachvollziehen, warum er heute von den IMDb-Nutzern nur noch einen Durchschnitt von 6,8/10 erhält. Und dass gerade Frauen in dem Alter, in dem die Figuren sind, die Vorgänge darin nicht so witzig finden und unterdurchschnittlich werten. Ich schließe mich dem an und gebe 6,5/10. Kultstatus eingebaut.

Tom: Ich komme sogar nur auf 6/10. Klar ist vieles realistisch, wenn man sich die Familienverhältnisse anschaut und die Arbeitswelt, vielleicht auch die Gang, dieses Leben, das nirgends hinsteuert, aber die Art, wie Stephanie sich davon absetzt, ist zu gewollt und alles im Ganzen ein zu großes Klischee. Und irgendwie ist es auch keiner der großen Jugendfilme wie „American Graffiti“. Vielleicht, weil es keine großen Träume, keine großen Außenseiter und keine echte Dramatik gibt. Vom Wasserfall des Jungen abgesehen, den Tony nicht anruft. 

Anni: Aber die Wandlung von ihm hin zu einem mehr reflektierten Menschen, die gibt es doch. Die Initialisierung, die in viele dieser Filme eingebaut ist. Und dazu gehört, dass seine Selbstverliebtheit abnimmt, wie sich daran zeigt, dass er am Ende merkt, dass er nur deshalb den Tanzpokal gewonnen hat, weil er zum Inventar der Disco 2001 gehört – und ihn an die Zweitplatzierten weitergibt, inklusive des Preisgeldes, offensichtlich.  Nun ja, ich merke schon, wir stehen beide auf andere Filme. Deswegen rezensieren wir ja auch zusammen. „Saturday Night Fever“ hätte diese Kooperation sicher nicht ausgelöst.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung im Jahr 2023: Die Rezension haben wir an zwei Stellen gekürzt, die persönlichere Anmerkungen enthielten und Vergleiche zu den Verhältnissen in Berlin, die dem Stil dieser damaligen Dialog-Rezension geschuldet waren, die wir aber heute so nicht mehr ans Publikum vermitteln wollen, wie sie damals intuitiv und vielleicht etwas zu spontan entstanden sind. Dafür sind einige Zusatzinformationen wichtig: Die längere Originalversion hätte vermutlich eine höhere Bewertung bekommen, wenn wir sie hätten anschauen können. Zumindest meine ich, in Erinnerung zu haben, dass es sich um die kürzere Fassung handelte.

In der Originalfassung, die 1977 in die Kinos kam, spielen sozialkritische Elemente eine größere Rolle; in der 1978 veröffentlichten, jugendfreien Version fehlen diese zu großen Teilen – insbesondere eine Vergewaltigungsszene.

TH

64/100

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2017)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie John Badham
Drehbuch Norman Wexler
Produktion Robert Stigwood / Paramount
Musik Barry Gibb,
Maurice Gibb,
Robin Gibb,
David Shire
Kamera Ralf D. Bode
Schnitt David Rawlins
Besetzung

 

 


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