Frontpage | Briefing 132 (hier zu 131) | Wirtschaft, Arbeit
Liebe Leser:innen, nach einigen längeren Kommentaren und der Berichterstattung zur Berlinwahl wollen wir mal wieder etwas lockerer und kürzer schreiben. Ganz der Idee einer entspannteren Arbeitswelt verbunden, wie sie derzeit diskutiert wird. Dazu empfehlen wir die Teilnahme an einer Umfrage. Wir sind an dem Ergebnis sehr interessiert.
Erklärungstext aus dem Civey-Newsletter:
Linken-Chef Martin Schirdewan spricht sich in der Debatte um Arbeitszeiten für eine Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich aus. In der ARD erklärte er jüngst: „Wenn die Arbeit gerechter verteilt wäre, könnten hierzulande statt Überstunden und Dauerstress etwa eine Million Arbeitsplätze in kurzer Vollzeit mit 30 Stunden pro Woche geschaffen werden.“ Deutschland könnte durch die reduzierte Anzahl von Pendelnden zudem Energiekosten einsparen.
Von der 4-Tage-Woche wird sich eine gesteigerte Motivation und Produktivität der Angestellten erhofft. Bedingt wird das etwa durch die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. 2021 startete Island ein ähnliches Projekt, dessen positive Ergebnisse laut t3n zu einer verkürzten Arbeitszeit in der öffentlichen Verwaltung führte. In Belgien können Menschen bereits frei entscheiden, ob sie ihre 40 Arbeitsstunden pro Woche an vier oder fünf Tagen verrichten möchten.
Eine flexible Arbeitszeitaufteilung ist für viele Berufe indes schwierig, erklärt der Ökonom Dr. Stephan Thomsen gegenüber „Treffpunkteuropa“ skeptisch. Arbeitsmarktexperte Karl Brenke befürchtet in der Tagesschau, dass eine reduzierte Wochenarbeitszeit faktisch zu einer Lohnsteigerung und somit zu Mehrkosten für Unternehmen führe, die wiederum in einer „galoppierenden Inflation” enden könnte. Dafür bräuchte man zudem mehr Arbeitskräfte, die bereits jetzt schon fehlen.
Wir müssen dazu gleich einen Anti-Disclaimer schreiben: Wir arbeiten mit einer Viertage-Woche und finden das super. Die drei freien Tage Freitag bis Sonntag sind genau der richtige Abstand zum nächsten Arbeitstag, der eine gute Erholung ermöglicht, aber uns nicht aus dem Tritt kommen lässt, sodass wir uns möglicherweise gar nicht mehr erinnern, was gerade angesagt ist. Letzteres ist eher mental gemeint, denn selbstverständlich haben wir ein System, das den exakten Stand der Dinge, Aufgaben und Projekte, auf einen Blick sichtbar macht. Außerdem sind wir im Kreativbereich tätig und wir halten viel von der These, dass es bei dieser Art von Arbeit nichts bringt, eine bestimmte Zeit abzusitzen, sondern kreative Phasen so gut wie möglich auszunutzen. Diese dauern normalerweise keine acht Stunden am Tag an.
Erstaunlicherweise zeigt das gegenwärtige Abstimmungsverhalten (das sich wohl noch verändern wird, denn die Umfrage wurde erst heute veröffentlicht) ein sehr ausgeglichenes Bild. Etwa genau so viele Menschen sind klar dafür, die 4-Tage-Woche einzuführen oder doch überwiegend dafür, wie es Abstimmende gibt, die klar oder überwiegend ablehnend sind. Und natürlich sehen Ökonomen wieder einmal den Untergang des industrialisierten Abendlandes heraufziehen, wie schon beim Mindestlohn, der die Beschäftigung in Deutschland überhaupt nicht negativ beeinflusst hat, wie wir inzwischen wissen und auch die Inflation nicht wesentlich angetrieben hat. Das geschah erst ab 2021, aus ganz anderen Gründen. Es mag daran liegen, dass der Personalkostenanteil gerade in der Industrie und in allerlei konservativen Branchen, die sich so gerne gegen jede Innovation stemmen, nicht mehr so hoch liegen, dass er durch ein Modell wie die Viertagewoche wesentlich angehoben würde. Ein weiteres schlagendes Argument: Die Zahl der Arbeitsstunden pro Person geht in Deutschland seit vielen Jahren zurück. Ansonsten wäre es nicht möglich, immer mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu generieren.
Die Crux dürfte in manchen Branchen trotzdem der volle Lohnausgleich sein. Ist es möglich, für 28 Stunden so viel zu zahlen wie für 35 bis 40 Stunden? Und ist diese Frage exakt genug?
Nein, ist sie nicht. Es müsste heißen: Ist die 28-Stunden-Woche möglich, ohne dass es zu gewissen Gewinneinbußen bei den Unternehmen kommt? Vielleicht nicht ganz, aber schauen Sie sich bitte an, welch abnorme Profite allein durch die aktuelle Krisensituation eingefahren werden, ohne dass die Unternehmen irgendetwas davon an die Gemeinschaft zurückgeben müssen, die geschröpft wird. Zumindest in Immer-noch-neoliberal-Deutschland nicht. Wir meinen, die 28-Stunden-Woche wäre ein Projekt, das bei vollem Lohnausgleich die Gerechtigkeitslage um einiges verbessern würde.
Weiterer Punkt: Wir trauen dem Spin von den fehlenden Arbeitskräften nicht so recht. Viele sind in den letzten Jahren gerade deshalb demissioniert, weil sie überfordert waren vom Dauerstress. Ihnen käme die 28-Stunden-Woche beim Wiedereinstieg in den Job erheblich zugute. Eine gut bezahlte „kleine“ Vollzeit würde viele Menschen aktivieren, die bei 40 Stunden plus evtl. Überstunden als Aussicht lieber die Waffen strecken. Effekte wie die bessere Familienfreundlichkeit des Modells nicht eingeschlossen (wahlweise wäre natürlich auch eine Fünf-Tage-à-sechs-Stunden-Variante denkbar).
Die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche, nachdem 35 bereits erkämpft waren, war, ebenso wie die gruselige Sozialpolitik der Schröder-Ära, langfristig gesehen ein strategischer Fehler, der nicht berücksichtigt, dass eine weitere Entwicklung unweigerlich auf uns zukommen wird. Und zwar gerade auf diejenigen, die in mittleren bis gehobenen Tätigkeiten unterwegs sind: Die KI wird im Dienstleistungssektor einen erheblichen Teil der anstehenden Aufgaben übernehmen, wie die Robotik mittlerweile viele Tätigkeiten in der Industrie ausführt. Dies wird in den nächsten Jahren verstärkt zu beobachten sein und ist irreversibel. Deshalb ist auch die 28-Stunden-Woche nicht das Ende der Diskussion. Viele von uns werden einfach nicht mehr beruflich gefordert sein. Umso mehr wird der gesellschaftliche Anteil des Gebraucht-Werdens eine Rolle spielen.
In aktuellen Mangelberufen wie Busfahrer:in (zumindest bei der Berliner BVG) oder Kraftfahrer:in wird sich das Blatt komplett wenden. Auch wenn uns dabei nicht wohl ist: Selbst im Kreativbereich wird es zu Einsparungen kommen, weil zumindest vorbereitende Arbeiten bald nicht mehr von Menschen durchgeführt, sondern nur noch von ihnen initiiert werden müssen. Auf einem Sektor setzen wir sogar darauf: beim Lektorat / Korrektorat, das bei uns aktuell vakant ist. Einzig im Service vor Ort, sei er niedrigschwellig oder hochklassig, werden noch für einige Zeit stabile Verhältnisse herrschen. Jedoch, auch dies ist nicht in Stein gemeißelt. Bisher hat die KI nicht ganz das gebracht, was Optimist:innen sich von ihr erwartet haben, aber es ist Bewegung in dieser Technik, das spürt man allenthalben. Vom autonomen Fahren bis zu ChatGPT geht es jetzt schneller voran.
Die vielen Menschen, die unter diesen Umständen keine Arbeit mehr finden, können nicht mit Hartz IV abgespeist und permanent mit Sanktionen bedroht werden. Die Unmöglichkeit, hinreichend Arbeit zu finden, wird ein ganz natürlicher Zustand sein, und vor einer Entwicklung möchten wir warnen: Dass man versucht, zum Ausgleich immer mehr Bullshit-Jobs zu kreieren, die in Wirklichkeit niemand braucht und mit denen Menschen sich auch nicht wohlfühlen, weil sie wissen, dass sie keinen Mehrwert für die Gesellschaft generieren. Das wird nur zu mehr Unzufriedenheit und Ineffizienz führen. Die wenigen, die die fetten Profite einstreichen, werden mehr abgeben müssen, daran führt nichts vorbei, da sonst das Modell einer Gesellschaft, die mit wesentlich weniger Arbeitsstunden auskommt als derzeit, nicht gedeihen kann.
Es ist aber die natürliche Folge dessen, was Generation um Generation an Wohlstand produziert hat. Die Wurzeln für die enorme heutige Produktivität, die immer mehr Arbeitsplätze überflüssig macht, wurden von jeder Generation gelegt, die Früchte werden schon lange geerntet. Und es muss weiterhin konsumiert werden, sonst lässt sich das Modell ebenfalls nicht erhalten. Wenn es geht, nachhaltiger, weniger rohstoffintensiv, hochwertiger als bisher. Auch in diesem Sinne ist eine 28-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich der richtige Schritt. Würde man diesen Ausgleich nicht gewähren, würde die Kaufkraft, die gegenwärtig sowieso unter Druck steht, weiter schwinden, und damit auch die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen und damit wiederum das Angebot an Arbeit. Also lieber mal den Gewinn der Wenigen etwas begrenzen als das System durch (weitere) Austrocknung zum Kippen bringen.
Wer freiwillig mehr arbeiten will, kann das gerne tun und darf sich dann über entsprechende Lohnsteigerungen freuen, sofern er den Gewinn nicht in der Arbeit selbst sieht, die ihm einfach Freude macht. Dieses Privileg haben allerdings nur wenige und für die anderen ist eine Reduktion mit Lohnausgleich auch ein guter Ausgleich für die Abwesenheit dieses Privilegs.
Wie wir abgestimmt haben, konnten Sie gewiss ganz leicht aus unserem Kommentar herauslesen.
TH