Filmfest 904 Cinema – Die große Rezension
Faust – eine deutsche Volkssage ist ein Film des expressionistischen Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahr 1926.
Bei seiner Veröffentlichung in Deutschland erhielt der Film nur mittelmäßige Kritiken und oftmals warfen deutsche Filmkritiker Murnau ein mangelndes Verständnis von Goethes Faust und dessen philosophischer Tiefe vor. Dabei ist Murnaus Werk allerdings nicht als Verfilmung des Goethe-Werkes zu verstehen, sondern ist vielmehr ein „eigenständiges, suggestives Werk“.[17]
Das mussten wir vorausschicken, weil es mir beim Anschauen ebenso ging wie den zeitgenössischen Kritikern: Wir orientieren uns in Deutschland grundsätzlich daran, wie Goethe den Faust bearbeitet und intellektualisiert hat. Das suchen wir dann im Film des Romantikers F. W. Murnau, der das Aufklärerische an Goethes Faust gerade nicht zum Angelpunkt machen wollte. Nicht, weil das Philosophische nicht darstellbar gewesen wäre, vermutlich, aber weil es nicht seiner Mentalität entsprach, es in den Vordergrund zu rücken. Um ehrlich zu sein: Es war damals im Kino grundsätzlich nicht angesagt und wäre auch nicht richtig gewesen, Goethes Faust und andere Stücke so theaterhaft abzufimen, dass daraus kein kinemoatrografischer Mehrwehrt entstanden wäre. Gerade in dem Moment, als Murnau technisch auf dem Höhepunkt seiner Karriere war und durch seine vorherigen Filme, wie „Nosferatu“ und „Der letzte Mann“ in vollen Zügen die stürmische Weiterentwicklung der filmischen Visualität in Deutschlandgenoss und führend mitgestaltete, wäre die enge Orientierung an Goethes Faust-Bearbeitung auch eine Fessel gewesen. Wer sich sie auf hohem Niveau anschauen möchte, dem sei die nach wie vor als gelungen zu bezeichnende Version mit Gustav Gründgens in der Rolle des Mephisto aus dem Jahr 1960 empfohlen. Wir aber kümmern uns um Murnaus Film und dazu steht mehr in der – Rezension.
Handlung[1]
Erzengel Michael und Mephisto schließen einen Pakt, nach dem Mephisto die Erde gehören würde, wenn es ihm gelingt, die Seele des Gelehrten Faust zu erringen.
Als in der Stadt die Pest ausbricht, findet Faust kein Mittel gegen die Seuche. In seiner Verzweiflung ruft er die bösen Geister an. Mephisto, der selbst die Pest entfacht hat, erscheint und bietet ihm seine Hilfe an. Faust lässt sich auf einen Vertrag – zunächst für einen Probetag – ein, indem er als Gegenleistung Mephisto seine Seele verspricht. Es gelingt Faust, einen Pestkranken zu heilen. Doch eine weitere Heilung kann er nicht vollbringen, weil die Kranke ein Kreuz in der Hand hält. Die Menge will Faust steinigen, er rettet sich in sein Studierzimmer.
Mephisto macht ihm jetzt das Ideal der Jugend schmackhaft und Faust wieder jung. Beide ziehen an den Hof von Parma, wo Faust die Herzogin von ihrem Hochzeitsfest weg verführt. Während Faust die Herzogin in Armen hält, ist der Probetag abgelaufen, und Mephisto nötigt Faust die ewige Geltung ihres Pakts ab.
Faust ist vom Rausch des jugendlichen Lebens nicht zufriedenzustellen, es zieht ihn zurück in seine Heimat. Dort begegnet er an der Kirche Gretchen und verliebt sich in sie. Mephistos Tricks verhelfen Faust zunächst zum Zusammentreffen mit Gretchen in Marthe Schwerdtleins Garten – mit letzterer „vergnügt“ sich Mephisto. Gretchen gewährt Faust schließlich Zugang zu ihrer Kammer. Mephisto sorgt für Entdeckung des Liebespaars. Er lässt durch einen Wind die Mutter erwachen und lockt Gretchens Bruder Valentin aus dem Wirtshaus nach Hause. Die Mutter entdeckt das Paar im Bett, Valentin stellt Faust auf der Flucht zum Kampf. Mephisto tötet Valentin heimtückisch, ruft den Mord aus und zwingt damit Faust zur sofortigen Flucht.
Gretchen wird als Dirne an den Pranger gestellt und ist eine Ausgestoßene. Im Winter bringt sie ein Kind von Faust zur Welt, das erfrieren muss, da niemand Mutter und Kind Einlass gewährt. Sie wird als Kindsmörderin zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Ein Hilfeschrei Gretchens dringt zu Faust, er eilt zur Todgeweihten. Noch auf dem Weg verflucht er die Jugend angesichts Gretchens Tragödie, woraufhin Mephisto ihm sein altes Aussehen zurückgibt. Erst auf dem brennenden Scheiterhaufen erkennt Gretchen ihren Faust in dem alten Mann. Sie sterben beide und fahren auf in den Himmel.
Mephisto hat seine Wette mit dem Erzengel verloren, da er besiegt wurde durch eine Macht, die er nicht kennt: Liebe!
Rezension
Eines ist ganz sicher. Der Film ist eine Warnung vor den teuflischen Methoden des Marketings. Sie kennen das alle: Leichtfertig geht man ein Probeabo ein und wenn es dem Ende zustrebt, gibt es irgendein Goodie, das man partout nicht missen möchte und – schwups! – hat man die Bezahlversion am Hals, und die hat beinahe Ewigkeitscharakter, während ein Testabo bestenfalls einen Monat lang läuft. Für Faust wird von Mephisto arrangiert, dass er mitten im Sex aufhören müsste, wenn er sich mit dem Probeabo begnügen wollte, weil er die Fortsetzung mit seinem wirklichen Alter wohl nicht mehr schaffen, sondern umgehend einen Herzinfarkt erleiden würde. Vom Schrecken seiner Bettpartnerin angesichts des alten Zausels ganz zu schweigen. Also verlängert Faust und es wird für ihn richtig, richtig teuer. Er verliebt sich, doch alsbald gerät er in handfeste Schwierigkeiten, wird geframed, seine große Liebe muss auf den Scheiterhaufen und er selbst geht freiwillig mit. Dass die Liebe siegt, ist eigentlich ein Vertragsbruch, vielleicht hat Mephisto auch das Kleingedruckte nicht gelesen, als er sich auf die Wette mit dem Erzengel Michael einließ, wer nun die Seele Fausts am Ende heimholen wird. Die bedingungslose Liebe, die den Tod umschließt, hat das Gute noch siegen lassen und damit hat Mephisto einen, sagen wir, suboptimalen Deal gemacht. Doch ist dies das Ende?
Man mag es nicht glauben. Vielleicht glaubte Murnau daran, das halten wir durchaus für möglich, denn die romantische Harmonisierung der Dinge am Ende ist selbst in „Der letzte Mann“ sichtbar, der eigentlich ein bitteres Sozialdrama ist. Darüber, wie dieses seltsame Ende zustande kam, gibt es unterschiedliche Ansichten und auch darüber, wie es zu bewerten ist, aber die Verstrickungen lassen sich nur auf unwahrscheinliche oder eben total romantische Weise lösen: Eine Erbschaft, mit der niemand rechnen konnte oder die Himmelsmacht der Liebe, die jeden Teufel alt aussehen lässt.
Selbst dann, wenn er von Emil Jannings gespielt wird. Er ist es auch, der dem Film einen Anstrich von Humor gibt. Jannings bleibt immer Jannings, in tausend Verkleidungen, das wäre zu sehr vereinfacht. Sein Spiel ist sehr expressiv, weshalb er sich im Jahr zuvor für seinen Einsatz in „Varieté“ geradezu einbremsen musste, denn mit seinem echten Gesicht in einem Film, der schon eher der neuen Sachlichkeit zugehört oder doch deren Elemente schon integriert, da hätte das starke Minenspiel, das er regelmäßig zeigt, vielleicht doch zu übertrieben gewirkt, zumal in einem Setting der einfachen Leute. Jannings war ganz unbedingt der richtige Schauspieler für Ernst Lubitsch, dessen Filme immer mit Humor durchzogen waren und mit dem er oft drehte, aber nach „Der dritte Mann“, diesem riesigen Erfolg, dachte man wohl, der Filmpoet Murnau und der Volksmime des Kinos könnten weiter gut zusammenarbeiten. Wenn man davon ausgeht, dass „Faust“ ein ernster Filme ist, wie alles, was Murnau gemacht hat, dann ist Jannings‘ Spiel beinahe kontraproduktiv. Man muss es aber nicht so sehen: Für mich war es eine Erleichterung, weil dieses visuell mächtige, wenn nicht übermächtige Werk und worum es darin geht, durch Jannings‘ Interpretation des Mephisto einen Hauch von Erdung erhält. Er stellt für mich streckenweise eher die verschmitzte, eher bauernschlau wirkendende Bodenberührung als den diabolischen Herrscher dessen dar, was unter diesem Boden feurig beheizt wird und wo die armen, schlechten Seelen in ewiger Verdammnis schmoren. Gut, dass nicht alle Christen zur Reformation übergelaufen sind, denn welch einen Bezug zu unserer Zeit hätte dann noch diese gewagte und dominant-ironische Darstellung des Teufels? Jannings dominiert denn auch das Set, hat in Gösta Ekman als Faust nur solange einen gleichwertigen Widerpart, wie dieser den alten Mann spielt, der verzweifelt an der wissenschaftlichen Heilung der Pest scheitert, was doch so sein muss, denn sie ist des Teufels und Murnau war sicher nicht darauf aus, nachzuweisen, dass der Teufel in Wirklichkeit gar keine Macht besitzt, die Aufklärung also die logische Entsprechung der Reformation im weltlichen Bereich ist. Als junger Mann wirkt Ekman etwas blass, beinahe bieder. Camilla Horn wirkt als Gretchen vielleicht gerade deshalb bezaubernd, weil sie eine Anfängerin war, die eine sehr natürliche Aura hat.
Murnaus Film ist, anders als Goethes Bearbeitung, kein Werk, in dem die Aufklärung eine wesentliche Rolle spielt. So hätte Fritz Lang den Film vielleicht eingelegt und Jannings‘ Darstellung hätte plötzlich integral gewirkt, weil sie auch die Deutung zulässt, es handele sich um einen Scharlatan, aber Murnau war anders.
Wilhelm Dieterle, der später in den USA als William Dieterle eine beachtliche Karriere als Regisseur machten sollte, sagte über Murnau im Jahr 1972 einer amerikanischen Zeitschrift:
„Murnau war ein großer Poet. In seiner Arbeit war er von einem heiligen Ernst. Die Filme, die er machte, waren alle ungewöhnlich. Er war nicht käuflich, um keinen Preis der Welt. Wenn er ein Projekt nicht mochte, war nichts zu machen. Er wäre lieber verhungert, als etwas zu drehen, zu dem er nicht stehen konnte.“[2]
Wenn man etwas genauer hinschaut, hat Murnau Faust lediglich wieder zurückgeführt, denn Goethe hat zwar selbst einen aufklärerischen Hintergrund, aber lässt Faust mit den Mächten des Mittelalters agieren und paktieren. Man erkennt diese Distanz zwischen Goethe und seinem Faust gut in dem Moment, als der Pakt mit Mephisto naht und Faust sein „Studierstubenleben“ unbefriedigend und die Wissenschaft spröde und ohne wahre Befriedigung empfindet. Man kann sagen, da wird er faustisch, man kann aber auch sagen, er entfernt sich von der Aufklärung und begeht den fatalen Fehler, sich mit einer Macht einzulassen, die sich auf Menschen stürzt, die genau das tun. Sehr aktuell übrigens, dieser Aspekt. Murnau hingegen lässt Faust schlicht an seiner Unfähigkeit verzweifeln, Menschen mit einer notabene alchemistischen Kunst zu helfen, da es wissenschaftliche Ansätze zur Herstellung von Mitteln gegen Epidemien noch nicht geben kann. Der kryptische Faust II spielt sowieso in Murnaus Film keine Rolle, mit seinen mannigfaltigen Verweisen, die philosophische Einflüsse, Erkenntnisse, Sichtweisen beinhalten, welche über die Zeit hinausreichen, in der Dr. Faustus angesiedelt ist.
Eine typische, salvierende Änderung des Romantikers in Murnau gegenüber der Handlung von Goethes Faust I ist daher gut nachvollziehbar, weil er diese goethesche Distanz aufheben will: Dass er r Gretchens uneheliches Kind erfrieren lässt, weil niemand sich der beiden Bedrängten annehmen will, während sie es im Stück tötet und damit mehr Schwierigkeiten haben wird, Gott gnädig zu stimmen, so feindlich die Umwelt auch sein mag, als in dem Fall, dass die Umwelt sich selbst zur Mörderin an einem unschuldigen Säugling gemacht hat. Ich halte diese Abwandlung durchaus für bedeutend, weil sie den Weg freimacht für die Himmelsmacht der Liebe, die zwar durch eine Verführung und ein uneheliches Kind belastet ist, was 1926 noch eine andere Problematik darstellte als heute, aber da springt der Romantiker Murnau locker drüber. Eine Tötungshandlung hingegen, aus welcher Notlage heraus auch immer, begangen von der Mutter an ihrem Kind, hätte den Sieg des Guten erheblich verkompliziert, wenn nicht unmöglich gemacht.
In diesem Sinne erfolgt eine zweite wichtige Änderung: Nicht Faust ersticht Gretchens Bruder Valentin, als diesem die Kräfte erlahmen, sondern Mephisto tut es von hinten und Faust ist entsetzt. Man kann also sagen, Murnau tut einiges, um den Sieg der Liebe möglich zu machen, weil er die Schuld von Faust und Gretchen jeweils um eine Tötungshandlung vermindert und deren klare Rettung dadurch glaubwürdig wirken lässt. Natürlich ist das eine Vereinfachung gegenüber dem goetheschen Konzept der großen Verstrickung, in die Faust gerät und die man nicht so einfach mit dem Sieg der Liebe auflösen kann, wenn man es ernst meint mit dem Ringen um Gut und Böse. Und da wir gelernt haben, dass Murnau es immer ernst meinte, hat er eine Lösung gewählt, die ich nicht als Banalisierung, sondern als konsequente Konzeption verstehen möchte, die genau dort Abstand von Goethe hält, wo zu viele moralische Untiefen lauern, die auch heute noch strafrechtlich relevant wären.
Es gibt weitere Unterschiede, die man als Straffung, aber auch als konzeptionell ansehen kann: Zum Beispiel entfällt die formidable Walpurgnisnacht, die filmtechnisch ein Fest hätte werden können, aber natürlich Fausts Charakter weiter infrage gestellt hätte. Letztlich muss er bloß dafür die Verantwortung tragen, dass er sich zum weiteren Zugewinn an Erkenntnis die Jugend zurückgeholt hat und dass er Mephisto einsetzt, um Gretchen zu gewinnen. In einem noch vertretbaren Maße, muss man hinzufügen. Ersteres wird durch ein Scheitern erklärt, das dramatisch wirkt und eine Dimsnsion hat, die man bei Goethes Faust und seiner grüblerischen Einstellung, die nach außen nicht viel Schlimmes bewirkt oder Gutes verhindert hat, nicht vorzufinden ist.
Ich kann schon verstehen, dass deutschen Filmkritikern mit einer bildungsbürgerlichen Sichtweise diese Konzeptänderungen nicht gefallen haben, aber dadurch waren sie natürlich auch daran gehindert, die Kraft des Films an sich heranzulassen. Er ist stellenweise Kunst für die Kunst, das bemerkt man an den Kamerafahrten, die das Äußerste dessen darstellten, was damals möglich war und sogar angeblich zu Neuerungen führten, Murnau demnach als besonders innovativen Filmemacher ausweisen, was doch so schön mit seiner traditionellen Auffassung von der Lebe, der Tragik, der Liebe kontrastiert. Den romantischen Himmel kann man vielleicht nur mit CGI komplett erobern, wie sich mittlerweile erwiesen hat, aber Murnau war für die Verhältnisse der Zeit schon recht weit damit gekommen. Ob damals jemand, hätte es den Begriff schon gegeben, Murnaus dramatische Tricks, Kompositionen und Bewegungen als Mindfuck apostrophiert hätte? Sein vier Jahre zuvor entstandener Nosferatu war jedenfalls einer, die Menschen liefen panisch kreischend aus den Kinosälen. Während des Anschauens von Faust könnten sie buchstäblich das Gefühl gehabt haben, dass sie abheben und es keine sichere Geometrie der Dinge mehr gibt. Allerdings waren sie 1926 schon ein wenig eingenordet, nachdem über dem letzten Mann die Häuser sich geneigt haben, um ihn buchstäblich zu erschlagen oder erdrücken, wofür ein einfaches Herumstehen am Platz, ein Windstoß, ein paar fallende Ziegel wohl nicht ausgereicht hätten.
Der fliegende Teppich bzw. Mantel war aber keine absolute Neuheit mehr, mit weniger dämonischer, aber dafür unwiderstehlich romantischer Besatzung kam er schon in Douglas Fairbanks‘ „Der Dieb von Bagdad“ (1924) zum Einsatz. Es war alles dem Schauwert geschuldet und der orientalischen Verzauberung, während bei Murnau dieser große Einsatz doch einen Sinn gehabt haben sollte, der sich in der Handlung spiegelt. Wegen der wirklich teuren und gewiss für die Vermittlung des Stoffs nicht vollständig notwendigen Special Effects ist diese Korrespondenz zwischen Form und Inhalt bei „Faust“ nicht so leicht zu identifizieren wie bei den vorausgehenden Filmen. Besonders „Der letzte Mann“ ist eine Synthese von allem, die so ausgewogen wirkt, dass auch Jannings‘ wie immer sehr ausdrücklich-eindringliches Spiel darin nicht fremd wirkt. Ich glaube schon, dass Murnau sich, wenn er, siehe oben, für ein Projekt entflammt war, sich auch an immer neuen Möglichkeiten begeistern konnte.
Erik Romer schrieb: „in seinem Faustfilm hat Murnau, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, alle Mittel mobilisieren können, die meine totale Beherrschung des Raumes sicherten. Sämtliche Formen – die der Gesichter, der Körper der Gegenstände, der Landschaften und der Naturerscheinungen, Schnee, Licht, Feuer, Wolken – sind nach seiner Vorstellung aus der genauen Kenntnis ihrer Wirkungsweise heraus gestaltet und umgestaltet. Niemals sonst hat ein Film so wenig auf Zufall gesetzt.“[3] (…)
„Viele Tricks, die dazu notwendig waren (auch die hybridesten Vorstellungen eines im Innersten Maler seienden Regisseurs umzusetzen, TH) gab es aber damals noch gar nich“t, wie weiter geschrieben wird. (Quelle a. a. O.)
Der Architekt des Films, Robert Herlth, erinnert sich: „Faust ist neben Langs Metropolis das großes Special Effects Pionierwerk 20er Jahre, eines der wichtigsten Erfindungswerke der Filmgeschichte. Größte Schwierigkeiten bereitete es zu einer Zeit, da der Kamerakran noch nicht erfunden, geschweige denn zum Dolly perfektioniert war, die Kamera durch die Luft reisen zu lassen, über die im Atelier erbaute Modelllandschaft von 35 Metern Länge und 20 Metern Breite hinweg. Herlth erzählt, wie er und sein Kollege Walter Röhrig nach etlichen misslungenen Experimenten ihren Frust in einer Kneipe und Potsdamer Platz in Schwarzwälder Kirsch ertrinken, und dann die Erleuchtung zu finden: „Als wir, geschlagen und verzagt, nach zwei Stunden auf die Straße traten, statt mir wie gebannt auf ein ganz einfaches Phänomen: Das war ein Tieflader, von dem man ein Auto ablud. Wir sprachen kein Wort, sondern sahen uns nur verschmitzt, rannten zum Bahnhof zurück, um sofort den Schlossermeister in Babelsberg anzurufen und ihn baten, zu warten. Im Zug dann zeichnen wir den Aufnahmewagen mit niedriger Plattform und festen, schweren Rädern, so wie er im Prinzip heute noch ist. Der Rest war nur noch eine Sache der Geschicklichkeit (des Kameramanns, Anm. Brennicke/Hembus) Hoffmanns, und als wir dann mit Murnau in der Vorführung saßen, ließ er Sekt kommen und trank uns, kindisch vor Freude wie er war, auf die neue Ära, die er damit kommen sah. Kurz danach hat Hoffmann, nun kühn geworden, die doppelte Rückprojektion erfunden, primitiv auf dem Gelände erstellt, aus einer Mattglasscheibe und zwei Projektoren kombiniert. Das gleiche, was heute als „optische Bank“ prunkvoll und präzise in Stahl und Eisen die Trickräume schmückt.“[4]
„Für die Eröffnungssequenz im Himmel baute Herlth einen Dampfgenerator mit vielen Rohrausgängen, durch die dampfstrahlen gegen einen Wolkenhorizont geschleudert wurden, gegen die Dampfstrahlen wiederum wurde Licht aus ganzen Scheinwerferbatterien geschleudert. Das war das technische Setup für die Ästhetik vom faustischen Menschen, die im berühmten Helldunkel umschlossen liegt. In ihrer dämonischen Leinwand erinnert Lotte Eisner an Oswald Spengler, der das Nebelhafte, das Geheimnisvolle Hell-Dunkel, das kolossale und die grenzenlose Einsamkeit des Faust des faustischen Menschen veherrlichte – den Höhepunkt des hell dunkel sieht sie in der von Murnau visionär, von Herlth und Hoffmann technisch konzipierten Himmels-Ouvertüre des Faust erreicht: Der Auftakt dieses Films bedeutet den Höhepunkt, den die Verwendung des Helldunkel im deutschen Filmen erreicht hat; die chaotischen Dunstschwaden der ersten Einstellung, das Licht, das aus Nebeln geboren wird, die Strahlen, die hier eine Luft und durchdringen, diese brausende optische Fuge, die durch die Weite des Himmels zu hallen scheint – das alles benimmt uns den Atem. Die leuchtende Form eines fast die Sinne verwirrenden Erzengels stellt sich dem Dämon gegenüber, dessen Konturen obwohl sie wie aus Nacht geformt werden, ein grandioses Relief bekommen.“[5]
„Besonders ist die Eisner befriedigt davon, dass angesichts der hellroten der hell dunklen Himmels Majestät dem Darsteller des Dämonen kommen Emilian links, sogar die oft bei ihm erlebten naturalistischen Mädchen abhanden kamen.“
Finale
Nicht nur solche Filme sind grandios, wie über sie geschrieben wurde, kann durchaus mithalten, im Stil der jeweiligen Zeit, der 1920er, der 1950er in einem Stil, der noch vor dem Krieg geprägt wurde und zu Beginn der 1980er. Nun sind wir im Jahr 2023 angekommen und das bedingt unweigerlich mehr Distanz zu all diesen Texten, als sie zum Beispiel zwischen den kühnen Filmen der 1920er und den kühnen Beschreibungen liegen, die wir unbedingt hier zeigen wollten, weil sie dem Film selbst so schön ähnlich sind in ihrem Pathos. Freilich schon gebrochen bei Brennicke / Hembus, deren Goldmann-Softcover aus dem Jahr 1983 für uns immer noch eine große Fundquelle darstellt.
Selbstverständlich ließen sich viele Quellen auswerten, aber wir haben das Unsere ja schon im Wesentlichen geschrieben, auch, dass ich nicht so ganz überzeugt davon bin, dass man dem Jannings die naturalistischen Mätzchen ausgetrieben hat, außerdem ist eines leider unausweichlich: Angesichts des heutigen CGI-Irrsinns wirkt die Visualität von „Faust“ nicht mehr so mächtig wie auf die Zeitgenossen oder auf Menschen, die 30 Jahre später oder sogar in den 1970ern über den Film geschrieben haben. Das Pionierhafte muss also erst einmal wieder ins Gedächtnis gerufen werden, deshalb war mir daran gelegen, doch mehr als nur ein, zwei Sätze über das, was die Filmkenner damals so beeindruckte, hier wiederzugeben. Eine kindliche Freude am Machen lässt sich daraus übrigens gut herauslesen, deshalb sollte man vorsichtig sein, wenn man wirklich alles, was in diesem Film zu sehen ist, als total abgezirkelt und strikt konzeptionell ansehen möchte. Ich glaube, aus allem, was ich bisher über Murnau weiß, ermitteln zu können, dass er von den ganz Großen des damaligen deutschen Films der Intuitivste war, der nicht so berechnend filmte wie etwa Fritz Lang, wobei dessen Grenzen ja in den kolportagehaft erfühlten, nicht intellektuell ausgefeilten Drehbüchern seiner Frau Thea von Harbou lag. Ganz und gar die totale Kunst hat keiner dieser Filmer liefern können, die vollkommene Einheit von Form und Inhalt. Ist das überhaupt jemals gelungen?
Ja, vielleicht. Aber später im Film und wir wollen nicht so tun, als ob es seit den 1920ern keine Weiterentwicklung mehr gegeben hätte. Die Bewertungen sind also auch der Stellung dieser Filme in ihrer Zeit geschuldet, berücksichtigen aber gleichwohl, dass alle diese Werke noch inhaltliche Mängel und formale Grenzen aufwiesen, die es heute zumindest nicht mehr geben muss, angesichts von fast 100 Jahren weiterer Entwicklung des Kinos. Die Faszination ist gleichwohl ungebrochen. Und dass Murnau den Faust verfilmt hat, fühlt sich so richtig an, denn er war doch ganz offensichtlich selbst ein faustischer Mensch.
78/100
© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
[1] Faust – eine deutsche Volkssage – Wikipedia
[2] Bennicke, Hembus: Klassiker des deutschen Stummfilms, S. 133
[3] Murnaus Faustfilm, 1977, zitiert nach Brennicke / Hembus, Klassiker des deutschen Stummfilms, S. 131.
[4] Lotte H. Eisner, Murnau, 1967, u. a., zitiert nach Brennicke / Hembus, a. a. O.
[5] Lotte H. Eisner, Die dämonische Leinwand, 1955, zitiert nach Brennicke / Hembus, a. a. O.
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