Frontpage | Briefing 137 (hier zu 136) | Geopolitik, Russland-Ukraine-Krieg, Wirtschaft
Zum dritten Mal hintereinander widmen wir unser Briefing dem Ukrainekrieg, zuletzt haben wir uns mit den Sanktionen, zuvor mit der Sicherheitslage befasst. Wir konzentrieren uns dabei auch heute wieder auf Fakten, selbstverständlich kommentieren wir diese aber in kurzer Form. Es gibt neue Zahlen bezüglich der militärischen Unterstützung der Ukraine. Mit einigen erwarteten Ergebnissen, aber auch Überraschungen. Nicht enthalten sind hier die Kosten für humanitäre Hilfe. Diese spielen aber eine ganz wichtige Rolle, wenn es um die Gesamtbetrachtung geht.
Infografik: Militärhilfe: Die Top 10 Unterstützer der Ukraine | Statista
Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Bei einem Vergleich der militärischen Unterstützung der Ukraine nach Ländern liegt Deutschland mit rund vier Mrd. Euro an dritter Stelle. Das zeigt die Statista-Grafik auf Basis des Ukraine Support Trackers des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Die gezeigten Beträge beinhalten sowohl den Wert der gelieferten Waffen und Ausrüstungsgegenstände als auch die finanzielle Unterstützung für militärische Zwecke. Letztere können Finanzmittel sein, mit denen die Ukraine zukünftige Waffenkäufe tätigen kann. Allein nach dem Wert der gelieferten Waffen liegt Deutschland mit 1,7 Milliarden Euro an zweiter Position.
Die größte militärische Unterstützung bekommt die Ukraine aus den USA: Im Zeitraum vom 24. Januar bis zum 15. Januar 2023 flossen von dort 44 Milliarden Euro an finanziellen Hilfen für militärische Zwecke. Außerdem lieferten die USA der Ukraine Waffen im Wert von rund 5 Mrd. Euro.
Der Ukraine Support Tracker des IfW Kiel erfasst systematisch den Wert der Unterstützung, die Regierungen von 31 westlichen Ländern der Ukraine seit der russischen Invasion am 24. Februar 2022 zugesagt haben. Erfasst sind militärische, finanzielle und humanitäre Hilfen, die öffentlich bekannt sind. Die Datenbank soll die Diskussion über die Unterstützung der Ukraine mit Fakten unterfüttern.
Diese Fakten zu zeigen, ist eine gute Idee, wie so viele schöne Grafiken von Statista. Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, wer von was am meisten gibt, schauen Sie bitte hier: Ukraine Support Tracker | Kiel Institut (ifw-kiel.de). Das Erste, was Ihnen auffallen wird, wenn Sie vergleichen: Dass die Zahlen nicht ganz identisch sind, obwohl der Ukraine-Support-Tracker des IfW offenbar das Beste ist, was auf dem Gebiet aktuell recherchiert wird – ähnlich dem Sanktionstracker von Correctiv: Sanktionstracker – Alle Sanktionen gegen Russland im Live-Überblick (correctiv.org)
Wir wollen einige Überlegungen an Sie weitergeben, die durchaus kontrovers betrachtet werden können.
- Die USA helfen der Ukraine militärisch direkt (mit Waffen) und mit finanzieller Unterstützung weit mehr als jedes andere Land. Das gilt selbst dann, wenn man die Größe der Volkswirtschaften in den Vergleich einbezieht. Aber: Die USA profitieren weit mehr als jedes andere Land wirtschaftlich von diesem Krieg. In Sachen Rohstoffe liefern, in Sachen Waffen produzieren und überall hin verteilen, wo jetzt aufgerüstet wird, in Sachen geostrategische Abhängigkeiten neu definieren: Dieser Krieg läuft für die USA so gut wie für sonst niemanden, und deswegen sollte man vorsichtig sein mit Narrativen wie Demokratieverteidigung als Hauptmotiv für den Einsatz zugunsten der Ukraine. Es ist, wenn nicht alles, so doch sehr vieles Ökonomie und Geostrategie. Die Ukraine und Russland wollen nicht verhandeln, das ist klar. Sie könnten diese jeweils maximal sture Position aber nicht einnehmen, wenn nicht auf der einen Seite die USA und auf der anderen Seite China dahinter stünden und jeweils geopolitische Vorteile aus der Lage für sich selbst sehen würden. Solange die USA nicht selbst mehr geschädigt werden, als sie einzahlen, werden sie deshalb kein rasches Ende des Ukrainekriegs favorisieren. Eine solche Lage ist aber gar nicht abzusehen. Je länger der Krieg dauert, desto mehr profitieren die Vereinigten Staaten von Amerika, und das in vieler Hinsicht. Und wenn man genau hinschaut, sanktionieren sie Russland nur dort, wo es der eigenen Wirtschaft nicht sehr wehtut. In Sachen Rohstoffe und Produkte für die Atomindustrie, ausgerechnet an diesem neuralgischen Punkt, gibt es zum Beispiel wichtige Ausnahmen.
- Komplett anders ist die Lage in Deutschland. Die Wirtschaft leidet unter den Sanktionen, die Leistungen für Geflüchtete sind so hoch wie in keinem anderen westlichen Land, die Waffenlieferungen helfen zwar auch der hiesigen Rüstungsindustrie, aber sie gleichen bei Weitem nicht die übrigen Schäden, zum Beispiel durch höhere Energiepreise oder den Wegfall günstiger russischer Rohstoffe im Allgemeinen aus – und schon gar nicht die Kaufkraftverluste, die die Bevölkerung durch den Ukrainekrieg erleidet. Deswegen tut Deutschland proportional zu seinen Möglichkeiten und zu den Auswirkungen des Krieges mehr als jedes andere Land und wir sollten uns nicht ständig zu noch mehr drängen lassen. Es ist schon ein großes Zugeständnis vonseiten des Kanzlers, dass er im Fahrwasser der USA die Waffenhilfe und die Sanktionen weiter ausdehnt. Ein Zugständnis, das auch die Abhängigkeit Deutschland symbolisiert.
- Ganz anders wiederum Frankreich: Als Wortführer und Scheingroßmacht immer vorneweg, aber die realen Hilfen für die Ukraine sind eher bescheiden. Wird die französische Politik deswegen so angegangen wie die deutsche, von gewissen ukrainischen Ex-Botschaftern und anderen, auch von Kriegstreiberin im eigenen Land, weil sie nie genug tut? Wir haben bisher nicht den Eindruck.
Wir stellen uns nicht gegen die Hilfe für die Ukraine, aber da stimmt einiges bei der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit nicht. Deutschland tut seinen Teil. Seriös und gewissenhaft, wie man daran sieht, dass die deutschen Hilfen wirklich ausgezahlt werden. Auch da sind andere Länder nicht ganz so schnell. Humanitär helfen übrigens auch einige Länder, die sich nicht an der Waffenhilfe und -finanzierung beteiligen, in Südamerika beispielsweise, auch China ist dabei. Alles in bescheidenem Maße, die EU-Länder und die USA sind diejenigen, die der Ukraine tatsächlich beistehen. Aber wenn man auf die Motive schaut, handelt Deutschland dabei weitaus altruistischer als die USA. Die Zeiten, in denen man sich jenseits des Atlantiks auf militärische Abenteuer einließ, die viel mehr kosteten, als sie einbrachten, zuletzt in Afghanistan, dürften in den Vereinigten Staaten Geschichte sein.
Die USA würden sich aktuell nicht so stark engagieren, wenn sich der Ukrainekrieg nicht mit der America-First-Ideologie verbinden ließe, die sich unter Joe Biden zwar rhetorisch sanfter darstellt als unter seinem wüsten Vorgänger, die aber mit Unsummen gefördert wird und stark protektionistische Züge trägt. Ein zusätzlicher Bonus sind die geostrategischen Vorteile für die USA. Man kann es von der Gewichtung auch umgekehrt sehen, aber es sind die beiden Säulen, auf denen die Hilfe der USA steht. Wenn Joe Biden also in der Ukraine auftaucht und durch die Länder der NATO-Ostflanke tourt, dann geht es nicht in erster Linie um Tätscheln und Schulterklopfen, sondern um ureigene Interessen.
Ein Präsident, der das anders sehen würde, wäre ein miserabler Wahlkämpfer, nicht jemand, der die Angriffe von Donald Trump überstanden und ihn besiegt hat. Joe Biden hat derzeit vor allem im Sinn, seine Wiederwahl zu sichern und auch die Wähler zuhause zu überzeugen, die nicht so geostrategisch denken, sondern „America first“ als niedrigen Preis an den Zapfsäulen begreifen. Unter den Supportern der Republikaner gibt es viele, die deshalb gar nicht so gut auf die massive Hilfe für die Ukraine zu sprechen sind. Unter den Politikern, die Biden in die Rente schicken wollen, sind viele, die den Eindruck fördern, die USA hätten nichts als Ärger mit diesem Engagement und sollten sich raushalten. Diese Sichtweise ist ebenso falsch oder deren Propagierung manipulativ, wie die Demokraten schon seit längerer Zeit außenpolitisch offensiver sind als die Republikaner.
Wenn man es richtig betrachtet, ist es so, dass die USA in die Ukraine investieren und es zahlt sich direkt aus. Für Deutschland besteht die Gefahr, dass man am Ende auch noch dafür gebasht wird, dass man nicht schnell genug Waffen geliefert und nicht noch mehr an Hilfen gezahlt hat und die Wirtschaft hat Schaden genommen und die Mehrheit der Bevölkerung ist ärmer geworden. Selbst, wenn die Ukraine gut aus diesem Krieg herauskommt, wird es diese Stimmen geben. Es hätte ja alles noch besser laufen können, hätte Deutschland mehr getan. Umso wichtiger ist es, bei der Größenordnung der US-Hilfe zu berücksichtigen, dass die Geber vor allem sich selbst helfen, auch wenn die Ukraine vorerst die Schulden, die sie beim Waffenerwerb macht, nicht wird zurückzahlen können. Selbst dann, wenn die Ukraine verkleinert, gerupft, ökonomisch noch schlechter, als sie zuvor schon dran war, in den Frieden gehen wird: Die USA haben auf jeden Fall gewonnen. Durch die Verschiebung weltweiter Geschäftsbeziehungen in ihre Richtung und durch die Riesenaufträge für die größte Exportindustrie des Landes im Zuge der Aufrüstung in vielen Ländern. Und diese größte Exportbranche, das sind die Waffenschmieden.
Einige Nationen nutzen die gegenwärtige Lage massiv aus, aber zu verantworten hat sie Wladimir Putin und das Symbol dafür sind die kaputten Gasleitungen Nord Stream 1 und 2. Sie stehen sinnbildlich für die zerstörten Chancen auf politischen Ausgleich und wirtschaftlichen Austausch zum Vorteil aller Europäer. Selbst, wenn man dem Narrativ folgt, dass der Westen Russlands Interessen nicht berücksichtigt hat: Jetzt hat Putin selbst sie noch mehr beschädigt, indem er die Geduld verloren hat und einen Angriffskrieg führt, der einigen großen Mächten sehr nützt, ihm selbst und den Menschen in Russland aber ganz sicher nicht.
TH