Odins Rache – Tatort 569 #Crimetime 1143 #Tatort #Köln #Ballauf #Schenk #WDR #Odin #Rache

Crimetime 1143 – Titelfoto © WDR, Thekla Ehling

Ballauf lebt und Freddy trägt ne Bomberjacke

Odins Rache ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort. Es ist der 28. Fall des Ermittler-Teams Max Ballauf und Freddy Schenk und die 569. Tatortfolge. Der vom Westdeutschen Rundfunk und Colonia Media produzierte Beitrag wurde am 11. Juli 2004 auf Das Erste zum ersten Mal gesendet.

 Nach zwei Morden an Neonazi-Skindheads versuchen Max Ballauf und Freddy Schenk das Milieu kennenzulernen und auch Opfer von rechtsextremen Gewalttaten, was zunächst dazu führt, dass Max zusammengeschlagen wird und für den Rest des Films mit einem schicken Ninja-Stirnband herumlaufen darf und als nächstes kommt es dazu, dass wir Barbara Rudnik als Verfassungsschützerin und Führungsoffizierin eines V-Mannes in der rechten Szene kennenlernen, der Olaf oder Odin heißt.

Ein wichtiger Fauxpas in dem Film ist uns gar nicht aufgefallen, den haben wir später erst nachgelesen, weil wir mittendrin eingeschlafen waren und am nächsten Tag fertiggeguckt haben. Zumindest ist das eine plausible Erklärung. Es war aber nicht daran, dass der Tatort so langsweilig war. Eher im Gegenteil. Wenn wir eh schon müde sind, denken wir manchmal, ach, ein Kölner geht noch, wem werden denn bei Max und Freddy die Augen zufallen. Es stimmt nicht immer, wie wir jetzt wissen. Außerdem war der erste Teil bis etwa zur Mitte der bei weitem rasantere und spannendere.  Mehr dazu in der –> Rezension, in der Hoffnung, dass Sie wachbleiben, liebe:r Leser.in.

Handlung (1)

Ein Unbekannter macht Jagd auf Skinheads. Er erschießt sie, ohne verwertbare Spuren zu hinterlassen. Ballauf und Schenk müssen sich unter den Hinterbliebenen umhören, stoßen auf verbitterte Eltern und suchen Hilfe beim Verfassungsschutz.

Doch die Beamtin redet nicht, dafür aber der Polizeispitzel, den der Verfassungsschutz in die Szene eingeschleust hat. Er redet viel, vielleicht zu viel – und liefert sehr schlüssige Hinweise: Alle Opfer waren vor einigen Jahren an einem Anschlag auf ein türkisches Lokal beteiligt.

Rächen sich die Opfer von früher? Oder sollen die Polizisten auf die falsche Spur geschickt werden? Als klar wird, dass alle ihr eigenes Spiel spielen, müssen sich Ballauf und Schenk an die Beamtin „dranhängen“. Das ist nicht nur gefährlich, sondern auch gegen jede Polizeivorschrift – aber am Ende erfolgreich.

Rezension

Leider müssen wir schon wieder das Drehbuch angreifen. Es ist zum Haare raufen. Das Thema kann man immer bringen, weil es immer aktuell bleibt, daran liegt’s nicht. Auch, dass die rechte Szene offenbar mangels Geld für hinreichend Statisten nicht so recht durchleuchtet wird; die Parteiversammlung hätte uns beispielsweise interessiert. Vielleicht sogar mit Gegendemo. Wir hätten gerne gesehen, wie der fiese Anwalt Helmut Hartmann den intellektuellen Brandstifter macht. Oder wie die Kameradschaftsstrukturen tatsächlich aussehen, die bis in die JVA reichen, von wo aus der eine oder andere Befehl zu rechter Gewalt-Action ergeht.

 Außerdem werden die Nazis mit Programm-Schlagworten wie Globalisierungsgegnerschaft und Euro-Gegnerschaft verortet. Das ist gerade aus heutiger Sicht kritisch, denn auf diesen beiden Feldern sind mittlerweile Menschen aus ganz anderen politischen Richtungen mehr als skeptisch, und zu denen zählen wir uns auch. Allerdings: 2004 konnte man sich diese Diffusion von Zielen und Ideologiebausteinen wohl noch leisten. Aber dieser lässige Umgang mit dem, was Neonazis ausmacht, deutet auch auf das Hauptproblem des Films hin:

Dass der Plot richtiggehend gehunzt ist und auf der Skala der unglaubwürdigen Tatorthandlungen selbst nach 300 Rezensionen (Stand 2014, inklusive der im „ersten“ Wahlberliner unter der Rubrik „Tatortanthologie“ veröffentlichten Beiträge, noch ziemlich weit vorne steht. Einen entscheidenden Hinweis auf die Unglaubwürdigkeit der Morde selbst haben wir, wie geschrieben, nicht selbst entdeckt: Achtung, ab hier Spoiler.

Der V-Mann Olaf konnte also in aller Ruhe zwei Nazis ermorden, die ihn enttarnt hatten, ohne dass zwischenzeitlich die Info darüber an den bösen Hartmann, den Chef des Ganzen, gegangen wäre? Nimmt man sogar noch an, dass der erste Mord so blitzschnell ausgeführt wurde (was angesichts der elaborierten Begehungsweise inklusive vorherigem Einschießen eines geschmuggelten Präzisionsgewehrs kaum denkbar ist), dass das Opfer keine Zeit mehr hatte, seine Infos weiterzugeben, so gilt dies keinesfalls für das zweite Opfer, das gerade wegen des Todes des Kameraden umgehend hätte handeln bzw. die Kenntnis der Identität von Odin als V-Mann Olaf hätte weitergeben müssen. Wenn man dieses Szenario also für einen Kardinalfehler nimmt, fällt auch das Motiv, das man Olaf am Ende noch schnell hinterhergeschmissen hat, damit er nicht mit  zwei Morden im Gepäck und einem netten Toupet nach Mexiko abhauen konnte.

Von den Morden hat Frau Meier-Brinkmann, die Verfassungsschützerin, natürlich nichts gewusst, im Jahr 2004 gab es noch gutgläubige Menschen bei den Geheimdiensten. Höchst unwahrscheinlich, dieses Szenario auch wieder, aber nicht so komplett unlogisch wie der zuvor geschilderte Aspekt. Wie am Ende der Himbeergeschmack für eine schnelle Auflösung sorgt und ein kölscher Ex-Punk die trotz Überwachung einer Geheimdienstlerin nicht vorankommenden Freddy und Max zum Ort der Schießübungen führen muss, das ist eben gehunzt. Weil es dermaßen aus dem Timing geschrieben ist, dass man so richtig merkt, zuvor ist der Plot zu sehr verlangsamt worden, um noch eine ordentliche Auflösung zu ermöglichen. Die Proportionen der Handlungsteile stimmen ebensowenig wie die Hintergründe. Für Ersteres zumindest muss sich allerdings auch die Regie in Regress nehmen lassen, die , wir haben’s gerade gelesen, aber von derselben Person stammt wie das Buch. Da zeigt sich wieder einmal, dass zwei künstlerische Instanzen fürs Normalfernsehen besser sind als eine. Es kann auch umgekehrt laufen, aber Vorteile bringt dies nur bei jemandem, der ein ausgeprägtes Gefühl fürs Gesamtkonzept und eine starke künstlerische Persönlichkeit hat. Beim Tatort 569 ist zu bemerken, dass er sogar konventioneller inszeniert ist als viele andere Köln-Fälle.

Gut hingegen ist das Casting. Toll, dass die beiden türkischen Geschwister einander tatsächlich einmal ähnlich sehen, sowas hat man selten. Rudnik als seriöse Verfassungsschützerin wirkt präsent, auch die anderen Rollen sind gut besetzt. Eine Sonderanmerkung zur Figur „Astrid“. Diese fällt komplett aus dem Rahmen, weil sie im Vergleich zu den übrigen Nebenrollen so überzeichnet ist – ihr fehlt die Einordnung in ein freakiges Szenario und ein Hintergrund. Es wird Interesse für Astrid geweckt, aber nicht befriedigt.

Der Keller in der Zelle hingegen wird zunächst als Monster eingeführt, wirkt dann aber vor allem unterbelichtet, was  seinem Aufenthaltsort irgendwie entspricht, ihn als Leader einer Nazigang aber trotzdem zweifelhaft wirken lässt. Man macht oft den Fehler, diese Leute zu  unterschätzen, vor allem den erheblichen Unterschied zwischen Anführern und Gefolgschaft, was die geistige Durchdringung angeht.

An Max Ballauf und Freddy Schenk sind wir ja immer interessiert und beide machen auf unterschiedliche Weise von sich reden. Es gibt dieses Mal kaum Geplänkel, und wenn, dann ist es flach. Max zu Freddy: „Du findest die Meier-Brinkmann ja nur deshalb nicht attraktiv, weil du an Frauen wie sie nicht herankommst“. Autsch.  Das tut weh und ist so diskriminierend, überhaupt nicht Max‘ sonstige Art, sich auf diese Weise auf die bessere Position setzen, die er bei Frauen zweifelsohne hat. Vielleicht liegt’s daran, dass er eine unerkannte Gehirnerschütterung davongetragen hat, als er von der Nazigang zusammengehauen wurde.

Dass er kurz darauf wieder ermittelt, als sei nix gewesen, weshalb man zur Erinnerung diesen Kopfverband an ihm installieren musste, ist lächerlich, wenn er selbst gegenüber Nazis sagt, er sei halb totgeschlagen worden. Auch dieser Dialogsatz ist schon übel: So etwas sagt jemand niemals über sich selbst in einer solchen Situation, vor allem, wenn man dasteht, als habe man sich höchstens den Kopf an der Tür eines Küchen-Oberschranks angeschlagen – wenn schon so ein Satz, dann von anderen, wie Freddy, der damit auch den Schock nach der Tat reflektiert und seine Sorge in diesem Moment. Vor allem, wo Max Ballauf ja lebt! Soll heißen, er schwebte in Lebensgefahr, nach den Tritten mit Springerstiefeln. Jeder darf sich jetzt selbst ausmalen, wie es dann wirkt, dass er sich einen oder so später wieder ins Büro sitzt und nicht mal  Kopfweh hat.

Gelungen hingegen Freddys Auftritt mit Bomberjacke. Kann man sich bei ihm vorstellen, dass ängstliche Menschen wirklich die Straßenseite wechseln, wenn sie ihn so daherkommen sehen. Wie wichtig das Outfit für die Wahrnehmung einer Person ist, sehen wir hier einmal wieder. Würde man gewissen Leuten, und nicht nur Neonazis, ihre statuserzeugenden Hüllen nehmen, stünden sie ganz schön lächerlich da.

Stellenweise hat der Film durchaus Witz und Ironie, aber sie folgt keinem Konzept und geht ein wenig unter in den Maschen einer zwar nicht maximal komplizierten, aber mit zu heißer Nadel gestrickten Handlung.  

Finale

Beim Tatort-Fundus gilt „Odins Rache“ (der Titel ist übrigens auch schon eine Verarsche des Publikums, denn es geht hier nicht um einen Rachefeldzug, sondern darum, nicht enttarnt zu werden) als ziemlich genau durchschnittlicher Kölner Tatort. Trotz guter Schauspieler, die überwiegend vernünftig, wenn auch bis auf Astrid nicht sehr auffällig inszeniert werden, kommen wir aber nicht auf eine durchschnittliche Wertung. Schon zu Beginn hatten wir ein seltsames Gefühl, als das Zielfernrohr auf die Glatzen gerichtet war. So etwas riecht schon nach mangelnder Authentizität – nachdem wir denn eine spannende Dreiviertelstunde erlebt hatten, bestätigte sich dieser Anfangsverdacht leider.

Bei manch anderem Team, das nicht auch bei uns einen hohen Sympathiewert genießt, hätten wir vermutlich noch etwas weniger gegeben, aber 6,5/10 sind das Äußerste, was wir bei aller gegenüber Max und Freddy positiv ausgerichteten Subjektivität verantworten können.

6,5/10

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung im Jahr 2023: Bei den Rezensionen, die wir noch nicht gezeigt haben, obwohl sie schon älter sind, fällt uns langsam auf, dass wir dabei oft keine sehr hohen Wertungen vergeben haben. Durchaus möglich, dass wir sie damals quasi auf Wiedervorlage gestellt haben, wegen der Sympathie für ein Team wie die Kölner Ballauf und Schenk; diese Zurückhaltung beim Publizieren von Kritik betrifft aber nicht nur sie. Es hilt jedoch nichts, wir haben uns entschlossen, bevor wir wieder aktuelle Tatorte anhand der Premierenvorführung rezensieren, den noch nicht publizierten Bestand an älteren Beiträgen abzubauen. Wichtig für diejenigen, die uns seltener lesen: 6,5/10 sind unterdurchschnittlich, weil wir unser Schema für Tatorte in der Regel nicht voll nach unten ausschöpfen, sondern erst bei ca. 4 bis 5/10 einsetzen. Die Idee dahinter ist, dass Tatorte in aller Regel kein Schrott sind. Die Punktvergabe berücksichtigt also alle Fernsehformate, nicht nur dieses, deshalb brauchen wir noch etwas Raum nach unten.

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

(1) Inhaltsangabe der ARD
Kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Hannes Stöhr
Drehbuch Hannes Stöhr
Produktion Anke Scheib
Musik Florian Appl
Kamera Andreas Doub
Schnitt Anne Fabini
Premiere 11. Juli 2004 auf Das Erste
Besetzung

 

 


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