Das OECD-Gehaltsranking: Die Schweiz! | Timeline A | Wirtschaft

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 Wir bestreiten den Tag wieder mit einem kleinen Info-Artikel, der auf einfacher Ebene etwas darüber erzählt, wie viel Gehalt Menschen in einigen reicheren Ländern durchschnittlich auf dem Lohnzettel stehen haben und wie viel sie davon wirklich „nach Hause bringen“, also netto ausgezahlt bekommen. Die Schweiz! Ein Paradies?

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz  erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Im Jahr 2021 hat ein kinderloser Single in der Schweiz bei einem Bruttoverdienst von etwa 87.500 Euro rund 72.000 Euro netto verdient. Das zeigen von der OECD erhobene Daten zur derzeitigen Arbeitsmarktsituation in den Mitgliedsländern, die durch Statista von der jeweiligen Landeswährung in Euro umgerechnet wurden. Wie unsere Grafik zeigt, geht die Brutto-Netto-Schere in Belgien, Deutschland und Dänemark besonders weit auseinander.

In Belgien erhalten Vollzeitangestellte im Schnitt nur 60 Prozent ihres Bruttogehalts ausgezahlt, in Deutschland sind es 62 Prozent und in Dänemark rund 65 Prozent. Entsprechend lässt sich auch die Stellung der Schweiz in diesem Ranking erklären: Hier betrugen die Abgaben laut OECD durchschnittlich nur etwa 18 Prozent des Brutto-Gehalts.

Die Besteuerung des Einkommens ist eine wichtige Finanzierungsgrundlage für den Staatshaushalt, aber auch hier herrschen zwischen den Ländern deutliche Unterschiede. Daten der OECD zufolge hat die Einkommenssteuer in Dänemark, den Vereinigten Staaten und Island beispielsweise Anteile von circa 52, respektive 42 und 41 Prozent des Gesamtsteueraufkommens. Ersteres Land ist auch maßgeblich von dieser Steuerart abhängig, beträgt der Anteil der Einkommenssteuer am Bruttoinlandsprodukt doch knapp 25 Prozent.

Die Stellung der Schweiz ist aber auch beim Bruttogehalt unangefochten. Nicht erwähnt werden die hohen Lebenshaltungskosten, in denen sich die herausragende Einkommenssituation der Schweizer:innen abbildet. Nicht differenziert: Viele „Steuerflucht“-Schweizer:innen mit exorbitanten Einkommen treiben die Zahlen nach oben. Darunter sind auch expatriierte oder doppelstaatliche Deutsche, die weiterhin hierzulande als Promis, Sportler und Unternehmer:innen aller Art nur den Rahm in Form von Umsatz und Gewinn abschöpfen und in der Schweiz mit ihren niedrigen Steuersätzen residieren.

Die Schweiz hat außerdem relativ geringe Infrastrukturkosten, die sich mit den vielen sehr Wohlhabenden im Land locker bestreiten lassen, sodass die Schweiz als Staat auch bei den Staatsschulden zu den entspannten Ländern zählt (27 Prozent eines jährlichen BIP). Deutschland kommt auf 68 Prozent exklusive der berüchtigten Schatten-Schuldenberge („Sondervermögen“), die in letzter Zeit erheblich zugenommen haben bzw. noch zunehmen werden, wie das „Sondervermögen Bundeswehr“, das allein 100 Milliarden Euro betragen soll (zu wenig, sagt der Rüstungskomplex).

Damit zählt Deutschland in der EU noch zu den besten unter den größeren Staaten. Der Preis dafür: eine immer schlechtere, teilweise gefährlich marode Infastruktur, auch im Bildungs- und Forschungsbereich. Die Schweiz hingegen? Bei diesen Themen inklusive der Gesamtaufstellung in Sachen Innovation und Nachhaltigkeit spitze, und das fast ohne Staatsverschuldung. Aber Deutschland macht sich seine Probleme selbst und deswegen kann man sich nicht ausschließlich darauf berufen, dass Staaten wie die Schweiz davon leben, andere auszunehmen, indem sie die Reichen anlocken wie der Honig die Fliegen und sich um den Rest der Welt wenig scheren.

Einen Steuerwettlauf kann Deutschland angesichts seiner hohen Sozialausgaben ohnehin nicht gewinnen, ohne die Menschen hier verhungern zu lassen, die durch staatliche Politik marginalisiert und durch die immer schlechteren Bildungschancen der Ärmeren im Stich gelassen wurden.

In der EU sinken die Unternehmenssteuern seit vielen Jahren und immer wieder sind andere Staaten ganz vorne, wenn es um weitere Absenkungen geht. In den 2000ern wurde Deutschland dafür kritisiert, dass es diesen Wettlauf verschärfte, gegenwärtig werden in Frankreich die Unternehmenssteuern gesenkt. Ein neoliberales Danaer-Geschenk von Präsident Macron, das nur die Reichen noch reicher macht. Nicht umsonst ist, was vor einigen Jahren kaum vorstellbar war, ein Franzose (Bernard Arnault) der reichste Mensch der Welt (als Einzelperson, das Vermögen von [Groß-] Familien und abstrus reichen arabischen Herrscherhäusern [mit prall gefüllten Konten auch in der Schweiz]  bleibt bei der Betrachtung außen vor).

In den meisten Ländern steigt wegen dieser Entwicklungen auch der Gini-Index, der die Vermögensungleichheit misst. Nicht so in der Schweiz. Die Schweiz wird durch die niedrigen Steuern sogar ein Stück weit egalitärer. Zählte sie zu Beginn der 2000er mit einem Vermögens-Gini um 80 noch zu den „Ungleichländern“, ist sie jetzt mit 70 im Mittelfeld gelandet. Das stärkt die Demokratie, aber auch die Selbstgefälligkeit und die Tendenz, sich abzuschotten, weil man damit, dass man sich nur das fürs eigene Wohlergeben Beste aus aller Welt zusammensucht, so gut fährt. Überrascht es da noch, dass das Durchschnittsvermögen einer Person in der Schweiz ebenfalls das höchste weltweit ist?

Korrektur am 05.03.2023, 14:21 Uhr: Nach anderer Darstellung sind viele Schweizer doch eher nicht dadurch privilegiert, dass das Land die Reichen anlockt, der Vermögens-Gini lag 2021 bei 78,1 (Deutschland 78,8, bei viel niedrigerem Gesamtniveau). Damit zählt die Schweiz (weiterhin) zu den Ländern mit hoher Ungleichheit. Allerdings steigt sie nicht, wie in Deutschland und immer noch in den USA, immer weiter an.

Ergänzung am 05.03.2023, 14:38 Uhr: Hinweis auf die Tatsache, dass hier die Verhältnisse von 2021 wiedergegeben werden. Die jüngsten Krisen dürften die  realen Unterschiede in der Kraufkraft verstärkt und die Position Deutschlands weiter verschlechtert haben, denn in anderen wichtigen Ökonomien gingen die Reallöhne zuletzt zwar meist ebenfalls zurück, aber bei Weitem nicht in dem Ausmaß wie hierzulande.

Größere Staaten können das nicht in dieser, man kann schon sagen, radikalen Form, weil sie mehr politische Verantwortung in vielen Zusammenhängen tragen. Der Wiederaufstieg der USA als Industrieland beispielsweise, der aktuell forciert wird, ist nur um den Preis einer gigantischen Staatsverschuldung zu haben. Außer in der Schweiz steigen fast überall die Staatsschulden weiter und in vielen Ländern geht man wohl längst davon aus, dass es zu einem Crash kommen wird, weil das alles sowieso nicht mehr zurückgezahlt werden kann.  Zumal nicht in den Zeiten höherer Zinsen, die aktuell von den Zentralbanken wegen der ansteigenden Inflation eingerichtet wurden.

Auch hier hat die Schweiz kaum Handlungsbedarf: Zwar hat man die Minuszinsen von 0,75 Prozent, die im Schatten der spektakulär offensiven Kapitalflutungspolitik der EZB bei uns kaum wahrgenommen wurden, auf sagenhafte +0,5 Prozent korrigiert (Leitzins der SNB), aber damit lockt man natürlich weiteres Kapital an, weil das viel weniger ist als bei allen anderen wichtigen Zentralbanken.

Ganz raushalten kann sich auch die Schweiz nicht aus dem Weltgeschehen, aber eine aktuelle Inflationsrate um 3 Prozent, davon können die Menschen woanders nur träumen. Besonders in Deutschland, wo die Politik gar nicht mehr weiß, welches selbstgemachte Problem sie zuerst lösen soll. Eine Mischung aus merkelscher Verschleppungstaktik und Selbstüberschätzung bei neuen Konflikten sorgt für einen rasanten  ökonomisch-sozialen Abstieg, dessen Korrektur, falls sie unter der Ägide einer erst einmal zu errichtenden strategischen Wirtschaftspolitik überhaupt stattfindet, viele Jahre brauchen wird.

Solidarität von Ländern, deren Geschäftsmodell darauf basiert, von der Schwäche anderer zu profitieren, darf man nicht erwarten, aber man sollte weiterhin auf mehr Transparenz und Zusammenarbeit dringen. Dies in einer Form, dass wirklich etwas passiert, nicht nur mit etwas Spiegelfechterei wie der Lockerung des Bankgeheimnisses.

Das wäre vielleicht sogar im Interesse der Schweiz. Falls der nächste Finanzcrash kommt, ist nicht sicher, ob hohe Edelmetallreserven, eingelagerte Assets aller Art oder eine einzelne starke Währung wie der Schweizer Franken, um da mehr oder weniger als einziges Land mit mehr als einer Million Einwohnern gut herauszukommen. Vermögenswerte werden in erster Linie aus dem Vertrauen generiert, dass das Wachstum immer weitergeht – langfristig betrachtet. Das gilt sogar für das Produktivkapital. Wenn dem System nicht mehr vertraut wird, wird es kein Land geben, das sich den Folgen entziehen kann. Gerade dann ist dies relevant, wenn ein Land wie kaum ein anderes auf dieses Vertrauen in Form seiner Existenzberechtigung setzt.

TH

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