Berlin: Mehr möblierte als unmöblierte Wohn-Angebote = weiterer Extrem-Preistreiber +++ Wohnungsnot wächst schneller +++ wann kommen endlich Regulierungen? +++ Sozialstaat ist Verfassungsrecht ist Recht auf Wohnen | #Housing 5 #Wohnreport | #MöbliertesWohnen #Neubau #Bedarf #Marktverzerrung #Wohnfläche #Mietenwahnsinn

Frontpage | Housing Wohnreport 5 | Möbliertes Wohnen als Masche zum Preise nach oben treiben, weiterhin zu wenige bedarfsgerechte Wohnungen in Berlin

Die Immobilienwirtschaft hat einen weiteren Trick entdeckt, mit dem sich die Preise ungeniert in die Höhe treiben lassen: Das möblierte Wohnen. In den letzten Jahren stieg der Anteil an möblierten Wohnungen am Angebot besonders in Berlin extrem stark an – und damit auch die Angebotspreise.

Im vierten Quartal 2022 wurden in Berlin mehr möblierte als unmöblierte Mietwohnungen angeboten. Das hat eine Auswertung ergeben, die Immoscout24 anhand der bei diesem Portal annoncierten Inserate durchgeführt hat. Berlin ist laut Immoscout24 die einzige Stadt in Deutschland, in der mehr möblierte als unmöblierte Wohnungen angeboten werden. Deutschlandweit hat der Anteil möblierter Wohnungen laut dem Portal seit 2018 von acht auf 13 Prozent zugenommen. In Berlin ist der Anteil möblierter Wohnungen von 13 Prozent im vierten Quartal 2018 auf 51 Prozent im vierten Quartal 2022 angestiegen.

Berliner Inserate auf Immoscout24: Erstmals mehr möblierte als unmöblierte Wohnungen (tagesspiegel.de)

Wir haben das nicht so mitbekommen, weil wir in den letzten Jahren nicht mehr nach einer Wohnung gesucht haben und die Extrempreise, die von der Mieterbewegung als Beispiele für Mietenwucher benannt wurden, sich fast alle auf unmöblierte, überwiegend kleinere Wohnungen bezogen – Stand 2019. Seitdem hat sich aber viel verändert, wie die obige Darstellung belegt.

Der Grund für diese eklatante Verschiebung der Angebote hin zum möblierten Wohnen wird im Folgenden ebenfalls benannt: Die betreffenden Wohnungen unterliegen nicht der Mietpreisbremse und seien für viele nicht bezahlbar, führt die Geschäftsführerin von Immoscout 24 aus.

Der Untersuchung zufolge sind die Angebotsmieten deutschlandweit für möblierte Wohnungen seit 2018 von 15,50 Euro pro Quadratmeter auf 22,50 Euro und damit um die Hälfte gestiegen. Für unmöblierte Wohnungen im gleichen Zeitraum beobachtete das Portal lediglich einen Anstieg von 7,41 Euro auf 9,32 Euro. Auf Berlin bezogen stellte Immoscout24 bei möblierten Angeboten eine Preisentwicklung von plus 80 Prozent auf 32,28 pro Quadratmeter fest. (Quelle wie oben)

Die Wohnungsnot macht’s möglich. Der Zuzug nach Berlin ist aufgrund besonderer Umstände derzeit wieder sehr stark und der Neubau im bezahlbaren Preissegment kann nicht mithalten. Das konnte er schon nicht, als sich die Lage in den Jahren ab 2018 etwas beruhigte, weil die Zahl der Berliner:innen nicht mehr so stark anwuchs. Es ist klar, dass bei diesen gigantischen Unterschieden zwischen unmöbliert und möbliert lohnt, Wohnungen mit ein paar billigen Möbeln vollzustellen und sie dann zu Mondpreisen anzubieten. Damit verstopft das möblierte Wohnen aber den Gesamtmarkt noch mehr, als es schon die Exzesse mit Ferienwohnungen, AirBnB etc. in den Vorjahren getan hatten.

Fazit: Wo die Preis- und Renditetreiber ein Schlupfloch finden, nutzen sie es gnadenlos. Es gibt keine freiwilligen Selbstbeschränkungen, also muss der Gesetzgeber wieder handeln und endlich die Preise für möblierte Wohnungen deckeln. Wir fragen uns ohnehin, wer diese Preise bezahlen kann – aber da vor allem kleine Wohnungen möbliert werden, dürfte das Micro-Housing stark zugenommen haben. Freiwillig ist also nur die Selbstbegrenzung auf Appartement-Schachteln von 20 bis 30 Quadratmeter, weil bei den aktuellen Preisen für Normalverdiener:innen mehr nicht mehr drin ist. Wir sind uns beinahe sicher, dass eine Recherche der aktuellen Quadratmeterzahl, die ein Mensch in Berlin durchschnittlich zum Wohnen zur Verfügung hat, ein weiterer Rückgang zu verzeichnen ist – und damit ein Rückgang an Lebensqualität. Berlin ist schon seit längerer Zeit das einzige Bundesland, in dem zwischenzeitlich eine solche Entwicklung zu verzeichnen war.

Die folgende Grafik zeigt auch, dass in Berlin der Gap zwischen Bevölkerungsentwicklung und Wohnungsneubau am größten ist. Auf eine neue Wohnung in Berlin kamen in den Jahren 2011 bis 2021 drei Personen, die die Bevölkerung wachsen ließen.

Zahlenquelle: Statistisches Bundesamt, Grafik: Umweltbundesamt

Vor allem in den drei B-Staaten, die am oberen Rand der Grafik aufgeführt sind, hat die Bevölkerung stärker zugenommen als die Zahl der Wohnungen, doch nur Berlin sticht mit einem Gap heraus, der höher ist als die durchschnittliche Belegung einer Wohnung, heißt, objektiv nahm in den Jahren 2011 bis 2021 die Zahl der pro Person zur Verfügung stehenden Wohnungen in Berlin ab. Im Jahr 2022 dürfte dieses Missverhältnis sich weiter verstärkt haben.

Bei einer durchschnittlichen Belegung von etwa 2 Personen pro Wohnung ist klar, dass die Wohnungsnot mit diesem Bautempo nicht behoben werden kann. Was nicht heißt, dass dieses Tempo zuletzt niedrig war: Während der sechs Jahre der Mitte-Links-Koalition wurden jährlich zwischen 16.000 und 20.000 Wohnungen fertiggestellt, die überwiegende Zahl der neu erbauten Wohnungen stammt also aus dieser nun wohl ablaufenden politischen Ära. Schon zuvor wurden mehr Wohnungen in Berlin neu gebaut als während der Stagnationsphase in den 2000ern. Bleibt aber nicht nur die Frage nach der Quantität, sondern auch die nach der Bezahlbarkeit: Viel zu viele Neubauprojekte waren nicht oder nicht hinreichend sozialgebunden und bedienten somit ein Marktsegment, das für die meisten Menschen in der Stadt nicht in Frage kommt.

Die Frage nach der Wohnfläche pro Kopf hat uns keine Ruhe gelassen, hier sind die Zahlen für Berlin bis 2021:

Wohnfläche je Einwohner in Berlin bis 2021 | Statista

Tatsächlich gibt es seit 2011 per Saldo einen Rückgang, mit einer leichten Erholung bis 2021. Im Jahr 2022 dürfte diese aber wieder zu Ende gegangen sein. Außerdem belegen ältere Menschen und Einpersonenhaushalte weiterhin überdurchschnittlich viel Wohnraum und bei Ersteren ändert sich daran auch nicht viel, weil sie „gesettelt“ sind, also nicht mehr freiwillig ihre Wohnsituation verändern. Dazu haben sie das Recht, ist unsere eindeutige Meinung, solange es sich nicht um Riesenwohnungen handelt. Die aber werden meist von Reichen belegt, die sich erst recht nicht in ihren Komfort reinreden lassen, während es im einfachen Segment hin und wieder zu Wohnungstauschen kommt, besonders bei den städtischen Wohnungsgesellschaften, die dafür Programme aufgelegt haben.

Nun also in eine ohnehin angespannte Lage hinein noch der Move hin zu den möblierten Wohnungen als weiteres Element der Marktverzerrung, des Auseinandergehens von Bedarf und Angebot.

Wieso diese Angebote überhaupt funktionieren? Siehe oben, man schränkt sich eben stark ein, die Wohnfläche betreffend. Ein weiterer Aspekt dürfte sein, dass auch die Stadt selbst zur Unterbringung von bestimmten Gruppen an Neuzugängen zu Höchstpreisen anmietet, um jene Menschen überhaupt mit einigermaßen annehmbarem Wohnraum versorgen zu können und nicht wieder riesige Sammelunterkünfte in Betrieb nehmen zu müssen. Der Kampf der Mieter:innen um ihre Bleibe wird weitergehen und vermutlich noch härter werden, denn eines haben wir gelernt: Sondersituationen, in denen der Zuzug stark ansteigt, wird es wohl immer wieder geben. So viel kann an nicht günstig bauen, dass sich die Preise von selbst regulieren. Also muss weiter an Eingriffen gearbeitet werden.

Bange machen durch die jüngsten Misserfolge in Sachen Mietendeckel und bezirkliches Vorkaufsrecht und die schmähliche Verzögerung des Enteignungsgesetzes für Berlin gilt nicht. Die Situation ändert sich immer wieder und was gestern den kapitalorientierten Gerichten als zu stark regulierend erschien, kann heute schon dergestalt notwendig sein, dass es kein Vertun mehr im Sinne der verfassungsrechtlich gesicherten Existenz des Sozialstaats und des Grundrechts auf Wohnen gibt.

TH

 

 

 

 

 

 

 

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