UPDATE: Tretroller verbieten? (Umfrage) +++ Berlin-Paris: Weltmetropole gegen aufgeblähte Provinzstadt | Briefing 169 | Demokratie in Gefahr | Berlin, Paris, #EScooter #Rückschrittskoalition #Proteste

Briefing 169 | Gesellschaft, Kommentar

Im Moment schreiben wir nicht so regelmäßig wie üblich im und für den Wahlberliner – und wenn, dann mit solchen Themen. Das klingt vermutlich genauso sauertöpfisch, wie es gemeint ist. Nachdem wir im Ausgangsartikel ein wenig über Berlin und Paris nachgedacht hatten, auch über das Tretrollerverbot, kommt heute, recht spät für deren Verhältnisse, eine Umfrage dazu:

Sollte Deutschland den Verleih von E-Scootern (elektrischen Tretrollern) Ihrer Ansicht nach verbieten?

Text aus dem Civey-Newsletter:

Nach einem Volksentscheid hat Paris beschlossen, den Verleih von elektrischen Tretrollern in der Stadt ab September zu verbieten. Die Pariser Bürgermeisterin und Initiatorin des Votums, Anne Hidalgo, zeigte sich am Sonntag laut ZDF erleichtert über das baldige Verschwinden der 15.000 Leihfahrzeuge. Zahlreiche Unfälle, Chaos auf den Gehwegen und die Gefährdung von Fußgängern sollen Hidalgo zufolge mit dem Verbot beendet werden.

Auch hierzulande sind die Leih-Roller ein kontroverses Verkehrsmittel. So sorgen E-Scooter in deutschen Städten für Unmut, wenn sie kreuz und quer Bürgersteige oder Straßen blockieren, in Flüssen oder auf Grünflächen landen oder durch waghalsige Fahrmanöver Leben gefährden. In Deutschland wurden 2021 laut Statistischem Bundesamt 5.535 E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden registriert, darunter 4.882 Verletzte und fünf Tote.

Tretroller sind besonders bei Jüngeren sowie Touristen und Touristinnen beliebt. Dem Tagesspiegel zufolge ersetzen die E-Scooter selten Autofahrten. Sie dienen eher der praktischen Überbrückung vom Bahnhof oder einer Haltestelle zum eigentlichen Zielort. Auf Nachfrage der Welt positionierte sich Berlins designierter Bürgermeister, Kai Wegner (CDU), gegen ein E-Scooter-Verbot. Er will auf Gespräche mit Betreiberfirmen und stärkere Kontrollen setzen.

Wir haben mit Ja gestimmt. Wir hätten auch drei oder zehn Mal ja gesagt, wenn es die Möglichkeit gegeben hätte, Civey ein bisschen zu manipulieren und mehrfach zu votieren. Dass die Rückschrittskoalition, die wir in Berlin bekommen werden, das anders sieht als gegenwärtig eine Mehrheit von 53 Prozent, die für ein klares Verbot ist, kann niemanden überraschen, der die Politik in dieser Stadt kennt und weiß, von wem und in welchem Interesse sie gemacht wird. Die Kontrollen werden genauso funktionieren wie die Kontrollen auf allen anderen Gebieten. 

Vor allem, seit wir wieder mit dem Fahrrad unterwegs sind, erscheinen uns die Roller als weiterer Beweis dafür, dass die Zivilisation sich rückwärts entwickelt. Dazu passt natürlich auch die unionsgeführte Regierungskoalition, die wir jetzt bekommen werden. Sie fahren auf Radwegen, sie fahren dort zu zweit,  zu dritt auf einem Roller. Das Fahren mit mehreren Personen ist ohnehin verboten. Sie schlingern und brauchen die ganze Breite des Weges selbst bei den Radschnellwegen, weil ihrer Fahrer:innen entweder unsportlich oder ignorant sind. Nebeneinander fahren ist auch cool, gibt es allerdings auch bei Radfahrer:innen, die keinen Kultursinn für ein gepflegtes Gespräch im Straßencafé haben.

Die E-Scooter gehörten zu den ersten Verkehrsteilnehmern, mit denen wir nach der Wiederaufnahme des Radfahrbetriebs unsere Sträuße ausgefochten haben. Anders als bei Autos ist man hier wenigstens nicht der Schwächere.

Selbstverständlich ist soll diese Feststellung nicht andeuten, dass wir Zusammenstöße provoziert haben, aber das herzhafte Wort und auch nicht demütig ausweichen, wenn sie zu allem in der verkehrten Richtung auf Radwegen unterwegs sind, das darf schon sein. Auch das tun Radfahrer ebenfalls, wir haben es aber noch nie erlebt, dass der in der falschen Richtung  Radfahrende nicht großzügig ausgewichen wäre. Auch als Fußgänger, gerade als Fußgänger, ist man vor diesem Ausbund von Nutzlosigkeit nicht sicher, denn auch auf Gehsteigen wird gefahren, was geht, etwa 25 Km/h. Und das ist viel zu schnell, um etwa ausweichen oder auf einen Fußgänger reagieren zu können, der eine nicht vorausberechnete Bewegung macht.

Was die Autofahrer von der Sache halten, wissen wir nicht, für sie dürfte der Unterschied von Rollerfahrer:innen und Radfahrer:innen aber nicht so groß sein, zumal immer mehr E-Bikes mit ähnlicher Geschwindigkeit unterwegs sind wie die Roller. Diese mit ihren oft ungeübten Fahrer:innen, die führ ihr Können dann zu schnell unterwegs sind, dürfen Radwege sowieso benutzen.

Es gibt auch unter den Radfahrer:innen Idioten, unter den Autofahrenden sowieso, aber diese E-Scooter sind im Ganzen idiotisch und tragen dazu bei, dass Unsportliche noch unsportlicher werden, indem sie auch Kurzwege von unter einem Kilometer auf dem Scooter zurücklegen. Sie verschandeln die Gegend, werden zu allem Überfluss auch noch mitten auf Fuß- und Radwegen geparkt etc. Und ökologisch? Würden sie nur dann Sinn ergeben, wenn ihre Verwendung Autofahrten ersetzen würde. Sagen wir mal, dann wäre der Sinn eher diskutabel. Tut sie aber meistens nicht, siehe oben.

Eine Genugtuung bleibt uns, wenn uns schon die E-Scooter erhalten bleiben werden : Wenn es nicht gerade steil bergauf geht, können wir ihnen nach einem Jahr verstärkt in die Pedale treten und der dadurch angewachsenen Fitness locker davonfahren. Jetzt müssen wir aufpassen, dass die Rückschrittskoalition die Radwege nicht für Vehikel freigibt, die 40 oder 50 Km/h fahren können. Zuzutrauen wäre diesen Brüdern und Schwestern das allemal. Natürlich nicht. Die StVO ist zum Glück Bundesrecht, da kann die Berliner Stadtregierung nicht ihre üblichen Fails drübersetzen.

TH

Corona hat uns nicht untergekriegt. Den Ukrainekrieg tragen wir mit Fassung. Doch in diesen Tagen wird es so schwer wie selten zuvor, den Optimismus zu bewahren.

Während in Paris und ganz Frankreich die Menschen zu Millionen auf die Straßen gehen, um für ihre Rechte und die Demokratie zu kämpfen, während eine fortschrittliche Verkehrspolitik ein Stück Zukunft generiert und wo Volkentscheide von der Bürgermeisterin akzeptiert werden, wählt sich Berlin eine Rückschrittskoalition, die den Ausverkauf beschleunigt und das Provinzielle von Berlin festschreiben will. Ganz im Sinne des Geistes, der in vielen Teilen der Stadt leider herrscht.

Es ist so bitter, dass man wirklich den ganzen Tag trauen könnte, hätte man nicht noch das eine oder andere zu erledigen, wie zum Beispiel einen Artikel wie diesen zu schreiben. Wir werfen nur ein paar Schlaglichter auf das, was in den beiden Städten gerade passiert, um zu erklären, warum man sich in Deutschland mehr und mehr lost fühlt, wenn man etwas nach vorne bewegen will.

In Paris hat die Bevölkerung mit überragender Mehrheit für das Verbot der E-Roller-Verleiherei abgestimmt. In Berlin wird versucht, den Volksentscheid Tempelhofer Feld von 2014 zu kippen. Das wird die Rückschrittskoalition, deren Vertrag heute geschlossen wurde, wohl hinbekommen. Und manches, vieles mehr:

Katalin Gennburg auf Twitter: „1 🧵: Wissenswertes aus dem Kapitel #bauen & #stadtentwicklung. Fazit: Landesgrundstücke werden für Privatisierungen geöffnet, Beschleunigung first & Regulierungen second – ergo: Entmachtung der Genehmigungsbehörden. Das ist #bauenbauenbauen – #stadtpolitik fürs Kapital! https://t.co/UyLsYVlPa0“ / Twitter

Katalin Gennburg auf Twitter: „Seit 2016 galt dank #R2G: landeseigene Grundstücke dürfen nicht mehr privatisiert werden – jetzt unter #giffey & #wegner sollen Eigentumswohnungen statt Sozialwohnungen auf öffentlichen Flächen erbaut werden. –> Bitte mal die Parteispenden der Bauwirtschaft an SPD & CDU checken https://t.co/RII84zJaKA“ / Twitter

Unser Herzensthema Wohnungspolitik: Wird es die Zivilgesellschaft endlich in großer Zahl auf die Straße bringen? Weitere Rückschritte und im Sinne des Abbaus der Bürgerrechte:

RAV auf Twitter: „Nicht ‚Das Beste für Berlin‘ sondern Abbau von Rechtsstaat und Demokratie. Der #Koalitionsvertrag von SPD und CDU enthält viele Zumutungen: – Ausweitung des Präventivgewahrsams – Ausbau der Videoüberwachung – Einführung Staatstrojaner – Einschränkungen im Versammlungsrecht uvm. https://t.co/xgT9ZX6HKF“ / Twitter

In Paris sieht es so aus:

UnderCoverPT auf Twitter: „#paris #FranceProtests Paris tonight. This isn’t about Pension reforms anymore,… it’s a fight for demoncracy. The people against one man, who believes he is above the law & human rights…. https://t.co/pL6qquwILk“ / Twitter

Solche Szenen gab es in Berlin auch, die Älteren werden sich erinnern. Damals wurde Demokratie erkämpft, heute ist sie in Gefahr. Leider in beiden Ländern. Aber nach den Gelbwesten im Jahr 2017, denen man hierzulande vor allem mit miesem Framing begegnet ist, konnte das Schlimmste an neoliberaler Durchgriffspolitik von Präsident Macron noch verhindert werden. Und dieses Mal? Aber es gibt eben auch Fortschritte, es ist ein Hin und Her, ein Kampf, der nicht endet, aber sich wenigstens auf dem einen oder anderen Gebiet lohnen wird.

taz auf Twitter: „In Paris haben 90 Prozent der Wahlberechtigten für ein Verbot von Miet-Rollern gestimmt. Eine Kampagne der Anbieterfirmen verfing nicht. https://t.co/cb7k4GqNN0“ / Twitter

Es geht doch immer weiter, während Berlin in seinem eigenen Provinzialismus versackt. Jetzt endgültig. Die Wahlentscheidung alter weißer Personen in den Außenbezirken werden die Entwicklung der Stadt zu einem moderneren Gemeinwesen, die unter R2G und RGR schon schwer genug war, endgültig stoppen. Das ist es eben: Berlin ist aufgebläht durch die Integration von dörflich geprägten Gegenden in die Stadtgrenzen, die die Wahlen in Richtung Stillstand beeinflussen.

Fehlt in der schwarz-roten Koalitionsflagge nur der weiße Mittelstreifen. Die orientierungslose, für jede miese Zerstörung der Staatsinfrastruktur stehende  Zeit des Berliner Bankenskandals steigt mit einer CDU-geführten Regierung wieder aus der Gruft und tanzt auf dem Rücken so vieler Menschen einen Totentanz für die soziale und moderne Stadt der Menschen, der Bürger:innen. Auch die bekannten Lobbyistengesichter im Gewand der Politik, auch wenn sie ihr Direktmandat in unserem Bezirk bei der letzten Bundestagswahl endlich verloren haben, werden uns vermutlich wieder auf den Zeiger gehen dürfen.

 Wir bleiben dabei heute insofern abstrakt, als wir keine Namen nennen. Es geht um mehr als um Einzelpersonen, denen man sowieso gegenüber der Gesellschaft zu viel Interesse widmet und Wichtigkeit beimisst. Es geht um den Zeitgeist. Und der ist in den beiden wichtigsten Städten der EU sehr unterschiedlich. In Berlin ist er natürlich auch typisch deutsch. Man lässt sich im Großen und Ganzen von der Politik vorführen und denkt bestenfalls ans Eigeninteresse. Viele tun nicht einmal das. Wir kennen Mietende, die CDU gewählt haben. In Frankreich haben sie natürlich auch Macron gewählt, aber das dortige Wahlverfahren ist so angelegt, dass auch jemand, der anfangs nur etwa 30 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, Präsident werden kann. In Berlin haben aber wirklich 48 Prozent der Menschen für die Rückschrittskoalition gestimmt, denn es konnte nie ausgeschlossen werden, dass die bald Ex-Bürgermeisterin ihre Partei an die CDU andocken wird.

Wahrscheinlich glaubt man in diesem Cluster sogar, dass man mit E-Rollern und anderen Überflüssigkeiten sich einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber anderen Städten und Ländern verschaffen kann. Wer mit solchen Startups prunken muss, der versagt augenscheinlich dort, wo es wirklich um Technologie und zukunftsfähige Investitionen geht.

Dass das in Berlin noch einmal möglich wird, hätte niemals passieren dürfen. Die Franzosen und Französinnen versuchen nun, ihre schlechte Präsidentenwahl nachträglich zu korrigieren, indem sie wenigstens energisch protestieren. Und nebenbei kommen sie bei der Zukunftsgestaltung schneller voran als die vermeintlichen Öko-Prototypen aus dem Zipfelmützenland. Zumindest die Hauptstädte betreffend.

Eines ist in den beiden EU-Hauptstädten auffallend gleich: Dass die Demokratie und die sozialen Rechte der Menschen in großer Bedrängnis sind. Polizeigewalt gibt es hier wie dort, wenn das Kapital immer weiter gepusht werden soll. Nicht umsonst ist mittlerweile ein Franzose, nicht mehr einer der üblichen US-Milliardäre, reichster Mann der Welt. Das ist Macrons neoliberalen Steuersenkungen zu verdanken. Nicht umsonst fahren in Deutschland Wohnungskonzerne und Industriekonzerne immer höhere Gewinne ein, Krise für die Mehrheitsbevölkerung hin oder her.

Ist dieses kurze Schlaglicht auf  zwei Städte im Umbruch jetzt für uns ein Aufgalopp, um uns aus der Motivationskrise zu ziehen? Um die Berliner Politik wieder angemessen zu begleiten? Das hatten wir schon häufiger vor, aber die RGR-Wackelkoalition seit 2021 hat uns auch etwas demobilisiert, man wollte ja nicht das Projekt zu sehr kritisieren, an das man trotz aller sichtbaren Gefahren und vieler Mängel geglaubt hat. Jetzt ist es anders. Wir wissen es trotzdem nicht. Aber der tiefen Enttäuschung und dem großen Ärger Luft zu machen, hilft auch mal für ein paar Stunden.

TH

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