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Crimetime 1149 – Titelfoto © WDR

Heilig Blut ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort. Es ist der 13. Fall der Düsseldorfer Ermittler Flemming und Koch und die 324. Tatortfolge. Der vom Westdeutschen Rundfunk produzierte Beitrag wurde am 14. Januar 1996 auf Das Erste zum ersten Mal gesendet. Flemming und Koch haben es mit dem rätselhaften Tod der Nonne eines Frauenklosters zu tun.

„Heilig Blut“ ist der drittletzte von 15 Filmen mit dem Düsseldorfer Ermittler Flemming und seinem Team, das nach Max Ballaufs Abgang nur noch aus Assistentin Miriam Koch besteht. Und die bekommt kurz vor dem Ende dieser Ära zwischen Dusiburg und Köln einen großen Einsatz als offizielle, nicht verdeckte Ermittlerin in einem Kloster. Kloster undercover gab es auch schon, in „Rattenlinie„, einem sehr geschätzten Stoever-Brockmöller-Tatort. Der entstand erst im Jahr 2000, also vier Jahre nach „Heilig Blut“, und war einer der letzten Fälle des Hamburger Duos – inszeniert interessanterweise vom selben Regisseur. Ein bisschen weht auch der Duft, wenn schon nicht der Name der Rose, durch den Film, und man erfährt, Rosen haben Dornen. Mehr dazu lesen Sie in der –> Rezension.

Handlung

Im Kloster „Heilig Blut“ wird die junge Nonne Theresa von ihren Mitschwestern tot am Fuß des Glockenturms aufgefunden. Die Äbtissin vermutet einen Unfall, schließt Selbstmord oder gar Mord aus. Flemming und Koch sehen das anders – zumal sich herausstellt, daß Theresa schwanger war. Um peinliche Schlagzeilen zu vermeiden, stimmt das Kloster zu, daß die Kommissarin Koch vorübergehend dort Quartier nimmt. Eines Nachts kann Koch tatsächlich einen männlichen Besucher im Klostergarten ausmachen, dem allerdings unerkannt die Flucht gelingt. Miriam Koch vermutet, daß die Novizin Elia, die eine besonders innige Beziehung zu Theresa hatte, den Mann gesehen hat. Das Mädchen leidet von nun an unter Angstzuständen. Auch das Verhalten der Äbtissin ändert sich. Sie toleriert nicht länger Kochs unorthodoxe Ermittlungsmethoden und weist sie aus dem Kloster.

Flemming hat inzwischen herausgefunden, daß es sich bei dem nächtlichen Besucher um den jungen Restaurator Gabriel Engelhardt handelt. Der gibt schließlich zu, Theresa geschwängert zu haben, den Mordverdacht weist er jedoch entsetzt zurück. Flemming und Koch sind sich sicher, daß die Äbtissin die Wahrheit kennt.

Rezension 

Das Drehbuch nutzt die interessante Örtlichkeit eines Frauenklosters zu sehr, um schon die späteren Thesen-Tatorte von Ballauf und Schenk vorzubereiten: Dieses Duell Glaube gegen Pragmatismus, Nihilismus oder welcher Philosophie Flemming auch frönen mag – vermutlich seiner eigenen – war mir zu statisch und gewollt. Es wird zwar versucht, aus dem glaubensbedingten Verhalten, aus Schuld und Sühne, das tödliche Geschehen selbst zu erklären, das wirkt durchaus ambitioniert, aber letztlich muss man wohl Dorothee (Geschenk Gottes) Schön heißen, um so ein Drehbuch zu verfassen. In dieser ersten Tatort-Arbeit werden offenbar eigene Erfahrungen an einem katholischen Mädchengymnasium transzendiert – aber es sind auch schon viele dieser sehr guten Dialoge drin, die spätere Bücher von ihr kennzeichnen. Vor allem um den Bodensee-Tatort hat sie sich sehr verdient gemacht.  Die Sätze, die sie für Roswitha Schreiner geschrieben hat, auch im Dialog mit Flemming, sind fast ausschließlich gut bis sehr gut, einige davon herausragend.

Das eigentliche Plus des Films ist Roswitha Schreiner als Miriam Koch. Mir ist bekannt, dass viele Tatort-Fans mit der Figur nicht viel anfangen können, aber hier erhält sie die Möglichkeit, mehr zu zeigen und anfänglich dekonstruiert sich das adrette Wesen gleich ein wenig mit einem Besäufnis aus Liebeskummer.  Ganz sicher sind die meisten Polizistinnen nicht so niedlich und unbekümmert, aber gerade in dieser strengen Klosterwelt wirkt der Kontrast reizvoll. Er trägt viel dazu bei, uns über Drinnen und Draußen, den Sorgen des Reallebens mit den alltäglichen Männern und der Sorge um den rechten Glauben und der Verbundenheit mit dem Einen gegenüberzustellen. Es funktioniert bessser als diese etwas plumpe Dialektik zwischen Flemming, der dadurch unnötig provokant oder übergriffig wirkt, und der Äbtissin. Vielleicht ist das eine tatsächlich mehr erlebt, das andere mit einiger Mühe erdacht.

Diese Äbtissin wird in einer Altersrolle dargestellt von Maria Schell. Vielleicht etwas zu stark geschminkt für eine Ordensfrau, aber was hätten die Zuschauer wieder gemeckert, wenn man das nicht getan hätte – sieht die jetzt aber was alt aus?

Ich bin kein echter Fan von Maria Schells Spiel, die mit dem gewaltigsten Overacting im deutschen Nachkriegskino daherkam, obwohl es aus heutiger Sicht sogar modern wirkt. Vielleicht kann man es deshalb für die Fernsehverhältnisse einer Zeit, in der sich alle bemühten, die Luft rauszulassen und nicht die Sau, avantgardistisch war. Das Theaterhafte ist ja auch im Tatort wieder angekommen.  Heute würde die Schell, etwas jünger als in dieser Rolle natürlich, gut in eines der Grenzgänger-Teams passen, die wir allenthalben dabei bewundern dürfen, wie sie trotz ihrer Gefangenheit im Ich und den eigenen Problemen ihre Ermittlungsarbeit auf die Reihe bekommen. Das ist postfaktisch und oft muss der Zufall helfen, um die Drehbücher vor dem GAU zu retten, wenn die Ermittler sich im Nirgendwo jenseits regulärer Polizeiarbeit verloren haben. Der Zufall spielt auch im Klosterkrimi „Heilig Blut“ eine Rolle, aber da diese Welt so klein und abgeschieden ist, wirkt er weniger an den Haaren herbeigezogen. Bis dieser Brief unter der Tür durchgeschoben wird, der finale Drehbuch-Rettungsbrief.

Die Umsetzung jenes Drehbuchs durch den erfahrenen Hartmut Grießmayr ist gelungen und recht detailreich, was in den 1990ern ja im Allgemeinen ein wenig verloren ging, zumindest in der Tatort-Reihe. Das Spiel ist ansehnlich und die Schell zu haben, hat in diesem Fall den Vorzug, dass man gar nicht anders kann, als fasziniert hinzuschauen. Sie gibt der Rolle der Äbtissin Kraft und manches wendet sich darin zum Guten, was früher vielleicht zu dramatisch ausgefallen wäre. Anders ausgedrückt: Ihre Darstellung ist vielleicht nicht komplett realistisch, aber prägnant. Das gilt eben auch für die ihrer Quasi-Gegenspielerin Miriam Koch, die es schafft, einen Pocpcorn-Automaten in ihrer Besucherzelle unterzubringen. Allein für diese Idee sollte es einen Extrapunkt geben.

Achtung, im Folgenden Angaben zur Auflösung!

Ein bipolares Mädchen wird also als Novizin in ein Kloster aufgenommen, aufgrund enger persönlicher Verbindung mit der Äbtissin, die dadurch eine Katastrophe heraufbeschwört, weil dieses Mädchen einer Freundin aktive Sterbehilfe leistet. Das war nicht nur 1996, sondern ist bis heute von der Justiz als Tötung auf Verlangen geahndet werden kann.

Und wieder einmal ein Einschub anlässlich der Veröffentlichung des Textes sechs Jahre nach dem Entwurf: Leider habe ich im Moment keine Zeit, die neuesten Entwicklungen in Sachen Sterbehilfe (wieder einmal, sie kam in Tatorten schon so oft vor) exakt zu recherchieren, bestimmte Formen sind auf jeden Fall heutzutage straffrei.

Ob es die Idee war, die kritischen Momente aktiver Sterbehilfe anhand eines so ungewöhnlichen Falles darzustellen, ist allerdings zu bezweifeln. Eher geht es darum, wie ein konsequent, aber auch rigide gelebter Glaube die moralischen Grundsätze so verabsolutiert, dass eine junge Frau, die sich in einem Anfall von Schwäche schwängern lässt, möglicherweise nicht freiwillig, aber die Sache auch nicht zur Anzeige bringt, eine als ausweglos empfundene Lage schafft.

Ganz unmöglich, weiter im Orden zu verbleiben, nach einem solchen Vorfall, und wenn man sich kein anderes Leben mehr vorstellen mag, weil man vom heiligen Wahn ergriffen wurde, was dann? Interessant ist, dass die mögliche Vergewaltigung lapidar nebenbei behandelt wird, aber es weist auch darauf hin, dass nicht der männliche Übergriff, sondern der weibliche Seelenkonflikt nach Sünde oder dem, was die Kirche eben dafür hält,  in den Mittelpunkt gerückt wird. Insofern kann ich schon verstehen, dass Kirchenkritik ein Anliegen des Films ist.

Ich versetze mich auch ins Jahr 1996, in eine Zeit, in der das „Reden über alles“ an Gewicht gewann, als auch in der römisch-katholischen Kirche die ersten Sexualdelikte durch Priester offenbar wurden. Tabus wurden geschliffen, ein Trend, der aus der emanzipatorischen Bewegung auch in den USA heraus entstand.  Schweigsamkeit und Verschwiegenheit standen also nicht mehr so hoch im Kurs. Bis heute hat sich daran nichts geändert, wobei der Katholizismus ja ein Hilfsmittel parat hält, das dazu beiträgt, die Selbstmordraten in den mit ihm verbundenen Ländern niedrig zu h halten: Die Ohrenbeichte, die auch Absolution verspricht.  Die Beichte hat aber der Novizin Theresa nicht geholfen, sich von ihrer Seelenlast zu befreien. Kein Wunder, dass Nonnen im Alter oft so streng aussehen und gar nicht wie glücklich vergeistigte Wesen, die den lieben langen Tag in Eintracht mit ihrem Einzigen und ihrer kargen Welt leben.  Und in dem katholischen Kindergarten, in dem ich war, waren die Nonnen, wenn sie mal kamen, um zu gucken, was die Erzieherinnen mit uns anstellten, ziemlich streng, nicht grundgütig, weil auf immer mit sich und dem Glauben vereint.

Finale

Mich hat das Klosterleben schon kurz nach dem Start des Films dazu gebracht, über menschliche Willenskraft, aber auch Fanatismus nachzudenken. Eine lauwarme Einstellung zu allem führt gewiss nicht ins Kloster. Nicht heutzutage jedenfalls, wo vermutlich kaum noch unliebsame weibliche Familienangehörige dorthin entsorgt werden. Es braucht eine fanatische Glaubensbereitschaft, um dort ansässig zu werden und dieses Leben auszuhalten.

Nach einem siebentägigen Selbsterfahrungsseminar vor einigen Jahren, das ebenfalls in Klausur stattfand und an buddhistischen Ideen orientiert war, weiß ich, wie  heilsam die Abgeschiedenheit sein kann und wie der Groll verfliegt, wenn man richtig angeleitet wird und ansonsten viel Zeit mit Wandern allein verbringen kann. Aber es ist etwas anderes, ob man weiß, dass man bald wieder ins Übliche Hier und Jetzt zurückkehren wird oder sich wirklich sein Leben einer Sache auf eine ganz absolute Weise weiht.  Es ist ja das Gute, dem alles dienen soll, und letztlich ist es der ehtische  Hintergrund, der den einen vom anderen Fanatismus unterscheiden und Gut und Böse auch im Übermaß trennen soll. Klappt nicht immer. Leider.

8/10

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2017)

Regie Hartmut Griesmayr
Drehbuch
Produktion Veith von Fürstenberg
Musik Roland Baumgartner
Kamera Charly Steinberger
Schnitt Walter Schellemann
Premiere 14. Jan. 1996 auf Das Erste
Besetzung

 

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