Crimetime Vorschau – Titelfoto © RBB, Marcus Glahn
„Vorhang auf für die Grande Dame des deutschen Films: Mit Spannung ist die Premiere von Corinna Harfouch als neuer Tatort-Kommissarin in Berlin an der Seite von Mark Waschke erwartet worden, nun ist es endlich so weit! Als Kriminalhauptkommissarin Susanne Bonard gibt Harfouch ihren Einstand – und was für einen: Gleich eine Doppelfolge gönnt der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) dem neuen Team und seinem spektakulären ersten Fall.“
Tatort Folge 1231: Nichts als die Wahrheit Teil 1 – Tatort Fans (tatort-fans.de)
In der Tat tritt mit Corinna Harfouch eine weitere Schauspielerin aus der ersten Reihe in die Fußstapfen ihrer Vorgängerin Meret Becker. Im 1231. Tatort mit dem statuarisch-pathetischen Titel, bei dem wir uns wundern, dass es ihn erstmalig in der Reihe gibt.
Schätzen auch diejenigen, die sich im Grunde um ihre Existenz keine Sorgen machen müssen, die Sicherheit der Tatort-Einbindung und der damit verbundenen Anbindung an die ARD? Auch, wenn Meret Becker mit der üblichen Begründung, sich anderen Projekten widmen zu wollen, gerade gegangen ist: auffällig viele Stars der deutschen Fernsehszene tummeln sich in der Reihe. Es gibt immer noch die andere Variante: Junge, noch nicht so bekannte Darsteller:innen werden mit dem Tatort einem großen Publikum vertraut gemacht. Das neue Saarland-Team fällt mir da spontan ein. Allerdings ist das gerade bei einer Schiene, die nur einen Krimi pro Jahr liefert, schwierig, mit dem Vertrautmachen.
Es ist anders als in den frühen 1990ern, als man sich die Zeit nahm, heute legendäre Figuren zu schaffen, wie Lena Odenthal, Ivo und Franz, Max und Freddy in aller Ruhe aufzubauen und auch mal ein Risiko einzugehen, zu korrigieren, zu justieren, wie das besonders bei den Münchenern offensichtlich war. Das wird es vermutlich nicht wieder geben. Deswegen will man diese Figuren auch unbedingt behalten: weil sie die Identität der Reihe entscheidend beeinflussen.
Einige davon scheinen ein Abo auf Lebenszeit zu haben, auch, wenn sie über das Pensionseintrittsalter von Polizisten hinaus am Set arbeiten müssen. Mit den Stars ist es etwas anders. Sie kommen und gehen auch wieder. Ulrich Tukur filmt nur als Felix Murot nur in größeren Abständen, die anderen bleiben oft nicht so lange. Bei Meret Becker waren es acht Jahre. Eine Ausnahme stellt Jan Josef Liefers dar, bei dem sich Popularität durch Tatort und populäre Besetzung einer Tatort-Rolle etwa die Waage halten, und das seit mehr als 20 Jahren.
Wie aber steht es um den neuen Tatort, der heute Abend Premiere feiern wird? Eine Doppelfolge. Das klingt verheißungsvoll, weil man in 180 Minuten nun einmal mehr Tiefe erreichen kann als in 90 Minuten und ist sicher der Besetzung mit Corinna Harfouch angemessen. Aber gerade in Berlin verknotet man sich gerne, nicht nur lange Zeit bei der Erstellung insgesamt qualitativ hochwertiger Tatorte, sondern auch handlungstechnisch. Abschreckendes Beispiel die Inthronisierung der Figur Robert Karow, jetzt also Partner von „Susanne Bonard“ anhand von Filmen, deren Inhalt beim nächsten Tatort erst einmal zusammengefasst werden musste, damit die Zuschauer durchstiegen. Ganz wie bei Fernseh-Mehrteilern der 1970er.
Der Tatort „Nichts als die Wahrheit“ ist ein zweiteiliger Politthriller, der sich mit dem Thema des Rechtsextremismus in Deutschland auseinandersetzt. Die Ermittler Karow und Bonard müssen den vermeintlichen Selbstmord einer jungen Polizistin aufklären, die kurz vor ihrem Tod eine ehemalige LKA-Größe kontaktiert hat. Dabei stoßen sie auf ein rechtes Netzwerk, das sich bis in die Polizeiakademie und die Politik erstreckt.
(…) Auf der einen Seite ist der Film spannend, aktuell und mutig, da er ein brisantes Thema aufgreift und nicht davor zurückschreckt, unbequeme Fragen zu stellen. Die Schauspieler Corinna Harfouch und Mark Waschke überzeugen als ungleiches Ermittlerduo, das sich trotz aller Differenzen zusammenraufen muss. Die Inszenierung von Robert Thalheim ist atmosphärisch und packend, die Kameraführung von Michael Saxer ist dynamisch und stimmungsvoll.[1]
Und damit zu den Kritiken:
„Es sind hohe Erwartungen, die mit dem Namen Corinna Harfouch verbunden sind – und der erste Teil dieser spektakulären Auftaktepisode erfüllt sie voll und ganz. Die Handlung ist von Beginn an mitreißend, hat teilweise Thriller-Qualitäten, die Thematik gesellschaftspolitisch brisant und hochaktuell – was will man mehr? Und – wie schön – auch der leise, feine, intelligente Humor hat nach den letzten beiden eher düsteren Folgen wieder ein Zuhause im Berliner Tatort gefunden, vor allem dank des kongenialen Zusammenspiels von Harfouch, Waschke und auch Ercan Karaçayli. Ein Debut nach Maß, das Spannung weckt und Lust macht auf Teil 2.“
Tatort Folge 1231: Nichts als die Wahrheit Teil 1 – Tatort Fans (tatort-fans.de)
Ich wusste gar nicht, dass in Berlin, im Tatort und überhaupt, mal der feine, intelligente Humor zuhause war. In welchem Kiez hat der feine Humor bloß gewohnt, gänzlich undercover? Vielleicht sind die schon lange zurückliegenden Zeiten mit Kommissar Markowitz alias Günter Lamprecht gemeint. Karow und Rubin sind ja mit voller Absicht als humorlos dargestellt worden, vor allem Karow, nachdem der Humor der Vorgänger Ritter und Stark eher etwas für schlichte Gemüter war.
Die Neue an Karows Seite muss sich erst etwas eingrooven. Corinna Harfouch ist eine tolle, erfahrene Schauspielerin, die aber ganz offensichtlich zu viele normale Tatorte geschaut hat. Denn etwas weniger Altbackenes und etwas mehr Modernität im Spiel wäre ganz cool gewesen. Und das gilt auch für die Rolle: Eine halb pensionierte Polizei-Ausbilderin wieder zu reaktivieren, macht das Berliner Tatort-Team jetzt auch nicht fresher. (…) Trotzdem: Der Tatort Berlin ist dieses Mal echt sehenswert. Die Geschichte hat im richtigen Moment ein paar spannende Wendungen. Man kann sich die Doppelfolge gut ansehen, die an zwei Tagen hintereinander ausgestrahlt wird – oder man probiert es mal mit Binge Watching in der ARD-Mediathek.
Vermutlich war Meret Becker als Nina Rubin in der Tat frecher, aber es gibt immerhin vier von fünf Elchen. Trotzdem wirkt die Enttäuschung über Harfouchs Spiel bei mir gerade etwas nach. Was gilt heute eigentlich als altbacken? Wenn jemand es nicht des Nächtens auf Mülleimern in Seitengassen treibt? Zumindest nicht gleich im ersten Film? Wichtig finde ich vor allem, dass die Mischung stimmt, auch wenn sie auf Kontrast und Kontroverse angelegt ist, wie bei Rubin und Karow. Aus deren Ähnlichkeit in Gegensätzlichkeit hat man nach meinem Dafürhalten immer etwas zu wenig herausgeholt.
Zur Premiere von Corinna Harfouch als „Tatort“-Ermittlerin gönnt die ARD dem Berliner Team einen zweiteiligen Krimi mit außerordentlicher gesellschaftlicher Relevanz. „Nichts als die Wahrheit“ (rbb / Madefor Film) handelt von einem rechten Netzwerk in Polizei, Justiz und Wirtschaft. Harfouch spielt eine erfahrene Kommissarin, die nach dem Tod einer Polizistin und nach zwölf Jahren als Ausbilderin in der Polizei-Akademie in die Praxis zurückkehrt. Mit Mark Waschke bildet sie ein sehenswertes und vielversprechendes Team, wobei sich der Berliner „Tatort“ mit der abgeklärten Figur einer älteren Kommissarin deutlich verändert: Umgangston und Atmosphäre sind weniger rau. Die hohen Erwartungen kann der von Stefan Kolditz und Katja Wenzel ambitioniert konstruierte Verschwörungs-Thriller nicht ganz erfüllen, ein spannendes Krimi-Drama über die Bedrohung von rechts, über Loyalität und Verrat ist der von Robert Thalheim inszenierte Fall aber allemal.
http://www.tittelbach.tv/programm/reihe/artikel-6313.html
Der Umgangston ist weniger rau, so hatte ich es mir nach der vorausgehenden Kritik auch vorgestellt. Außerdem geht es um ein wichtiges Thema, das leider hohe Relevanz besitzt. Nicht zum ersten Mal werden Seilschaften in der Polizei beleuchtet, aber in dem Zusammenhang das Thema Rechtsextremismus zu spielen, ist neu, wenn ich mich nicht täusche. Wer die Berliner Polizei und ihre seltsam unterschiedliche Verhaltensweise bei linken und rechten Demos beobachtet, nämlich mehr als nur herzhaft, sondern auch gewalttätig, versus alles ganz locker laufen lassen, macht sich ohnehin Gedanken.
Anders als ihre flippige Vorgängerin Nina Rubin verfügt die besonnene, idealistische und in jeder Hinsicht geerdete Dozentin an einer Berliner Polizeiakademie über ein intaktes familiäres Umfeld mit Mann, Sohn und Hund. Sie bildet somit einen viel schärferen Kontrast zum abgebrühten, ja zynischen Kommissar Robert Karow (Mark Waschke), der anfangs seine Probleme mit Bonard hat, alles in allem aber etwas sanfter und gemäßigter als gewohnt rüberkommt.
Dieses Mal also Gegensätzlichkeit in Gegensätzlichkeit. Nebenbei wird erwähnt, dass Harfouch 68 Jahre alt ist. Klar muss man sie da etwas anders inszenieren, wenn sie als reife Polizistin glaubwürdig wirken soll, als das bei Becker der Fall war.
Als ein Mann vom Verfassungsschutz auftaucht, nimmt der Fall um die tote Polizistin Dimensionen an, mit denen niemand rechnen konnte. Corinna Harfouch überzeugt bei ihrem ersten Einsatz als neue „Tatort“-Ermittlerin erwartungsgemäß auf ganzer Linie, was sich von dem überkandidelten Zweiteiler leider nicht sagen lässt.
Quelle siehe vorhergehendes Zitat. Dieses Mal also die Handlung, nicht die Harfouch, die Kritik auslöst. Überkandidelt sind ja heute viele Tatorte, aber in Berlin haben sie es beim Team Karow und Rubin nie ganz geschafft, gerade daraus ein charmantes Gepräge mit leichtem Augenzwinkern zu entwickeln. Und der Verfassungsschutz mal wieder. Ich habe schon eine Ahnung bezüglich dieses einiger Handlungselemente des Films, obwohl ich ihn noch nicht gesehen habe. Das ist schon zu sehr ein Standard geworden. Falls ich mich irre, werde ich das in der eigenen Rezension nicht unerwähnt lassen. Sicher, nach Hans-Georg Maaßen liegt es auf der Hand, den Verfassungsschutz ins rechte Szenario einzubinden und sich die Frage zu stellen, ob er wirklich die Verfassung schützt, oder ob wir als Zivilgesellschaft die Verfassung vor ihm schützen müssen. Trotzdem muss man bei der Entwicklung von Tatorten auch eines im Blick behalten: Wie oft gab es diese Involvierung in alles Mögliche zulasten der Wahrheit und der Gerechtigkeit schon, in den letzten Jahren?
Mit dieser Frage schließen wir die Vorschau ab und freuen uns auf – nicht auf den heutigen Abend, da werden wir es wohl nicht schaffen, uns den Film anzuschauen, aber auf demnächst in dieser Mediathek.
TH
Handlung (Teil 1)
Robert Karow wird an einen Tatort gerufen. Alles deutet darauf hin, dass sich die junge Schutzpolizistin Rebecca Kästner am Abend zuvor in ihrer Wohnung das Leben genommen hat: Drogen, Sorgerechtsstreit, Überforderung. Doch als Karow ihren vierjährigen Sohn Matti verängstigt im Garten findet, kommen ihm Zweifel an dem Selbstmord. Welche Mutter tut das vor den Augen ihres Kindes? Dann noch der letzte Anruf der Toten an eine ungewöhnliche Nummer: Susanne Bonard, eine ehemalige LKA-Größe, die inzwischen an der Polizeiakademie lehrt. Sie ist eine Koryphäe, deren Standardwerk jeder kennt. Ehe sich Karow versieht, steht sie für die Ermittlungen in diesem Fall an seiner Seite. Mit 62 nochmal zurück auf die Straße?
Bonard war gerade dabei, rechte Tendenzen an ihrer Akademie aufzudecken, wollte den verordneten Maulkorb ihres Direktors nicht länger hinnehmen und gegen die zweifelhaften Lehrmethoden ihres Kollegen Götz Lennart vorgehen. Auch bei den Ermittlungen zu Rebeccas Tod stoßen die Kommissare auf Verbindungen zur rechten Szene, wohinter Bonard schnell ein großes rechtes Netzwerk vermutet. Das hält Karow für paranoid. Bis er mit ihr zusammen feststellen muss, dass sie tatsächlich größeren Zusammenhängen gegenüberstehen als zunächst gedacht.
Besetzung und Stab
Kriminalhauptkommissar Robert Karow – Mark Waschke
Kriminalhauptkommissarin Susanne Bonard – Corinna Harfouch
Kaya Kaymaz, ihr Ehemann – Ercan Karaçayli
Tom, ihr Sohn – Ivo Kortlang
Rebecca Kästner, Schutzpolizistin – Kaya Marie Möller
Matti, ihr Sohn – Yvon Sable Moltzen
Paul Kästner, ihr Ehemann – Bernhard Conrad
Guido Konrad, Einsatzgruppenleiter – Christoph Jöde
Tina Gebhardt, Schutzpolizistin – Bea Brocks
Hans Lompert, Direktor der Polizeiakademie – Jörg Pose
Ralf Lompert, sein Sohn – Gustav Schmidt
Götz Lennart, Dozent an der Polizeiakademie – Thomas Niehaus
Arne Koch, Inhaber einer Sicherheitsfirma – Sebastian Hülk
Dietrich Pätzold, Bauunternehmer – Jörn Hentschel
Anton Reitemeier, Mitarbeiter beim Verfassungsschutz – Tilo Nest
Max, Student an der Polizeiakademie – Baris Gül
Fawad Saad, Baustellenarbeiter – Aziz Dyab
Najim Saad, sein Bruder – Shadi Eck
Renan Gül, Rechtsanwältin – Mina Sağdıç
u. v. a.
Regie – Robert Thalheim
Drehbuch – Katja Wenzel, Stefan Kolditz
Kamera – Michael Saxer
[1] ChatGPT, verfassen, informativ, lang, Absatz, ausgewogen war verlangt – kritischer Teil aber herausgekürzt, weil zu stereotyp verfasst.
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