Filmfest 937 Cinema
Die Abenteuer des Prinzen Achmed ist ein deutscher Silhouetten–Animationsfilm von Lotte Reiniger aus dem Jahr 1926. Der Film hatte Premiere am 2. Mai 1926 in der Berliner Volksbühne am Bülowplatz. Der Film verarbeitet mehrere Handlungsmotive, die Lotte Reiniger aus Märchengeschichten des Fundus Tausendundeine Nacht entlehnte, darunter Aladin und die Wunderlampe (ANE 346) und Das Zauberpferd (ANE 103).
Es handelt sich dabei um den weltweit ältesten noch erhaltenen animierten Langfilm. Lediglich zwei argentinische Animationsfilme von Quirino Cristiani erschienen früher, gelten jedoch heute als verschollen.
Viel hatten wir von diesem Film gehört, der elf Jahre vor Disneys „Schneewittchen“ entstand und bis heute als der älteste erhaltene Animationsfilm in Spielfilmlänge gilt. Er ist aber eine komplett andere Erfahrung als die Disney-Klassiker und mehr ein Autorenfilm als eine Studioproduktion und drei Jahre, von 1923 bis 1926, hatte Lotte Reiniger mit ihrem Team daran gearbeitet – unter anderem war Walter Ruttmann dabei, der ein Jahr später den berühmten „Sinfonie einer Großstadt“ drehte, der Berlin auf eine wirklich großartige Weise bebildert und das Essentielle und Vielfältige dieser Stadt einfängt. Mehr über Lotte Reinigers Scherenschnittfilm lesen Sie in der Rezension.
Handlung (1)
1. Akt
Der mächtige afrikanische Zauberer beschwört die Natur und schafft sich ein fliegendes Zauberpferd. In der Stadt des Kalifen wird zu Ehren dessen Geburtstages ein großes Fest veranstaltet. Der Zauberer präsentiert ihm das Zauberpferd und holt mit dessen Hilfe die Flagge vom höchsten Turm des Palastes. Die Flugvorführung beobachten auch Prinzessin Dinarsade und ihr Bruder Prinz Achmed. Der Kalif bietet dem Zauberer für das Pferd zunächst Geld und schließlich die freie Wahl unter den Schätzen seines Palastes – der Zauberer entscheidet sich für Prinzessin Dinarsade. Achmed stellt ihn jedoch, woraufhin der Zauberer ihn überzeugen kann, das Pferd zu nutzen. Der Prinz besteigt es, steigt immer weiter auf in die Lüfte und gerät schließlich über die Wolken und außer Sicht. Daraufhin wird der Zauberer festgenommen und gibt zu erkennen, dass er dem Prinzen nicht mitgeteilt hatte, wie er das Pferd wieder zu Boden bringen kann.
2. Akt: Die Geschichte des Prinzen Achmed
Zufällig entdeckt Achmed dann den Sinkmechanismus und landet fernab von seiner Heimat auf einer der Zauberinseln von Wak-Wak. Die Herrin des Dämonenreichs von Wak-Wak ist Pari Banu. Achmed wird von den Hofmädchen unterhalten, schließlich streiten diese sich aber um den Fremdling und Achmed flieht mit seinem Pferd auf eine Nachbarinsel. Die schöne Pari Banu kommt mit ihren Gespielinnen jede Nacht in einem Vogelkleid auf diese Insel geflogen und badet in einem Zaubersee. Achmed überrascht sie dabei, indem er ihnen die abgelegten Federkleider entwendet. Nach einer kurzen Verfolgung hat er sich Pari Banu bemächtigt und entführt sie mit seinem Pferd nach China. Pari Banu warnt Achmed vor den Dämonen, doch der ist entschlossen, sie zu heiraten. Inzwischen hat auch der Zauberer mit einer Glaskugel den Aufenthaltsort seines Zauberpferds herausgefunden, verwandelt sich in eine Fledermaus und fliegt aus seinem Kerker davon zu Achmed und Pari Banu. In der Form eines Kängurus stiehlt er das Vogelkleid von Pari Banu und lockt Achmed damit zu einer Schlucht, in die der Prinz fällt. Unter der Vorgabe, von Achmed mit einem Gewand als Geschenk geschickt worden zu sein, entführt der Zauberer Pari Banu auf seinem fliegenden Pferd. Achmed kann sich nach einem Kampf mit einer Riesenschlange selbst aus der Grube befreien, kommt jedoch zu spät.(…) (1)
Rezension
Ebenso wie Ruttmanns Werk ist Lotte Reinigers Film weniger Unterhaltung als Kunst. Er unterhält auch, aber nicht auf die Weise, wie Disney-Filme es dann taten, „Achmed“ kann zwar von Kindern angeschaut werden, ist aber doch in erster Linie ein Fest fürs Auge, dessen Detailreichtum und dessen Fantasie erst ab einer gewissen Rezeptionserfahrung gewürdigt werden können. Trotzdem ist er schon bunt – in Form einer Viragierung, die in sehr kräftigen Farben gehalten ist. Der Scherenschnitt, der im Wesentlichen auf Schwarz für die Figuren und einige Gegenstände und hell, manchmal teiltransaparent, für Hintergründe und andere Gestaltungselemente reduziert ist, erlaubt diese intensive Färbung, die bei den damaligen, meist noch recht kontrastschwachen Realfilmen auch verwendet wurde – mit schwächerer Tönung.
Lotte Reiniger kam zum Silhouetten-Animationsfilm durch ihre Faszination für chinesische Vorbilder, die sich in „Achmed“ nicht zuletzt in der chinesischen Episode spiegeln, gleichermaßen begeisterte sie sich für das frühe Kino, etwa von George Meliès („Die Reise zum Mond“ aus dem Jahr 1903 etc.).
Sie blieb dem Silhouettenfilm durch die Zeiten und Orte, an denen sie lebte hinweg treu und beschäftigte sich intensiv mit der Theorie des Animationsfilms. Im Anschluss an „Achmed“ werden wir drei weitere Werke von ihr rezensieren, zwei davon bereits Tonfilme aus den 1930ern. Reiniger war eine der herausragenden Autorinnen des künstlerischen Trickfilms.
„Achmed“ ist trotz seiner zwei Liebesgeschichten und der großen Gefahr, denen beide Paare ausgesetzt sind, trotz der heute besonders zu würdigenden Tatsache, dass sie Arabien positiv und verzaubert und mehr wie aus Tausendundeiner Nacht als heute üblich darstellt, aber trotzdem sehr prägnant, wie man an den Physiognomien der Figuren sehen kann, auch der von Achmed selbst – Aladin und seine Wunderlampe sind auch dabei und der Film sollte nicht, wie Disneys „Aladdin“ aus den 1990ern, Probleme mit der politischen Korrektheit bekommen – es sei denn, man betrachtet alle Stereotype, die darin verwendet werden, ernsthaft als unzulässige Verallgemeinerung. Was wäre die Welt ohne Kategorien? Und der Orient, wie man ihn noch aus Märchenbüchern kennt, ohne die intensiven Fantasiegestalten, die man geradezu fühlen und riechen kann.
Ein Charakter wie der afrikanische Zauberer darf düster und ungehemmt böse sein, zum Ausgleich gibt es eine buckelige und knollennasige Hexe, die sich als die Gute erweist, auch wenn sie Achmed und Aladin mehr hilft, um dem Zauberer, ihrem großen Konkurrenten, eins auszuwischen. Und die Prinzessinnen sind wunderbar pointiert, sowohl die Kopfformen als auch die Gliedmaßen, dargestellt. Furios ist der Kampf zwischen Hexe und Zauberer, die sich ständig verwandeln; uns hat dieses Duell stark an das Spiel Messer, Schere, Papier erinnert – auch wenn nicht so eindeutig ein Tier dem anderen überlegen ist, aber es kündet auch von der Relativität der Dinge: Ein Vorteil in einem Moment kann im nächsten ein Nachteil sein. Es ist das Wechselspiel des Lebens, dem auch Achmed und später Achmed und Aladin ausgesetzt sind.
Die Handlung ist komplett frei von irgendwelchen Einflüssen der Logik, alles ist pure Fantasie. Beim Anschauen hatten wir richtig Lust, uns danach hinzusetzen und mal wieder eine surrealistische Kurzgeschichte zu verfassen, was wir lange nicht mehr getan haben. Aber es war ja noch ein Polizeiruf zu sichten, weil wir nur noch wenige Tage Zeit haben, den Medienreceiver zu leeren, bevor der neue angeschlossen werden muss. Da war es also erst einmal nichts mit dem freien Assoziiieren, das bei uns schon häufiger die physischen Grenzen des Realismus gesprengt hat – wenn auch nicht ganz in diesem Maß wie in „Achmed“, der bei Ortswechseln, die neue Handlungselemente und Figuren führen, keine Kompromisse macht: Charme und Abwechslung gehen vor Plotentwicklung, was angesichts der begrenzten Möglichkeiten des Mediums, wie es hier bedient wird, vielleicht die bessere Lösung ist. Auch die Zwischentitel sind mit ihren Hintergrundornamenten wundervoll gestaltet und haben den Vorteil, dass sie zumindest in der restaurierten Fassung stillgestellt werden, also nicht flimmern. Damit bieten sie eine erholsame Abwechslung zum Film selbst, denn vor allem die Hintergründe schwanken bezüglich der Plastizität doch sehr stark. Manchmal ist z. B. das Bild eines Palastes kaum zu erkennen, dann plötzlich wieder sehr deutlich.
Auch die Animation weist nicht immer dieselbe Qualität auf – manchmal sind die Bewegungen recht ruckig, meist aber überwiegt das Flüssige, das den Film viel fortgeschrittener wirken lässt. Die Frage ist immer, ob es bei einem solchen Film über die werkimmanente Deutung hinausgehen kann. Auf der inneren Ebene ist „Achmed“ eine typische Heldenreise – der Held muss verschiedene Gefahren meistern, bis er, hier ganz klassisch, die Liebste gewinnt bzw. wiedergewinnt. Es ist also auch ein Verfolgungsfilm. Gerade in dem Bereich allerdings ist die Abwesenheit einer logischen Linie auch ein bisschen problematisch, weil man immer das Gefühl hat, Figuren wie die Hexe könnten sich so oder anders verhalten, es würde keinen Unterschied machen, weil es das „Zwingende“ nicht gibt, das psychologisch ausgefeilte Filme kennzeichnet. Ob die Gestaltung vom Expressionismus beeinflusst wurde, der noch vorherrschte, als der Film begonnen wurde, ob man sich bewusst angelehnt hat, ist für uns schwer auszumachen, mit Walter Ruttmann ist jedenfalls ein Künstler dabei, der zum Beispiel abstrakte Elemente in Werke wie „Sinfonie“ eingebracht hat. Eine künstlerische Übersetzung, eine Verfremdung gibt es ohnehin, sonst wäre „Achmed“ ja kein Kunstfilm. Darauf beruht aber auch seine Anziehungskraft.
Finale
Gehen wir über die werkimmanente Deutung hinaus, kommen wir in diesem Fall nicht sehr viel weiter, weil die Geschichte überzeitlich ist und wir auch keine besonderen Spezifika bemerkt haben, die speziell die 1920er aufnehmen. Man bleibt im Grunde im Märchenhaften und wie wir wissen, waren Märchen schon voller dämonischer Wesen und Menschen, bevor das Trauma des Ersten Weltkrieges sich in expressionistischen Filmen wie „Das Cabinet des Dr. Caligari“ visuell wiederfand. Von Caligari bis Hitler ist ein sinnvoller Titel, aber von Lotte Reiniger gibt es keine Entwicklunglinie schon gar nicht eine hin zur nächsten Tragödie. Allerdings hat Walt Disney sich doch von „Achmed“ inspirieren lassen, als er in den 1980ern „Die Hexe und der Zauberer“ inszenierte, ebenfalls mit einer Szene, in der sich die beiden Figuren schnell wandeln. „Achmed“ ist ein wichtiger Pionierfilm aus einem an Pionierfilmen damals reichen Land und man kann ihn auch heute noch genießen und die virtuose Gestaltungskunst bewundern.
85/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2019)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
(2) Zur weiteren Handlung:
3. Akt: Abenteuer in China
Der Zauberer bringt Pari Banu zum Kaiser von China und verkauft sie an ihn. Pari Banu widersetzt sich dem Werben des Kaisers. Dieser bietet sie schließlich seinem Liebling, einem Zwerg, nach Wahl zur Ehe oder zum Töten an. Der Zauberer war inzwischen zu dem trauernden Achmed zurückgekehrt und hat ihn auf einen flammenumwobenen Berg verschleppt und dort mit einem Felsen fixiert. Er droht, sich nun dessen Schwester zu bemächtigen. Im Flammenberg wohnt jedoch eine Hexe, die eine Feindin des Zauberers ist. Von ihr erhält Achmed Wunderwaffen für die Befreiung von Pari Banu. Diese wird gerade an den Zwerg verheiratet, als Achmed und die Hexe eintreffen. Achmed befreit sie (Pari Banu), als sie in das Haus des Bräutigams gezerrt wird. Doch auch die Dämonen von Wak-Wak suchen Pari Banu. Einige dieser fliegenden Drachen kann Achmed bekämpfen, doch andere von ihnen ergreifen Pari Banu und fliegen mit ihr davon. Achmed verschont den letzten Dämonen unter dem Versprechen, ihn nach Wak-Wak zu fliegen, doch dieser wirft Achmed direkt vor dem Tor von Wak-Wak ab, das sich nur dem öffnet, der Aladins Wunderlampe besitzt.
4. Akt: Aladin und die Wunderlampe
Achmed rettet Aladin aus den Klauen eines elefantenartigen Monsters mit Krallenfüßen und fragt ihn unvermittelt nach der Wunderlampe, die dieser jedoch auch nicht mehr hat. Aladin erzählt ihm die Geschichte, wie er als armer Schneider in der Stadt des Kalifen eines Tages Besuch von einem Mann erhielt, der ihn zu Dinarsade, der Tochter des Kalifen, führte. Dieser Mann versprach, sie ihm zur Frau zu geben, wenn er in einem Gebirge eine Wunderlampe aus einem Brunnen hole. Aladin stieg hinab durch mehrere unterirdische Höhlen und brachte die Lampe herauf. Er wurde aber von dem Mann wieder hinabgestoßen, da er darauf bestand, zuerst aus dem Brunnen gezogen zu werden, bevor er ihm die Lampe gebe. Beim Versuch, mit der Lampe Licht zu machen, entdeckte er die magische Kraft der Lampe. Der Geist der Lampe brachte ihn wieder nach Hause. Über Nacht ließ Aladin einen Palast erbauen und brachte damit den Kalifen zum Erstaunen, der ihm die schöne Dinarsade zur Frau gab. Achmed offenbart Aladin seine familiäre Beziehung zum Kalifen und zu Dinarsade, doch muss danach erfahren, dass eines Tages der Palast, die Prinzessin und die Lampe verschwunden waren und Aladin vor den Henker geführt wurde. Er konnte in letzter Sekunde fliehen und segelte mit einem Schiff davon. Bei einem Unwetter erlitt er Schiffbruch und wurde an Land gespült. Als er von einem Baum essen wollte, entpuppte sich dieser als das Elefantenmonster. Gerade als Achmed Aladin erklärt, für alles verantwortlich sei der afrikanische Zauberer gewesen, kommt die Feuerberghexe vom Himmel und drängt Achmed zur Befreiung Pari Banus, da diese von den Dämonen wegen der Flucht mit Achmed getötet werden soll. Die Hexe übernimmt für Achmed und Aladin den Kampf mit dem Zauberer um die Lampe, sie kämpfen in sich immer ändernden Tiergestalten gegeneinander, bis die Hexe obsiegt.
5. Akt: Die Geisterschlacht in Wak-Wak
Die Dämonen sind empört über ihre Herrin und drängen sie zum Sprung von einer Klippe, als Achmed herannaht. Aladin soll die Geister der Lampe herauslassen, doch die schwarzen Dämonen sind schneller und stürzen sich auf ihn. Es gelingt Achmed, ihn von den Dämonen zu befreien, doch die haben bereits die Lampe in ihren Besitz gebracht. Durch das Eingreifen der Hexe erlangen sie die Lampe zurück und lassen die guten Geister los, die die schwarzen Dämonen in einer turbulenten Schlacht bekämpfen. Ein vielköpfiger Dämon greift sich Pari Banu. Aus jedem seiner von Achmed im Kampf abgeschlagenen Köpfe wachsen zunächst zwei neue heraus, doch die Hexe kann dies mit Hilfe der Wunderlampe stoppen. Nach dem Sieg über die Dämonen kommt Aladins Palast herangeschwebt. Die Hexe schickt Aladin, Achmed und Pari Banu heim ins „Land der Sterblichen“ und behält die Wunderlampe. Im Palast findet Aladin seine Dinarsade. Die beiden Paare landen mit dem Palast wieder in der Kalifenstadt und werden vom Kalifen freudig empfangen.
| Regie | Lotte Reiniger |
|---|---|
| Drehbuch | Lotte Reiniger |
| Produktion | Louis Hagen |
| Musik | Wolfgang Zeller |
| Kamera | Carl Koch |
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

