„Radfahrer fast als Freiwild“ und die Berliner Verkehrspolitik der #Rückschrittskoalition als Ausdruck menschenfeindlicher Ideologie | Briefing 217 Trend | #Berlin #Verkehrspolitik #Verkehrssenatorin #Radfahrer #Autofahrer

Briefing 217 Trend #Radfahrer | Verkehrspolitik, Fahrradfahrer und Autofahrer, Rückschrittskoalition aus SPD und CDU

 Fahrradfahrer als Freiwild & die Berliner Rückschrittskoalition ist noch rückschrittlicher als befürchtet.

[Sebastian Kienle] verspürt ohnehin mehr Angst beim Rad-Training auf öffentlichen Straßen als bei Wettkämpfen. „Man fühlt sich zwischendurch als Radfahrer fast wie Freiwild“, sagt Kienle und berichtet, dass er eigentlich kaum eine Ausfahrt habe, auf der es nicht eine potenziell lebensbedrohliche Situation gebe, die nur dadurch verhindert werde, weil er sehr aufmerksam fahre. „Das Aggressionspotenzial ist nach meinem Gefühl unheimlich gestiegen.“ Er werde erleichtert sein, wenn er sich dem nach dem Ende seiner Karriere nach dieser Saison nicht mehr so aussetzen müsse.

Sebastian Kienle nach Ironman-Schock: „Als Radfahrer fast Freiwild“ | WEB.DE

Sebastian Kienle ist nicht irgendwer, sondern eine der führenden Persönlichkeiten des deutschen Triathlon-Sports. Seine Aussage hat er im Zusammenhang mit dem tödlichen Unfall bei einer Veranstaltung beim kürzlich abgehaltenen Hamburger Ironman-Wettbewerb getätigt.

Wir sehen sie immer wieder auf öffentlichen Straßen, die Menschen, die für diesen Sport und für den Radrennsport trainieren – seit wir selbst wieder mehr auf dem Rad unterwegs sind, also seit etwas über einem Jahr, sogar recht häufig. Wir können aus Radfahrer:innensicht nicht so gut einschätzen, wie die Autofahrer hier vor zehn oder fünfzehn Jahren drauf waren, als wir selbst noch überwiegend mit dem Auto unterwegs waren. Wir können nur sagen, wir haben Radfahrer nie absichtlich bedrängt oder deren Rechte missachtet. Noch weiter zurück gehen wir ohnehin nicht, weil wir damals nicht in Berlin gelebt haben. Aber seit wir wieder mehr in die Pedale treten, ist es schlimm, es in dieser Stadt zu tun.

Es wird schlimmer werden

Die allgemeine gesellschaftliche Aggressivität hat zugenommen, das ist auch in anderen Bereichen unstreitig, nicht nur im Straßenverkehr – und in Berlin tut die neue CDU-SPD-Regierungskoalition alles, um den Autofahrer:innen zu signalisieren, dass Radfahrer:innen nichts wert sind. Längst beschlossene Radfahrwegprojekte werden gestoppt, sogar bereits eingerichtete Radwege werden wieder zurückgebaut. Ein absoluter Irrsinn in diesen Zeiten, verkehrstechnisch und ökologisch gesehen. Wir hatten von dieser Koalition nichts Gutes erwartet, aber dass es so dramatisch mies werden würde, dass sogar vom Bund geförderte Projekte auf den Prüfstand sollen, dass jeder (!) Parkplatz, der durch einen Radweg wegfällt, das Radwegprojekt zunichtemachen soll, das ist ein wohl weltweit einmaliger Vorgang.

Selbst der liberalkonservative Tagesspiegel spricht von einer möglicherweise rechtswidrigen, idologisch gefärbten „Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Politik“ der CDU-Verkehrssenatorin. Radwege-Chaos in Berlin: Die CDU will in der Verkehrspolitik mit dem Kopf durch die Wand (tagesspiegel.de)

So ist das mit den Wahlversprechen einer Partei, von der man hätte wissen können, dass sie nicht pragmatisch, kooperativ, ausgleichend handeln, sondern ihre Rückwärtsideologie in den Vordergrund rücken wird.

Eine ideologiefreie Verkehrspolitik und kein ‚Mit dem Kopf durch die Wand’ hatte die CDU versprochen. Aktuell führt sie selbst das genaue Gegenteil auf (Christian Latz, Berliner Tagesspiegel).

Weil „Radfahrer“ gerade auf Twitter trendet, ergänzen wir noch den allerneuesten Knaller: Bestehende Radwege sollen sogar von Autos beparkt werden dürfen:

(2) Jonas Schaible auf Twitter: „Man kann sagen, dass es keine objektivierbare Notwendigkeit gibt, den Radwegausbau in Berlin quasi anzuhalten – oder für sowas. Es gibt eigentlich nur zwei Erklärungen: undurchdachten Aktionismus oder eine bewusste Breitseite gegen Radfahrer, Kulturkampf durch Parken.“ / Twitter

Es ist unfassbar. Manche Autler tun das ja sowieso, ohne jede Rücksicht, aber das auch noch zu erlauben, schlägt dem Fass wirklich den Boden aus.

(2) Jochen Biedermann auf Twitter: „„Senatorin Schreiner hat es vermocht, innerhalb weniger Wochen Amtszeit zur Chaos-Senatorin zu mutieren, eine nie dagewesene Verwirrung anzurichten und weite Teile der Stadtgesellschaft gegen sich aufzubringen.“ https://t.co/RaNsvaaJKZ“ / Twitter

An dieser Stelle ein Gruß an den Sender des Tweets, der während unserer Berichterstattung über den Berliner #Mietenwahnsinn immer sehr offen und kooperativ war. Auch ein guter Tweet:

„Für alle die dachten, Wahlen ändern nichts, eine gute Lektion.“

Und hier noch etwas von berufener Seite, das den Verdacht erhärtet, dass der gegenwärtige Kurs in der Berliner Verkehrspolitik nicht etwa dem chaotischen Hirn einer einzelnen Person entsprungen ist:

(2) Monika Herrmann 🚴🔥💚 auf Twitter: „In den Zählgemeinschaftsverhandlungen der Bezirke, wollte die @cduberlin fast überall unbedingt das Verkehrsamt haben. Das ist keine durchgeknallte Senatorin, ihre Aktionen sind von langer Hand in der @cduberlin vorgeplant gewesen. Es geht um Abwicklung! https://t.co/wfrbSXQkxn“ / Twitter

Alle anderen großen Städte in Europa, vor allem im Norden und in der Mitte des Kontinents gehen in die Gegenrichtung, sind teilweise ohnehin viel weiter als Berlin, aber was jetzt läuft, ist in der Tat ein Freibrief für Autofahrer:innen, sich noch rücksichtsloser zu verhalten, als sie das ohnehin schon tun, inklusive der Missachtung der Vorfahrt, dem beständigen Zustellen von Radwegen, dem Überholen dem Vorbeiquetschen unter sträflicher Missachtung des Sicherheitsabstands usw. Wir können es bestätigen: Keine längere Ausfahrt, bei der nicht potenziell lebensgefährliche Situationen durch das Fehlverhalten von Autofahrer:innen für uns entstehen.

Erst am letzten Wochenende hatten wir wieder einen Unfall durch die Unachtsamkeit – einer Fußgängerin, die komplett ignorant dem übrigen Verkehr gegenüber und mit Kopfhörern auf der Birne auf den Radweg rannte. Wir haben es hingekriegt, dass ihr nichts passiert, das kann man von uns und von unserem Fahrrad nicht behaupten. Ein abgegrenzter Radschnellweg hätte das verhindert, obwohl in dem Fall eine ungünstig eingerichtete Baustelle als erschwerender Grund für die (aus unserer Position betrachtet) Unvermeidbarkeit des Unfalls hinzukam. Selbstverständlich entbindet auch das beste Radwegenetz Verkehrsteilnehmer nicht von ihren Aufmerksamkeitspflichten, das gilt auch für (uns) Radfahrer:innen.

Nicht nur  die Größe das Radwegenetzes gibt Auskunft über den Wert der Radfahrer:innen

Wir haben es schon jetzt ziemlich satt, obwohl die Saison für Freizeitfahrer, die nicht bei jedem Winterwetter draußen sein wollen, gerade erst begonnen hat. Wir werden weiterfahren, aber wir wissen, ungefährlich ist das nicht. Hinzu kommt, wir fahren viel häufiger auf der Straße, als wir das tun würden, wenn die Radwege in einem brauchbaren Zustand wären. Man merkt sozusagen an jeder Holperstelle, jedem Schlagloch, die das Material und die Knochen über Gebühr beansprucht, wie wenig man als Radfahrer in dieser Stadt wertgeschätzt wird. Dies auch zur Erklärung für Autofahrer, die sich fragen, warum wir nicht vorhandene Radwege benutzen und die selbst keine Radfahrer:innen sind. Wenn sie auch mal mit dem Rad unterwegs sind, sollten sie wissen, warum wir trotz der Gefahren oftmals auf die Straße ausweichen. Anmerkung: Es gibt Pflicht-Fahrradwege, daran halten wir uns natürlich.

Ab einer gewissen Geschwindigkeit sind viele Berliner Radwege wegen ihres grausamen Zustands noch gefährlicher als das Fahren auf Busspuren oder Fahrbahnen für den motorisierten Verkehr. Wir fahren hauptsächlich in den späten Abendstunden, Kernzeit zwischen  22:30 und 00:30 Uhr, weil dann weniger Betrieb ist und oft in den Nebenstraßen einiger Viertel im Südwesten der Stadt, weil es dort prinzipiell etwas entspannter zugeht, auch dann, wenn es keine Radwege gibt oder sie nicht ohne erhöhte Schadensgefahr für Mensch und Material benutzbar sind.

Nun haben wir also in Berlin auch noch eine Stadtregierung, die Konflikte nicht moderieren oder entschärfen wird, sondern von Beginn an befeuert. Vor allem die Menschen in der Innenstadt sind entsetzt, denn diese Politik wird nicht für sie gemacht, wie die Wahlergebnisse klar demonstriert haben. Auch von Twitter: „Diese Politiker:innen hassen die Innenstadtgesellschaft.“  

Hass auf die Innenstadt

Hier wird der Kern einer Stadt, die eine Weltstadt sein will, nicht nur missachtet, sondern aggressiv, ganz im Sinne der gesellschaftlichen Konfrontation und mit einer rechten, retardierten Politik angegangen. Man weiß sehr wohl, dass man hier nie auf hohe Wahlergebnisse kommen wird, also versucht man, niedere Instinkte in den Randbezirken zu befriedigen, zu Lasten der Mehrheit in dieser Stadt, die diese Koalition niemals wollte. Wir hatten mehrfach davor gewarnt, aber nicht damit gerechnet, dass die SPD ihr obermiserables Wahlergebnis dazu benutzt, den Wähler:innenwillen, der trotz der SPD-Verluste auf eine Fortsetzung der Regierung Rot-Grün-Rot gerichtet war, in die Tonne zu treten. Nun gehören wir persönlich zu den ersten, die die neuen Verhältnisse auszubaden haben. Die alten waren alles andere als perfekt, aber bisher ist auch in anderen Bereichen kein Fortschritt zu erkennen, zum Beispiel verwaltungsseitig. Irgendetwas, was den Schock wenigstens mildern könnte, der gerade durch eine Verkehrspolitik aus dem Gruselkabinett verursacht wird.

Grüne, seid froh, dass ihr in die Opposition musstet

Die Grünen sollten spätestens jetzt nicht mehr darüber beleidigt sein, dass die CDU sie nicht als Koalitionspartner auserwählt hat. Wie hätte das zum Beispiel bei der Verkehrspolitik unter einem Regierenden Bürgermeister Wegner (CDU) funktionieren sollen, ohne dass sich die Grünen selbst massiv beschädigt und unglaubwürdig gemacht hätten?

Jede:n künftigen toten Radfahrer:in in Berlin werden wir dieser Politik der #Rückschrittskoalition zubuchen, unabhängig von Fragen der Kausalität im Einzelfall. Hier läuft insgesamt etwas komplett schief, und dies halten wir für Absicht (diese Bemerkung haben wir schon geschrieben, bevor wir noch einmal auf Twitter nach aktuellen Reaktionen geschaut haben, von denen eine diese Ansicht bestätigt).

Man hätte es schon ahnen können, als die Friedrichstraße mit großer Hast wieder für den Autoverkehr geöffnet wurde, anstatt, dass man die Situation sinnvoll moderiert hätte, aber wir dachten, hier soll ein grünes Leuchtturmprojekt auch symbolisch gekippt werden, hatten nicht mit einer dermaßen ideologischen Gegenaufladung bei der Politik für die gesamte Stadt gerechnet. Die neue Verkehrssenatorin hatte sich früher übrigens gerne in die Kämpfe der Mieter:innenbewegung auf Seiten der Vermieter eingeschaltet, daher war uns ihr Name aus den sozialen Netzwerken bekannt. Wir dachten: Hoffentlich wird diese Person nicht Bausenatorin der #Rückschrittskoalition, das stand ja durchaus in Rede.

Selbsthilfe als Ausweg?

Aber jetzt ist es nicht besser. Es gibt Menschen, die können auf jeder Position Schaden anrichten, wie man wieder einmal sieht und im wörtlichen Sinne leidvoll erfahren muss. Wir überlegen schon, ob wir uns eine Dashcam für die Montage auf dem Helm zulegen, um Übergriffe insbesondere von Autofahrer:innen dokumentieren zu können, obwohl wir diese Dinger aus optischen, aerodynamischen und sozialen Gründen grausam finden. Aber was soll man noch tun, um sich gegen diese Kollaboration von mieser Politik und miesem Sozialverhalten zur Wehr zu setzen, als die Dinge, so gut es geht, in die eigene Hand zu nehmen?

Dass ist uns dies nicht davor schützt, tatsächlich überfahren zu werden, ist uns leider klar, aber die eine oder andere auf Beweismaterial gestützte Anzeige gegen besonders rechtswidriges Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer könnte bis zum vorzeitigen Exitus aufgrund menschenfeindlicher Verkehrspolitik der #Rückschrittskoalition wenigstens den angestauten Ärger mildern und damit auch die Gefahr, selbst Fehler zu begehen.

Ach ja: Wir sind schon gespannt, wann die jüngeren Tempo-30-Projekte  vom Team Rückschritt rückgängig gemacht werden, die stellenweise einiges zur Beruhigung der Verkehrslage beigetragen haben, das Beispiel Hauptstraße Schöneberg hatten wir kürzlich in einem Artikel erwähnt, in dem es zum eine Umfrage zu „Tempo 30 in den Städten“ ging.

TH

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