Der Heckenschütze – Tatort 405 #Crimetime 1153 #Tatort #Frankfurt #Brinkmann #HR #Heckenschütze

Crimetime 1153 – Titelfoto © HR, Andrea Enderlein

Falsche Zeit, falscher Ort = Mord

Der Heckenschütze ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort der vom Hessischen Rundfunk (HR) unter der Regie von Heinz Schirk produziert und am 7. Februar 1999 im Programm Das Erste zum ersten Mal gesendet wurde. Es handelt sich um die 405. Tatort-Folge und den 21. Fall des Kriminalhauptkommissar Edgar Brinkmann.

Wir hatten gestern einen Köln-Tatort aus 1998 rezensiert, und da dachten wir uns, passt dieser Hesse, der ein Jahr später entstand, ganz gut. Allerdings: „Der Heckenschütze“ hatten wir viel früher aufgezeichnet und – wir waren zweimal beim Anschauen eingeschlafen, das heißt, wir haben erst im dritten Anlauf den Wir-stehen-jeden-Tatort-durch-Test bestanden. Wenn wir nicht darüber sprechen würden, kein Leser würde es merken – oder doch? Jedenfalls, wenn man sieht, was die Kölner 1998 drauf hatten und dann Frankfurt 1999 erleben darf, versteht man, warum der Hessische Rundfunk nach der Ära Brinkmann etwas vollkommen anderes machen wollte und dafür das Duo Sänger / Dellwo erfand. Nachdem wir nun schon die Bewertung halbwegs gespoilert haben, lesen Sie bitte trotzdem mehr zum Film in der –> Rezension.

Handlung  (Das Erste)

Der Frankfurter Firmenchef Olaf Lasen feiert mit seiner Belegschaft den Gewinn eines internationalen Preises, verbunden mit einem Großauftrag. Dabei wird er von einem unbekannten Täter hinterrücks erschossen. Nur 24 Stunden später schießt derselbe Unbekannte den Unternehmer Heiner Kolbe nieder.

Lasen hatte mit Kolbes Frau ein Verhältnis, obwohl die beiden Männer von Jugend an miteinander befreundet waren. Lasens Witwe bittet den Pfarrer Gero Herkel, die Trauerpredigt für ihren ermordeten Mann zu halten; Herkel ist ebenfalls ein Jugendfreund Lasens. Während der Predigt erschießt der Unbekannte auch den Geistlichen von einer Empore aus und flüchtet. Kommissar Brinkmann und sein Assistent, die beide an der Trauerfeier teilnahmen, können ihn jedoch ergreifen. Der bleiche junge Mann verweigert jede Aussage. Bei einer psychiatrischen Untersuchung entkommt er wieder.

Die Ermittlungen ergeben, daß es sich um einen gewissen Jan Giese handelt. Von der Familie Giese erfährt Brinkmann, daß Jan das uneheliche Kind von Lisa Gieses Schwester Hanna ist. Hanna gehört seit Jahren einer Sekte an, deren Mitglieder sich „Die Auserwählten des Jüngsten Gerichts“ nennen. Sie leben auf einem Schloß, wo Sektenchef Sirach sie von der Außenwelt hermetisch abschirmt. Jan wurde von den Gieses als Baby adoptiert, hatte es aber schwer in der Familie. In seinem Zimmer findet der Kommissar einen Hinweis auf die drei Opfer seiner Mordanschläge, dazu einen vierten Namen: K. Schröder. Vieles spricht dafür, daß der flüchtige Jan auch diesen Mann umbringen will, aber das Motiv für seinen Amoklauf bleibt rätselhaft.

Für Brinkmann und seinen Assistenten stellt sich daher die schwere Aufgabe, die Hintergründe der Mordserie herauszubekommen und Jan zu fassen, bevor er noch ein weiteres Opfer findet.

Rezension 

Seltsam trotzdem, dass wir solche Schwierigkeiten mit diesem Tatort hatten, denn Dinge, die so schlecht sind, dass es schon wieder humorig wirkt, haben doch ihre eigene Faszination. Vielleicht sollten wir mal den Ed Wood-Preis für den schlechtesten Tatort aller Zeiten erfinden, „Der Heckenschütze“ wäre gewiss ein Kandidat. Wir wissen nicht so recht, wo wir beginnen sollen, denn es stellt sich wieder einmal heraus, dass man über schwache Film mehr schreiben kann als über gute.

Auffällig ist znächst, dass dieses Werk in zwei Teile zerfällt. Aus einem Whodunit wird mittendrin ein Howcatchhim und dann ein Howcatchhim again, wobei letztere Teile wirklich zusammengehören, der erste aber davon erheblich abweicht. Also, man hat versucht, den Film zu einem Thriller zu wandeln und dafür auch das Element des Rennens gegen die Zeit eingebaut.

Offensichtlich wollte man auch verdiente Schauspieler in großer Anzahl beschäftigen, denn die Besetzungsliste ist eine der längsten, die wir bisher bei einem Tatort gesehen haben. Dass man ihnen mit der Inszenierung teilweise einen Bärendienst erwiesen hat, ist leider die andere Seite der Medaille.

Inklusive Verdächtigem, auf den dann auch geschossen wird, treten alle Darsteller, die bis dahin relevant waren, sang- und klanglos ab. Bis auf die Ermittler, versteht sich. In dem Moment, in dem der junge Täter erscheint, wird im Prinzip ein zweiter Fall aufgemacht, alle neuen Figuren müssen erst wieder eingeführt werden. Es gibt im Howcatchhim viel mehr Personal als im ersten Teil.  Auch die Inszenierung ändert sich, Gottseidank hin zum Positiven. Es wird am Ende noch richtig dramatisch und es nimmt auch kein gutes Ende. Armer Mordbube.

Selten haben wir einen stilistisch so unebenen Tatort gesehen wie diesen. Vor allem im ersten Teil war die Inszenierung dermaßen hölzern, das Timing so schwach, dass man den Eindruck hatte, hier sind Schauspielschüler zugange, die noch nicht viele Semester hinter sich haben, angeleitet von einem Regie-Eleven, der einen Probe-Langfilm machen darf.  Wir wissen aufgrund der Sichtung anderer Filmen, dass dies nicht der Fall ist, aber wie man es schaffte, sie so übertrieben und gleichzeitig blutarm auftreten zu lassen – möglich, dass einige von ihnen absichtlich chargiert haben, und der Regisseur hat’s nicht gemerkt.

Schon in der Anfangszene, diese Architekturpreis-Gewinnerparty ist komplett aus dem Leim, wenn man etwas genauer hinschaut. Die riesigen Zeitabstände zwischen Aktion und jeweiliger Reaktion hätte man wenigstens durch einen etwas rasanteren Schnitt verkürzen können, aber auch der wirkt zu Beginn dieses Tatorts stümperhaft. Wir schreiben selten so deftig, weil wir generell die Arbeit an dieser Tatort-Reihe schätzen und allen Beteiligten ein gewisses grundsätzliches Wohlwollen entgegen bringen (besonders den Schauspielern), aber hier geht’s nicht anders. Voll witzig ist auch, wie inadäquat manche Reaktionen sind. Hysterisch, wo Trauer angesagt wäre, komplett lakonisch, wo das Erstaunen oder Entsetzen greifbar sein müsste. Nach der Erschießung sowohl des ersten wie des dritten Opfers herrscht nicht die Stille des Schocks, sondern so eine gewisse geschäftige Normalität – in dem Raum, in dem gefeiert wurde, in der Kirche. Erst viel später schreien Leute plötzlich los und Action kommt auf. Wir können’s nicht ändern, auch beim Schreiben über lässt sich das Lachen über die unfreiwillige komische Szenengestaltung nicht verhindern.

Der Plot entspricht der Inszenierung. Wäre er eine Straße, wäre er vor lauter Löchern unpassierbar. Und immer, wenn man denkt, jetzt kriegt der Film die Kurve, jetzt kommt doch Spannung und Dramatik rein, wird alles wieder so schief, dass man sich fragt, ob man – genau – im falschen Film ist, auch krimitechnisch gesehen. Das fängt bei den Ermittlungen an, denen es an jeder Form von Intuition und Verfahren mangelt, wir können die Fehler oder Schwächen hier nicht einzeln wiedergeben, daher nur ein Beispiel: Wieso fragt Brinkmann nicht das auf dem Weg der Genesung befindliche zweite Opfer, wer der ominöse vierte Mann ist, nachdem er den Zettel in Jans Zimmer gefunden hat, von dem das Foto abgetrennt wurde – normalerweise würde jemand ja wohl auch den Zettel verschwinden lassen, die herausgerissene Seite aus einem Gästebuch. Das war nun nicht der größte Klops, aber einer von vielen.

Und was wollte man eigentlich machen? Einen Sektentatort? Dazu stehen die Auserwählten der letzten Tage, die deutlich auf die Zeugen Jehovas anspielen sollen, zu wenig im Mittelpunkt. Deren Chef ist ein Beispiel dafür, wie man auch gute Ansätze verhunzen kann. In seiner Umgebung hat er eine Dominanz, die bedrückend wirkt, obgleich auch hier ein Overacting kaum zu übersehen ist. Aber wie er dann in das Haus der Familie einrückt, mit mehreren kräftigen Männern vom eigenen SD und die ausgerückte Mutter des Täters bespricht, dann aber mit Verfluchungen wieder abrückt, das ist krass lächerlich. Entweder kommt er allein oder er setzt seine Leute ein, um die Person gewaltsam wieder ins abgeriegelte Sektenheim zu bringen. Die Szenen sind eindeutig nicht im Griff, denn wir können uns nicht vorstellen, dass der Mann hier lächerlich wirken sollte, dazu hat der Tatort zu wenig einen gewollten Humor. Er hat gar keinen, und das wirkt manchmal eben lustig.

Finale

„Der Heckenschütze“ hat kein zentrales Thema, weil er viel zu bruchstückhaft und auf den Moment anstatt aufs Ganze ausgerichtet ist. Die Darstellung von Marek Harloff als Jan Giese, der Mörder und dessen dramatischer Schlussakkord ragen wohl deshalb heraus, weil das Umfeld sehr schwach ist, denn auch seine Darstellung hat ihre Klemmen und Schwächen – vor allem zu Beginn. Es wirkt in der Tat, als sei man während des Drehs immer mehr auf Touren gekommen und habe hinzugelernt. Doch um den ersten Teil neu zu drehen, dafür fehlt bei einem Tatort wohl doch das Geld. Dumm, dass der schwache Beginn so ausstrahlt. Dadurch verliert der zweite Teil an Intensität und auch die Skurrilität, welche die Sekte und der Maler durchaus haben, verpufft ein wenig, weil man nie weiß, was ist beabsichtigt und was entspringt einer gar nicht gewollten Situationskomik. Vor allem die Szene mit dem Maler, ziemlich am Ende, der Jans viertes Opfer hätten werden sollen, kann daher kaum eingeordnet werden, obwohl sie gut ist, isoliert betrachtet, und sieals absichtlich schräg interpretiert.

Wir haben abschießend nachgeschaut – Heinz Schirk, bisher für uns ein unbeschriebenes Blatt, der hier Regie geführt hat und das Drehbuch verfasst, hat immerhin die Bücher zu neun Filmen der Reihe geschrieben und zwölf Tatorte inszeniert. Wie diese beim „Fundus“ bewertet sind, wäre interessant, führt aber zu weit und wir überlassen die Recherche unseren Lesern. Dass Schirk auch malt, sagt der Wikipedia-Artikel über ihn ebenfalls aus. Deshalb dürfte wohl auch die Malerei-Szene so auffallend lebendig ausgefallen sein.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2023:  Die Rangliste des Tatort-Fundus ist leider nicht mehr einsehbar. Auch wenn wir nun die Schirk-Recherche noch hätten nachliefern wollen, das ist leider nicht mehr möglich.

5/10

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

Regie Heinz Schirk
Drehbuch Heinz Schirk
Produktion Bernt Rhotert
Musik Jochen Schmidt-Hambrock
Kamera Werner Hoffmann
Schnitt Gabriela Pötzsch
Premiere 7. Feb. 1999 auf Das Erste
Besetzung

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