Russlands Teilnahme an Sportwettkämpfen? (Umfrage + Kommentar) | Briefing 234 | Geopolitik, Sport

Briefing 234 | Geopolitik, Sportboykott, russische Sportler:innen

Nach dem gestrigen Beitrag über die Unterstützer-Länder der Ukraine …

Top-Unterstützer der Ukraine: Deutschland ganz vorne, wenn man realistisch rechnet (Statista + Kommentar) | Briefing 233 | Geopolitik, Ukrainekrieg

… sind wir heute wieder beim Thema Russland-Ukraine-Krieg und beleuchten einen Aspekt, aus dem Krieg draußen bleiben sollte. Das tut er natürlich nicht, daher der folgende Artikel.

Es geschah im Jahr 1980. Damals boykottierten viele westliche Länder die Olympischen Sommerspiele in Moskau wegen des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan im Jahr zuvor. 1984 erfolgte ein Gegenboykott des Ostblocks bei den Olympischen Spielen von Los Angeles.

Russland war also schon einmal Ziel eines Ausschlusses, wenn auch in der anderen Richtung, Viele andere blieben weg. So alt ist also die Politisierung des Sports? Sie ist viel älter.  Sie zurück bis in den Zweiten Weltkrieg, als die Spiele zunächst zweimal ausgesetzt wurden und Deutschland durfte im Friedensjahr 1948 nicht teilnehmen. Selbst das war nicht der Anfang: Obwohl bezüglich des Ersten Weltkriegs die Schuldfrage nicht so eindeutig war, musste Deutschland auch 1920 draußen bleiben. 1952 zog die Republik China (Taiwan) ihre Teilnahme zurück, als die VR China eingeladen wurde. Das sind nur einige Beispiele aus einer langen Tradition der Politisierung, die außerdem, wie 1936 in Berlin, auch in die andere Richtung laufen kann, nämlich dahin, die Spiele, bei denen alle dabei sind, gerade deswegen bestens als Propaganda-Instrument missbrauchen zu können.

Was immer IOC-Präsident Thomas Bach also zur Einheit des Weltsports sagt, es ist, historisch betrachtet, eher Wunschdenken als Wirklichkeit. Unter dieser Prämisse lesen Sie bitte den Civey-Begleittext und unseren weiteren Kommentar darunter.

Civey-Umfrage: Sollten Ihrer Meinung nach die derzeit ausgeschlossenen Sportlerinnen und Sportler aus Russland wieder an internationalen Wettkämpfen teilnehmen dürfen? – Civey

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) beschloss im Frühjahr mit Berufung auf das Völkerrecht, den seit dem Krieg verbannten russischen Sportler:innen die Rückkehr zu internationalen Wettbewerben zu ermöglichen. Zu den Teilnahmebedingungen zählen laut Sportschau Neutralität, Nichtzugehörigkeit zum Militär und der Nachweis, den Krieg nicht zu unterstützen. Einige Verbände wie der Weltradsportverband setzen die Empfehlung um, andere – wie der Deutsche Olympische Sportbund – führen die russische Sperre fort.  

Die damalige Entscheidung des IOC wurde von der Ukraine und anderen Ländern teils stark kritisiert. Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte sie auf Twitter aufgrund des russischen Kriegs gegen die Ukraine „ein Schlag ins Gesicht der ukrainischen Sportlerinnen und Sportler”. Die Ukraine drohte mit dem Boykott von Sportevents, an denen russische Athletinnen und Athleten teilnehmen. Die Drohung wurde und wird mittlerweile auch teils umgesetzt. 

IOC-Präsident Thomas Bach kritisiert die Boykotthaltung. „Die ukrainischen Athleten werden von ihrer eigenen Regierung für den Krieg bestraft, der von den Regierungen von Russland und Belarus begonnen worden ist”, sagte er im Juni laut FAZ. Bei der Debatte müsste „die Einheit der olympischen Bewegung” ohne Diskriminierung im Mittelpunkt stehen. Schon im Frühjahr wies das IOC die politischen Forderungen als „unzulässige Einmischung” in den Sport zurück, berichtet die SZ.

Hier noch einmal die Umfrage:

Civey-Umfrage: Sollten Ihrer Meinung nach die derzeit ausgeschlossenen Sportlerinnen und Sportler aus Russland wieder an internationalen Wettkämpfen teilnehmen dürfen? – Civey

Ein selbstgewählter Boykott, wie gegenwärtig durch die Ukraine vorgenommen, ist eine Sache, ein Ausschluss eine andere. Manche Boykotte und Ausschlüsse in der Historie, aus der wir die Olympischen Spiele als das größte Ereignis herausgegriffen haben und weil Thomas Bach Präsident des IOC ist, sind nachvollziehbar, andere ungerecht, manche reine Retourkutschen. Dem völkerverbindenden Grundgedanken des Sports wird das nicht gerecht. Aber ist der Sport wirklich völkerverbindend? Wäre er das, dürften Sportler eigentlich nicht als Angehörige von Nationalmannschaften, sondern allenfalls als Individuen in Wettbewerbe gehen. Wenn man bedenkt, wie sehr Sport von manchen Regierungen auch als Prestigeobjekt missbraucht wurde und wie sich das auf unfaire Verhältnisse durch massives, teilweise staatlich organisiertes Doping ausgewirkt hat, wurde gerade die olympische Idee immer wieder infrage gestellt. Und warum sollte es im Sport so viel anders zugehen als anderswo auf der Welt? Der moralische Zeigefinger ist ja gerade in Deutschland sehr beliebt, aber deswegen nicht glaubwürdiger als in anderen Ländern, in denen man nicht so auf dem Trip ist, den Rest der Welt zu maßregeln.

Direkt nach dem Lesen der Frage waren wir unentschieden, aber wir haben uns dann noch einmal die lange Historie von Ungerechtigkeit im Sport vor Augen geführt und uns für ein „eher ja“ entschieden. Nicht um jeden Preis, nicht, wenn zu klar Propaganda für den Angriffskrieg gemacht wird, aber grundsätzlich ja. Dass wir damit eher auf der Seite von Thomas Bach stehen, den wir als Sportfunktionär sehr kritisch wahrnehmen, ändert nichts daran, dass russische Sportler:innen wieder eine Chance zur Teilnahme an Wettbewerben bekommen sollten. Grundsätzlich zumindest. Wenn die Ukraine dann ihrerseits ihre Sportler:innen zu Hause lässt, ist das deren Entscheidung.

Schon die Wirtschaftssanktionen gegen Russland sind mit erheblichem Aufwand verbunden und im Erfolg fragwürdig, in der Zielrichtung ebenfalls, aber beim Sport sollte man anständigerweise eine Grenze für Ausgrenzung ziehen. Es wird sich wohl auch nicht vermeiden lassen, dass russische Sportler:innen sich doch zum Krieg äußern, mit etwas Pech auch positiv. Dann wäre es angebracht, über Einzelsanktionen nachzudenken, denn Kriegspropaganda betreiben ist nicht die Äußerung einer beliebigen Meinung, ebenso wenig wie Nazipositionen vertreten. Aber je mehr wir darüber nachdenken, desto mehr sind wir gegen einen generellen Ausschluss russischer Athlet:innen von internationalen Sportveranstaltungen.

Eine knappe absolute Mehrheit ist nach aktuellem, noch sehr volatilen Stand der Umfrage, die erst vor wenigen Stunden aufgesetzt wurde, strikt dagegen, insgesamt sind ca. 56 Prozent dagegen, wenn man die „Latenten“ mitrechnet, etwa 38 Prozent dafür, dass russische Sportler:innen wieder mitmachen dürfen. Wir sind also in der Minderheit, aber dazu können wir als ehemalige Leistungssportler ganz gut stehen.

Sicher ist es auch propagandistisch nutzbar, wenn Sportler:innen Medaillen für kriegführende Länder gewinnen, aber wurden die Athlet:innen USA wegen deren Teilnahme am Vietnamkrieg und der Art, wie dieser Krieg geführt wurde, oder wegen des auf Basis von Fake News inszenierten Irakkriegs von nur einer einzigen Sportveranstaltung ausgeschlossen? Eben. Auch das spielt eine Rolle bei unseren Überlegungen: Dieses ewige Messen mit unterschiedlichen Maßstäben, das auch die aktuelle sogenannte Wertepolitik fragwürdig erscheinen lässt. In diesem Fall finden wir die Haltung des IOC also richtig, und zwar unabhängig davon, welche die tatsächlichen Hintergründe für die Entscheidung dieser trickreichen Funktionäre gewesen sein mögen, sondern ausschließlich im Sinne des Sports und der Sportler:innen.

Ein letzter Aspekt: Es gibt Menschen, die den Sanktionen gegen Russland noch immer eine den Krieg verkürzende Wirkung beimessen, obwohl das gerade beschlossene elfte Sanktionspaket der EU mit seiner Bescheidenheit dokumentiert, wie hilflos diese Art von Politik mittlerweile ausschaut. SP 11 dürfte kaum etwas an der Kriegsfähigkeit der Angreifer ändern. In Sachen Sport geht es hingegen um reine Symbolik, niemandem ist damit geholfen, dass Athlet:innen nicht an Veranstaltungen teilnehmen dürfen, nichts wird dadurch für den Frieden getan. Leider wird wohl auch etwas anderes nicht stattfinden: Dass russische und ukrainische Sportler:innen solche Events nutzen, um gemeinsam für den Frieden zu demonstrieren. Das wäre wirklich völkerverbindend, aber es ist nur ein schöner Traum. Schon deshalb, weil es wiederum eine Politisierung des Sports bedeuten würde und somit sanktionsfähig wäre. Dabei wären solche mutigen Sportler:innen doch genau die Vorbilder, die wir bräuchten, damit es irgendwann doch mal etwas friedlicher zugeht auf der Welt.

TH

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