Hinter dem Rampenlicht (All That Jazz, USA 1979) #Filmfest 949

Filmfest 949 Cinema

Showtime, folks!

Hinter dem Rampenlicht ist ein US-amerikanischer Spielfilm aus dem Jahr 1979, der hinter die Kulissen von Musicalproduktionen blickt.

Den bekanntesten Film des Tänzers, Broadway- und Filmregisseurs Bob Fosse haben wir für den Wahlberliner noch nicht rezensiert: „Cabaret“ (1972) mit Liza Minelli in ihrer größten Rolle. Dafür kürzlich denjenigen, gegen den „All That Jazz“ im Rennen um den Oscar für den besten Film des Jahres 1979 verlor „Kramer gegen Kramer“.

Den bekanntesten Film des Tänzers, Broadway- und Filmregisseurs Bob Fosse haben wir für den Wahlberliner erst nach „All that Jazz“ rezensiert: „Cabaret“ (1972) mit Liza Minelli in ihrer größten Rolle. Dafür kürzlich denjenigen, gegen den „All That Jazz“ im Rennen um den Oscar für den besten Film des Jahres 1979 verlor „Kramer gegen Kramer“, die Rezension wird demnächst veröffentlicht. Wie gut aber ist ein Muscial, das in einer Zeit gedreht wurde, in der das Genre mit „New York, New York“ (ebenfalls mit Liza Minelli) gerade eine Art Abgesang erfahren hatte, das aber vor dem Revival des Sing- und Tanzfilms in den 1980ern entstand? Wir klären dies in der –> Rezension.

Handlung (1)

Der Choreograf Joe Gideon ist ein erfolgreicher Regisseur und Choreograph am Broadway, der gerade eine neue Show vorbereitet. In dieser Show spielt auch seine Ex-Frau Audrey Paris, mit der ihn ein enges berufliches Verhältnis und die Verantwortung um die gemeinsame Tochter Michelle verbindet. Seine Geliebte ist ebenfalls Tänzerin. Gideon ist erschöpft von beruflichem und privatem Stress und Konflikten mit seinen Frauen, die aus seiner notorischen Untreue erwachsen und dem Gefühl, nicht zu genügen. In seinen Tag-Nachtträumen erscheint ihm der Tod in Person der schönen Angelique. Nur ihr öffnet er sich und erzählt von seiner Vergangenheit, dem Sinn seiner Kunst und dem Unsinn des Todes. Der Workaholic erleidet schließlich einen Herzanfall. Nachdem er im Krankenhaus eine Narkose erhalten hat, erscheint es ihm, als würde er eine Show inszenieren, in der die Frauen seines Lebens auftreten. Die Operation gelingt, doch kurz darauf bekommt er einen weiteren Herzanfall, der zum Tode führt. 

Rezension 

Wir hätten den Oscar für den besten Film – vielleicht nicht den für die beste Regie, obwohl diese beiden Auszeichnungen meist miteinander einhergehen – an „All That Jazz“ vergeben, wenn die Entscheidung nur zwischen den beiden genannten Filmen zu treffen gewesen wäre. Im Wettbewerb war nämlich auch „Apocalypse Now“ von Francis Ford Coppola und nach dessen Rezension werden wir noch einmal unser Urteil überprüfen.

Wir haben Tanzfilme immer geliebt, klassische Hollywood-Musicals zumal, in denen sich Romantik und hervorragende Stepnummern zu einer unvergleichlichen Mischung verdichteten. Bis zu Filmen aus den 1970ern waren wir damals noch gar nicht vorgedrungen, mittlerweile haben wir auch „Fame“ (1980), den nächsten Hollywood-Tanzfilm nach „All That Jazz“ für den Wahlberliner gesehen und über ihn geschrieben und sind in die 1980er vorgestoßen, in denen es eine Art Soap-Revival für Filme übers Tanzen gab („Flashdance“, „Footloose“, „Dirty Dancing“).

„All That Jazz“ ist anders als all diese Filme und kommt selbstverständlich „Cabaret“ am nächsten, der ebenfalls ein Werk ist, in dem Grenzgänger und außergewöhnliche Persönlichkeiten zu sehen sind, die sich außergewöhnlich stark für ihre Kunst engagieren. Die Distanz zwischen Regisseur und Werk war aber auch bei „Cabaret“ noch deutlich größer als in dem autobiografischen Film von 1979, der einen Mann namens Joe Gideon zeigt, das alter ego von Bob Fosse, gespielt von Roy Scheider. „All That Jazz“ ist einer der besten Tanzfilme überhaupt, die Nummern sind zum Teil nicht nur gewagt und innovativ, sondern auch von der Perfektion, die Bob Fosse erzielt hätte, wäre er Joe Gideon. Die Qualen um die Idee und die Ausführung, das Casting, ein Standard im US-Muscial, die Proben, die Einflussnahne der Produzenten, die Angst vor einem Flop und damit um das investierte eigene und geliehene Geld, die privaten Beziehungen der Hauptfigur, im Grunde alles nicht neu.

Neu ist die Art, wie dies arrangiert und dadurch intensiver wird als je zuvor in einem Film dieses Genres. Die Auflösung der chronologischen Erzählstruktur durch das Filmen in Rückblenden, deren Ausgangspunkt immer eine Konversation von Gideon mit einem blonden Todesengel ist, widerspricht nicht nur allgemeinen, sondern besonders den Konventionen des Musicals, das besonders von einer fließenden, rhythmischen Erzählweise lebt. Anders wiederum ist von gnadenloser Überdehnung bekannter narrativer Elemente gekennzeichnet: Wie Gideon jeden Morgen aufsteht und vor dem Spiegel „It’s showtime, folks!“ sagt, wobei sein Zustand sich inzwischen jedes Mal verschlechtert hat, das ist nichts anderes als ein wiederkehrendes Motiv, dessen Variation eine bestimmte Entwicklung symbolisiert – und diese Technik ist uralt. Dass Fosse sie im Film sechs- oder siebenmal anwendet, wirkt hingegen schon wieder exzessiv, üblich ist der dreifache Einsatz mit Abwandlung – auch in der Form, dass Dinge, die versucht werden, zweimal schiefgehen, beim dritten Versuch aber funktionieren.

Das Tempo und die Energie des Films und des Mannes, der hinter diesem Film steht, ist atemberaubend, mit einer Einschränkung, die einen Punktabzug mit sich bringt: Gideon leitet uns während der gesamten Handlung auf das Sterben, wir wissen, dass dieser exzessive Typ am Ende draufgehen wird, dafür gibt es all die Unterhaltungen mit Jessica Lange, die den blonden Engel spielt. Am Ende aber geht alles ineinander über und Gideon erleidet einen Herzinfarkt und bei einer zwischenzeitlichen Verbesserung seines Zustandes fällt ihm sogar eine Tanzszene mit Chirurgen ein – doch insgesamt ist das Zelebrieren des Sterbevorgangs zu ausgiebig geraten. Bis dieser Prozess beginnt, hat Bob Fosse diesen ungewöhnlich strukturierten Film gut im Griff, bemerkt man den starken künstlerischen Willen hinter allem, doch da geht offenbar die eigene Todesangst ein wenig mit ihm durch und wird in einer zu langen Schlusssequenz bearbeitet oder abgearbeitet.

Selbst in dem Sterbeprozess gibt es heitere Momente, verrückte Szenen und Ideen, wie ja der Tod eines Menschen, der privat einigen anderen Menschen kein großes Glück gebracht, der Welt aber durch sein Werk viel Freude bereitet hat, nicht so einheitlich mit Trauer oder irgendeinem anderen Gefühl besetzt werden kann wie bei uns Normalmenschen. Da gibt es ganz und gar widerstreitende Emotionen, und deren Darstellung hätte man einen Dienst erwiesen, hätte man diesen Teil, in dem der Todesengel sich sozusagen der Wirklichkeit bemächtigt, etwas komprimiert.

Finale

Ohne die erwähnte Überlänge des Schlussteils hätten wir „All That Jazz“ auf eine Stufe mit unserm Lieblingsmusical „Singin‘ In The Rain“ (1952) gestellt, so aber verbleiben immer noch sehr gute 8,5/10.

„All That Jazz“ ist ein Kunstfilm in jedem Sinn des Wortes, zudem vermag er uns emotional einzufangen. Gideon ist alles andere als ein All American Hero, sondern ein Künstler, und die sind immer sehr individuell, wie wir zuletzt anhand von „Lust for Life“ (1956) festgestellt haben, der Hollywood-Biografie von Vincent van Gogh. Regisseur dieses Films war übrigens Vincente Minelli, der Vater von Liza Minelli, die unter Bob Fosse in „Cabaret“ spielte. Wie man sieht, alles ist dichter beieinander, als man denkt.

Joe Gideon ist ein Typ, der fremdgeht, weil er so beschaffen ist, nicht, um aus etwas auszubrechen – oder er bricht aus, weil er eben immer das Bedürfnis hat, auszubrechen. Trotzdem bringen ihm seine aktuelle erstrangige Geliebte und seine Tochter eine Geburtstagsshow, die nicht nur ihn, sondern auch uns berührt hat. Die schönste Szene in einem reichhaltigen Film.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2023: Die IMDb-Nutzer:innen bewerten ihn mit sehr guten 7,8/10, er war aber offensichtlich nie Mitglied der IMDB-Top-250-Liste. Das heißt auch, er hat den Test der Zeit gut bestanden, musste zumindest gegenüber der Wertung des Jahres 1996, als die Liste eingeführt wurde, kaum Abstriche hinnehmen. Damals waren 7,9/10 bis 8,0/10 die Eintrittskarte für die Liste, nebst einer für damalige Verhältnisse ansehnlichen Zahl von Bewertungen. Diese Unbekannte bleibt: Dass ein damals fast 20 Jahre alter Film vielleicht nicht reinkam, weil er zu wenige Stimmen erhalten hatte. Unser Gefühl sagt uns etwas anderes. 

Auch ohne die Besonderheit, einmal zu jener Liste gehört zu haben, die mittlerweile etwa 1.000 Filme aufweisen,  ist die vorliegende Relation relativ kurz ausgefallen, für einen Film dieser Qualität. Deswegen möchten wir noch darauf hinweisen, dass er neben allen erwähnten Filmen auch in der Tradition der Streifen steht, die sich seit dem Aufkommen des Tonfilms hinter die Kulissen der Theater- und Filmwelt begeben haben, besonders natürlich hinter die des Broadway-Musicals, weil es sich hervorragend für die schönen Choreografien eignete, die man damals entwickelte und die den Tonfilm willkommen hießen wie kein anderes Genre. 

„Musical um das Sterben eines berühmten Broadwayregisseurs und Choreographen. Perfekt inszeniert, streckenweise von mitreißendem Rhythmus und überbordend von ästhetischen Effekten: großes Hollywood-Kino.“–Lexikon des internationalen Films[2]

Den Bezug bemerkt man unter anderem am deutschen Titel, der nicht sehr bekannt ist: „Hinter dem Rampenlicht“. Revuefilme der 1930er trugen u. a. Namen wie „Parade im Rampenllicht“ („Limelight Parade“). Sie alle zählen zu den Ahnen von „All That Jazz“, der freilich unter dem noch spürbaren Einfluss von New Hollywood wesentlich mehr Tiefgang erreicht, den die Produkte der Tanzfilmwelle der 1980er nicht mehr haben. 

Außerdem ist nachzulesen, dass „All That Jazz“ einige Oscars gewonnen hat, aber in der Konkurrenz um den besten Film gegen „Kramer gegen Kramer“ verlor, bei gleicher Anzahl von jeweils 9 Nominierungen. Wie auch „Apocalypse Now“ das Nachsehen hatte. Wieder einmal ein Jahr mit Entscheidungen der AMPAS, über die man sich heute irgendwie wundert. 

85/100

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Bob Fosse
Drehbuch Robert Alan Aurthur,
Bob Fosse
Produktion Robert Alan Aurthur
Musik Ralph Burns
Kamera Giuseppe Rotunno
Schnitt Alan Heim
Besetzung

 


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